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Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen

2022
978-3-8233-9552-2
Gunter Narr Verlag 
Yasar Kirgiz
10.24053/9783823395522

Das vorliegende Werk stellt sich anhand einer longitudinal angelegten Fallstudie einem Forschungsdesiderat: der mehrsprachigen Erwerbskonstellation Kurmancî-Kurdisch und Deutsch. Über einen Zeitraum von etwa acht Monaten werden die Sprachentwicklung und Sprachkompetenz von sechs Kindern im Vorschulalter in Kurmancî-Kurdisch und in Deutsch mit diversen Instrumenten erfasst und analysiert, wobei auch die weiteren Sprachen der Studienkinder sorgfältig herausarbeitet und im Zusammenhang mit ihren ersten beiden Sprachen erläutert werden. Die Studie setzt sich auch mit dem Einfluss der Familiensprachpraxis auf die Sprachentwicklung und Sprachkompetenz auseinander. In diesem Zusammenhang wird außerdem die Rolle der bislang einmaligen bilingualen kurdisch-deutschen Kindertagesstätte Pîya mit in die Analyse einbezogen. Entsprechend vielfältig und vielschichtig sind die Ergebnisse dieser Studie.

Language Development 42 Yaşar Kırgız Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen Eine Fallstudie aus einer kurdisch-deutschen Kindertagesstätte Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen Language Development Herausgegeben von Christina Flores (Braga), Tanja Kupisch (Konstanz), Esther Rinke (Frankfurt am Main) und Aldona Sopata (Poznań) Band 42 Yaşar Kırgız Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî-Kurdischen und des Deutschen Eine Fallstudie aus einer kurdisch-deutschen Kindertagesstätte DOI: https: / / www.doi.org/ 10.24053/ 9783823395522 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0939-7973 ISBN 978-3-8233-8552-3 (Print) ISBN 978-3-8233-9552-2 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0366-4 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Natio‐ nalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Der Druck dieser Dissertation wurde mit finanzieller Unterstützung der Rosa-Luxem‐ burg-Stiftung bzw. mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung sowie der Potsdam Graduate School ermöglicht. Die vorliegende Arbeit wurde von der Philosophischen Fakultät der Universität Potsdam im Jahr 2021 als Dissertation angenommen. Gutachter*innen: Prof. Dr. Christoph Schroeder, Prof. Dr. Katharina Brizić, Prof. Dr. Natalia Gagarina Tag der mündlichen Prüfung: 12.04.2021 www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Ji bo diya min û bavê min (Für meine Eltern): Siltanê Remê Sêrto (1940-2011) & Husînî Memedî Şavê (1934-2008) „Ez yek ji wan kesan filankes kurê filankes, ji te hez dikim …“ Yehya Omerî 15 1 19 2 23 3 29 4 33 4.1 33 4.1.1 33 4.1.2 36 4.1.3 39 4.1.4 45 4.1.4.1 45 4.1.4.2 46 4.1.4.3 53 4.2 54 4.2.1 54 4.2.2 55 4.2.3 60 5 63 5.1 63 5.2 65 5.3 66 5.4 68 5.5 70 5.6 73 Inhalt Abstracts (Kurmancî, Deutsch, Englisch) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsziel, Forschungsfragen und Forschungshypothesen . . . . . . . Design der Studie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsgegenstand Kurmancî . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Soziolinguistische Rahmenbedingungen des Kurmancî in den Herkunftsländern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurmancî in der westeuropäischen Diaspora, in Deutschland und in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grundlegende grammatische Charakteristiken des Kurmancî . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsgegenstand Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phonologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntax . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb . . . . . . . . . Definition und Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kategorisierung des Spracherwerbs im frühkindlichen Alter . Erzählkompetenz und ihr Erwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grammatische Kompetenz des Deutschen und ihr Erwerb . . . Bedeutung des (mehrsprachigen) Spracherwerbs . . . . . . . . . . Spracherwerb in der Kita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 75 6.1 75 6.2 81 6.2.1 81 6.2.1.1 81 6.2.1.2 82 6.2.2 83 6.2.2.1 83 83 88 91 94 96 6.2.2.2 98 102 6.2.2.3 103 104 6.3 106 106 108 111 113 115 7 119 7.1 119 7.1.1 119 7.1.1.1 119 7.1.1.2 122 7.1.2 124 7.1.2.1 124 7.1.2.2 127 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder . . . . . . . . . . Forschungsfeld: Die Kita Pîya und ihre bilinguale Praxis . . . . Methodisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methoden zur Dokumentation der Rolle von Familie und Kita . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Leitfadeninterviews mit dem Personal der Kita und der Geschäftsführerin des Kitaträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . Elternfragebogen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumente zur Dokumentation der Sprachentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Multilingual Assessment Instrument for Narratives (MAIN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Makrostruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mikrostruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Adaptation von MAIN ins Kurmancî . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung, Transkription und Auswertung . . . . . . . . . . . Hinweise zur Auswertung der MAIN-Daten . . . . . . . . . . . . . . . Linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Durchführung und Auswertung von LiSe-DaZ . . . . . . . . . . . . Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstands bei Fünfjährigen (HAVAS 5) und Lexikonabfrage . . . . . . . . Durchführung, Transkription und Auswertung . . . . . . . . . . . Studienkinder: Falldarstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zozan und Roza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aram . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Azad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Welat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse von Zozan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch MAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch LiSe-DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse von Roza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch MAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch LiSe-DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt 7.1.3 129 7.1.3.1 129 7.1.3.2 132 7.1.4 134 7.1.4.1 134 7.1.4.2 136 7.1.5 138 7.1.5.1 138 7.1.5.2 141 7.1.6 143 7.1.6.1 143 7.1.6.2 144 7.1.6.3 146 7.2 149 7.2.1 149 7.2.2 151 7.2.3 153 7.2.4 155 7.3 156 7.3.1 156 7.3.1.1 156 7.3.1.2 158 158 165 7.3.1.3 169 7.3.2 174 7.3.2.1 174 7.3.2.2 175 175 185 7.3.2.3 189 7.3.3 192 Ergebnisse von Aram . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch MAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch LiSe-DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse von Azad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch MAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch LiSe-DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse von Welat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch MAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch LiSe-DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse von Aras . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch MAIN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse durch LiSe-DaZ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Besonderer Fall: Arasʼ Kurmancî-Kompetenz . . . . . . . . Ergebnisse zu weiteren Sprachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu Arabisch bei Zozan und Roza . . . . . . . . Ergebnisse zu Französisch bei Aram . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu Türkisch bei Aram . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnisse zu Arabisch bei Welat . . . . . . . . . . . . . . . . . . Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten . . . . Kurmancî . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phonologische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominalphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbalphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntaktische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Phonologische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Morphologische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nominalphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbalphrase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Syntaktische Eigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ad-hoc-Entlehnungen und Codeswitchings . . . . . . . . . 9 Inhalt 8 197 8.1 197 8.1.1 198 8.1.1.1 198 8.1.1.2 203 8.1.2 207 8.1.3 208 8.1.3.1 208 8.1.3.2 210 8.1.4 213 8.2 214 8.3 221 9 225 239 239 10 241 241 242 11 243 243 246 251 251 252 254 255 256 Diskussion, Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutung der Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch . . Deutung der Ergebnisse durch MAIN . . . . . . . . . . . . . . . Deutung der Ergebnisse durch LiSe-DaZ . . . . . . . . . . . . Deutung der Ergebnisse zu weiteren Sprachen . . . . . . . Deutung der grammatischen Merkmale der sprachlichen Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurmancî . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle der Kita Pîya für die Sprachentwicklung der Studienkinder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Transkriptionsgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Internetquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen und Hinweise zur Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinweise zur Transkription . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragen für das Leitfadeninterview mit Erzieher*innen . . . . . . . . . . . Elternfragebogen für die Dissertationsstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiele der erzählten MAIN-Geschichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel Kurmancî . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beispiel Deutsch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lexikonabfrage für die dritte und vierte Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . Klassifikationstabelle der Bildungsstufen von UNESCO (ISCED 2011) Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt * Wenn ihr studiert, werde ich mein getragenes Kleid verkaufen und für eure Bildung sorgen. Danksagung Die vorliegende Studie wurde mit Hilfe und Unterstützung zahlreicher Men‐ schen verwirklicht. Im Folgenden möchte ich mich bi dil û can - „mit Herz und Seele“ - bei einigen für meinen Werdegang im weiteren Sinne und für die Ver‐ wirklichung dieser Studie im engeren Sinne bedanken. Die Herangehensweise ist dabei nicht strikt chronologisch. Diese Arbeit ist meinen Eltern gewidmet. Dabei ist die Rolle meiner Mutter hervorzuheben. Sie hat mit ihrem Statement „Hûn bixwînin ezê kirasî ser xwe bifroşim û we xwendan bidim“  * ihren Kindern eine absolute Motivation mit auf den Bildungsweg gegeben. Den Menschen aus meinem Dorf Palîkan bei Kele (Türkisch Araban) schulde ich mehr als ein Dankeschön. Insbesondere möchte ich mich bei Kekî Hecî (Haci Bayram Karalar) bedanken, der am 30. November 2019 von uns gegangen ist. Kekî Hecî war der Busfahrer unseres Dorfes und hat mich kostenfrei und sicher bis in meine Gymnasialzeiten nach Antep und zurück ins Dorf transportiert. Er hat mir sogar manchmal ein Stück Brot gekauft, einen Apfel oder eine Orange gegeben. Seine Art und Weise hat das harte Leben in Kurdistan ein Stückchen leichter gemacht. Mein Bruder Vakkas - benannt nach einem Aleviten - gehört zu den schönsten Menschenseelen der Welt. Von den Gymnasialzeiten beginnend, hat er mich stets immateriell und materiell unterstützt. Ihm und meinen weiteren Geschwistern Halîme, Husên, Hasan, Seydî, Fatma († 1999) schulde ich einen großen Dank. Mit meiner Frau Özgül Bendeş gehe ich seit März 2012 einen gemeinsamen Weg. Ihr Beitrag zu meinem Leben und zu dieser Studie ist enorm. Mit ihr habe ich gefühlt jedes Wort, jeden Satz dieser Dissertation besprochen. Ihr danke ich mindestens tausendmal. Christiane von Stutterheim hat mir während meines Studiums an der Univer‐ sität Heidelberg zwischen 2005 und 2010 ein Grundverständnis der Linguistik beigebracht. Darüber hinaus hat sie mir den Rahmen einer Magisterarbeit zur Typologie des Kurmancî geschaffen. Somit hat sie damals den Grundstein für diese Studie gelegt. Frau Kaltenbacher war ebenso meine Dozentin an der Universität Heidelberg. Zu meinem Glück lebte sie während meiner Promotion ** Initiiert von der Potsdam Graduate School. in Berlin und begleitete die Studie mit wachen Augen ehrenamtlich. Sowohl Frau Stutterheim als auch Frau Kaltenbacher möchte ich an dieser Stelle meinen besonderen Dank zum Ausdruck bringen. Mein Dank gilt auch meinen Kolleginnen vom Erfolgsteam ** Helga, Christine, Manuela und Brit. Mit ihnen konnte ich den Inhalt, aber auch die Sorgen dieser Dissertationsstudie immer besprechen. Ebenso haben die Kolleg*innen aus dem Doktorand*innen-Kolloquium von Herrn Schroeder mit ihren Anmerkungen, ihrer Kritik und ihren Ermunterungen einen großartigen Beitrag zu dieser Dissertationsstudie geleistet. Daher möchte ich mich bei den Teilnehmer*innen dieses Kolloquiums - u. a. bei Christin, Dorotheé, Verena, Kristina, Kateryna, Hilal, Anja, Cosima und Julia - herzlich bedanken. Auch die Kolleg*innen vom Leibniz-Zentrum Allgemeine Sprachwissenschaft in Berlin und speziell die vom Fachbereich Sprachentwicklung & Mehrsprachigkeit waren im Hinblick auf die inhaltliche sowie organisatorische Gestaltung der Studie stets unterstützend. Bei ihnen und insbesondere bei Nathalie Topaj bedanke ich mich für diese Unterstützung. Für meine Studie hatte ich drei (offizielle) Betreuer*innen. Jede und jeder Einzelne von ihnen hat einen großartigen Beitrag zur Verwirklichung dieser Studie geleistet. Herr Schroeder hat den Rahmen der Studie geschaffen und den Gesamtüberblick der Studie immer im Auge behalten. Frau Brizić hat von Anfang an die Relevanz der Studie geschätzt und stand ihr mit Rat und Tat bei. Frau Gagarina hat trotz ihres dichten Arbeitsplans immer wieder Zeit für mich und für die Studie gefunden. Danke für diese harmonische Zusammenarbeit über die vergangenen nahezu sechs Jahre. Jedem und jeder Forscher*in sind seine/ ihre Studienkinder besonders. So waren auch meine Studienkinder. Jede Erhebung mit ihnen war ein spezielles Erlebnis und die Tür zu neuen Entdeckungen. Sie haben die tollsten, kreativsten Geschichten erzählt und die schönsten Sätze gebildet. Auch die Eltern der Studienkinder haben als Expert*innen ihrer Kinder an dieser Studie maßgeblich mitgewirkt. Mitgewirkt hat auch das Team der Kita Pîya Wedding. Namentlich genannt: Mehtap, Safiye, Yasemin, Sakar und Gulistan. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang die Mitwirkung der Geschäftsführerin des Kitaträgers Günay Darıcı zu nennen. Dank ihr hatte ich einen uneingeschränkten Zugang zu meinem Forschungsfeld. Hervorzuheben ist auch der Beitrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung, bei der ich zwischen April 2017 und April 2020 Stipendiat war. Ohne ihre immaterielle und materielle Unterstützung wäre diese Studie undenkbar. Danke dafür, dass ich 12 Danksagung drei Jahre rund um die Uhr für die Dissertationsstudie einsatzbereit sein durfte und danke für die Möglichkeit des Auslandsaufenthaltes. Last but not least möchte ich mich auch bei den folgenden Menschen für ihren Beitrag zu meinem Werdegang und zur Verwirklichung dieser Studie bedanken: Mehmet Yalçın, Selim Karadaş, Fatma Demir, Şükrü Aslan, Kıymet Aksoy, Abdullah Demirbaş, Jaffer Sheyholislami, Kerstin Reinke, Michael Obst, Xecê Bendeş, Ronahî Bendeş, Michael Chyet, Kenan Engin, Felix Arif Rhein, Erkin Erdoğan, Ali Parlar, Ercan Ayboğa, Gökay Akbulut, Dersîm Dağdeviren, Karin Binder, Şenol Arıkan, Rûşên Turgut, Heval Mahmut, Xemsê Bayram, Aylin Özüak, Şerif Derince, Kurda Nejad, Havva Kökbudak, Rukiye Kurt, Agit Kadino, Eylem Karadoğan, Koçer Bakış, Antje Schmidt und vielen anderen. 13 Danksagung 1 LITMUS-MAIN (Language Impairment Testing in Multilingual Settings - Multilingual Assessment Instrument for Narratives). Abstracts (Kurmancî, Deutsch, Englisch) Kurte (Abstract Kurmancî) Gelê kurd ji salên 1960an pê de parçeyek ji civaka Almanyayê ye. Digel vê yekê, jiyana wan ya rojane, rewşa wan ya civakî, aborî û zimanî kêm bûye mijara lêkolînan. Bo nimûne, heta niha xebateke berfireh li ser fêrbûna zimanê kurdî û almanî di temen-pêşdibistan de li ber destan nîne. Ev lêkolîna demdirêj ya ku bi zimanê almanî hatiye nivîsandin hewl dide beşeke vê kêmasiyê dagire. Ev dike mijar bê ka çawa şeş zarok - ji sê salî heta şeş salî - zaravayê kurmancî yê kurdî û zimanê almanî hîn dibin. Berî ku ev xebat destpêbikira, hewcedarî bi amûrekê hebû da ku asta kurmancî ya zarokan were pîvandin. Amûreke pîvanê ya bi vî rengî ji bo kurmancî nebû. Bi alîkariya zimannas, perwerdekar û herwiha dê û bavan amûreke heyî ji zimanê îngilîzî ji bo kurmancî hate adaptekirin. Navê vê amûrê LITMUS-MAIN 1 e û ji bo pîvandina çîrokgotinê hatiye amadekirin (Gagarina û yên din 2019a). Lê belê bi rêya çîrok/ metnên ku hatine afirandin nirxandina asta ziman bi gelemperî jî pêkan e. Ev amûr digel zimanê almanî ji bo gelek zimanên din jî hatiye adaptekirin. Bi bikaranîna vê amûrê derfet çêbû ku çîrokgotina zarokan bi kurmancî û almanî were pîvandin û analîzkirin. Gelek kurdên li Almanyayê dijîn, dikarin ji bilî kurdî û almanî bi zimanekî din an jî bi çend zimanên din jî bipeyvin. Dibe ku ev zimanê/ zimanên din beşek ji jiyana nifşên nû be/ bin jî. Ji ber vê yekê di xebatê de tê lêkolînkirin bê ka zarokên ku bûne mijara vê xebatê ji bilî kurmancî û almanî zimanekî sêyemîn an jî çaremîn dizanin. Heke dizanin, ev zanîn di kîjan astê de ye. Ji lêkolînan kifş e ku malbat û hêlîn li Almanyayê du kaniyên sereke ne ku zarok ji wan zimanê(n) xwe fêr dibin û bi pêş dixin. Rola wan herdu kaniyan jî di vê xebatê de tê analîzkirin. Hêlîna Pîya ya ku li vir tê lêkolînkirin kurmancî û almanî wekî hev û birêkûpêk teşwîq dike. Herwiha rewşa kurdan ya li Almanyayê bi taybetî rewşa wan ya sosyolen‐ guistik bi kurtasî tê nîqaşkirin. Ev nîqaşkirin dikare wekî çarçoveya berfireh ya vê xebatê were fêmkirin. Abstract Deutsch Die kurdische Bevölkerung ist seit den 1960er Jahren ein Teil der deutschen Gesellschaft. Dennoch sind ihre alltägliche Lebenswelt, ihre sozioökonomische und soziolinguistische Situation in Deutschland kaum untersucht. Ein klares Beispiel dafür ist, dass bis jetzt keine Studie bekannt ist, die sich eingehend mit dem Erwerb des Kurdischen und Deutschen im Vorschulalter befasst hat. Die vorliegende in Deutsch verfasste longitudinale Studie versucht, einen Teil dieser Lücke zu füllen, indem sie untersucht, wie sechs Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren die kurdische Varietät Kurmancî und das Deutsche erwerben. Bevor diese Arbeit umgesetzt werden konnte, war es notwendig, ein Instru‐ ment zur Messung der Kurmancî-Kompetenz von Kindern zu erarbeiten, da ein solches bislang nicht existiert hat. Mit Hilfe von Linguist*innen, Erzieher*innen sowie Eltern wurde ein bestehendes Instrument aus dem Englischen ins Kur‐ mancî adaptiert. Der Name dieses Instruments ist Language Impairment Testing in Multilingual Settings - Multilingual Assessment Instrument for Narratives (LITMUS-MAIN) und es elizitiert die Erzählkompetenz (Gagarina et al. 2019a). Allerdings kann durch die erzeugten Erzählungen/ Texte auch die allgemeine Sprachkompetenz untersucht werden. Dieses Instrument wurde bereits in viele andere Sprachen, u. a. ins Deutsche, adaptiert. Durch seine erstmalige Adaptation ins Kurmancî konnte somit die Erzählfähigkeit der Studienkinder in Kurmancî und in Deutsch ermittelt und analysiert werden. Viele Kurd*innen in Deutschland können neben Kurdisch und Deutsch noch eine oder mehrere weitere Sprachen sprechen. Diese weitere(n) Sprache(n) kann/ können auch Teil des Lebens der Kindergeneration sein. Daher untersucht die vorliegende Studie zusätzlich auch, ob und inwieweit die Studienkinder neben Kurmancî und Deutsch noch eine dritte oder vierte Sprache können. Die Forschung hat gezeigt, dass Familie und Kindertagestätte in Deutschland die beiden Hauptquellen sind, aus denen Kinder ihre Sprache(n) erwerben und entwickeln. Die Rolle beider Quellen wird in dieser Arbeit analysiert. Die hier untersuchte Kindertagestätte Pîya verfügt über ein durchgängig bilinguales Konzept zur Förderung des Kurmancî und des Deutschen. Zudem wird auch ein kurzer Überblick zu den Kurd*innen in Deutschland, insbesondere zu ihrer soziolinguistischen Situation gegeben. Dieser Überblick kann als ein erweiterter Rahmen dieser Arbeit begriffen werden. 16 Abstracts (Kurmancî, Deutsch, Englisch) Abstract English The Kurdish people have been part of German society since the 1960s. Never‐ theless, their everyday life, their socio-economic and sociolinguistic situation in Germany have hardly been examined. A clear example of this is that so far, no study is known that has investigated in detail the acquisition of Kurdish and German in preschool age. This present longitudinal study written in German tries to fill in a part of this gap by examining how six children between ages three and six acquire the Kurmancî variety of Kurdish and German. Before this work could begin, it was necessary to establish a tool to measure Kurmancî language proficiency in children, because such an instrument was not yet available. With the help of linguists, nursery schoolteachers, as well as parents, an existing instrument was adapted from English into Kurmancî. The name of this tool is Language Impairment Testing in Multilingual Settings - Multilingual Assessment Instrument for Narratives (LITMUS-MAIN) and it elicits narrative skills (Gagarina et al. 2019a). However, the narratives/ texts generated can also be used to examine general language skills. This instrument has already been adapted into many other languages, including the German language. By adapting this tool for the first time into Kurmancî, it was possible to assess and analyze the narrative ability of the children in Kurmancî and in German. Many Kurds in Germany can speak one or more additional language(s) beside Kurdish and German. This/ These additional language(s) may also reach the children’s generation. Therefore, this study examines additionally whether and to what extent the children investigated also speak a third or fourth language beside Kurmancî and German. Research has shown that families and nursery schools in Germany are the two main sources from which children learn and develop their language(s). The role of both sources is analyzed in this work. The investigated nursery school Pîya has a consistently bilingual concept for the promotion of Kurmancî and German. A short overview of the Kurds in Germany, especially of their sociolinguistic situation, is also given. This overview can be understood as an extended framework of this work. 17 Abstracts (Kurmancî, Deutsch, Englisch) 1 Einleitung Seit den sechziger Jahren sind Kurd*innen ein Teil von dynamischen Migrati‐ onsbewegungen aus dem Nahen Osten in die westeuropäischen Staaten, insbe‐ sondere nach Deutschland (vgl. Hassanpour/ Mojab 2005: 218, Şenol 1992: 186). Seither hat die Migration der Kurd*innen praktisch nie aufgehört - auch wenn sie von Zeit zu Zeit abgenommen hat. Die letzte Welle der (Flucht-)Migration der Kurd*innen - hauptsächlich aus Syrien und dem Irak - begann um 2014, intensivierte sich in den Jahren 2015/ 2016 und hält, wenn auch nicht mit gleicher Intensität, weiterhin an (vgl. Pürckhauer 2019). Da die Konflikte in den Herkunftsländern der Kurd*innen fortbestehen bzw. sich intensivieren, ist ein Ende ihrer Flucht(-Migration) nicht abzusehen. Schon jetzt bilden die Kurd*innen eine der größten Migrant*innengruppen in Deutschland; ihre Zahl wird auf 1,2 Millionen Menschen geschätzt (vgl. Engin 2019: 9). Die sozialpolitische Situation der Kurd*innen in Deutschland und in ihren Herkunftsländern dominiert die Themen, die in Deutschland in die öffentlichen und zum Teil auch in die wissenschaftlichen Diskussionen gelangen. Ihre alltägliche Lebenswelt, ihre sozioökomische und soziolinguistische Situation in Deutschland stehen dagegen kaum zur Diskussion und werden seitens der Forschung wenig aufgegriffen (vgl. Karataş 2019: 12, Ozmen 2010: 162, Schleimer 2019: 84). Der Spracherwerb ihrer Kinder unter Einbeziehung ihrer Sprache hat beispielsweise so gut wie keine Beachtung gefunden. Und dies trotz der Tatsache, dass an den allermeisten existierenden Studien zum Spracherwerb immer wieder auch kurdischsprachige Kinder beteiligt waren (vgl. Apeltauer 2008, Reich 2009). Die vorliegende Studie betritt also ein neues Forschungsfeld. Dabei befasst sie sich in einer longitudinal angelegten Konzeption damit, wie sich die Sprach‐ kompetenz der sechs ausgewählten Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren in Kurmancî-Kurdisch und in Deutsch entwickelt. Zu diesem Zweck wurden über den Zeitraum von etwa acht Monaten in einer bilingual kurdisch-deutschen Kindertagesstätte mit verschiedenen Methoden und Instrumenten Daten erhoben. Die Varietät Kurmancî des Kurdischen, die hier der Untersuchungsgegen‐ stand ist, wird Schätzungen zufolge von etwa zwei Dritteln der Kurd*innen weltweit gesprochen (vgl. Bulut 2018: XX). Selbst wenn die kurdische Diaspora in Westeuropa bzw. in Deutschland gesondert betrachtet wird, so müsste laut Ammann immer noch die Zahl der kurmancîsprachigen Kurd*innen überwiegen (vgl. Ammann 2019: 28, siehe auch Ghaderi 2014: 136). Damit die vorliegende Studie sich in diesem neuen und zudem überaus großen Forschungsfeld nicht „verirrt“, operiert sie mit bestimmten Forschungsfragen, die in Kapitel 2 ausgeführt werden. Die Forschungsfragen strukturieren die Studie und richten sie auf ihr Ziel aus: auf Erfassung und ersten Einblick zur Spracherwerbskonstellation Kurmancî-Deutsch bei Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren. In Kapitel 2 sind außerdem die Hypothesen der Studie ausgeführt und erläutert, die den Blick auf den Forschungsgegenstand zusätzlich schärfen. Im Anschluss daran folgt das Kapitel zum Forschungsdesign (Kapitel 3), welches das Format, die Methoden und Instrumente der Studie vorstellt und kurze Informationen zu den Studienkindern beinhaltet. Kapitel 4 verfolgt zunächst das Ziel, im weiteren Sinne das Kurdische und im engeren Sinne das Kurmancî-Kurdisch zu kontextualisieren. Dabei wird zunächst ein Überblick über die Länder und Regionen gegeben, in denen das Kurdische, insbesondere das Kurmancî, geschichtlich beheimatet ist, und wie seine Varietäten aufgeteilt sind. Dazu werden zwei Landkarten zur Illustration herangezogen. Die Kontextualisierung wird mit einem Überblick zu den soziolinguistischen Rahmen‐ bedingungen des Kurdischen/ Kurmancî in den Herkunftsländern Irak, Syrien, Iran und Türkei fortgeführt. Dem folgen Ausführungen zur Migrationsgeschichte der Kurd*innen in den westeuropäischen Staaten. Dabei geht der Blick vom Allgemeinen zum Spezifischen: Erst wird die westeuropäische, dann die deutsche und schließlich die Berliner Diaspora der Kurd*innen dargestellt. In Berlin befindet sich auch das Forschungsfeld dieser Studie. Auf die allgemeine Kontextualisierung des Kurdischen/ Kurmancî folgt, eben‐ falls in Kapitel 4, die grammatische Charakterisierung des Kurmancî. Dabei wird auf die phonologischen, syntaktischen und vor allem auf die morphologi‐ schen Charakteristiken wie Ezafe, Obliquus und Tempusformen eingegangen. Dieser Teil dient als Grundlage für die Ausführungen zu den grammatischen Merkmalen der sprachlichen Daten der Studienkinder. Spiegelbildlich wird ebenso in Kapitel 4 mit der Erläuterung der gramma‐ tischen Merkmale des Deutschen verfahren. Der Unterschied ist dabei, dass die Erläuterungen zum Deutschen auf eine breite Grundlage in der Spracher‐ werbsforschung zurückgreifen können (vgl. u. a. Kaltenbacher 2015, Kauschke 2012, Meisel 2009, Ruberg/ Rothweiler 2012, Schulz/ Tracy 2011, Wegener 1995). In Kurmancî muss dagegen aufgrund fehlender Studien zum Spracherwerb auf allgemeine grammatische Untersuchungen - auch kurmancîsprachige - zurückgegriffen werden (vgl. u. a. Bedir Khan/ Lescot 1986, Haig/ Öpengin 2018, MacKenzie 1961, Omarkhali 2011, Tan 2005). In Kapitel 5 finden sich schließlich beide Sprachen unter dem umfassenden „Dach“ des Begriffs der „Mehrsprachigkeit“. Es wird dabei sowohl auf allge‐ 20 1 Einleitung meine Grundlagen als auch auf den Kontext Kindertagesstätte - im Folgenden meist als Kita abgekürzt - eingegangen. Hier wird zunächst versucht, Bilingua‐ lismus/ Mehrsprachigkeit zu definieren. Des Weiteren werden zentrale Theorien des Spracherwerbs kurz umrissen, die versuchen, den Spracherwerb aus der kognitiven Perspektive zu erläutern (vgl. Grießhaber 2010, Katerbow 2013, Schulz/ Grimm 2012). Darüber hinaus erfolgt die Kategorisierung des Erwerbs des Deutschen, der das Alter und der Beginn des systematischen Zuganges zugrunde gelegt werden. In diesem Kapitel wird auch auf den Erwerb der Erzähl- und Grammatikkompetenz eingegangen und in dieser Weise eine Grundlage für die Analyse der Daten geschaffen. Kapitel 6 der Studie ist ihrem Forschungskontext, methodischen Vorgehen und ihren Studienkindern gewidmet. Die Kindertagesstätte Pîya, die im Fol‐ genden meist als Kita Pîya bezeichnet wird, stellt den Forschungskontext der Studie dar. Bezüglich der Kita Pîya, die bilingual Kurmancî-Deutsch konzipiert ist, werden zunächst einige Eckpunkte - Gründungsjahr, Kapazität, Konzept, Gründungshintergründe etc. - eingeführt. Den Schwerpunkt der Ausführungen bildet jedoch die Darstellung der bilingualen Praxis der Kita. Diese Darstel‐ lung beruht hauptsächlich auf den Erkenntnissen der Leitfadeninterviews mit den Erzieher*innen. Im Einzelnen wird auf die materiellen und personellen Ressourcen der Kita eingegangen. Dabei werden die Herausforderungen und Schwierigkeiten erläutert, die Erzieher*innen im Kita-Alltag insbesondere im Hinblick auf das Kurmancî zu überwinden haben. Ein großer Teil des Kapitels 6 handelt von dem methodischen Vorgehen. In diesem Zusammenhang werden zunächst die Leitfadeninterviews erläutert, die mit den Erzieher*innen, der Leitung der Kita und der Geschäftsführung des Kita-Trägers durchgeführt worden sind. Auf die Darstellung der Leitfaden‐ interviews folgt die Erläuterung des Fragebogens für Eltern, der aus zwei Teilen besteht. Dieser wurde um offene Fragen zur Sprachenbiografie der Eltern ergänzt. Die Erkenntnisse, die dadurch gewonnen wurden, dienen dazu, die Rahmenbedingungen des Spracherwerbs der Studienkinder auszuleuchten. Der Fokus der vorliegenden Studie liegt auf der Dokumentation und Analyse des Spracherwerbs und der Sprachkompetenz der Studienkinder. Dies erfolgt mit drei verschiedenen Instrumenten: LITMUS-MAIN - ab hier meist nur noch als MAIN abgekürzt (Gagarina et al. 2012, 2019a), LiSe-DaZ (Schulz/ Tracy 2011) und HAVAS 5 (Reich/ Roth 2004a, 2004b). Hinzu kommt als Ergänzung eine speziell für diese Studie zusammengestellte Lexikonabfrage. Für welche Sprachen, wie oft und in welchen Zeitabständen diese Instrumente eingesetzt waren, wird im Detail im dritten Kapitel „Design der Studie“ erläutert. In Ka‐ pitel 6 wird dagegen ausführlich dargestellt, was genau mit diesen Instrumenten 21 1 Einleitung elizitiert wird. Hier finden sich ausführliche Erläuterungen zur Vorbereitung, Durchführung und Auswertung dieser Instrumente. Die Erläuterungen zu MAIN und LiSe-DaZ, die die zwei Hauptinstrumente der Studie bilden, sind dabei umfangreicher und umfassen auch ihre theoretischen Grundlagen. In Kapitel 6 erfolgt auch die Vorstellung der Studienkinder ausgehend von den Erkenntnissen, die durch Eltern, Erzieher*innen sowie durch teilnehmende Beobachtungen ermittelt wurden. Dabei werden der Weg und die Zugangsbe‐ dingungen der Studienkinder zu ihren Sprachen detailliert herausgearbeitet und erläutert. Dadurch wird die Analyse ihrer Kompetenz in ihren Sprachen im späteren Verlauf nachvollziehbarer. Kapitel 7 ist der umfangreichste Teil der Studie und führt die Ergebnisse nach Sprachen aufgegliedert im Detail aus. Zunächst werden die sprachlichen Ergebnisse der Studienkinder in Kurmancî mit MAIN und in Deutsch mit MAIN und LiSe-DaZ kurz erörtert und tabellarisch dargestellt. Die Erörterung und Darlegung erfolgt für jedes Kind einzeln und gegliedert nach einzelnen Messzeitpunkten. Für vier Studienkinder liegen Ergebnisse in einer dritten Sprache Arabisch bzw. Französisch vor, im Fall eines dieser Kinder auch in der vierten Sprache Türkisch. In Kapitel 7 werden auch die grammatischen Merkmale der sprachlichen Daten der Studienkinder in Kurmancî und Deutsch, die durch MAIN und LiSe-DaZ gesammelt wurden, auf der phonologischen, morphologischen und syntaktischen Ebene dargelegt und analysiert. Die theoretische Grundlage bilden dabei die Ausführungen zu den grammatischen Eigenschaften des Kurmancî und des Deutschen im vierten Kapitel. Abschließend wird auf die Äußerungen - seien es Wörter, Wortgruppen oder Sätze - eingegangen, die aus einer anderen Sprache übernommen sind. Hier wird eine vorsichtige Analyse unternommen, wie bei der Übernahme grammatisch verfahren wird. Kapitel 8 ist das letzte Kapitel der Studie und rundet sie ab. Dabei werden die Ergebnisse der Studie diskutiert. Dies umfasst zum einen die Testergebnisse der Kinder in Kurmancî und in Deutsch sowie in weiteren Sprachen. Zum anderen stehen die grammatischen Eigenschaften der sprachlichen Daten in Kurmancî und in Deutsch zur Diskussion. Des Weiteren wird in diesem Abschnitt die Rolle der Kita Pîya für den Spracherwerb und die Sprachkompetenz der Studi‐ enkinder unter die Lupe genommen, bevor in einem Ausblick die Relevanz der Studie innerhalb der Spracherwerbsforschung verortet und kurz umrissen wird, inwiefern die Studie für die zukünftige Forschung eine Grundlage und/ oder eine Perspektive bietet. 22 1 Einleitung 1 Da die Studie von Mahalingappa (2009) den Erwerb der Ergativität fokussiert und die anderen zentralen Aspekte des Kurmancî - wie z. B. den Erwerb der Ezafe - nicht besonders berücksichtigt, konnte ihre Studie nur bedingt rezipiert werden (siehe die vierte Hypothese in diesem Abschnitt). 2 Forschungsziel, Forschungsfragen und Forschungshypothesen Die vorliegende Studie ist als eine qualitative und explorative Studie zu be‐ trachten. Sie versucht, anhand von wenigen Fällen explorativ „dem Forschungs‐ gegenstand möglichst nahe“ zu kommen (Mayring 2010: 231, für einen Überblick zur qualitativen Forschung siehe Brüsemeister 2008 und Flick 2009 und für die Beziehung zwischen qualitativer und explorativer Herangehensweise Mayring 2010). Im Einklang mit der qualitativen und explorativen Herangehensweise ist das Ziel der Studie breit aufgestellt: Erfassung und erster Einblick zur Spracherwerbskonstellation Kurmancî-Deutsch bei Kindern im Alter zwischen drei und sechs Jahren. Der Grund dafür ist, dass diese Erwerbskonstellation bisher kaum, eventuell sogar noch gar nicht untersucht wurde, obwohl sie keine Seltenheit in Deutschland ist und spezifische Besonderheiten aufweist, wie z. B., dass Kinder, die mit dieser Erwerbkonstellation aufwachsen, in erheblichem Maß Zugang zu weiteren Sprachen haben. Darüber hinaus ist auch nicht bekannt, ob das Kurmancî überhaupt je im Fokus einer tiefgreifenden Studie zum Spracherwerb gestanden hat - sei es allein oder in der Konstellation mit anderen Sprachen. Hier wird von der Un‐ tersuchung von Mahalingappa abgesehen, die nicht den Erwerb des Kurmancî im Allgemeinen, aber immerhin den Erwerb der Ergativität in Kurmancî bei Kindern in der Altersspanne zwischen 1,6 und 4,3 Jahren thematisiert (vgl. Mahalingappa 2009: 53 ff.). 1 Damit die vorliegende Studie ihr Ziel erreichen kann, werden vier übergrei‐ fende Forschungsfragen formuliert: 1. Über welche Sprachkompetenz verfügen die Studienkinder in Kurmancî und Deutsch im Alter von drei bis sechs Jahren und wie entwickelt sich diese über den Erhebungszeitraum von etwa acht Monaten? Diese Frage stellt den Schwerpunkt der Studie dar und wird in zwei Teilfragen bearbeitet. Erstens wird der Frage nachgegangen, wie sich die Erzählkompetenz der Studienkinder in Kurmancî und in Deutsch darstellt und wie der diesbezüg‐ 2 In der Studie sind nicht alle Daten per se für die Analyse der grammatischen Merkmale bestimmt, beispielsweise die Erzählungen. Daher stellt ihre Nutzung für eine solche Analyse eine Semi-Spontanität dar. liche Entwicklungsverlauf über die Erhebungszeit ist. In diesem Zusammenhang wird auch überprüft, ob die Erzählkompetenz in Kurmancî und in Deutsch vergleichbar ist. Darüber hinaus wird auch der Frage nachgegangen, ob die Erzählkompetenz unter Berücksichtigung des Kurmancî mit gleichaltrigen bilingualen Kindern vergleichbar ist, die mit anderen Spracherwerbskonstella‐ tionen aufwachsen. Während die erste Teilfrage sich auf die Erzählkompetenz bezieht und beide Sprachen umfasst, fokussiert die zweite Teilfrage die Morphosyntax und wird nur in Bezug auf das Deutsche gestellt. Die Frage ist: Wie sind die Normwerte der Studienkinder in Deutsch und wie entwickeln sie sich über die Erhebungszeit? Dass diese Frage nur hinsichtlich der Morphosyntax beantwortet wird, ist bedingt durch das eingesetzte Instrument LiSe-DaZ, da dieses Instrument Normwerte im Wesentlichen für Morphosyntax erhebt. Ein äquivalentes Instru‐ ment für Kurmancî ist nicht vorhanden, so dass der Sprachvergleich hier aus methodischen Gründen nicht erfolgen kann. Um diese Lücke im Hinblick auf das Kurmancî einigermaßen zu schließen und das Deutsch der Kinder in einem größeren Bild unter die Lupe zu nehmen, wird die zweite übergreifende Frage der Studie formuliert: 2. Welche grammatischen Merkmale weisen die semi-spontan 2 und experi‐ mentell elizitierten sprachlichen Daten der Studienkinder auf ? Die Antwort auf diese Frage wird in drei Bereichen der Sprache - Phonologie, Morphologie und Syntax - gesucht. Mit dieser Frage wird der Bereich der Phonologie des Deutschen, der von LiSe-DaZ nicht behandelt wird, mit in die Analyse eingeschlossen. Auch einige morphosyntaktische Kategorien, die mit diesem Instrument nicht untersucht werden, wie das Genus und der Numerus (Schulz/ Tracy 2011: 20), sind in dieser Weise der Analyse inkludiert. Die ausführliche Auseinandersetzung mit den grammatischen Merkmalen der sprachlichen Daten bietet auch die Grundlage dafür, eine Unterscheidung in Bezug auf die Äußerungen der Kinder vorzunehmen, die aus anderen Sprachen übernommen sind. Die Frage, die dieser Unterscheidung Rechnung trägt, ist, ob diese Äußerungen an die Grammatik der jeweiligen Sprache angepasst werden oder nicht (vgl. Hock/ Joseph 2019, Poplack 2018). Da Kurd*innen zu jenen Migrant*innengruppen gehören, deren Mitglieder bereits in ihren Herkunftsländern meistens bilingual/ multilingual sind und mit dieser Ausgangslage in dem Einwanderungsland ankommen, ist es häufig 24 2 Forschungsziel, Forschungsfragen und Forschungshypothesen der Fall, dass ihre Kinder mit den Sprachen der Eltern und der Sprache des Einwanderungslandes und somit dreisprachig bzw. mehrsprachig aufwachsen (Herkenrath 2017, Ozmen 2010, Riehl 2014, Şimşek 2016). Im Fall dieser Studie kommt noch hinzu, dass fünf der sechs Studienkinder außerhalb Deutschlands geboren sind - vier in den Herkunftsländern und eins in einem weiteren Land. In diesen Ländern hatten sie Zugang zu einer weiteren Sprache außer Kurmancî oder waren von dieser Sprache umgeben. Bei einem Kind kommt hinzu, dass aufgrund der Familienkonstellation und Migration eine vierte Sprache zu seiner Lebenswelt gehört. Da die vorliegende Studie bemüht ist, die Sprachkompetenz der Studien‐ kinder insgesamt, also auch in weiteren Sprachen zu ermitteln, lautet eine weitere Frage: 3. Inwieweit ist bei den Studienkindern eine Sprachkompetenz in weiteren Sprachen - zusätzlich zu Kurmancî und Deutsch - vorhanden? Die vierte und letzte Frage bezieht sich auf die Rolle der Kita, insbesondere auf die Rolle ihres Inputs beim Spracherwerb der Studienkinder. Die Kita wird in Deutschland als ein fester Bestandteil der Kindheit betrachtet (vgl. Bildung in Deutschland 2014: 45, König/ Friederich 2014: 11). Des Weiteren wird sie als zweitrelevanteste Instanz - nach der Familie - aufgefasst, in der die sprachliche Sozialisation des Kindes stattfindet (vgl. Reich 2009: 13). Für Kinder, die zu Hause keinen oder wenig Zugang zum Deutschen haben, ist die Kita sogar die erste und eventuell die relevanteste Instanz für den Deutscherwerb (vgl. Jeuk 2003: 9, Schulz/ Tracy 2011: 21). Daher ist die Rolle der hier untersuchten Kita Pîya für den Erwerb des Deutschen - aber auch für den des Kurmancî - zu beleuchten. Denn die Kita fördert neben dem Deutschen auch das Kurmancî konsequent. Insofern ist eine weitere übergreifende Frage wie folgt formuliert: 4. Welche Rolle spielt die Kita Pîya für den Erwerb des Kurmancî und des Deutschen? Diese Frage wird in erster Linie vor dem Hintergrund der Kenntnis zu be‐ antworten sein, welche Kinder zu Hause keinen plausiblen Zugang zu den untersuchten Sprachen haben und daher auf den Input in der Kita angewiesen sind und wie sie dadurch ihre Kompetenzen in der jeweiligen Sprache ausbauen. Wenn auch zu Beginn mehr oder minder eindeutig war, welches Ziel mit welchen Forschungsfragen in der vorliegenden Studie verfolgt werden sollte, war die Aufstellung der Hypothesen - wie es ein Merkmal der explorativen Studien ist (vgl. Mayring 2010: 225) - nicht einfach. Dies lag daran, dass das Forschungsfeld neu war und es ungewiss war, welche Zusammenhänge 25 2 Forschungsziel, Forschungsfragen und Forschungshypothesen und Wechselwirkungen in diesem neuen Feld überhaupt untersuchbar sind. Dennoch konnten, abgeleitet von Ergebnissen der Spracherwerbsforschung, flankiert von ersten informellen Gesprächen mit Eltern und Erzieher*innen sowie durch die ersten Eindrücke der teilnehmenden Beobachtungen in der Kita einige vorsichtige Hypothesen zu der spezifischen Erwerbkonstellation Kurmancî-Deutsch gebildet werden. Diese Hypothesen schärfen im Zusammen‐ hang mit den Forschungsfragen den Blick für bestimmte Merkmale, Phänomene und Bereiche des untersuchten Gegenstandes (vgl. Grond 2018 für eine ver‐ gleichbare Vorgehensweise). Die erste Hypothese ist, dass die bilingualen Kinder zwar in ihren beiden Sprachen eine ähnliche Erzählkompetenz auf der Makroebene - also bei der Wiedergabe der globalen Struktur - aufweisen werden (vgl. Gagarina et al. 2015), dies allerdings nicht, wenn der Zugang zu einer der Sprachen nicht über eine längere Zeit gegeben war. Denn das Erzählen einer Geschichte verlangt das Erreichen einer gewissen Schwelle der Sprachkompetenz (vgl. Bohnacker 2016: 24, siehe auch die Abschnitte 5.3 und 5.4). Jedoch ist nicht konkret ermittelt, nach welcher Dauer des Zuganges zu der jeweiligen Sprache die Erzählkompetenz eintritt. Für Sprachen wie Deutsch ist allerdings bekannt, dass erst am Ende des ersten Jahres des systematischen Zuganges, manchmal auch erst danach, die Grundstrukturen der Sprache durch die sukzessiven Erwerber*innen erworben werden, z. B. verschiedene Satzstrukturen (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012, Schulz/ Tracy 2011). Insofern ist für vier der sechs Studienkinder, die sukzessiv das Deutsche erwerben, anzunehmen, dass sich ihre Erzählkompetenz in dieser Sprache erst etwa ab dem Ende des ersten Jahres des systematischen Zuganges der Erzählkompetenz in Kurmancî etappenweise angleicht (für Erläuterungen zum Erwerbsbeginn sowie zur Erwerbsdauer der Studienkinder siehe die Über‐ sicht im nächsten Abschnitt). In Bezug auf den Zugang zu Kurmancî ist zu erwähnen, dass nur ein einziges Kind der Studie erst zu einem späteren Zeitpunkt - etwa mit eineinhalb Jahren - einen geregelteren Zugang zu Kurmancî bekommen hat (für genaue Informationen siehe den Abschnitt 6.3). Es ist allerdings schwierig, für dieses Kind eine Annahme darüber zu äußern, nach welcher Dauer des Zuganges es eine Erzählkompetenz in Kurmancî entwickeln und ab wann diese sich der in Deutsch angleichen wird. Denn anders als im Deutschen ist der Spracherwerb in Kurmancî nicht dokumentiert und damit einhergehend ist eine Grundlage für eine solche Annahme nicht gegeben. Daher kann für dieses Kind höchstens vermutet werden, dass es durch den geregelten Zugang im Laufe der Zeit eine Kurmancî-Kompetenz entwickelt. Mit voranschreitender Entwicklung ist zu erwarten, dass es Figuren, Objekte und einzelne Ereignisse der Geschichten 26 2 Forschungsziel, Forschungsfragen und Forschungshypothesen benennt/ beschreibt, diese mehr und mehr verknüpft und die Geschichten schließlich auch in Kurmancî erzählt. Wann dies jedoch geschieht, kann im Rahmen dieser Studie nicht definiert werden. Dazu wäre eine ausführliche Dokumentation des Spracherwerbs in Kurmancî vonnöten. Die zweite Hypothese ist, dass die Studienkinder (abgesehen von einem Kind) in LiSe-DaZ, d. h. im Deutschen, niedrige Werte aufweisen werden. Der Grund dafür ist, dass den Werten von LiSe-DaZ die Annahme zugrunde liegt, dass Kinder mit Deutsch als Zweitsprache im Alter zwischen 25 und 48 Monaten in die Kita kommen und fortan einen systematischen Zugang zum Deutschen haben. Dieser Annahme nach sind die Werte ermittelt und Vergleichsgruppen nach Alter und Kontaktzeit gebildet (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 21). Vier der sechs Studienkinder kamen jedoch älter als 48 Monate in die Kita. Aufgrund dieser Tatsache konnten sie nicht immer mit ihrer tatsächlichen Gruppe, sondern mit der nächsten passenden Gruppe verglichen werden. Bei einem weiteren Kind werden Werte von Deutsch als Muttersprache (DaM) zugrunde gelegt, wobei es in seinen ersten Lebensjahren nicht die üblichen Erwerbsbedingungen eines DaM-Kindes hatte (für genaue Informationen siehe den Abschnitt 6.3). Die dritte Hypothese ist, dass die Studienkinder hinsichtlich der Grammatik des Deutschen die meisten Schwierigkeiten nicht mit der Syntax, sondern mit der Morphologie haben werden (vgl. Kauschke 2012, Meisel 2009). Um genauer zu sein: Sie werden ihre größten Schwierigkeiten im Ausdruck der grammatischen Kategorien der Nominalphrase haben. Hier werden Kinder, die das Deutsche sukzessiv erwerben, auf mehr Schwierigkeiten stoßen. Denn in der Spracherwerbsforschung ist dokumentiert, dass der Erwerb der grammati‐ schen Kategorien der Nominalphrase Kindern, und insbesondere sukzessiven Erwerber*innen, schwerfällt (vgl. Kaltenbacher/ Klages 2007, Ruberg/ Rothweiler 2012). Wenn auch keine ausführliche Dokumentation zum Erwerb des Kurmancî vorliegt, so ist dennoch davon auszugehen, dass die Unterscheidung der Stamm‐ formen der Verben in Kurmancî zum frühen Spracherwerb gehört. Denn die grammatische Unterscheidung der Gegenwart und der Vergangenheit erfolgt über diese beiden Stammformen. Sobald also Kinder in ihren Äußerungen Gegenwart und Vergangenheit voneinander unterscheiden, müssen sie mit beiden Stammformen operieren. In diesem Zusammenhang geht aus der Studie von Mahalingappa hervor, dass kurdischsprachige Kinder, die im Osten der Türkei mit Kurmancî aufwachsen, ab einem Alter von etwa zwei bis zweieinhalb Jahren sowohl eine Tempusform der Gegenwart als auch eine der Vergangenheit nutzen und somit die beiden Stammformen anwenden (vgl. Mahalingappa 2009: 53 ff.) Die vierte Hypothese lautet entsprechend, dass diese Unterscheidung 27 2 Forschungsziel, Forschungsfragen und Forschungshypothesen der Stammformen den meisten Studienkindern gelingen wird, da sie zum Zeitpunkt der Erhebung im Erwerb des Kurmancî bereits fortgeschritten sind. Die fünfte Hypothese bezieht sich darauf, dass das Kurmancî der meisten Studienkinder regionalen Unterschieden unterliegen wird. Denn das Kurmancî umfasst ein großes geografisches Gebiet, das auch größtenteils durch meh‐ rere Staatsgrenzen geteilt ist. Des Weiteren ist seine Standardvarietät den meisten Sprecher*innen aufgrund soziopolitischer Rahmenbedingungen kaum verfügbar (vgl. Aygen 2007, Haig/ Öpengin 2018). Die sechste Hypothese ist, dass Studienkinder, die Kontakt zu einer dritten oder vierten Sprache haben bzw. hatten, diese Sprache(n) auch produktiv nutzen werden, wenn auch nicht in dem Ausmaß wie ihre ersten beiden Sprachen Kurmancî und Deutsch. Bei der Kontextualisierung der dritten Forschungsfrage wurde bereits darauf hingewiesen, dass der Lebenswelt der Kinder, die mit Kurmancî und Deutsch aufwachsen, in den meisten Fällen eine bzw. mehrere weitere Sprachen angehören. Die Studie von Şimşek (2016) geht auf diese Tat‐ sache ein und ermittelt, dass die von ihr untersuchten Studienkinder über eine produktive Sprachkompetenz in der dritten Sprache - in dem Fall Türkisch - verfügen. Daran anknüpfend geht die vorliegende Studie von einer produktiven Sprachkompetenz in weiteren Sprachen neben Kurmancî und Deutsch aus, zu denen die untersuchten Kinder Zugang haben. Die Hypothesen sieben und acht beziehen sich auf die Umsetzung des Konzepts der Kita und auf den Sprachgebrauch der Kinder in der Kita. Im Hinblick auf Ersteres ist davon auszugehen, dass die Kita Schwierigkeiten in der Umsetzung ihres Konzepts haben wird, da es sich in ihrem Fall um ein Pilotprojekt handelt. Darüber hinaus gibt es bis jetzt nur wenig bzw. kaum Erfahrungen im Umgang mit der institutionellen Vermittlung des Kurmancî (vgl. Akın 2017, Derince 2017, Grond 2018). Mit Blick auf den Sprachgebrauch wird vermutet, dass Kinder aus den kurmancîsprachigen Familien in der Kita vor allem zu Beginn mehrheitlich Kurmancî sprechen werden, da ihnen diese Sprache vertrauter ist. 28 2 Forschungsziel, Forschungsfragen und Forschungshypothesen 3 Die Namen der Kinder wurden zum Zwecke der Anonymisierung geändert. 3 Design der Studie Da die vorliegende Studie als eine explorative Studie definiert ist, wird sie im Format einer Fallstudie entfaltet, die insgesamt sechs Kinder umfasst. Der Vorteil einer Fallstudie ist, dass das gegebene Thema besonders umfassend behandelt werden kann. Diese Herangehensweise ist für das Thema der vorliegenden Studie vonnöten, da es bis jetzt - wie bereits erwähnt - kaum untersucht wurde. Als Fallstudie kann sie ihr Thema „multiperspektivisch“ angehen (vgl. Gürsoy 2016: 18) und einen ersten Einblick in die Spracherwerbskonstellation Kurmancî-Deutsch ermöglichen. Des Weiteren ist es ein Anliegen, „die Kinder in ihren vielschichtigen Lebenslagen wahrzunehmen […].“ (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 29) Dies ist ebenfalls im Format der Fallanalyse möglich. Die sechs Studienkinder wurden aus der Kurdisch-Deutsch bilingualen Kita Pîya ausgewählt. Sie heißen Zozan, Roza, Aram, Azad, Welat und Aras. 3 Zozan und Roza sind Zwillingsschwestern und gleichzeitig die beiden einzigen Mäd‐ chen der Studie. Die anderen vier Studienkinder sind Jungen. In Bezug auf Zozan, Roza, Azad und Welat ist auch anzumerken, dass sie in den Jahren 2015 und 2016 im Zuge der sogenannten Flüchtlingswelle nach Deutschland kamen. Der Auswahl der Studienkinder wurden zwei Kriterien zugrunde gelegt. Erstens sollten die Kinder mindestens drei Jahre alt sein, da die zwei Haupt‐ instrumente der Studie - MAIN und LiSe-DaZ - für Kinder ab drei Jahren konzipiert sind (vgl. Gagarina et al. 2012, Schulz/ Tracy 2011). Zweitens sollten die Kinder über eine produktive Kompetenz in beiden Sprachen verfügen. Damit ist in diesem Kontext gemeint, dass sie in beiden Sprachen Output geben bzw. beide Sprachen sprechen können, indem sie beispielsweise Sätze bilden oder Geschichten erzählen, so dass sprachliche Daten in beiden Sprachen gesammelt werden können. Zumindest sollten sie aber eine der Sprachen - Kurmancî oder Deutsch - sprechen, deren Erwerb untersucht wird. Fünf der sechs Studienkinder sprachen zum Zeitpunkt der Datenerhebung beide Sprachen. Nur ein Kind sprach in der Zeit Deutsch, aber kein Kurmancî. Die Informationen über die produktive Sprachkompetenz der Kinder wurden durch Gespräche mit Eltern und Erzieher*innen sowie durch teilnehmende Beobachtungen in der Kita ermittelt. Durch die Gespräche mit Eltern wurde auch sichergestellt, dass die ausgewählten Kinder keine Besonderheiten („Stö‐ rungen“) im Spracherwerb aufweisen bzw. Einschränkungen haben, die den 4 DE: Deutschland. 5 Kontakt von Aras zum Kurmancî während der Erhebungszeit: 20 - 27 Monate. Spracherwerb beeinflussen, wie z. B. eine Hörschädigung. Im Folgenden werden weitere Angaben zu den Kindern tabellarisch zusammengefasst. Name des Kindes Geburtsort des Kindes Erst‐ sprache(n) des Kindes Alter bei An‐ kunft in DE 4 Alter beim Eintritt in die Kita Alter bei der Erhe‐ bung Kontakt zum Deutschen bei der Erhebung Zozan Kobanî/ Syrien Kurmancî 4,5 4,10 6,3 - 6,10 17 - 24 Monate Roza Kobanî/ Syrien Kurmancî 4,5 4,10 6,3 - 6,10 17 - 24 Monate Aram Paris/ Frankreich Deutsch, Kurmancî, Französisch 3,9 3,9 5,11 - 6,6 Seit Geburt Azad Şengal/ Irak Kurmancî 4,0 4,5 5,2 - 5,10 9 - 17 Monate Welat Şengal/ Irak Kurmancî 3,9 4,7 5,2 - 5,9 7 - 14 Monate Aras Berlin/ Deutsch‐ land Deutsch - 1,6 3,2 - 3,9 Seit Geburt 5 Abbildung 1: Angaben zu den Studienkindern Eine detaillierte Beschreibung der jungen, aber dennoch vielschichtigen Bio‐ grafien der Studienkinder erfolgt in den Falldarstellungen (im Abschnitt 6.3). Aber hier soll schon eine Kategorisierung hinsichtlich ihres Deutscherwerbs vorweggenommen werden. Wie es der Übersicht zu entnehmen ist, kommen vier der insgesamt sechs Studienkinder - Zozan, Roza, Azad, Welat - erst im Alter zwischen 4,5 bis 4,10 in die Kita, was auch den Beginn ihres systematischen Erwerbs des Deutschen markiert. Entsprechend sind sie sukzessive bilinguale Erwerber*innen des Deutschen. Die zwei weiteren Kinder, Aram und Aras, sind als simultane Erwerber des Deutschen und des Kurmancî zu definieren, wobei bei Aras der Zugang zum Deutschen seit der Geburt gegeben ist, aber der Zugang zum Kurmancî im Wesentlichen ab dem Alter von eineinhalb Jahren 30 3 Design der Studie - mit dem Eintritt in die Kita - erfolgt. Welche theoretische Grundlage dieser Kategorisierung zugrunde gelegt ist, wird im Abschnitt 5.2 erläutert. Im Rahmen des Formats der Fallstudie untersucht die vorliegende Arbeit nicht nur den Spracherwerb und die Sprachkompetenz der Studienkinder, son‐ dern darüber hinaus auch die Einflussfaktoren auf diese. Mit Einflussfaktoren sind konkret die Kita und die Familien der Studienkinder gemeint. Hinsichtlich der Kita wurde mit den Erzieher*innen, mit der Kitaleitung sowie mit der Geschäftsführung des Kitaträgers ein Leitfadeninterview geführt. Die Fragen für das Leitfadeninterview an die Erzieher*innen und die Kitaleitung wurden in Anlehnung an Brizić (im Ersch.) entwickelt. Mit den Familien wurde ein Fragebogen durchgegangen, der von MAIN (vgl. Gagarina et al. 2012) und Brizić (im Ersch.) adaptiert ist. Zudem wurden den Eltern weiterführende Fragen zu ihrer Sprachbiografie gestellt. Durch die Thematisierung der Rolle der Kita und der Familie für den Spracherwerb und die Sprachkompetenz sollten der erhaltene Input und die gegebene Interaktion in den Sprachen untersucht werden. Dadurch wurde den zwei wesentlichen sogenannten externen Faktoren des Spracherwerbs Rechnung getragen (vgl. Ellis 2008: 238 ff.). Zu ergänzen ist, dass Interviews und Fragebogen einmalig durchgeführt worden sind, aber sowohl im Vorfeld als auch im Nachgang informelle Gespräche stattgefunden haben, um neue oder ergänzende Informationen zu akquirieren. Der Schwerpunkt der vorliegenden Studie liegt jedoch auf der Dokumenta‐ tion des Spracherwerbs und auf der Ermittlung der Sprachkompetenz der Stu‐ dienkinder. Zu diesem Zweck wurden drei Instrumente in Anspruch genommen: ● Language Impairment Testing in Multilingual Settings - Multilingual Assess‐ ment Instrument for Narratives (LITMUS-MAIN) (Gagarina et al. 2012, 2019a) ● Linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zweitsprache (LiSe- DaZ) (Schulz/ Tracy 2011) ● Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstandes bei Fünfjährigen (HAVAS 5) (Reich/ Roth 2004a, 2004b) Diese Instrumente wurden um eine Lexikonabfrage für die Sprachkompetenz in der dritten und vierten Sprache ergänzt. MAIN wurde bei den Studienkindern für Kurmancî und Deutsch insgesamt zu drei Messzeitpunkten (ab hier meist als MZP abgekürzt) mit einem Abstand von etwa drei Monaten eingesetzt. LiSe-DaZ wurde nur für das Deutsche zu zwei MZP mit einem Abstand von etwa fünf Monaten eingesetzt. HAVAS 5 wurde herangezogen, um die mögliche Kompetenz der Studienkinder in weiteren Spra‐ chen zu ermitteln. Diesem Instrument wurde jedoch eine kleine Lexikonabfrage vorangestellt, um auch eine niedrige Kompetenz zu erfassen. Die Erhebung zur 31 3 Design der Studie Ermittlung der Sprachkompetenz in der dritten und vierten Sprache fand einmal statt. Was genau mit welchem Instrument elizitiert worden ist, wird im Detail bei ihren Ausführungen im Abschnitt 6.2.2 dargelegt. Dort werden auch einige Aspekte der Adaptation von MAIN ins Kurmancî beschrieben. Im Folgenden wird tabellarisch dargestellt, wann welches Instrument eingesetzt wurde. MAIN 1. MZP Mitte Februar -An‐ fang März 2017 in Kurmancî und Deutsch 2. MZP Ende Mai - Anfang Juni 2017 in Kurmancî und Deutsch 3. MZP Ende August - An‐ fang September 2017 in Kurmancî und Deutsch LiSe-DaZ 1. MZP Anfang April 2017 in Deutsch 2. MZP Anfang September 2017 in Deutsch HAVAS 5 & Le‐ xikonabfrage Mitte Juni 2017 in weiteren Sprachen Abbildung 2: Zeitraum der eingesetzten Instrumente Beim ersten MZP hat Azad die MAIN-Geschichten nicht erzählt. Mit der Erhe‐ bung seiner sprachlichen Daten wurde daher im April mit LiSe-DaZ begonnen. Als die anderen Kinder Ende Mai - Anfang Juni ihren zweiten MZP mit MAIN hatten, war für ihn der erste MZP mit diesem Instrument. Entsprechend war sein dritter MZP mit MAIN nicht im September, sondern drei Monate später im Dezember zu Ende. Die sprachlichen Erhebungen haben bei Azad innerhalb von acht Monaten und bei den anderen Kindern innerhalb von sieben Monaten stattgefunden (für diese Besonderheit bei Azad siehe seine Falldarstellung im Abschnitt 6.3). 32 3 Design der Studie 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî 4.1.1 Überblick Beim Kurmancî handelt es sich um diejenige Varietät des Kurdischen, die von den meisten Kurd*innen gesprochen wird (vgl. Thackston 2006: VII, Turgut 2011: 14). Es wird angenommen, dass kurdische Varietäten weltweit insgesamt von 20 bis 30 Millionen Menschen gesprochen werden (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 157). Bulut schätzt, dass 65% davon die Kurmancî-Varietät sprechen (vgl. Bulut 2018: XX), also 13 bis 20 Millionen Menschen. Auch Thackston gibt eine vergleichbare Zahl der Kurmancîsprecher*innen an, nämlich 15 bis 17 Millionen (vgl. Thackston 2006: VII). Das Kurdische stellt nicht eine Sprache, sondern einen Sammelbegriff für verschiedene Varietäten dar (vgl. Chyet 2019: 104, Grond 2018: 45, van Bruin‐ essen 1989: 37). Welche Varietäten zum Kurdischen gehören und ob es sich bei diesen um Sprachen oder um ein Varietätenkontinuum handelt, ist in der Kurdologie und in der Iranistik Gegenstand von Diskussionen (vgl. Haig/ Öpengin 2018, Matras 2017), auf die an dieser Stelle nicht eingegangen werden kann. Der folgenden Karte kann indes ungefähr entnommen werden, wo welche Varietäten gesprochen werden. (2014). The map in Figure 1 provides a basic overview and serves as a point of orientation for the following discussion. Figure 1. Map of language varieties spoken by the Kurds Besides Kurmanji, two additional varieties are spoken in Turkey which are often considered Kurdish, but for considerations of space are not covered in this chapter. The first are socalled Şêx Bizinî dialects, the language of the descendants of southern Kurdish tribes resettled in various parts of Anatolia in the 16 th century. With the exception of short descriptions in Lewendî (1997), which demonstrate beyond doubt the southern Kurdish origins of the dialects, further data on these varieties are unavailable to us. The second is Zazaki, spoken in several locations in central Anatolia (cf. Fig. 1). In the context of Kurmanji in Turkey, it is necessary to address the relationship of Kurmanji to Zazaki, 2 as this is one of the most intensely-discussed and controversial issues in the discourse on Kurdish in Turkey. 2 The issue of language names is an additional complicating factor in connection with the term “Zazaki”. According to the author and editor Deniz Gündüz (p.c.), different speakers use four different names to refer to this language: Kird/ Kirdki (used by Sunnite Zazaki speakers in the region of Bingöl); Kirmanj/ Kirmanjki (Alevite speakers from the Dersim region); Zaza/ Zazakī (Sunnite speakers from the Palu-Diyarbakir region); and Dimili or Dimilki (Sunnite speakers from the Siverek region). We choose “Zazaki” here as the label most widely used in recent literature, while 3 Abbildung 3: Landkarte zu den kurdischen Varietäten (Haig/ Öpengin 2018: 159) Aus der Landkarte geht hervor, dass Kurmancî hauptsächlich in der Südost-Türkei, im Nordirak und im nordwestlichen Teil des Irans gesprochen wird. Es ist außerdem in einem kleinen Gebiet Nordostsyriens sowie Westar‐ meniens beheimatet. Zur Landkarte ist allerdings anzumerken, dass sie einige Regionen nicht oder nicht adäquat berücksichtigt, in denen ebenfalls Kurmancî gesprochen wird. Dazu gehören vor allem Gebiete in Zentralanatolien sowie in Nordsyrien um die Ortschaften Afrin, Kobanî und Hasaka (Hesîçe) (vgl. Havrest 1998: 73, Hajo 1982: 1, Strohmeier/ Yalçin-Heckmann 2000: 29). Daher ist festzu‐ halten, dass Syrien neben der Türkei, dem Irak und Iran über eine beachtliche Anzahl an Kurmancîsprecher*innen verfügt, wenn auch diesbezüglich derzeit wie in den anderen Staaten keine genauen Angaben vorliegen. Es ist ebenso bekannt, dass in den großen Städten dieser Staaten, vor allem in Istanbul und Aleppo, große kurmancîsprachige Gemeinschaften leben. Auch innerhalb des Kurmancî gibt es zahlreiche Varietäten. Inzwischen befassen sich einige Studien mit den lexikalischen und vor allem mit den grammatischen Gemeinsamkeiten und Unterschieden dieser Varietäten (vgl. Haig/ Bulut 2017, Haig/ Öpengin 2018, MacKenzie 1961). An der Universität Manchester wurde auch eine Varietätendatenbank angelegt, die aus verschiedenen kurmancîsprachigen Regionen Sprachproben mit Transkriptionen sowie grammatischen und lexikali‐ 34 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 6 Structural and typological variation in the dialects of Kurdish: http: / / kurdish.humanities. manchester.ac.uk/ about-the-project/ dialects-of-kurdish-project/ 7 Legende: (WK) Western Kurmanji, (SK) Southern Kurmanji, (SEK) Southeastern Kur‐ manji. schen Analysen zur Verfügung stellt. Diese Möglichkeiten bietet die Datenbank im Übrigen auch für andere Varietäten des Kurdischen an. 6 Neben der Beschreibung der Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Varie‐ täten gibt es auch Bemühungen, diese in Gruppen einzuteilen. Haig/ Öpengin (2018) unterteilen die Varietäten in drei Gruppen und zeichnen sie in der Landkarte folgendermaßen auf. Figure 2. Approx. locations of the three Kurmanji dialect zones 4.1 Şemzînan variety of Southeastern Kurmanji Şemdinli (Kr. Şemzînan) is a district in the Hakkari (Kr. Hekarî) province of Turkey. Hakkari is both the city on the southeastern edge of East Anatolia and a socio-historical toponym (Khachatrian 2003) covering the region stretching from south of Lake Van in the north, Urmiya in the east, Amêdî and Duhok (in Iraq) in the south and the town of Şırnak (Kr. Şirnex) in the west. The common name for the Kurmanji of this vast area is Badini, which shows subdialectal variation. The Kurdish of this region is briefly described in MacKenzie (1995) and Rhea (1872). The Şemzînan (shortened to Şemz.) variety of SEK analyzed here is representative of the eastern half of the dialect zone. 4.1.1 Phonology The phoneme inventory of the Şemzînan dialect is mostly parallel to that of Standard K. (see Table 2 and Table 3), though with substantial differences in the realization of some phonemes, discussed here. Final-vowel centralization: A high front unrounded vowel [i: ] is mostly centralized into an [ɨ] in word-final position. The process affects certain function words, and inflected verb forms: Abbildung 4: Die geografische Verbreitung der Varietäten des Kurmancî 7 (Haig/ Öpengin 2018: 193) Auch eine Standardvariante des Kurmancî gibt es, die sich maßgeblich auf das Süd-Kurmancî stützt, jedoch auch Elemente der anderen Varietäten zum Teil integriert (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 164). Die Standardisierung des Kurmancî er‐ folgte durch seine Verschriftlichung ab dem Jahr 1932 in der Zeitschrift „Hawar“, die maßgeblich ein Werk von Celadet Bedir Khan war (vgl. Grond 2018: 47). Das Standard-Kurmancî repräsentiert auf dem aktuellen Stand in erster Linie die Schrift- und Mediensprache sowie die Bildungssprache, sofern in Kurmancî Bildung angeboten wird. Der wesentliche Aspekt ist hier, dass der Varietät 35 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî die nötige Institutionalisierung gefehlt hat, - beispielsweise allgemeinbildende Schulsysteme -, um sich etablieren zu können. Mit anderen Worten: Aus dem Kurmancî ist keine Hochsprache für alle Kurmancîsprecher*innen hervorgegangen, die von allen erworben wird (vgl. Grond 2018, Maas 2014 für die Begrifflichkeit der Hochsprache). Daher ist dieser Standard nicht allen Kurmancîsprecher*innen vertraut und wird selten gespro‐ chen. Zu diesem Punkt wird in Bezug auf die Darstellung des Forschungsfeldes der Kita und im Weiteren im Hinblick auf die Kompetenz der Kurmancî-Er‐ zieher*innen noch einiges auszuführen sein. Hier kann aber ergänzt werden, dass die Beschreibung der grammatischen Merkmale des Kurmancî im Abschnitt 4.1.4 weitgehend ausgehend von diesem Standard erfolgt. Des Weiteren wird er bei der Erläuterung der sprachlichen Daten von Studienkindern als Orientierung dienen. Da aber dieser Standard - wie dargestellt - den Sprecher*innen kaum verfügbar ist, wird er für die Analyse der sprachlichen Daten nicht als Norm gesetzt. 4.1.2 Soziolinguistische Rahmenbedingungen des Kurmancî in den Herkunftsländern Beim Überblick zum Kurmancî wurde angeführt, dass dessen Herkunftsregion hauptsächlich vier benachbarte Staaten umfasst, nämlich die Türkei, Syrien, den Irak und den Iran. Dabei lebt der größte Teil der Kurmancîsprecher*innen in der Türkei. In jedem der genannten Staaten hat Kurmancî unterschiedliche soziolinguistische und soziopolitische Rahmenbedingungen, die - bis auf den Irak - weniger von den Kurd*innen selbst definiert werden als vielmehr von der machthabenden Politik (vgl. Hassanpour/ Sheyholislami/ Skutnabb-Kangas 2012: 14). Im Irak genießen die Kurd*innen seit 1992 einen autonomen Status und können ihre Sprache in der autonomen Region neben dem Arabischen sowohl in der Bildung als auch im öffentlichen Raum in Anspruch nehmen. Aber auch schon vor dem autonomen Status war die Sprachenpolitik des irakischen Staates gegenüber dem Kurdischen verglichen mit den anderen drei Staaten weniger restriktiv (vgl. Skubsch 2002: 267). In der neuen Verfassung des Iraks aus dem Jahre 2005 ist Kurdisch für das gesamte Land sogar als die zweite Amtssprache neben dem Arabischen definiert worden (vgl. Akın 2017: 160). Damit hat das Kurdische, mit dem Begriff von Maas (2014) ausgedrückt, im Irak einen „Verfassungsrang“ erlangt (vgl. Maas 2014: 41). In der autonomen Region Nordirak muss Kurmancî - in der Region eher Behdînanî (Badînî) genannt - sich allerdings gegenüber dem Soranî behaupten, das dort im Gegensatz zum Kurmancî verbreiteter und, damit einhergehend, die 36 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 8 Über die Existenz der Kurd*innen in Syrien war in der Tat bis 2012 wenig bekannt. Dies gilt sowohl für die Weltöffentlichkeit als auch für (Sprach-)Forscher*innen, die zu den Kurd*innen und zum Kurdischen arbeiten. Das ist auch eventuell der Grund, warum ihre Gebiete nicht oder nicht adäquat als kurdischsprachig in die Sprachlandkarten aufgenommen sind. Siehe diesbezüglich die Landkarte von Haig/ Öpengin (2018), die in diese Arbeit aufgenommen wurde, aber auch die von Strohmeier/ Yalçin-Heckmann (2000) und Şenol (1992). dominante Varietät des Kurdischen ist (vgl. Hassanpour/ Sheyholislami/ Skutnabb- Kangas 2012: 8, Thackston 2006: VII). In Syrien war Kurmancî, das dort als die einzige Varietät des Kurdischen gesprochen wird, weder die Sprache der Öffentlichkeit noch der Bildung 8 . Es war bestenfalls die Sprache der Familie und des nahen Umfeldes. Die Situation änderte sich, als die Kurd*innen ab Mitte 2012 begannen, die Kontrolle in den vorwiegend von ihnen besiedelten Regionen zu übernehmen und sich autonom zu organisieren. Über einige Regionen haben sie aber inzwischen die Kontrolle verloren, wie z. B. über Afrin. In den Regionen, die sie weiterhin verwalten, versuchen sie Kurmancî in der Öffentlichkeit und in der Bildung zu etablieren. Die von ihnen verwalteten Regionen sind aber ständigen Gefahren, u. a. Invasionen, ausgesetzt. Zudem ist der Status der autonomen Verwaltung weder durch die aktuelle syrische Regierung noch durch die internationale Gemeinschaft anerkannt (vgl. Brizić/ Grond 2017: 23). Im Iran und in der Türkei ist die Situation der kurdischen Varietäten und damit auch des Kurmancî derzeit am ungünstigsten. Es ist anzumerken, dass von dieser Situation nicht nur die kurdischen Varietäten, sondern - bis auf die jeweilige Staatssprache Farsi bzw. Türkisch - auch alle anderen (Minder‐ heiten-)Sprachen in diesen Ländern betroffen sind. Motiviert durch die Vorstel‐ lung „ein Staat, eine Nation, eine Sprache“ sind alle anderen Sprachen einer einzigen Sprache - dem Standard-Farsi im Iran und dem Standard-Türkisch in der Türkei - untergeordnet (vgl. Derince 2017: 177, Grond 2018: 36, Skubsch 2002: 259 f.). Im Iran, wo die kurdischen Varietäten dem Farsi untergeordnet, aber zugleich mit ihm eng verwandt sind, wird diesen im öffentlichen Raum und Bildungswesen kein Platz eingeräumt. In Bezug auf das Bildungswesen stellt Sheyholislami die Situation folgendermaßen dar: „In fact there is no evidence that any of the minority languages such as Azerbaijani, Kurdish and Baluchi have been officially taught in any elementary or secondary public or private school that operates under the auspices of the Iranian Ministry of Education and Training.“ (Sheyholislami 2012: 35) Die Türkei ist nicht nur das Land, in dem die meisten Kurmancîspre‐ cher*innen leben, sondern sie ist auch das Land, in dem die meisten Kurd*innen 37 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî 9 Derince weist in diesem Zusammenhang daraufhin, dass Kurmancî und Zazakî unab‐ hängig von der Tatsache, ob sie zwei Varietäten oder Sprachen sind, eine Gemeinsam‐ keit haben, nämlich dass sie politischen Restriktionen ausgesetzt sind (vgl. Derince 2017: 177). insgesamt leben. Die Praktiken der Türkei gegen Kurdisch - gemeint sind hier die beiden Varietäten Kurmancî und Zazakî 9 - seit ihrer Gründung (1923) bis zum Jahr 2002 waren dermaßen restriktiv, dass sie in der Gesamtheit manchen Forscher*innen zufolge einem „Linguizid“ gleichkamen (vgl. Zeydanlıoğlu 2012: 106). Die Restriktionen erreichten im Jahr 1983 ihren Höhepunkt, als die Anwendung des Kurdischen verboten wurde, ohne dabei im Verbotstext das Kurdische zu nennen (vgl. Coşkun/ Derince/ Uçarlar 2011: 36, Grond 2018: 53 f.). Das Verbot der kurdischen Sprache wurde 1991 teilweise gelockert, doch zu einer tatsächlichen Verbesserung kam es erst im Jahr 2002. Beginnend im Jahr 2002 brachte die Türkei im Zuge der Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union und mit der Absicht, das Land zu liberalisieren, Reformen auf den Weg (vgl. Zeydanlıoğlu 2012: 114). Diese Reformen haben die Restriktionen gegen das Kurdische gelockert und gaben der Sprache zum ersten Mal die Möglichkeit, in den öffentlichen Bereich zu gelangen. Die Kommunen in den kurdischen Gebieten der Türkei nutzten beispielsweise in begrenztem Maße die Sprache bei ihren Dienstleistungen (vgl. Derince 2017: 188). Ebenfalls im Zuge dieser Reformen wurde an einigen Universitäten unter diversen Namen die kurdische Sprache und Literatur als ein Studiengang angeboten. Ein wesentlicher Beitrag hinsichtlich Bildung in der kurdischen Sprache wurde dadurch geleistet, dass zwischen 2013 und 2015 einige Grundschulen und Kindergärten als Pilotpro‐ jekte in Kurdisch eingerichtet wurden (vgl. Baysu/ Agirdag 2019: 1087, Derince 2017: 190). Allerdings änderte die Türkei ab etwa Mitte 2015 ihre Politik gegenüber den Kurd*innen wiederum stark (vgl. Grond 2018: 59 f.). Damit einhergehend wurden die kurdischen Schulen wieder geschlossen und fast alle Kommunen, die den Erhalt und die Entfaltung des Kurdischen förderten, unter Zwangsverwaltung gestellt. Letztere schlossen wiederum umgehend die kurdischen Kindergärten (vgl. Derince 2017: 190 f.). Auch andere Vereine und Institutionen wie Kurdî-Der oder das Kurdische Institut Istanbul, die vor allem in der Vermittlung des Kurdischen an Erwachsene tätig waren, wurden geschlossen. Die Schließung des Kurdischen Instituts Istanbul zeigt das Ausmaß der neuen Repressionen, das zum Teil die Zeit vor dem Jahr 2002 weit übertrifft. Denn das Kurdische Institut Istanbul wurde 1992 gegründet und hatte die vorherigen Repressionen überlebt (vgl. Evrensel 2016). Gegenwärtig sind in der Türkei die meisten Vereine, Institutionen, Fernsehsender etc., die in irgendeiner Weise das Kurdische fördern, geschlossen worden, es sei denn, sie sind vom Staat selbst eingesetzt und agieren 38 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch in seinem Sinne. Es gibt aber jenseits des Staates immer wieder Bemühungen, Strukturen sowie Möglichkeiten zur Förderung des Kurdischen zu schaffen. Es gab und gibt zahlreiche Kooperationsvorhaben zwischen Bildungseinrich‐ tungen in Deutschland und der Türkei. Insbesondere die Berliner Kita Pîya bemühte sich darum, mit den kurdischsprachigen Kindergärten in der Türkei zu kooperieren, um Erfahrungen auszutauschen, Material zu akquirieren und Weiterbildungsmöglichkeiten hinsichtlich der Erweiterung der Kurmancî-Kom‐ petenzen ihrer Erzieher*innen zu schaffen. Die geplante Kooperation kam jedoch unter den oben beschriebenen sprachpolitischen Bedingungen nicht zustande. 4.1.3 Kurmancî in der westeuropäischen Diaspora, in Deutschland und in Berlin Auch wenn die Anfänge der kurdischen Diaspora in die westeuropäischen Staaten bis ins späte 19. Jahrhundert zurückreichen, kam es zu einer zahlen‐ mäßig bedeutsamen kurdischen Emigration erst ab den 1960er Jahren (vgl. Has‐ sanpour/ Mojab 2005: 217 f.). In diesem Jahrzehnt erlebten die westeuropäischen Staaten, vor allem Deutschland, eine rasante wirtschaftliche Entwicklung. Die benötigten Arbeitskräfte wurden u. a. aus der Türkei durch Gastarbeiterverträge rekrutiert (vgl. Ammann 2019: 34). Unter diesen Gastarbeiter*innen waren auch Kurd*innen (vgl. Karataş 2019: 26). Die Migration der Kurd*innen in die westeuropäischen Staaten hielt auch in den siebziger und achtziger Jahren an, hatte aber immer mehr die Flucht als Ursache. Zum einen hatten im Jahr 1975 die Kurd*innen im Irak den Krieg um die Autonomiebestrebungen gegen die zentrale Regierung verloren, die während des Krieges und danach brutal gegen Kurd*innen vorging. Zum anderen fand im Jahr 1979 ein Regimewechsel im Iran statt und in der Türkei erfolgte 1980 ein Militärputsch. Beide Entwicklungen waren zu Ungunsten der Kurd*innen, und die Repressionen ihnen gegenüber nahmen zu, insbesondere auch sprachlich. Im Jahr 1991 wurde im Irak in einem Teil der Gebiete, in denen Kurd*innen leben, auf Initiative der US-Regierung eine Sicherheitszone geschaffen. Die kurdische Migration aus dem Irak in westeuropäische Staaten ging aber weiter, da die politische Unsicherheit und mangelnde wirtschaftliche Entwicklung bestehen blieben (vgl. Ghaderi 2014: 137, Hassanpour/ Mojab 2005: 218). Die neunziger Jahre waren jedoch geprägt durch die Fluchtmigration der Kurd*innen aus der Türkei. Das Hauptzielland der geflüchteten Kurd*innen war dabei Deutschland. In den Jahren zwischen 1991 und 2001 sollen etwa 197.250 Asylbewerber*innen aus der 39 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî Türkei nach Deutschland gekommen sein. Es wird davon ausgegangen, dass ein erheblicher Teil davon Kurd*innen waren (vgl. Engin 2019: 12). In den darauffolgenden Jahren kamen weniger Geflüchtete aus Kurdistan in die westeuropäische Diaspora und nach Deutschland, aber die Migration ging weiter, z. B. durch Heirat und Familiennachzug. Diese Situation sollte aber nicht lange anhalten. Ab 2011 begann der Bürgerkrieg in Syrien, und die soziopolitische und sozioökonomische Lage im Irak verschlechterte sich. Dies führte dazu, dass in beiden Staaten radikale Gruppen erstarkten und große Gebiete unter ihre Kontrolle brachten. Sie griffen im August 2014 Şengal im Nordirak an und verübten dort ein Massaker. Außer Şengal griffen sie auch weitere Gebiete der Kurd*innen im Irak und in Syrien an. Als Folge flüchteten viele Menschen direkt in die westeuropäischen Staaten oder zunächst in einen benachbarten Staat, beispielsweise in die Türkei oder in den Libanon und im Anschluss weiter nach Westeuropa. Auch die Repressionspolitik der Türkei gegenüber den Kurd*innen nahm ab etwa Mitte 2015 wieder zusehends zu. Das Hauptzielland der geflüchteten Menschen war wiederum Deutschland. Die Folge ist, dass im Zeitraum zwischen 2014 und September 2019 etwa 330.000 Kurd*innen in Deutschland Asyl beantragt haben. Über die Hälfte davon kommt aus Syrien, etwa 36 Prozent aus dem Irak und 6 Prozent aus der Türkei. Über die Kurd*innen aus Syrien ist bekannt, dass sie etwa 30 Prozent der Asylanträge ausmachen, die von syrischen Staatsbürger*innen gestellt wurden (vgl. Pürckhauer 2019). Insgesamt besteht also seit den 60er Jahren eine dynamische Migrationsbe‐ wegung der Kurd*innen in die westeuropäischen Staaten, insbesondere nach Deutschland. Über ihre genaue Zahl sind jedoch keine verlässlichen Informa‐ tionen vorhanden, da die Staaten bei der Einwanderung für die statistische Erfassung in der Regel nicht die ethnisch-sprachliche, sondern die Staatsange‐ hörigkeit zugrunde legen (vgl. Derince 2020: 10, Ghaderi 2014: 135 f.). Nur in bestimmten Fällen - wie im Asylverfahren - können Migrant*innen ihre ethnische Zugehörigkeit angeben und diese wird dann ggf. miterfasst (vgl. Engin 2019: 8). Daher gibt es nur grobe Schätzungen und ungefähre Angaben über die Zahl der Kurd*innen in den westeuropäischen Staaten (vgl. Hassanpour/ Mojab 2005: 214). Ihre Anzahl in Deutschland wird dabei unter Einrechnung der neuen Geflüchteten auf 1,2 Millionen Menschen geschätzt (vgl. Engin 2019: 9). Damit dürfte die Anzahl der Kurd*innen in Deutschland die Gesamtanzahl der Kurd*innen in allen anderen westeuropäischen Staaten übertreffen (vgl. Grond 2018: 78, Skubsch 2002: 225). Da die Kurd*innen aus der Türkei bereits in den 60er Jahren in der west‐ europäischen Diaspora anwesend waren und später in den 80er und vor 40 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 10 Chyet merkt in diesem Zusammenhang an, dass manche Soranîsprecher*innen in Europa grammatische Kurmancî-Formen in Soranî adaptieren (vgl. Chyet 2019: 106). allem in den 90er Jahren in großer Zahl und zum Teil politisiert dazukamen, haben sie auch die Aktivitäten der kurdischen Diaspora geprägt bzw. prägen diese weiterhin. Als Folge wurde/ ist Kurmancî die Sprache dieser Aktivitäten. Denn die überwiegende Anzahl der Kurd*innen aus der Türkei spricht diese Varietät, wenn auch die Anzahl der Zazakîsprecher*innen dort nicht gering geschätzt werden sollte. Es besteht sogar die Annahme, dass Kurmancî sich in der westeuropäischen Diaspora zu einer Art lingua franca unter Kurd*innen entwickelt hat (vgl. Ammann 2019: 28, siehe auch Derince 2020: 58) 10 . Der erste kurdische Sender Med-TV - gegründet in der westeuropäischen Diaspora im Jahr 1995 - bot beispielsweise Programme meistens in Kurmancî an (vgl. Hassanpour/ Mojab 2005: 219). Auch die meisten kulturellen Aktivitäten, wie z. B. Newroz-Feierlichkeiten, fanden/ finden überwiegend in Kurmancî statt. Für die Zukunft kann erwartet werden, dass diese Tendenz nicht ab-, sondern eher zunehmen wird. Denn die Kurd*innen aus Syrien, die in den letzten Jahren in einer großen Anzahl Asyl beantragt haben, sprechen ausschließlich Kurmancî (vgl. Ammann 2019: 28). Auch in den Bemühungen zur Integration des Kurdischen in den Bildungs‐ prozess stand/ steht das Kurmancî im Vordergrund. Im Kontext von Deutschland gilt dies sogar nahezu ausschließlich (vgl. Skubsch 2002: 302). Viel wichtiger ist jedoch, dass es weder Kurd*innen noch ihren Aufnahmeländern gelungen ist, das Kurdische - sei es Kurmancî oder andere Varietäten - in das Bildungssystem des jeweiligen Staates übergreifend und durchgängig einzugliedern (siehe die Ausführungen unten zur Lage in Deutschland). Schweden dürfte dabei die einzige Ausnahme sein, denn dort sind kurdische Varietäten neben anderen Sprachen der Migrant*innen in das Gesamt-Bildungssystem inkludiert. Die Eingliederung der kurdischen Varietäten in das Bildungssystem hat auch die Infrastruktur dafür geschaffen, dass in Schweden Lehr- und Lernmaterial sowohl für den vorschulischen Bereich als auch für die Schule erstellt worden ist (vgl. Şenol 1992: 121 ff.). Auf dieses Material wurde und wird in den anderen Ländern, u. a. in Deutschland, zurückgegriffen. Auch die hier untersuchte Kita hat ein Teil ihres Materials aus Schweden bezogen. Auf diesen Punkt wird aber noch näher eingegangen. Der Unterricht in den Sprachen der neu angekommenen Migrant*innen an den Schulen erfolgte in Deutschland in den sechziger und siebziger Jahren zunächst in Kooperation mit ihren Herkunftsstaaten (Baur/ Ostermann/ Chlosta 2004: 161f.). In diesem Zusammenhang wurde in Sprachen wie Türkisch, Griechisch oder Portugie‐ 41 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî 11 Der Name „Yekmal“ leitet sich aus der Kurmancî-Benennung Yekîtiya Malbatên ji Kurdistanê li Almanyayê „Verein der Eltern aus Kurdistan in Deutschland“ ab. Dieser Verein ist auch der Träger der Kindertagesstätte Pîya, die das Forschungsfeld der vorliegenden Studie ist. 12 Information aus der Tagung „Mehrsprachigkeit: Übergänge im Bildungssystem“ am 02.11.2019 in Berlin. 13 Information aus dem Workshop „Kurdisch-Sprachunterricht in Bremen“ am 13.01.2019 in Bremen. sisch Unterricht an den Schulen installiert, der gewöhnlich als Konsulatsunterricht definiert wird (vgl. Mediendienst Integration 2019: 3). Es ist offensichtlich, dass die Türkei sich für das Kurdische in Deutschland nicht verantwortlich gefühlt hat, ebenso wenig wie für andere Sprachen der Türkei wie Lasisch, Tscherkessisch, Aramäisch u. v. m. Auch in den folgenden Dekaden bis heute ist nicht bekannt, dass die Türkei sich für den Unterricht irgendeiner Sprache ihrer Mitbürger*innen außer Türkisch in den Schulen Westeuropas und Deutschlands eingesetzt hat. Die Forderung nach einem Kurdisch-Unterricht an den Schulen in Deutsch‐ land wurde jedoch von Kurd*innen schon zu Beginn der achtziger Jahre gestellt (vgl. Skubsch 2002: 301). Mit diesen Forderungen gingen auch Bestrebungen einher, die in einigen Bundesländern zu Beginn der neunziger Jahre konkrete Gestalt angenommen haben. In diesem Zusammenhang wurde in Bremen im Jahr 1993, in Hamburg im Jahr 1994, in Niedersachsen im Jahr 1995 und in Nordrhein-Westfalen im Jahr 1998 kurdischer muttersprachlicher Unterricht eingeführt (vgl. Skubsch 2002: 302 ff.). Bis auf Hamburg findet der Unterricht in diesen Bundesländern bis dato statt (vgl. Mediendienst Integration 2019). Auch in Berlin (Westberlin) gab es seit dem Ende der achtziger Jahre Bestrebungen von Elterninitiativen und Vereinen, Kurdisch-Unterricht an den Schulen anzubieten. An einigen Schulen fand solcher Unterricht auch zeitweilig statt, hatte jedoch keinen langfristigen Bestand (vgl. Ates 2016: 111). Erst im Jahr 2016 hat der Berliner Senat die Förderung des Kurdischen als Herkunftssprache in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen (vgl. Koali‐ tionsvereinbarung 2016-2021). Seitdem hat die Stadt Berlin den Unterricht an einer Schule übernommen, die von Yekmal e. V. 11 initiiert war, und den Kurdisch-Unterricht an zwei weiteren Schulen installiert. In allen drei Schulen ist das Angebot in Kurmancî. 12 Aber im Verhältnis zur Anzahl der kurdischen Bevölkerung in Berlin ist das Angebot an drei Schulen deutlich zu gering. In Bremen, wo eine viel kleinere kurdische Gemeinschaft lebt, findet beispielsweise an zehn Schulen Kurdisch-Unterricht statt. 13 Gegenwärtig bieten neben den genannten Bundes‐ ländern auch Rheinland-Pfalz und Brandenburg Kurdisch-Unterricht an. In Letzterem wird dieser durch regionale Arbeitsstellen für Bildung, Integration 42 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 14 http: / / www.kurdisches-zentrum.de/ ueber-uns.html, https: / / www.kkh-ev.de/ 15 Dass die Angaben zu Kurd*innen statistisch nicht erfasst werden, erschwert die Bedingungen der Forschung über sie sehr. Die Forschung kann sich nicht auf zuverlässige Statistiken und Informationen berufen, sondern lediglich auf vage Einschätzungen (vgl. Engin 2019, Karataş 2019, Skubsch 2002). 16 Informationen wurden aus ihren Webseiten entnommen. 17 Information aus dem Gespräch mit einem Gründungsmitglied. und Demokratie (RAA Brandenburg) ausgeführt (vgl. Mediendienst Integration 2019). Die übrigen Bundesländer bieten keinen Kurdisch-Unterricht an. Es kann jedoch sein, dass dort die eine oder andere Schule auf eigene Initiative oder durch die Initiative der Eltern, etwa in Form von Arbeitsgemeinschaften, Kurdisch-Unterricht anbietet. In Bezug auf Berlin sind zwei weitere Aspekte auszuführen. Erstens beherbergt die Stadt eine große Anzahl von Kurd*innen, wobei die Schätzungen stark vonein‐ ander abweichen. Einige gehen nämlich von ca. 50.000 (vgl. Ghaderi 2014: 136) und andere von ca. 100.000 bis 120.000 Kurd*innen in Berlin aus (vgl. Derince 2020: 18). Auch eine Zahl zwischen 70.000 und 90.000 wird in diesem Zusammenhang von einigen Vereinen genannt, die in Berlin mit Kurd*innen arbeiten 14 . Unabhängig davon, welche Schätzung zugrunde gelegt wird, macht die Anzahl der Kurd*innen in Berlin einen beachtlichen Anteil der auf 1,2 Millionen geschätzten Kurd*innen in Deutschland aus. 15 Zweitens gibt es in Berlin eine Reihe kurdischer Einrichtungen, die auch in den kurdischen Varietäten soziale Dienste und Aktivitäten anbieten, z. B. Beratung, Familienhilfe, Einzelfallhilfe, Jugendarbeit, Nachhilfe-Kurse, Väter‐ gruppen etc. Solche Einrichtungen sind in anderen Teilen Deutschlands kaum bzw. nicht in der Stärke und in der Vielfalt wie in Berlin vorhanden. Einige dieser Vereine bestehen schon seit längerer Zeit, etwa der „Kurdistan Kultur- und Hilfsverein e. V.“ (seit 1974) oder das „Kurdische Zentrum e. V.“ (seit 1984). 16 Dem „Kurdistan Kultur- und Hilfsverein e. V.“ ist es auch gelungen, in Kooperation mit einer Elterninitiative im April 1990 in Berlin einen bilingual kurmancî-deutschen Kinderladen mit dem Namen Hêlîn (deutsch: „Nest“) zu gründen (vgl. Ates 2016: 111). In diesem Kinderladen wurde versucht, das Kurmancî neben dem Deutschen konsequent zu fördern. Dies gelang auch in den Anfangszeiten bis etwa Ende des Jahres 1991. 17 Das bilinguale Konzept konnte allerdings nicht fortgeführt werden, jedoch wurde das Kurmancî bis etwa Ende der 90er Jahre weiterhin in geringem Umfang gezielt gefördert. Bei‐ spielsweise wurden Kinderlieder in Kurmancî gesungen oder auch in Kurmancî vorgelesen. Etwa ab dem Jahr 2000 erfolgte die Förderung des Kurmancî nur noch im Rahmen der interkulturellen Kompetenz. Begrüßungsrituale fanden zum Beispiel in Kurmancî statt oder das Neujahrfest (Newroz) wurde in der 43 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî 18 Informationen aus dem Gespräch mit der Kitaleitung. 19 Informationen von der Webseite des Vereins „Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen“ (FMKS) und aus Gesprächen mit Mitarbeiter*innen dieser Kitas. Einrichtung gefeiert. Die Förderung des Kurmancî im Rahmen der interkultu‐ rellen Kompetenz findet auch heute noch statt. Zudem ist die Einrichtung, die sich inzwischen zu einer Kita entwickelt hat, weiterhin eine Anlaufstelle für kurdische Familien. Da die Kita kurdische Mitarbeiter*innen beschäftigt, können die Familien mit ihnen in ihrer Sprache kommunizieren und auch die Eingewöhnungsphase ihrer Kinder kann mit Einbezug ihrer Sprache erfolgen 18 . In Berlin gibt es zwei weitere Kitas, die das Kurmancî bzw. das Kurdische im Rahmen der interkulturellen Kompetenz fördern, nämlich „Kindervilla Wal‐ demar e. V.“ und „Kinder einer Erde e. V.“ 19 Es könnte weitere Kitas in oder außerhalb Berlins mit einer solchen Förderung geben, die jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt sind. Schließlich stellt sich die Frage, ob Kurmancî oder allgemein das Kurdi‐ sche in Deutschland eine „vitale“ Sprache ist (vgl. Extra/ Yağmur 2008: 149, Küppers/ Schroeder 2017: 63 für die Begrifflichkeit). Zur Beantwortung dieser Frage liegen allerdings keine genauen Daten und kaum Untersuchungen vor. Eine der wenigen Studien diesbezüglich ist die von Extra/ Yağmur (2008). In dieser Studie, die neben Hamburg in fünf weiteren westeuropäischen Städten - Brüssel, Göteborg, Lyon, Madrid und Den Haag - durchgeführt worden ist, wird festgestellt, dass der Grad der Vitalität des Kurdischen in diesen Städten insgesamt niedrig ist (vgl. Extra/ Yağmur 2008: 153). In der Untersuchung gibt es jedoch keine differenzierten Angaben zu den einzelnen Städten, auch nicht zu den einzelnen Varietäten des Kurdischen. Eine weitere Studie, die zwar nicht in Deutschland, aber im deutschen Sprachraum, in Wien, durchgeführt worden ist, kommt zum Ergebnis, dass auch hier der Grad der Vitalität des Kurdischen niedrig ist (vgl. Brizić/ Hufnagl 2011: 216). In dieser Studie wird im Übrigen ebenfalls nicht nach den Varietäten differenziert. Die Studie von Yekmal e. V., die mit Kurd*innen in Berlin durchgeführt und von Derince (2020) erarbeitet wurde, bietet in diesem Zusammenhang einen differenzierten Blick sowohl nach Varietäten als auch nach den Herkunftslän‐ dern an. In der Studie wird festgehalten, dass Kurd*innen aus Syrien/ Rojava die Varietät Kurmancî und Kurd*innen aus dem Irak die Varietät Soranî in Deutschland in ihrem Alltag stärker nutzen. Dies betrifft insbesondere die Kommunikation der Eltern mit ihren Kindern. Die Nutzung des Kurmancî und Zazakî als Alltagssprache seitens der Kurd*innen aus der Türkei ist dagegen weniger verbreitet, auch als Kommunikationssprache der Eltern mit ihren Kindern. Hier zeichnet sich wiederum ab, dass Kurmancîsprecher*innen eher 44 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch Kurmancî nutzen als Zazakîsprecher*innen Zazakî. In beiden Gruppen ist im Übrigen die Anwendung der Staatsprache Türkisch des Herkunftslandes stärker verbreitet, als es bei den Kurd*innen aus Syrien/ Rojava und dem Irak mit dem Arabischen der Fall ist (vgl. Derince 2020: 69 f.). Auf die starke Nutzung des Türkischen bei den Kurd*innen aus der Türkei wird auch in den anderen Studien hingewiesen (vgl. Meyer-Ingwersen 1995: 322, Şenol 1992: 141). Anzumerken ist an dieser Stelle jedoch, dass für die Studie meist Kurd*innen aus Syrien/ Rojava interviewt wurden, die etwa seit 2014 in Deutschland leben (vgl. Derince 2020: 37 f.). Da sie sich nicht seit langem in Deutschland befinden, sind sie stärker durch die kurdischsprachige Sozialisation aus dem Herkunfts‐ land geprägt als beispielsweise Kurd*innen aus der Türkei, die zum größten Teil über mehrere Dekaden in Deutschland leben und ihren Alltag auch ver‐ stärkt mit Deutsch gestalten. Insofern ist abzuwarten, ob die Kurd*innen aus Syrien/ Rojava die starke Nutzung des Kurdischen beibehalten werden, wenn sich ihre Migrationsgeschichte über eine längere Zeit erstreckt und sie ihre Deutschkenntnisse fortlaufend erweitern. In Bezug auf Gebrauch und Vitalität der kurdischen Varietäten bzw. des Kur‐ dischen ist auch zu erwähnen, dass Kurd*innen in Deutschland zurückhaltend sind, sich im öffentlichen Raum mit ihren Kindern in Kurdisch zu unterhalten. Sie haben sogar Bedenken dagegen, Kurdisch in Institutionen wie beispielsweise in Kitas als ihre Sprache anzugeben (vgl. Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 100). Ehlich spricht in diesem Zusammenhang von „Auskunftsvorsicht“ (Ehlich 2013: 39). Daher ist anzunehmen, dass die Stigmatisierungseffekte des Kurdischen aus den Herkunftsländern in Deutschland nicht aufgehoben sind (vgl. Şenol 1992: 136 ff.). Die Vitalität des Kurdischen bzw. seiner einzelnen Varietäten in Deutschland ist eine Forschungsfrage an sich und sollte mit einer gut konzipierten Unter‐ suchung angegangen werden. Dabei sollten auch die Stigmatisierungseffekte berücksichtigt werden. Auf ein solches Vorhaben ist die vorliegende Untersu‐ chung jedoch nicht zugeschnitten. 4.1.4 Grundlegende grammatische Charakteristiken des Kurmancî 4.1.4.1 Phonologie Vergleichend mit dem Deutschen ist festzuhalten, dass Wörter in Kurmancî keine besonders komplexen Silben haben. Konsonantencluster mit zwei oder gar drei aufeinander folgenden Konsonanten im Wortanlaut (Silben-Onset) sind selten, wobei diese (regional bedingt) meist durch eine Vokalepenthese 45 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî 20 Zu den beiden Kasusformen kommt noch der Vokativ, der wahrscheinlich ein Erbe der indoeuropäischen Stammsprache ist. Der Vokativ scheint jedoch keine besondere Rolle für die Grammatik des Kurmancî zu spielen. Daher wird er in der grammatischen Analyse nicht berücksichtigt. unterbrochen werden (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 168, MacKenzie 1961: 37). Beispielsweise ist das Wort stran [strɑːn] „Lied“ ein seltenes Kurmancî-Wort mit drei Konsonanten im Wortanlaut, das jedoch häufig als sitran [sɨtrɑːn] realisiert wird (vgl. Aygen 2007: 10, Haig/ Öpengin 2018: 168). Im Silben- und Wortauslaut (Koda) treffen jedoch häufig zwei Konsonanten aufeinander, die nicht unterbrochen werden (vgl. Şimşek 2016: 91). Ob Kinder bei Erwerb und Aussprache der Wörter mit der Konsonanten-Ab‐ folge oder im Allgemeinen bei der Phonologie des Kurmancî Schwierigkeiten haben, ist aufgrund fehlender Forschung ungewiss. Die vorliegende Studie wird auch in dieser Hinsicht keine Analysen anbieten. Jedoch ist bekannt, dass regionale Varietäten des Kurmancî sich vor allem phonologisch voneinander unterscheiden (vgl. Aygen 2007, Haig/ Öpengin 2018). Daher ist zu erwarten, dass die Färbungen der dialektal-regionalen Unterschiede sich in der Sprach‐ produktion der Kinder niederschlagen. Denn sie und/ oder ihre Eltern kommen aus den verschiedenen Regionen des Kurmancî-Sprachraums. Ob Kurmancî als eine akzent- oder silbenzählende Sprache zu gelten hat, ist in der Forschung noch nicht eindeutig ermittelt worden (vgl. Şimşek 2016: 91). Aber immerhin scheint die Frage beantwortet zu sein, wo der Wortakzent in Kurmancî liegt, nämlich in der Regel auf der letzten Silbe des Stammwortes (vgl. Omarkhali 2011: 197). Ob dies einen Einfluss auf den Spracherwerb des Kurmancî hat, ist jedoch gleichfalls nicht geklärt. 4.1.4.2 Morphologie In Auseinandersetzung mit der Nominalphrase des Kurmancî sind rasch zwei Charakteristiken zu erkennen. Die erste betrifft die Dualität der Kategorien. Das Kurmancî unterscheidet nämlich hinsichtlich des Genus Maskulinum versus Femininum, hinsichtlich des Kasus Rectus versus Obliquus 20 und hinsichtlich des Numerus Singular versus Plural (vgl. MacKenzie 1961: 152). Die zweite Charakteristik ist, dass diese wenigen grammatischen Kategorien schwach und in manchen Fällen sogar gar nicht ausgedrückt werden. Ferner erfolgt ihr Ausdruck an wenigen sprachlichen Elementen. Die betreffenden Kategorien werden noch zu erläutern sein, ebenso deren Ausdruck. Zunächst sollte jedoch die Ezafe dargestellt werden, die ein Merkmal der iranischen Sprachen ist und eine zentrale Charakteristik der Nominalphrase in Kurmancî darstellt. Von ihr 46 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 21 In einer neueren Publikation zur Rechtschreibung des Kurmancî wird dafür plädiert, bei feminin indefiniten Nomen das -a als Suffix der Ezafe zu nutzen (vgl. Ehmed et al. 2019: 135). hängen sowohl der Ausdruck des Genus als auch der des Numerus ab. Des Weiteren ist sie für die Markierung des Kasus wirksam. In Studien zur Grammatik des Kurmancî wird die Ezafe als Partikel erfasst (vgl. Bedir Khan/ Lescot 1986: 65). Als Partikel kann sie freistehen, aber sie wird mit dem Bezugselement, dem Nomen, als Suffix verbunden, falls sie ihm direkt folgt, wie es in den Beispielen unten der Fall ist (vgl. Schroeder 1998: 45). Die zentrale Funktion der Ezafe ist die Verknüpfung der nachgestellten Attribute wie Adjektive, Pronomina, Partizipien etc. mit dem Kopf der Nominalphrase, also mit Nomen (vgl. Schroeder 2002: 194 f.). Ausgehend von dieser zentralen Funktion wird sie auch als Linker definiert (vgl. Haig 2011). Das Nomen kann dabei aus einem Glied bestehen oder ein Kompositum sein. Darüber hinaus kann die Ezafe pronominal und in einigen Regionen auch prädikativ gebraucht werden (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 179 f.). Das besondere an der Ezafe ist, dass sie auf der einen Seite den Numerus und das Genus zum Ausdruck bringt und auf der anderen Seite ihre Ausdrucksform sensibel zu den indefiniten Suffixen -ek (Singular) und -(i)n (Plural) ist (vgl. Aygen 2007: 18, Omarkhali 2011: 203 f.). Gemäß den Daten der vorliegenden Studie wurde die Ezafe häufig als Linker gebraucht. Unten werden einige Beispiele dafür aufgelistet, wie die Ezafe in dieser Funktion mit ihren unter‐ schiedlichen Formen auftreten kann: 1. dar-ê stûr stock-EZ.M dick „der dicke Stock“ (Bedir Khan/ Lescot 1986: 66) 2. dar-ên stûr stock-EZ.Pl dick „die dicken Stöcke“ (Bedir Khan/ Lescot 1986: 67) 3. şev-a sar nacht-EZ.F kalt „die kalte Nacht“ (Bedir Khan/ Lescot 1986: 67) 4. şev-ek-e  21 sar nacht-IDS.EZ.F kalt „eine kalte Nacht“ (Bedir Khan/ Lescot 1986: 70) Eine weitere Eigenschaft der Ezafe ist, dass eine Nominalphrase mit Ezafe un‐ geachtet ihrer syntaktischen Funktion denselben Ausdruck hat. Damit geht auch einher, dass der Obliquus, der in Kurmancî gegenüber dem Rectus in den meisten 47 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî Fällen formal markiert wird, seine Markierung in den Nominalphrasen mit Ezafe nicht betätigen kann. „The presence of an ezafe on any noun suppresses the expression of oblique case on that noun. This is a very crucial fact of Kurmanji syntax: it means that the ezafe itself is impervious to the external case of the entire NP.“ (Haig/ Öpengin 2018: 179) Wenn also die obigen Nominalphrasen im Rectus oder im Obliquus gebraucht werden, erfahren sie keine Formänderung. Das Kurmancî unterscheidet beim Nomen zwei Genera voneinander, das Maskulinum und das Femininum. Das Genus in Kurmancî hat kein sprachliches Mittel wie ein Affix oder eine Wortart, wie beispielsweise den Artikel in Deutsch, die mit dem Genusausdruck assoziiert werden können. Im Konkreten heißt das, das Genus wird im Singular lediglich durch die Ezafe oder durch den Obliquus zum Ausdruck gebracht. Wie im Deutschen, so entfällt auch in Kurmancî im Plural die Unterscheidung der Genera (vgl. Schroeder 1998: 45). Sie scheint überdies regional unterschiedlich, in manchen Regionen sogar weitgehend aufgehoben zu sein, wie es beispielsweise aus der Fallstudie von Akın hervorgeht (vgl. Akın 2013: 115). Was die Systematik der Genuszuweisung angeht, so operieren einige seman‐ tische oder strukturelle Nomenklassen mit einem bestimmten Genus (vgl. Omarkhali 2011: 199). Beispielsweise wird je nach Geschlecht der Referenz einigen Nomen das feminine und einigen anderen dagegen das maskuline Genus zugewiesen. Zum größten Teil ist die Zuweisung aber arbiträr und folgt nicht einer bestimmten Systematik. Zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang, dass einige Personenbezeichnungen wie heval „Freund“ in Kurmancî beiden Genera zugewiesen werden können, je nachdem welches Geschlecht im Kontext damit gemeint ist (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 172). Die Unterscheidung des Numerus - des Singulars und des Plurals - weist hinsichtlich seiner Markierung mit einer Ausnahme die gleiche Charakteristik auf wie die des Genus. Der Numerus wird nämlich wie das Genus in der Nominalphrase durch die Ezafe oder durch Obliquus zum Ausdruck gebracht. Im Umkehrschluss heißt das, dass eine Nominalphrase, die nicht in der Ezafekon‐ struktion oder im Obliquus ist, weder den Numerus noch das Genus markieren kann. Siehe dazu das folgende Beispiel: 5. Ev kum kevn e. DP.RE Mütze alt KOP.3.PSg „Diese Mütze ist alt“ (Tan 2005: 156) Auf diese Besonderheit weist auch MacKenzie hin: „The simple noun, i.e. in its Direct case form, gives no indication of its grammatical gender or number […]. 48 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 22 Die südöstlichen Varietäten des Kurmancî scheinen sich hinsichtlich der Markierung der maskulinen Singularnomen anders zu verhalten. Während die übrigen Varietäten diese Nomen nur dann markieren, wenn eine Möglichkeit zum Ablaut besteht, mar‐ kieren die südöstlichen Varietäten diese Nomen immer durch die Suffigierung. Ablaut oder Nicht-Markierung scheinen dagegen hierzu keine Option zu sein (vgl. Matras 2017: 6). 23 Bearbeitet nach den Ausführungen von Bedir Khan/ Lescot 1986: 86 ff. These are manifest only in the Oblique case forms […] and in the forms of the Izafe […].“ (MacKenzie 1961: 153) Die Ausnahme bzw. der Unterschied ist, dass der Numerus einer Nominalphrase im Prädikat ersichtlich werden kann, wenn sie mit diesem in Kongruenz steht. Die folgenden zwei Beispiele illustrieren dieses Phänomen des Kurmancî in der Gegenüberstellung: 6. Ev keçik diçe dibistanê. DP.RE Mädchen.RE gehen.PRÄS.3.PSg. Schule.OB.F „Dieses Mädchen geht in die Schule.“ (Tan 2005: 156) 7. Ev keçik diçin dibistanê. DP.RE Mädchen.RE gehen.PRÄS.3.PPl. Schule.OB.F „Diese Mädchen gehen in die Schule.“ (Tan 2005: 156) Das Kurmancî kennt drei Kasusformen - Rectus, Obliquus und Vokativ (siehe dazu Anm. 20). Die Unterscheidung zwischen Rectus und Obliquus kann auf drei Wegen erfolgen: durch Formänderung, Ablaut oder Suffixe. Die Formände‐ rung/ Suppletion zeigt sich lediglich bei den Pronomina wie z. B. ez „ich“ im Rectus, min „ich“ im Obliquus. Die Markierung durch den Ablaut kommt nur bei einigen maskulinen Singularnomen im Obliquus vor (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 174). Der Ablaut betrifft die Änderung vom kurzen a und e zum langen ê. Beispielsweise aş, „Mühle“, hesp „Pferd“ im Rectus, êş „Mühle“, hêsp „Pferd“ im Obliquus (vgl. Bedir Khan/ Lescot 1986: 86). Wenn ein maskulines Nomen nicht über einen zu verändernden Vokal verfügt, bleibt es je nach morphosyn‐ taktischen Gegebenheiten im Obliquus ohne Markierung (vgl. Matras 2017: 6). 22 Alle maskulinen Nomen, die über ein Indefinitsuffix -ek oder ein vorausge‐ hendes Pronomen verfügen, werden im Obliquus durch ein Suffix markiert. Auch alle femininen Nomen sowie Pluralnomen im Obliquus erfahren eine Markierung durch Suffix. Welches Nomen in welcher grammatischen Konstel‐ lation welches Suffix im Obliquus annimmt, wird in der folgenden Tabelle 23 illustriert. 49 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî Singular Plural Maskulin Ablaut, Ø, -î -an, -a Feminin -ê Abbildung 5: Markierung des Obliquus in Kurmancî In Kurmancî steht das Subjekt im Rectus, falls der Satz keine Ergativstruktur aufweist. In Ergativsätzen steht dagegen das direkte Objekt im Rectus. Im Gegensatz zum Rectus gibt der Obliquus in Kurmancî in nicht-Ergativsätzen - in Sätzen mit sogenanntem Nominativ-Akkusativ-Alignment - das direkte Objekt und in Ergativsätzen das Subjekt wieder. Es wird noch zu thematisieren sein, aber hier kann schon vorweggenommen werden, dass die Ergativität in Kurmancî hauptsächlich bei den Tempusformen der Vergangenheit vorkommt. Siehe den Kontrast in den folgenden zwei Beispielen: 8. Ez te dibînim. (Nominativ-Akkusativ-Alignment) 1.Sg.RE 2.PSg.OB sehen.PRÄS.1.Sg „Ich sehe dich.“ (Gündoğdu 2017: 50) 9. Min tu dîtî. (Ergativsatz) 1.PSg.OB 2.PSg.RE sehen.PAST.2.PSg „Ich habe dich gesehen.“ (Gündoğdu 2017: 50) Die Aufteilung der Funktionen in den nicht-Ergativsätzen scheint stabil zu sein, jedoch nicht die in den Ergativsätzen. Auf dieses Merkmal wird noch bei der Bearbeitung der Syntax eingegangen. Es sind keine Arbeiten zum Kurmancî bekannt, die sich spezifisch mit der Definit- oder Indefinitheit in dieser Sprache befasst haben. Insofern ist es unge‐ wiss, ob in Kurmancî ein solches System der Definitheit und der Indefinitheit etwa vergleichbar mit dem Deutschen existiert. Fakt ist, dass die indefiniten Nomen im Singular und im Plural mit einem Suffix als solche gekennzeichnet werden. Im Plural kann diese Kennzeichnung auch analytisch erfolgen. Die nicht-indefiniten Nomen werden dagegen nicht gesondert gekennzeichnet. Ob die Kennzeichnung der indefiniten Nomen und deren Ausbleiben bei den nicht-indefiniten Nomen genügt, um für das Kurmancî ein System der Defi‐ nitheit und Indefinitheit anzunehmen, kann in der vorliegenden Arbeit nicht diskutiert werden. MacKenzie stellt aber in diesem Zusammenhang fest: „A 50 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 24 Modus wird nur in Bezug auf den Indikativ thematisiert. Siehe diesbezüglich Anm. 29 zum Modus im Deutschen. noun in its simplest form may be either definite or indefinite […].“ (MacKenzie 1961: 150) Nach seiner Auffassung können Nomen in ihrer einfachen Form - diese kann auch als Grundform betrachtet werden - nicht eindeutig als definit bezeichnet werden, was aber von manchen Forscher*innen in der Kurdologie angenommen wird (vgl. Omarkhali 2011: 198). In Bezug auf die Verbalphrase in Kurmancî lässt sich festhalten, dass sie ähnlich wie im Deutschen die grammatischen Kategorien der Person, des Numerus, des Tempus und des Modus markiert. 24 Allerdings wird in Kurmancî auch der Aspekt unterschieden, der für die Tempusformen der Vergangenheit eine Rolle spielt. In Kurmancî scheinen ferner die Kategorien der Person und des Numerus wie im Deutschen zu fusionieren. Der Unterschied ist jedoch, dass das Verb hier nicht immer mit dem Subjekt des Satzes hinsichtlich Person und Numerus in Kongruenz steht. Im Konkreten: Das Verb steht mit dem direkten Objekt des Satzes in Kongruenz, wenn dieser ein Ergativsatz ist. Genauso wie im Deutschen werden auch in Kurmancî drei Personen (1., 2., 3.) und zwei Numeri (Singular, Plural) unterschieden. Während die Personen im Singular unterschiedliche Endungen für die Kodierung haben, sind die Endungen im Plural dieselben (vgl. Omarkhali 2011: 209). In Bezug auf das Tempus ist zunächst festzuhalten, dass die Verben in Kurmancî über zwei Stämme - Präsens- und Präteritalstamm - verfügen (vgl. Hajo 1982: 89). In der englischsprachigen Literatur haben sich diesbezüglich die Termini present and past stems etabliert (MacKenzie 1961: 177, Omarkhali 2011: 209). Die Bildung dieser Stämme weist im Vergleich miteinander einige Regularitäten auf, folgt jedoch keinem bestimmten Muster (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 182). Entlang dieser Stämme erfolgt die Bildung der Tempusformen des Kurmancî, die von Hajo mit folgenden Termini in Deutsch wiedergeben werden: Präsens, Futur I, Präteritum, Perfekt, Imperfekt, Plusquamperfekt, Futur II (vgl. Hajo 1982: 110 f.). Während die ersten beiden Tempusformen mit dem Präsensstamm gebildet werden, nehmen die anderen den Präteritalstamm als Basis. Bei den Tempusformen Präsens, Futur I, Plusquamperfekt und Futur II kann angenommen werden, dass sie etwa den gleichnamigen Tempusformen in Deutsch entsprechen. Bei Präteritum, Imperfekt, Perfekt ist jedoch eine Differenzierung/ Erörterung nötig. Das Präteritum des Kurmancî entspricht sowohl dem Präteritum als auch dem Perfekt des Deutschen (vgl. Wurzel 1997: 98). Bei der Wiedergabe der 51 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî sprachlichen Daten der Studienkinder wird das Präteritum im Kurmancî mit Perfekt ins Deutsche übersetzt. Denn für die Erzählung in der Vergangenheit haben die Studienkinder in Deutsch auch eher das Perfekt genutzt. Beim Imperfekt handelt es sich nicht um eine Tempusform, sondern vielmehr um den progressiven Aspekt. Dieser Aspekt erscheint bei den Tempusformen der Vergangenheit und referiert auf Vorgänge und Handlungen, die im Ver‐ lauf/ Progress sind. Er wird mit dem Präfix dimarkiert und von Haig/ Öpengin (2018) als progressiv/ imperfekt und von Şimşek/ Schroeder (2009) als durativ bezeichnet. Im Hinblick auf das Perfekt des Kurmancî besteht die Diskussion, ob es die Merkmale der Evidentialität (evidentiality) beinhalte, die auf den Sprachkontakt mit dem Türkischen hinweisen (vgl. Slobin 2016: 111). Bulut (2000) erwägt ebenfalls das Vorhandensein der Merkmale der Evidentialität in Kurmancî, nutzt aber stattdessen den Begriff intraterminal indirectives. Sie ist zudem der Meinung, dass dies mit dem Einfluss des Türkischen zu begründen sei: „As a result of the prevailing Turkic (Uzbek) influence, Northern Tajik has since developed an inferential use of the perfect. In a parallel situation, the strong influence Turkish exerts on Kurmanji may ultimately lead to similar developments in the area of perfect and intraterminal indirectives.“ (Bulut 2000: 165) Aydogan (2013) auf der anderen Seite ist der Überzeugung, dass die Merkmale der Evidentialität/ Indirektivität in Kurmancî vorhanden sind, und erfasst diese unter dem im französischsprachigen Raum verbreiteten Begriff „Mediativität“. Anders als Slobin (2016) und Bulut (2000) führt Aydogan (2013) die Existenz dieser Kategorie jedoch nicht auf den Einfluss des Türkischen zurück. Er ist der Meinung, dass diese Kategorie unabhängig vom Türkischen eine Charakteristik einiger iranischer Sprachen wie des Kurmancî ist. Er untermauert diese These mit den Spuren dieser Kategorie in den historischen Quellen des Kurmancî wie in dem Werk „Mem û Zîn“ von Ehmedê Xanî aus dem Jahr 1695 (vgl. Aydogan 2013: 102). In den anderen Studien zu Kurmancî scheint Evidentialität/ Indirek‐ tivität/ Mediativität dagegen kaum bekannt zu sein (vgl. Bedir Khan/ Lescot 1986, Hajo 1982). In den Daten der Studienkinder wird das Perfekt genutzt, wenn auch nicht häufig. Bei dem einen oder anderen Satz kann diskutiert werden, ob es die evidentale/ indirektive/ mediative Bedeutung hergibt. In dieser Hinsicht gibt es aber keine Klarheit. Insofern wird das Perfekt des Kurmancî in dieser Studie zunächst lediglich als Tempusform erfasst. Entlang der Tempusformen erfolgt auch die Unterscheidung zwischen Er‐ gativ-Sätzen und nicht-Ergativ-Sätzen. Denn die Ergativstrukturen kommen 52 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 25 Die Abweichungen betreffen in erster Linie das direkte Objekt, das in einem ergativen Satz im Rectus sein soll, aber abweichend im Obliquus erscheint. Wenn auch selten, kann auch das Subjekt, das in einem ergativen Satz im Obliquus sein sollte, im Rectus auftreten (vgl. Gündoğdu 2017: 51 ff.). 26 Diesbezüglich sagte Frau Kaltenbacher in einem persönlichen Gespräch, dass die Trennung der Verbteile durch ein Satzglied - wie das Objekt in Kurmancî - ein Merkmal der Satzklammer ist. Damit einhergehend kann Kurmancî in Sätzen, die mit einem Modalverb und Hauptverb gebildet werden, Merkmale der Satzklammer aufweisen. Das ist ein interessanter Hinweis und sollte zur Diskussion gestellt werden. nur bei jenen Tempusformen zustande, die auf der Grundlage des Präteritals‐ tamms gebildet werden (vgl. Bedir Khan/ Lescot 1986: 151), so dass sie als gespaltene Ergativität definiert werden können (vgl. Schroeder 2002: 192, für weitere Informationen hinsichtlich der Ergativität in Kurmancî siehe Tan 2005). Aber auch in den Zeitformen, in denen Ergativität vorkommt, gibt es Abweichungen, die in der Erörterung der Syntax thematisiert werden. 4.1.4.3 Syntax In Kurmancî sind die morphologischen Kategorien für die Syntax von Bedeu‐ tung. Hier kann in erster Linie die Kongruenz erwähnt werden. Im Konkreten: Die Person und der Numerus stellen die Kongruenz zwischen dem Verb und dem Subjekt oder dem direkten Objekt her. Ebenso ist das Genus in Kurmancî für die pronominale Referenz von Relevanz, falls es markiert wird. In Bezug auf die Ergativität wurde bereits festgehalten, dass sie zum einen gespalten ist und dass es zum anderen auch in den Fällen, in denen eine Ergativstruktur vorhanden sein soll, Abweichungen geben kann. Diese können sowohl die Markierung des Subjekts und des Objekts 25 als auch die Kongruenz mit dem Verb betreffen (vgl. Dorleijn 1996, Gündoğdu 2017, Haig/ Öpengin 2018, Mahalingappa 2009, Turgut 2011). Anders als im Deutschen beansprucht das Verb in Kurmancî in der Regel die Endstelle. Falls der Satz über ein Modalverb wie xwestin „wollen, mögen“ verfügt, kommt dieses nach dem Subjekt und vor dem Objekt 26 . Das Haupt‐ verb beansprucht wiederum die Endstelle. Lediglich Richtungsadverbiale sowie indirekte Objekte ohne Adpositionen werden postprädikativ gesetzt (vgl. Bo‐ eder/ Schroeder 1998: 211, Haig 2002: 20). Hier kann also im Gegensatz zum Deutschen nicht entlang der Verbstellung ein Richtungsweg des Spracherwerbs gezeichnet werden. Dennoch müsste, da das Verb auch in Kurmancî das orga‐ nisierende Zentrum des Satzes ist, sein Erwerb für die Sprachentwicklung des Kurmancî von Bedeutung sein (vgl. Reich/ Roth 2004b: 6). Darüber hinaus verfügt das Verb in Kurmancî über zwei Stämme, was zum einen für die Bildung der Tempusformen, zum anderen aber auch für die Formung der Ergativversus 53 4.1 Forschungsgegenstand Kurmancî 27 Zur Bedeutung des Deutscherwerbs und zur Dominanz des Deutschen im gesellschaftlichen Kontext insbesondere als Bildungssprache siehe den Abschnitt 5.5. nicht-Ergativstrukturen von Bedeutung ist. Somit könnte also die Nutzung des Verbs als organisierendes Zentrum des Satzes in Kurmancî mit seinen verschiedenen Formen und Funktionen einen Eindruck vermitteln, inwiefern die Sprachkompetenz eines Kindes in Kurmancî entwickelt ist. Zum Schluss ist zu unterstreichen, dass die grammatischen Kategorien der Nominalphrase in Kurmancî schwach oder in manchen Fällen gar nicht ausgedrückt werden, und wenn, dann nur anhand weniger sprachlicher Ele‐ mente. Dies führt auch dazu, dass die Nominalphrase in Kurmancî mit weniger Flexionen auskommt als in Sprachen wie dem Deutschen. 4.2 Forschungsgegenstand Deutsch 27 4.2.1 Phonologie Hinsichtlich der Phonologie ist zunächst festzuhalten, dass das Deutsche sich im Gegensatz zu Kurmancî durch komplexe Silben auszeichnet. Dies bedeutet, dass die meisten Silben von dem Muster Konsonant-Vokal (KV) abweichen, das eine einfache Silbenstruktur ausmacht, so wie sie in Sprachen wie Japanisch vorzufinden ist (vgl. Eisenberg 2013a: 133). Wörter wie Strumpf [ʃtʀʊmpf] oder Sprache [ʃpraːxə] sind einige Beispiele für die Silbenkomplexität des Deutschen (vgl. Jeuk 2003: 16). Die ersten Wortproduktionen der Kinder in Deutsch wie Mama und Papa folgen der einfachen Silbenstruktur und weichen damit von der komplexen Silbenstruktur ab (vgl. Kauschke 2012: 33, für einen Überblick zur Silbenkomplexität des Deutschen hinsichtlich seines Erwerbs siehe auch Lleó/ Prinz 1996). Darüber hinaus scheinen Kinder weitgehend unabhängig von ihrer Sprache zunächst Wörter mit einfacher Silbenstruktur zu produzieren (vgl. Nübling 2010: 17). In der Spracherwerbsforschung wird im Allgemeinen angenommen, dass Kinder die komplexe Silbenstruktur des Deutschen gut meistern, und zwar unabhängig davon, ob sie das Deutsche von Geburt an oder im Anschluss an eine andere Sprache bzw. andere Sprachen sukzessiv erwerben. Lediglich Schulz/ Tracy erwähnen einen Fall, dass ein Kind, dessen Erstsprache keine Konsonantenverbindungen am Silbenrand erlaubt, ein Wort wie Sport als So‐ porata artikuliert (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 24). Ab welchem Alter und unter welchen Bedingungen dieses Kind das Deutsche erwirbt oder erworben hat, 54 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 28 Sie bemerken aber auch: „Die Forschungslage dazu ist jedoch noch unbefriedigend. Ins‐ besondere fehlen sprachvergleichende Studien mit Kindern unterschiedlicher Erstspra‐ chen, die klären könnten, inwiefern solche qualitativ abweichenden Lautproduktionen tatsächlich auf einen Einfluss der Erstsprache zurückzuführen sind“ (Rothweiler/ Ru‐ berg 2014: 257). wird nicht ausgeführt. Bei Rothweiler/ Ruberg gibt es den Hinweis, „dass Kinder mit türkischer Erstsprache im Erwerb des Deutschen solche Laute oder Lautkombinationen, die es im Türkischen nicht gibt, vorübergehend in einer Weise realisieren, wie es bei einsprachig deutschen Kindern nicht beobachtet wird.“ 28 (Rothweiler/ Ruberg 2014: 257) Weiterhin gilt das Deutsche als eine akzentzählende Sprache. In akzentzäh‐ lenden Sprachen ist die Unterscheidung zwischen der betonten und unbetonten Silbe zentral und die temporale Aufeinanderfolge betonter Silben maßgeblich (vgl. Kaltenbacher 1998: 21). 4.2.2 Morphologie Die Unterscheidung der Genera wird im Deutschen vom Nomen bestimmt, aber nicht am Nomen markiert (vgl. Kaltenbacher/ Klages 2007: 85). Spätestens seit Wegener (1995) wird über die Unterscheidung der Genera die Diskussion geführt, ob sie - zumindest zu einem gewissen Anteil - regelgeleitet erfolgt. Wegener stellt fest, dass anhand von fünf Regeln bei 65,4% der Nomen des Grundwortschatzes des Deutschen vorhergesagt werden kann, welches Genus sie zugewiesen bekommen (vgl. Wegener 1995: 93). Eine der Regeln ist das natürliche Geschlechtsprinzip (NGP), während die anderen Regeln sich auf die formalen Eigenschaften der Nomen beziehen. Wenn beispielsweise ein Nomen des Grundwortschatzes auf Schwa -e endet, wird es mit 90,5% Wahrscheinlich‐ keit das feminine Genus haben, wie etwa die Hose, die Jacke, die Nase (vgl. Wegener 1995: 89 ff.). Auch andere Arbeiten wie die von Köpcke/ Zubin (1996) und Koeppel (2018) schließen sich diesem Ansatz an und versuchen, neue Regeln herauszuarbeiten, nach denen das Genus der Nomen vorausgesagt werden kann. Neben der Tatsache, dass diese Regeln weder den gesamten Wortschatz noch auch nur den Grundwortschatz erfassen, wird von diesen Autor*innen selbst angemerkt, dass sie meistens ohne Ausnahmen nicht auskommen (vgl. Wegener 1995: 94). Dennoch sind vor allem Wegener (1995) und Koeppel (2018) der Meinung, dass sowohl beim Erwerb des Deutschen als Zweitsprache als auch beim Lernen des Deutschen als Fremdsprache diese Regeln in Anspruch genommen werden sollten. Damit soll dem Eindruck, dass die Zuweisung des Genus im Deutschen systemlos und völlig arbiträr sei, entgegengesteuert 55 4.2 Forschungsgegenstand Deutsch werden. „Der fälschliche Eindruck von Willkürlichkeit und Sinnlosigkeit des Genus ist nicht nur demotivierend, sondern kann dazu führen, dass in der Rezeption die vorhandenen sprachlichen Regularitäten im Input für den Erwerb nicht oder nicht optimal genutzt werden.“ (Koeppel 2018: 4) Diese Sichtweise wird in der Spracherwerbsforschung aber nicht generell akzeptiert, bzw. einige Autor*innen vertreten die Ansicht, dass das Genus der Nomen in den meisten Fällen einzeln ohne Regularitäten erworben oder gelernt werden muss (vgl. Grimm/ Schulz 2014: 37). Dies ist beispielsweise die Sichtweise von Schulz/ Tracy, die den Erwerb oder das Lernen des Genus in der theoretischen Erläuterung des Instruments LiSe-DaZ als Domäne von „item-by-item-Lernen“ definieren (Schulz/ Tracy 2011: 20). Die Unterscheidung der Kasusformen in Kasussprachen wie Deutsch ist in‐ sofern von Bedeutung, als mit ihnen in der Regel syntaktische und semantische Rollen im Satz unterschieden werden. So bringt im Deutschen meistens der Nominativ das Subjekt, der Akkusativ das direkte Objekt und der Dativ das indirekte Objekt zum Ausdruck (vgl. Kauschke 2012: 77). Des Weiteren reguliert der Kasus innerhalb der Präpositionalphrase die Korrelation zwischen dem Kopf der Nominalphrase - dem Nomen - und der Präposition. Folglich wird der Kasus auf der Satzebene vom Verb, das die syntaktischen und semantischen Rollen festlegt, und in der Präpositionalphrase von der Präposition regiert (vgl. Marx 2014: 103). Wenn auch der Kasus vom Verb oder von der Präposition regiert wird, so ist seine Versprachlichung abhängig vom Genus und gleichermaßen vom Numerus (vgl. Kauschke 2012: 77). Wegener geht ein Stückchen weiter und vergleicht die Wechselwirkungen des Genus-, Numerus- und Kasuserwerbs für Sprachlerner*innen mit einem „Teufelskreis“: „Um die Flexive als Genus-, Kasus- und Numerusmarker zu erkennen und zu klassifizieren, muß er [der Sprachlerner] die anderen Formen des Paradigmas kennen, um das Paradigma aufzubauen, muß er aber zuvor die Flexive als Genus-, Kasus- und Numerus‐ marker klassifiziert haben.“ (Wegener 1995: 97) Das Genus bestimmt nicht nur den Ausdruck der Elemente, wie z. B. den definiten Artikel, mit denen Kasusformen ausgedrückt werden, sondern darüber hinaus zum Teil, welche Kasusformen überhaupt voneinander unterschieden werden. Im Nominativ und Akkusativ werden beispielsweise nur im Fall von maskulinen Nomen die beiden Kasusformen voneinander unterschieden. Ebenso variiert der Ausdruck des Kasus auch nach dem Numerus. In diesem Zusammenhang kann als Beispiel aufgeführt werden, dass die Unterscheidung der maskulinen Nomen im Nominativ und im Akkusativ nur im Singular stattfindet. Im Plural entfällt die Unterscheidung. 56 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch Dass der Kasus von Verb und Präposition regiert wird, aber sein Ausdruck auch vom Genus und Numerus abhängig ist, bedeutet, dass sein Erwerb dem Kind sowohl syntaktische als auch morphologische Entschlüsselungen abver‐ langt und es vor eine komplexe Aufgabe stellt. Das Deutsche unterscheidet zwei Numeri, den Singular und den Plural. Während das Genus nicht und der Kasus selten am Nomen markiert wird, ist es für die Unterscheidung der Numeri zentral, wobei seine Grundform der Singular ist. Im Umkehrschluss heißt dies, dass es nur den Plural markiert, und zwar immer, sofern keine phonetischen Einschränkungen etwa durch die Schwa-Regel vorliegen (vgl. Wiese 2012: 201). Um den Plural am Nomen zu versprachlichen, müssen Erwerber*innen sowie Lerner*innen eine Auswahl aus fünf Morphemen treffen: -(e)n, -e, "-(e), (")-er und -s (vgl. Wegener 1995: 19). Die Klammern zeigen, dass drei Morpheme jeweils zwei Varianten haben. Dieses Repertoire an Pluralausdrücken am Nomen stellt für Kinder eine Herausforde‐ rung dar (vgl. Kauschke 2012: 77). Im Gegensatz zum Kasus, aber ähnlich wie im Fall des Genus, wird auch der Erwerb des Numerusausdrucks von einigen Spracherwerbsforscher*innen als ein Bereich des Einzellernens (item-by-item-Lernen) betrachtet. Schulz/ Tracy vertreten beispielsweise in ihrem Ansatz zur Erläuterung des Instruments LiSe-DaZ diese Sichtweise und ermitteln daher weder den Genusnoch den Numeruserwerb mit dem Instrument: Ebenfalls ausgeblendet bleiben Bereiche sprachlichen Wissens, die sich durch Unre‐ gelmäßigkeit und viele Ausnahmen auszeichnen und daher in hohem Maße auf dem sogenannten item-by-item-Lernen, d. h. dem Speichern von Einzelfällen, basieren. Dazu zählen in Deutsch das grammatische Genus (der Löffel, die Gabel, das Messer), die Pluralbildung der Nomina (Haus - Häuser, Mutter - Mütter, Wagen - Wagen, Ball - Bälle etc.) […]. (Schulz/ Tracy 2011: 20, Herv. i. Orig.) Für die Distinktion der Genera, der Kasusformen und der Numeri kommt - insgesamt betrachtet - dem ersten Konstituenten der Nominalphrase, der in den meisten Fällen wiederum ein definiter oder indefiniter Artikel ist, eine große Rolle zu. Diese beiden Elemente haben sich im Althochdeutschen aus dem Demonstrativ bzw. dem Zahlwort „eins“ herausgebildet (für einen Überblick siehe Szczepaniak 2011: 73 ff.). Sie drücken selbstverständlich auch die Definitbzw. Indefinitheit aus, so dass sie in der Gesamtheit der ausgedrückten grammatischen Kategorien hoch fusionierende Elemente im Sprachsystem des Deutschen sind. Des Weiteren ist die Form- und Funktionsbeziehung nicht eindeutig, sondern mehrdeutig. Der kann beispielsweise Maskulin, Nominativ, Singular sein; es kann aber auch Feminin, Dativ, Singular sein (vgl. Wegener 57 4.2 Forschungsgegenstand Deutsch 29 Im Deutschen werden drei Modi unterschieden: der Indikativ, der Konjunktiv und der Imperativ (vgl. Pittner/ Berman 2015: 16). Im Hinblick auf den kindlichen Spracherwerb erfolgen die Untersuchungen in der Regel auf der Grundlage des Indikativs (vgl. Kauschke 2012, Schulz/ Tracy 2011). In der vorliegenden Studie wird ebenfalls diese Herangehensweise verfolgt, folglich beziehen sich auch die Erläuterungen auf den Indikativ, falls nicht anders angemerkt. 1995: 94). Dass diese morphologischen Kategorien der Nominalphrase in mehr‐ deutigen Elementen fusioniert werden, führt offensichtlich dazu, dass ihre Differenzierung den Kindern im Spracherwerbsprozess nicht leichtfällt (vgl. Kauschke 2012: 78, Ruberg/ Rothweiler 2012: 118). Hinsichtlich der Verbalphrase ist festzuhalten, dass sie in Deutsch die Person, den Numerus und das Tempus sowie den Modus 29 markiert, wobei die Katego‐ rien der Person und des Numerus wie in Kurmancî zusammenfallen und mit dem Subjekt des Satzes in Kongruenz stehen. Für die Markierung der Person und des Numerus stehen in Deutsch die Morpheme -e, -st, -t, -en und -Ø zur Verfügung (vgl. Eisenberg 2013a: 179 ff.). Hinsichtlich -e und -st besteht in der Verbalphrase zwischen Form und Funktion ein Verhältnis der Eindeutigkeit. Während -e immer die erste Person Singular zum Ausdruck bringt, ist -st für die Kodierung der zweiten Person Singular zuständig. In Bezug auf -en und -Ø besteht nicht hinsichtlich der Person, aber hinsichtlich des Numerus ein Eindeutigkeitsverhältnis. Das Morphem -en bringt immer den Plural zum Ausdruck, aber in einem Fall die erste Person Plural und in einem weiteren Fall die dritte Person Plural. Das Nullmorphem -Ø kodiert dagegen den Singular, und zwar in einem Fall die erste Person Singular und in einem weiteren Fall die dritte Person Singular, was sowohl bei der Markierung des Präteritums als auch bei der der Modalverben zur Geltung kommt. Was das Morphem -t angeht, so ist es sowohl in Bezug auf die Person als auch in Bezug auf den Numerus mehrdeutig. Es kann nämlich sowohl die dritte Person Singular als auch die zweite Person Plural sein (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012: 117). Insgesamt ist festzuhalten, dass hier im Gegensatz zu den nominalen Katego‐ rien die fusionierenden Elemente seltener vorkommen, und dass zwischen Form und Funktion in vielen Fällen ein Eindeutigkeitsverhältnis besteht. Darüber hinaus werden die Person und der Numerus in der Verbalphrase nur an einem Element markiert, und zwar am finiten Verbteil. Diese Eigenschaften der Markierung erleichtern offenbar den korrekten und schnellen Erwerb dieser Kategorien und somit auch den der Subjekt-Verb-Kongruenz. In diesem Zusammenhang stellt Kauschke fest, dass Kinder, sobald sie angefangen haben, Verben flektiert anzuwenden, wenige Fehler bei der Kongruenz machen (vgl. Kauschke 2012: 80). 58 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch 30 Konjugiert nach der ersten Person Singular. 31 Konjugiert nach der ersten Person Singular. Interessanterweise ist die Person- und Numerusmarkierung in Kongruenz mit dem Subjekt ein Bereich, in dem sich der kindliche Spracherwerb und das Sprachlernen durch Erwachsene voneinander unterscheiden. Letztere stoßen hierbei nämlich auf Schwierigkeiten. Dies gilt nicht nur für das Erlernen des Deutschen, sondern auch für andere Sprachen mit einem vergleichbaren Sprachsystem (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 35). In Bezug auf das Tempus ist festzuhalten, dass seine Flexion dadurch reguliert wird, ob das zugrunde liegende Verb ein regelmäßiges (schwaches) oder unre‐ gelmäßiges (starkes) ist. Während es bei der Flexion des Letzteren hinsichtlich der Tempusmarkierung zu Stammänderungen durch den Ablaut kommen kann (singe, sang, gesungen  30 ), bleibt bei dem Ersteren der Stamm gleich (lege, legte, gelegt  31 ). Die Flexion der Tempusmarkierung wird bei den regelmäßigen Verben also mit dem Einsatz des Morphems -t vollzogen (vgl. Eisenberg 2013a: 179). In den Beispielen dient die erste Form der Präsensbildung, die zweite der Präteritumbildung und die letzte Form der Bildung des Partizips II. Bei den ersten beiden Formen handelt es sich um eine synthetische Tempusmarkierung, was bedeutet, dass es im Satz nur ein Hauptverb gibt, das auch das Tempus markiert. Bei der letzten Form handelt es sich dagegen um eine analytische Tempusmarkierung, die besagt, dass im Satz neben dem Hauptverb auch ein Auxiliarverb zur Verfügung steht, welches das Tempus markiert (vgl. Wurzel 1996). Mit dem Partizip II wird in Kombination mit dem Auxiliarverb das Perfekt, das Plusquamperfekt und das Futur II gebildet. Das Futur I wird dagegen mit dem Auxiliar und dem Infinitiv gebildet. Die Reihenfolge des Erwerbs der Tempusmarkierung scheint Präsens, Perfekt, Präteritum und Futur I zu sein. Dies steht auch im Verhältnis zur Intensität der Nutzung dieser Tempusformen. Das bedeutet, dass das Präsens im kindlichen Sprachgebrauch das meistgenutzte Tempus ist und ebenso, dass das Perfekt gegenüber dem Präteritum bevorzugt wird. Futur I wird im kindlichen Sprach‐ gebrauch selten in Anspruch genommen (vgl. Kauschke 2012: 82). Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Erwerb der Tempusformen des Futurs II und des Plusquamperfekts nach den genannten Tempusformen erfolgt und diese auch selten genutzt werden. Auch bei der Markierung des Tempus scheinen Kinder nicht auf große Schwierigkeiten zu stoßen. Nur hinsichtlich der Tempusmarkierung der unre‐ gelmäßigen Verben sind Verzögerungen bei den Perfektformen zu verzeichnen. Kinder probieren hierzu verschiedene Varianten aus und flektieren sie zum 59 4.2 Forschungsgegenstand Deutsch Teil auch wie die regelmäßigen Verben (vgl. Grießhaber 2010: 57 f.). Dies ist im Übrigen ein Phänomen, das auch in vergleichbaren Sprachsystemen, beispielsweise im Englischen, vorkommt (vgl. van Horne 2019: 270). 4.2.3 Syntax In Bezug auf die Syntax ist zunächst festzuhalten, dass morphologische Kate‐ gorien im Deutschen zwar morphologisch markiert werden, aber auch wie in Kurmancî für die Syntax von Relevanz sind. Dies trifft nicht nur für die Kategorien Person und Numerus zu, die eine Kongruenz zwischen Subjekt und Verb herstellen, sondern beispielsweise auch für das Genus, das für die prono‐ minale Referenz wichtig ist. In Bezug auf die Darstellung der grammatischen Kompetenz im Deutschen im Abschnitt 5.4 sowie des Instruments LiSe-DaZ im Abschnitt 6.2.2.2 wird das Zusammenspiel zwischen der Morphologie und der Syntax näher beleuchtet. Im Folgenden wird in Bezug auf die Verbstellung und die damit einhergehende Satzklammerstruktur einiges kurz ausgeführt, was für den Spracherwerb des Deutschen einen Pfad darstellt (vgl. u. a. Grießhaber 2017, 2010, Reich/ Roth 2004b, Schulz/ Tracy 2011). In einem deutschen Satz können die Elemente der Verbalphrase in zwei Po‐ sitionen - in der linken und rechten Klammer - auftreten. Um diese Positionen herum gibt es drei Felder, die als Vorfeld, Mittelfeld und Nachfeld bezeichnet werden (vgl. Pittner/ Berman 2015: 79). Das letztere Feld ist dabei meistens unbesetzt. Vorfeld Linke Klammer Mittelfeld Rechte Klammer Nachfeld Lise wollte ihren Rucksack auspacken im Park. Abbildung 6: Satzfelder im Deutschen (adaptiert von Schulz/ Tracy 2011: 26) In einem Hauptsatz des Deutschen steht der finite Teil des Verbs in der linken Klammer. Da es an der zweiten Stelle steht, wird seine Position als Verb-Zweit‐ stelle (V2) definiert. Der infinite Teil der Verbalphrase, die Verbpartikel und das Partizip, stehen hingegen in der rechten Klammer. Falls es sich um einen Nebensatz handelt, stehen alle Elemente der Verbalphrase am Ende des Satzes, wobei der finite Teil die allerletzte Position besetzt. Daher wird die Position des Verbs als Verb-Endstelle (VE) bezeichnet. Nach Schulz/ Tracy wird im Nebensatz die linke Klammer mit dem Element des Satzes besetzt, das den Nebensatz einleitet. Dieses Element kann dabei eine Konjunktion, ein Relativpronomen 60 4 Forschungsgegenstand Kurmancî und Deutsch oder ein W-Fragepronomen sein (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 25). Im Nebensatz bleibt das Vorfeld unbesetzt. Im Deutschen halten die beiden Klammern den Aufbau des Satzes zusammen, auch wenn sie durch beliebige Elemente im Mittelfeld unterbrochen werden und sehr entfernt voneinander liegen können (Pittner/ Berman 2015: 80). Mit anderen Worten bedeutet dies, dass die Klammern für den Satzaufbau des Deutschen eine Orientierung bieten. Daher ist die Satzklammerstruktur im Zusammenspiel mit der Verbstellung für den Erwerb des Deutschen von wesentlicher Bedeutung. 61 4.2 Forschungsgegenstand Deutsch 5 Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb 5.1 Definition und Theorien Die Encyclopedia of Bilingualism and Bilingual Education bedient sich einer simplen Definition von Bilingualismus, nämlich: „The term ‚bilingualism‘ is typically used to describe two languages of an individual.“ (Vgl. Baker/ Jones 1998: 117) Wie Sprachkompetenz definiert werden soll, sorgt in der Linguistik allerdings für Diskussionen (vgl. Reich 2009: 14, Riehl 2014: 12 f.). Der Grund dafür ist, dass die Sprache ein recht komplexes System ist und über verschiedene Ebenen verfügt, z. B. Schriftlichkeit und Mündlichkeit. Im europäischen Kontext wird es als selbstverständlich erachtet, dass zur Beherrschung einer Sprache im Erwachsenenalter auch die Schriftkompetenz in dieser Sprache gehört. In anderen kulturellen und geografischen Kontexten gibt es hierzu ein anderes Verständnis. Im kurdischen Kontext ist die Schriftlichkeit bzw. der Zugang zum Schriftsprachenerwerb vor allem im Hinblick auf das Kurmancî kaum vorhanden (vgl. Derince 2020: 59, zu den soziopolitischen Ursachen siehe den Abschnitt 4.1.2). Ungeachtet dieser Tatsache gilt jeder und jede als Kurmancî‐ sprecher*in, der oder die in Kurmancî über eine mündliche Kompetenz verfügt (vgl. Maas/ Mehlem 2003, Skubsch 2002 in Bezug auf Berbersprecher*innen und Sprachen in Indien). Eine andere Diskussion wird in der Spracherwerbsforschung darüber geführt, wie der Spracherwerb kognitiv erfolgt. Im Zentrum der teils kontroversen Debatte stehen vier Theorien. Die Theorie des Konstruktivismus, die auch unter dem Begriff Kognitivismus bekannt ist und auf die Arbeit von Piaget im Jahre 1923 zurückgeführt wird, betrachtet die sprachliche Entwicklung des Kindes als Teil seiner gesamten kognitiven Entwicklung (vgl. Katerbow 2013: 20, Schulz/ Grimm 2012: 155). Darüber hinaus: „An zentraler Stelle dieser Theorie steht das Konzept eines kognitiven Gleichgewichts zwischen den bereits gebildeten kognitiven Schemata eines Kindes über seine Umwelt und den von ihm wahrgenommenen neuen Umweltinformationen.“ (Katerbow 2013: 20) In diese Richtung argumentieren auch Berman/ Slobin (1994), wenn sie den Entwicklungsverlauf des Spracherwerbs beschreiben: „Younger children take fewer expressive options because: (a) cognitively, they cannot conceive of the full range of encodable perspectives; (b) communicatively, they cannot fully assess the listener’s viewpoint; and (c) linguistically, they do not command the full range of formal devices.“ (Berman/ Slobin 1994: 15) Die Theorie des Behaviorismus, die u. a. von Skinner (1957) entwickelt wurde, aber bis hin zu Bloomfield (1933) zurückverfolgt werden kann (vgl. Grießhaber 2010: 12), geht davon aus, dass der Erwerb einer Sprache mit der Imitation der gehörten Äußerungen in dieser Sprache einhergeht. Demnach kann der Spracherwerb durch Imitation unterstützt werden, wenn die gehörten Äußerungen dem korrekten Gebrauch in dieser Sprache entsprechen (vgl. Schulz/ Grimm 2012: 155). Diese Theorie, die den Prozess des Spracherwerbs auf Imitation reduziert, wird nicht nur in der heutigen Spracherwerbsforschung in Frage gestellt und kritisiert. Gleich nachdem sie ihren Eingang in die Forschung gefunden hatte, wandte sich Chomsky (1959) mit einer starken Kritik dagegen, die im Kern auf drei Aussagen beruht. Chomsky formulierte damit einhergehend seine Theorie, die in der Spracherwerbsforschung als Nativismus bekannt ist (vgl. Katerbow 2013: 18). Die erste Aussage lautet, dass die Rolle des Inputs und der Imitation beim Spracherwerb selbstverständlich sei. „Similarly, it seems quite beyond question that children acquire a good deal of their verbal and nonverbal behavior by casual observation and imitation of adults and other children.“ (Chomsky 1959: 42) In seiner zweiten Aussage stellt Chomsky klar, dass nur durch Input und Imitation der Spracherwerb nicht gewährleistet werden könne, selbst wenn der Input sorgfältig gesteuert sei: „It is simply not true that children can learn language only through ‚meticulous care‘ on the part of adults who shape their verbal repertoire through careful differential reinforcement […].“ (Chomsky 1959: 42) Daraus resultiert seine dritte Aussage, derzufolge der Mensch mit einem angeborenen Sprachvermögen auf die Welt komme und dadurch den aus der Umgebung erhaltenen Input verarbeite. Aus diesem verarbeiteten Input leite der Mensch sich ein Regelsystem ab, das er dann in diversen Kontexten generiere; so arbeiteten sich Sprecher*innen in die Sprache hinein. „The fact that all normal children acquire essentially comparable grammars of great complexity with remarkable rapidity suggests that human beings are somehow specially designed to do this, with data-handling or ‚hypothesis-formulating‘ ability of unknown character and complexity.“ (Chomsky 1959: 57) Dass Menschen mit einer angeborenen allgemeinen Fähigkeit zum Erwerben und Lernen und damit einhergehend auch zum Spracherwerb ausgestattet sind, wird in der Spracherwerbsforschung sowie in der Psycholinguistik von den meisten Forscher*innen angenommen (vgl. Jeuk 2003: 19, List 1972: 11 f.). Es wird aber auch hinterfragt, ob diese Fähigkeit genügt, um sich Sprache(n) anzueignen. „There is no need to quarrel with the thesis that human beings 64 5 Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb possess what might be called a language acquisition device (LAD) if this only means that they have the capacity to acquire language.“ (Klein 2003: 6 f.) Eine weitere Theorie, die den Spracherwerb zu beleuchten versucht, ist der Interaktionismus (vgl. Grießhaber 2010: 19). Diese Theorie stützt sich auf den Kerngedanken, „dass Sprache eine Form sozialen Verhaltens ist und dass das Kind die genetische Prädisposition zur sozialen Interaktion besitzt.“ (Schulz/ Grimm 2012: 156, Herv. i. Orig.) Dies bedeutet, dass das Kind nicht nur mit einer angeborenen Fähigkeit zum Erwerb der Sprache(n) zur Welt kommt (Nativismus), sondern auch mit dem Vermögen zur sozialen Interaktion (Interaktionismus). Diese vier zentralen Theorien bieten einen interessanten Einblick in den Spracherwerb aus kognitiver Perspektive. Es würde allerdings den Rahmen dieser Arbeit sprengen, sie an dieser Stelle in weiteren Details auszuführen und zu diskutieren. Daher werden sie bei einem kurzen Umriss belassen. Im nächsten Abschnitt folgt die Kategorisierung des Spracherwerbs. 5.2 Kategorisierung des Spracherwerbs im frühkindlichen Alter In der Spracherwerbsforschung wird ausgehend vom Lebensalter beim Beginn (age of onset) des Erwerbs einer Sprache oder mehrerer Sprachen eine Katego‐ risierung vorgenommen (vgl. Meisel 2009: 6). Vom „monolingualen Spracher‐ werb“ wird gesprochen, wenn das Kind seit der Geburt nur mit einer Sprache erzogen wird. Wächst es jedoch mit zwei Sprachen auf oder tritt eine zweite Sprache bis zum zweiten Lebensalter ein, wird dies als „simultaner“ oder „doppelter Spracherwerb“ bezeichnet (vgl. Jeuk 2003: 14, Rothweiler/ Ruberg 2014: 249). Wenn der Erwerb einer Sprache dem einer anderen folgt, ist die Rede vom „sequenziell“ bzw. „sukzessiv bilingualen Erwerb“ (vgl. Gagarina 2016: 96, Jeuk 2003: 14, Meisel 2009: 5, Rothweiler/ Ruberg 2014: 249). Die Begriffe „frühkindlicher L2-Erwerb“ oder „frühkindlicher Zweitspracherwerb“ werden ebenfalls häufig verwendet (vgl. Kaltenbacher 2015: 57, Schmidt 2018: 37). Die Begrifflichkeit sukzessiv bilingualer Erwerb wird für die vorliegende Studie übernommen. Mit welchem Alter der sukzessiv bilinguale Erwerb beginnt und wann er endet, wird in der Forschung allerdings kontrovers diskutiert. Zur Diskussion stehen vor allem die Altersspannen von vier bis acht Jahren, vier bis sechs Jahren und drei bis sechs Jahren (vgl. Gagarina 2016: 96). Einigkeit besteht aber darüber, dass der Erwerb als sukzessiv bilingual zu gelten hat, wenn er in 65 5.2 Kategorisierung des Spracherwerbs im frühkindlichen Alter 32 Mit Erzählkompetenz sind im Rahmen dieser Studie im engeren Sinne nicht die Alltagserzählungen, sondern weitgehend durch die fiktionalen Geschichten elizitierte Erzählungen gemeint. einer Sprache in Grundzügen erfolgt ist und der Erwerb einer weiteren Sprache erst danach einsetzt (vgl. Riehl 2014: 86). Für Kinder mit familiärer Migrationsgeschichte in Deutschland wird ange‐ nommen, dass sie zunächst ihre Herkunftssprache(n) bzw. Familiensprache(n) zu Hause in Grundzügen erwerben und mit dem Erwerb des Deutschen haupt‐ sächlich erst mit dem Eintritt in die Kita beginnen. Daher wird auch davon ausgegangen, dass der Erwerb des Deutschen bei ihnen meistens sukzessiv bilingual erfolgt (vgl. Kauschke 2012: 121, Schulz/ Tracy 2011: 21). Da aber seit August 2013 jedes ein- und zweijährige Kind einen Anspruch auf einen Kitaplatz hat (vgl. Bildung in Deutschland 2014: 45), kann für die Zukunft erwartet werden, dass der sukzessiv bilinguale Erwerb des Deutschen bei Kindern mit familiärer Migrationsgeschichte immer mehr durch den simultanen Erwerb ersetzt wird. Der Spracherwerb in der Kita wird im Abschnitt 5.6 ausführlicher thematisiert und dabei wird dieser Aspekt wieder aufgegriffen. 5.3 Erzählkompetenz und ihr Erwerb Mit der Erzählkompetenz 32 der Studienkinder befasst sich die erste Forschungs‐ frage dieser Studie. Daher sollen im Folgenden einige zentrale Erkenntnisse zur Erzählkompetenz dargestellt werden, die bisher in der Forschungsliteratur herausgearbeitet worden sind. Eine Erzählung kann im weitesten Sinne als „events that are temporally or causally linked and in which some protagonist performs some action“ bezeichnet werden (Lindgren 2018: 14, siehe auch Berman/ Slobin 1994, Gagarina et al. 2012, Verhoeven/ Strömqvist 2001). Daher setzt eine Erzählung in erster Linie voraus, dass die temporalen und kausalen Zusammenhänge der Ereignisse (events) durch den/ die Erzähler*in wiedergegeben werden. Darüber hinaus müssen die innere Welt, die Emotionen und die Ziele der Protagonist*innen/ Fi‐ guren erkannt werden. Es wird auch erwartet, dass der/ die Erzähler*in den Wissensstand inklusive des Sprachstandes des/ der Hörenden berücksichtigt, damit die Erzählung auch verstanden wird. Beim Erzählen werden also „diverse Anforderungen“ an den/ die Erzähler*in gestellt, auch wenn es sich dabei um ein Kind handelt (Skerra/ Adani/ Gagarina 2013: 127). Die im vorherigen Absatz dargestellte Komplexität des Erzählens setzt nicht nur eine ausgeprägte Sprachkompetenz in einer Sprache voraus, sondern 66 5 Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb darüber hinaus auch die Fähigkeit zum abstrakten Denken, da beim Erzählen die Ereignisse dekontextualisiert eingeordnet und erzählt werden müssen (vgl. Wieler 2014: 95). Mit Dekontextualisierung ist in diesem Zusammenhang gemeint, dass „sprachliche Äußerungen aus der engen Verflechtung mit dem nichtsprachlichen Kontext der aktuellen Handlungssituation“ herausgelöst zum Ausdruck kommen (Andresen 2002: 224). Dekontextualisierter Ausdruck bzw. dekontextualisierte Sprache wird als ein wesentliches Merkmal der Literalität gesehen. Daher wird die mündliche Erzählfähigkeit im Vorschulalter in einigen Untersuchungen als Vorstufe der Literalität bzw. als Präliteralität aufgefasst (vgl. Wieler 2014: 93 ff.). Folgerichtig wird die mündliche Erzählfähigkeit im Vorschulalter auch als ein Prädikator für die spätere schriftliche Literalität in der Schule bewertet (vgl. Gagarina 2016: 92). Seitens der Spracherwerbsforschung wird nicht nur die Relevanz des Erzäh‐ lens unterstrichen, sondern es wird aufgegriffen, um auf der Grundlage der erzeugten Erzählungen oder Texte die Sprach(en)-Kompetenz eines Kindes zu ermitteln, wie dies beispielsweise in der bekannten Studie von Berman/ Slobin (1994) durch die fiktionale Geschichte von Mayer (1969) Frog, where are you? geschieht. Inzwischen sind auch fiktionale Geschichten spezifisch für die Er‐ mittlung der Erzählkompetenz entwickelt worden, wie die MAIN-Geschichten, die für diese Studie herangezogen werden (vgl. Gagarina et al. 2012). Auch hierzu können durch die erzeugten Erzählungen bzw. Texte Sprachanalysen unternommen werden. Insofern stellt sich Erzählung als ein ökologisches Instrument für die Ermittlung der Sprach(en)-kompetenz dar (vgl. Gagarina et al. 2015: 243, Lindgren 2018: 12). Unterschieden wird bei der Analyse einer Erzäh‐ lung meistens zwischen der Makro- und der Mikroebene (vgl. Maviş/ Tunçer/ Gagarina 2016: 72). Auf diese Unterscheidung wird genauer eingegangen, wenn das Instrument MAIN erläutert wird. Wie die Ergebnisse von MAIN zeigen, sind Kinder etwa ab dem Alter von drei Jahren in der Lage, einige Komponenten einer fiktionalen Bildergeschichte zu erkennen und wiederzugeben, folglich ist dieses Instrument ab diesem Alter einsetzbar (vgl. Gagarina et al. 2015: 243). In diesem Zusammenhang wird berichtet, dass jüngere Kinder - Dreibis Vierjährige - zwar eine fiktionale Bildergeschichte erzählen können, diese würde aber eher die Nennung einiger Protagonist*innen/ Figuren sowie einiger Ereignisse beinhalten, die temporal und kausal nicht verknüpft seien (vgl. Bohnacker 2016: 22 f.). Die Verknüpfung - zumindest die temporale - wird im nächsten Schritt und von etwa fünfjährigen Kindern hergestellt (vgl. Berman/ Slobin 1994: 13). Ab dem Alter von fünf Jahren sind Kinder auch immer mehr in der Lage, die innere Welt - etwa die Ziele - 67 5.3 Erzählkompetenz und ihr Erwerb der Protagonist*innen/ Figuren wahrzunehmen und zum Ausdruck zu bringen (Pesco/ Bird 2016: 2). Damit geht auch einher, dass immer mehr Komponenten wiedergegeben werden (vgl. Gagarina et al. 2015). An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass die Entwicklung sich nicht nur durch die inhaltliche Bereicherung der Erzählung zum Ausdruck bringt, sondern auch durch das genutzte sprachliche Mittel in der jeweiligen Sprache (Berman/ Slobin 1994: 13, vgl. Lindgren 2018: 22). Wie aus der zugrunde liegenden Studie her‐ vorgeht, greifen ältere Kinder beispielsweise häufiger auf die Nebensatzstruktur des Deutschen zurück, um bestimmte Sachverhalte in Beziehung zu setzen, etwa um Kausalität herzustellen. Bei der Darstellung des Instruments MAIN werden einige weitere Aspekte des Erzählens erläutert. Hier ist noch darauf hinzuweisen, dass Erzählung sich insbesondere für die Ermittlung der Sprach(en)kompetenz von bilingualen bzw. mehrsprachigen Kindern eignet (Gagarina et al. 2016: 12). Denn anders als die Instrumente, die sich auf einen bestimmten Bereich der Sprache - beispielsweise auf Morphosyntax - beziehen, ist Erzählung als Instrument weniger spezifisch für Einzelsprachen. Insofern ist es möglich, dass ein Kind eine Bildergeschichte wie beispielsweise Frog, where are you? oder parallel auf‐ gebaute Bildergeschichten, wie es bei MAIN-Geschichten der Fall ist, in seinen verschiedenen Sprachen erzählt und die dabei erzeugten Erzählungen verglei‐ chend analysiert werden. Eine solche Vorgehensweise wäre beispielsweise mit dem Instrument LiSe-DaZ nicht ohne weiteres möglich, da das Instrument im Wesentlichen auf die Ermittlung der Morphosyntax des Deutschen abzielt und entsprechend konzipiert ist. 5.4 Grammatische Kompetenz des Deutschen und ihr Erwerb Die Morphosyntax wird „als Kerngebiet der Grammatik“ des Deutschen be‐ trachtet (Eisenberg 2013b: 6). Daher ist nicht verwunderlich, dass die meisten Arbeiten zum Erwerb der Grammatik des Deutschen als Erstsprache sowie als Zweitsprache sich mit der Morphosyntax befassen und in diesem Bereich die meisten Erkenntnisse gewonnen werden; auf diese Erkenntnisse stützt sich auch die folgende Darstellung. Wenn ein Kind monolingual Deutsch aufwächst, kommt es parallel zum sogenannten Wortschatzspurt etwa ab dem Alter von 18 Monaten in die Phase der Mehrwortäußerungen, in der es zwei, mitunter auch mehr Wörter kombiniert (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012: 121 f.). In dieser Phase beginnt sich die morphosyntaktische Kompetenz zu formieren, um die Wörter miteinander 68 5 Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb 33 Interessanterweise wird der Erwerb des Genitivs im kindlichen Spracherwerb kaum berücksichtigt (vgl. Kauschke 2012: 78). in Beziehung zu setzen. Dabei arbeitet das Kind einerseits an der Stellung des Verbs und positioniert es zunächst in der infiniten Form am Satzende eines Hauptsatzes, aber im nächsten Schritt in der finiten Form an der zweiten Position (V2-Position) (vgl. Tracy 2008: 79 f.). Mit Finitheit des Hauptsatzes wird auch die Kongruenz zwischen dem Verb und dem Subjekt hinsichtlich der Person und des Numerus erworben. Auch der Erwerb der Tempusformen - beginnend mit Präsens und Perfekt - setzt in diesem Alter ein (vgl. Kauschke 2012: 82). Andererseits arbeitet das Kind an den nominalen Kategorien. Der diesbezüg‐ liche Erwerb gestaltet sich jedoch schwieriger. Vor allem im Hinblick auf die Genus- und Kasusmarkierung kommt es zu Übergeneralisierungen. Der Artikel die wird beispielsweise zunächst auch für die Markierung des Maskulinums und des Neutrums genutzt oder der Akkusativ auf Dativkontexte übertragen (vgl. Tracy 2008: 93). Der vollständige Erwerb des Genus- und Kasussystems einschließlich des Dativs kann bei monolingualen Kindern bis zum fünften Lebensjahr andauern (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012: 129). 33 Ungeachtet der Verzögerungen des Erwerbs der nominalen Kategorien können monolingual Deutsch aufwachsende Kinder im Alter von zweieinhalb bis drei Jahren Nebensätze mit Verbendstellung verwenden (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 34). Dies bedeutet zum einen, dass sie sich ab diesem Alter komplexer ausdrücken können, und zum anderen, dass sie „die wesentlichen Aspekte der Morphosyntax wie z. B. die Satzstruktur und die syntaktische Funktion grammatischer Morpheme erworben haben.“ (Grimm/ Schulz 2014: 37) Interes‐ santerweise entspricht dieses Alter auch etwa demjenigen, in dem Kinder beginnen, eine Erzählstruktur, wie sie im vorherigen Abschnitt (5.3) beschrieben ist, zu entwickeln. Insofern kann hier angemerkt werden, dass die beschriebene Erzählfähigkeit in Sprachen wie dem Deutschen eine in Grundzügen etablierte morphosyntaktische Kompetenz voraussetzt. In der Spracherwerbsforschung wird berichtet, dass sich der simultane Erwerb des Deutschen mit einer weiteren Sprache in der Progressionsgeschwin‐ digkeit und in der Erwerbstruktur wie sein monolingualer Erwerb gestaltet (vgl. Tracy 2008: 125). Dies gilt im Übrigen auch für andere Sprachpaare (vgl. Gagarina 2016: 96). In diesem Zusammenhang bemerkt Meisel: „[…] bilingual children acquiring two languages simultaneously develop two first languages, not differing in their grammatical knowledge from the respective monolinguals.“ (Meisel 2009: 16 f.) Daher wird hier nicht näher auf den simultanen Erwerb des Deutschen eingegangen. 69 5.4 Grammatische Kompetenz des Deutschen und ihr Erwerb Für den sukzessiven Erwerb des Deutschen wird festgestellt, dass auch hier die Erwerbstruktur dem monolingualen Erwerb gleicht, falls er im jungen Alter bis etwa vier Jahre einsetzt (vgl. Rothweiler/ Ruberg 2014: 252). Kaltenbacher (2015) wird in dieser Hinsicht konkreter. Sie merkt an, dass in Bezug auf Syntax wie Verbstellung und Verbmorphologie eine Übereinstimmung beim sukzessiven Erwerb des Deutschen mit dem Erstspracherwerb zwar vorhanden sei, jedoch nicht in Bezug auf die Nominalmorphologie. Kinder, die das Deutsche sukzessiv erwerben, haben beispielsweise große Schwierigkeiten beim Erwerb des Genus (vgl. Kaltenbacher 2015: 57). Dies wird auch von Meisel (2009) hervorgehoben. Ebenso wird von Schwierigkeiten beim Erwerb der Kasusformen berichtet (Ruberg/ Rothweiler 2012: 133). Zu erinnern ist dabei daran, dass auch Kinder, die monolingual Deutsch erwerben, beim Erwerb dieser Kategorien Verzöge‐ rungen aufweisen. Jedoch haben Kinder, die das Deutsche sukzessiv erwerben, diesbezüglich mehr Schwierigkeiten. Es wird beispielsweise festgestellt, dass die Ausdifferenzierung der Kasusformen sich bei ihnen bis in das Grundschulalter hinziehen kann (Ruberg/ Rothweiler 2012: 133). Hierbei ist wiederum entscheidend, ab welchem Alter der Erwerb des Deut‐ schen einsetzt. Bei Kindern, die etwa ab dem Alter von fünf Jahren Deutsch erwerben, verläuft die Aneignung der Syntax zum Teil anders als bei Kindern mit Deutsch als Erstsprache. Es kommt vor, dass das Verb in einem Hauptsatz an der dritten Stelle verwendet wird, wenn dieser mit einem Adverb beginnt. Anstatt also Adverb-Verb-Subjekt wird der Satz als Adverb-Subjekt-Verb gebildet (vgl. Czinglar 2014: 25). Des Weiteren findet an den Stellen, wo der finite und infinite Teil der Verbalphrase zu trennen sind, keine Trennung statt. Diese Entwicklungen hinsichtlich der Wortstellung treten allerdings übergangsmäßig auf (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012: 35). 5.5 Bedeutung des (mehrsprachigen) Spracherwerbs Spätestens seit der ersten PISA-Studie von 2000 ist bekannt, dass Kinder mit Migrationshintergrund im Durchschnitt nicht das gleiche Bildungsniveau erreichen wie Kinder ohne Migrationshintergrund. Als wesentliche Ursache dafür werden die mangelhaften Deutschkenntnisse gesehen (vgl. Jeuk 2003: 9, Herwartz-Emden 2007: 13, für Hinweise schon in den frühen 90er Jahren siehe Şenol 1992: 107). Seit dieser Zeit werden unterschiedliche Anstrengungen unternommen, um auf der einen Seite diese Tatsache genauestens zu erfassen, zum Beispiel durch verschiedene Diagnostikverfahren (vgl. Grimm/ Schulz 2014: 35). Auf der anderen Seite werden Konzepte entwickelt, Projekte ins Leben 70 5 Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb gerufen und Initiativen gegründet, um der Problematik zu begegnen und die Deutschkenntnisse von Kindern mit Migrationshintergrund zu fördern (vgl. Apeltauer 2012, Kaltenbacher/ Karas 2014). In diversen Untersuchungen wird auch der Frage nachgegangen, worin der Ursprung mangelhafter Deutschkenntnisse von Kindern mit Migrations‐ hintergrund liegt. Die Forschung hat dafür im Wesentlichen zwei Ursachen ausgemacht: Zum einen verfügen Migrant*innen durchschnittlich über einen niedrigen sozioökonomischen Status und haben daher nicht die notwendigen Ressourcen zur Verfügung, um ihre Kinder sprachlich, aber auch in anderen Kompetenzbereichen ausreichend zu fördern (vgl. Eulenberger 2013: 154). Zum anderen wird/ werden die Erstsprache(n) der Kinder seitens der Bildungseinrich‐ tungen nicht berücksichtigt. Dies versperrt den Weg, den Deutscherwerb auf oder mit den soliden Kenntnissen der Erstsprache(n) aufzubauen (vgl. Gogolin 2010: 541, Meyer-Ingwersen 1995: 327). Das Ablegen der Erstsprache(n) an der Türschwelle der Bildungseinrichtungen scheint insofern weder für den Erwerb der Erstsprache(n) noch für den des Deutschen hilfreich zu sein (vgl. Jeuk 2003). Die Diskussion über die Relevanz von Erstsprache(n) und Mehrsprachigkeit führt letzten Endes in der Gesellschaft und der Bildungslandschaft zu einem Spannungsfeld, in dem zwei gegensätzliche Positionen aufeinandertreffen. Einerseits bestehen die Bildungseinrichtungen - seien es Kindertageseinrich‐ tungen oder Schulen - weiterhin mehrheitlich darauf, die Erstsprache(n) der Kinder mit Migrationshintergrund nicht zu berücksichtigen (vgl. Lengyel 2018: 469, Reich 2009: 9). Dies wird damit begründet, dass die anderen Sprachen des Kindes - bis auf einige wenige wie etwa Englisch - für seinen Bildungs- und Lebensweg keine bedeutende Rolle spielen und daher in der Kita auch unberücksichtigt bleiben können (vgl. Montanari/ Panagiotopoulou 2019: 17 f.). Die Position der Abwertung der Erstsprache(n) findet ihren Niederschlag durchaus auch in der Forschung wie z. B. durch Esser: „Bilinguale Kompetenzen von MigrantInnen, also die zur Sprache des Aufnahmelandes zusätzliche Be‐ herrschung der Muttersprache, sind über den Effekt der Beherrschung der Sprache des Aufnahmelandes hinaus für den Schulerfolg und den Erfolg auf dem Arbeitsmarkt weitgehend irrelevant.“ (Esser 2006: IV) Eine ähnliche Sicht‐ weise findet sich bei Christensen/ Stanat (2007). Sie spielen die Bedeutung und Möglichkeiten der Bilingualität/ Mehrsprachigkeit schon im Diskurs herunter, indem sie ein Pro-Argument im gleichen Zug ins Leere laufen lassen: „For some students, bilingualism might open up additional opportunities for their educational and professional development and could improve their chances on the job market, although the evidence supporting this assumption is unclear.“ (Christensen/ Stanat 2007: 3) 71 5.5 Bedeutung des (mehrsprachigen) Spracherwerbs Andererseits wird von der (Spracherwerbs-)Forschung der/ den Erst‐ sprache(n) überwiegend und zunehmend ein positiver Einfluss beigemessen und damit einhergehend die Mehrsprachigkeit „vom Störfall zum Glücksfall“ hoch‐ gestuft (Tracy 2014: 13). Eine Reihe von Studien befasst sich inzwischen auch mit Erstsprache(n) der Kinder mit Migrationshintergrund (vgl. u. a. Kuyumcu 2014, Maas/ Mehlem 2013, Reich 2009). Weiterhin werden Instrumente entwickelt, um die Sprachkompetenz in Erstsprache(n) zu messen (vgl. Reich/ Roth 2004a, 2004b). Zu erwähnen sind ferner Studien, die auch in den Herkunftsländern durchgeführt wurden, um Bezüge zur Sprachkompetenz der Kinder hierzulande herzuleiten (vgl. Sürig et al. 2016). Die Studie von Sürig et al. (2016) wurde im Übrigen in der Türkei und in Deutschland durchgeführt, und sie hat auch die Sprachkompetenz kurdischer Grundschulkinder - genauer: ihre Schriftsprachenkompetenz - in Kurmancî und Türkisch untersucht. Es ist eine der wenigen Studien, die in Deutsch‐ land (aber auch jenseits von Deutschland) sich mit der Sprachkompetenz des Kurmancî befasst. Die Herangehensweise dieser Studie - neben der Staatssprache des Türkischen auch eine andere Sprache des Landes zum Forschungsgegenstand zu erheben - unterscheidet sie von den meisten Stu‐ dien ihrer Art. Denn in der Spracherwerbsforschung wird in der Regel die „super-diverse Sprachumgebung“ der Migrant*innen außer Acht gelassen (Gogolin 2010: 537). Daher ist in der Spracherwerbsforschung in Bezug auf Kinder mit Migrationshintergrund aus einem bestimmten Land die Rede meistens von einer einzigen Erstsprache. Ungeachtet dessen plädiert die Spracherwerbsforschung dafür (vgl. Reich 2009), dass die Sprachkompetenz der Kinder mit Migrationshintergrund sowohl in der Erstsprache als auch in Deutsch ausgebaut werden müsse, um sie besser auf die Schule vorzubereiten. Diese mit wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauerte Forderung hat auch bis zu einem gewissen Grad Wirkung gezeigt, die sich z. B. dadurch äußert, dass die Anzahl der bilingualen Kitas zunimmt (siehe den nächsten Abschnitt). Insofern wird die Sprachkompetenz in der ersten Sprache im Vorschulalter betont und ein Stück weit in den bilingualen Kitas gefördert. Da aber die Schulsprache weiterhin fast ausschließlich Deutsch ist, stehen Ansätze/ Projekte/ Initiativen zur Förderung des Deutschen zwangsläufig viel mehr im Vordergrund (vgl. Montanari/ Panagiotopoulou 2019: 59). 72 5 Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb 5.6 Spracherwerb in der Kita Reich vertritt die Meinung, dass die Institution Kita nach der Familie die zweitrelevanteste Instanz ist, in der die sprachliche Sozialisation des Kindes vonstattengeht (vgl. Reich 2009: 13). Die Relevanz der Kita ist seit August 2013 insofern gestiegen, als seither jedes ein- und zweijährige Kind einen gesetzli‐ chen Anspruch auf einen Kitaplatz hat. Mit dieser Änderung geht auch einher, dass die Kindheit in Deutschland ein Stück weit mehr institutionalisiert wird (Bildung in Deutschland 2014: 45). Somit ist die Kita ein fester Bestandteil bereits der frühen Kindheit in Deutschland. „Der Besuch einer Kindertageseinrichtung zählt zur Normalbiografie eines in Deutschland aufwachsenden Kindes, und das weitgehend unabhängig von seiner sozialen Herkunft.“ (König/ Friederich 2014: 11) Mit dieser Änderung geht auch einher, dass der sukzessive Spracherwerb eventuell mehr und mehr durch den simultanen Spracherwerb ersetzt wird. Denn ein Kind, das vor dem zweiten Lebensjahr in die Kita kommt, hat seinen Erstsprach(en)erwerb noch nicht abgeschlossen (vgl. Rothweiler/ Ruberg 2014). Welchen Einfluss der frühe Kitabesuch auf die Entwicklung der Fami‐ liensprache(n) haben wird, die nicht Deutsch ist/ sind, könnte eine wichtige Fragestellung der zukünftigen Spracherwerbsforschung sein. Zugleich gilt jedoch, dass immer mehr Kinder in Deutschland zu Hause eine andere Sprache bzw. Sprachen als das Deutsche oder neben dem Deutschen sprechen. In Großstädten wie Berlin ist die Zahl dieser Kinder aufgrund des großen Migrationsanteils besonders hoch (vgl. Bildung in Deutschland 2016: 166 f., Riehl 2014: 19). In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie die Kitas auf diese Situation reagieren. Grundsätzlich zeichnen sich in dieser Hinsicht zwei Wege ab. Der erste Weg legt den Fokus einzig auf eine Sprache, auf das Deutsche, so dass mit Gogolin (1994) ausgedrückt „der monolinguale Habitus“ forciert wird (für eine ausführliche Diskussion siehe den obigen Abschnitt). Der andere Weg ist, die Mehrsprachigkeit als eine Ressource zu erachten und ausgehend davon die Sprache(n) des Kindes in den Kita-Alltag miteinzubeziehen bzw. sie in den bilingualen und mehrsprachigen Kitas zu fördern. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass die Mehrsprachigkeit „möglichst früh“ aufgegriffen und gefördert wird (Riehl 2014: 145). Dies ist zwar ein neuerer Weg; er scheint aber überzeugend zu sein. Dies lässt sich daran erkennen, dass sich die Anzahl der bilingualen Kitas zwischen 2004 und 2014 mehr als verdreifacht 73 5.6 Spracherwerb in der Kita 34 Quelle: Verein für „Frühe Mehrsprachigkeit an Kitas und Schulen“ (FMKS). hat: Während es im Jahr 2004 nur 340 bilinguale Kitas gegeben hat, konnte 2014 eine Anzahl von 1035 bilingualen Kitas verzeichnet werden. 34 Die allmähliche Anerkennung des Mehrwerts der Mehrsprachigkeit seitens der Gesellschaft, der Wunsch nach ihrer Förderung sowie die Bedürfnisse der mehrsprachigen Kinder stellen die Kitalandschaft in Deutschland vor eine neue Herausforderung, auf die auch Chilla/ Niebuhr-Siebert eingehen: „Die Bildungsbedürfnisse mehrsprachiger Kinder und die gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Realitäten verlangen nach einer pädagogischen Antwort auf die Frage nach optimaler Unterstützung mehrsprachiger Kinder in der KiTa.“ (Chilla/ Niebuhr-Siebert 2017: 12) Die Herausforderung ist hier klar formuliert. Aber ob die Kitas darauf vorbereitet sind, ist eine andere Frage (vgl. Montanari/ Panagiotopoulou 2019: 33). Im Folgenden wird die Kita Pîya als Forschungskontext dieser Studie dargestellt. Diese Kita versucht, eine einzigartige Erwerbskonstellation Kur‐ mancî-Deutsch zu etablieren. Die Praxis der Kita kann ein stückweit ein Beispiel dafür sein, womit Kitas bei der Förderung von Mehrsprachigkeit konfrontiert sein könnten - wobei die Förderung des Kurmancî in vieler Hinsicht besonders und zugleich auch komplexer sein dürfte. 74 5 Forschungsgegenstand Mehrsprachigkeit und Spracherwerb 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 6.1 Forschungsfeld: Die Kita Pîya und ihre bilinguale Praxis Die dieser Studie als Forschungsfeld zugrunde liegende Kita Pîya hat ihren ersten Standort im Berliner Stadtteil Wedding im November 2014 in Betrieb genommen. Der zweite Standort in Kreuzberg (Berlin) wurde im Oktober 2018 eröffnet. Die Daten für die vorliegende Studie wurden am Standort Wedding akquiriert, der eine relativ kleine Kapazität mit einer maximalen Belegungszahl von 25 Kindern hat. Gegründet wurde die Kita Pîya vom Yekmal e. V. Die Kita bietet neben dem Deutschen auch Kurmancî an. Ihr Name stammt allerdings aus dem Zazakî (auch Kirmanckî oder Dimilî genannt), dessen Status - kurdische Varietät oder eigenständige Sprache? - für Diskussionsstoff in der Linguistik und der Gesell‐ schaft sorgt (vgl. Akın 2017: 161 f., Skubsch 2002: 265 f.). Auf diese Diskussion wird hier nicht eingegangen, es soll aber angemerkt werden, dass der Verein in der Gründungsphase bemüht war, Zazakî am Standort Wedding ebenfalls zu integrieren (vgl. Kırgız 2017: 145). Diese Bemühungen gibt es derzeit für den Standort Kreuzberg. Wenn auch aktuell in der Kita - an beiden Standorten - Zazakî nicht angeboten wird, so ist es doch im Namen der Kita vertreten. Übersetzt ins Deutsche bedeutet Pîya „zusammen“ oder „gemeinsam“. Die Kita Pîya ist bundesweit die einzige Kita, die neben dem Deutschen auch das Kurmancî konsequent fördert. Daher bemerkt der Verein im Konzept der Kita zu Recht, dass es sich um ein Pilotprojekt handele: „Die Umsetzung einer Kita zur bilingualen Förderung in dieser Form kann als Pilotprojekt betrachtet werden.“ (Yekmal e. V. 2014: 6) Zu erwähnen ist jedoch, dass es auch schon zu Beginn der 1990er Jahre seitens der Kita Hêlîn den Versuch gab, ein solches Konzept umzusetzen (siehe hierzu den Abschnitt 4.1.3). Die Kita Pîya - Standort Wedding - hatte zum Zeitpunkt der Erhebung (ca. Februar bis Dezember 2017) ein Kernteam von vier Personen. Zwei dieser Personen hatten eine staatlich anerkannte Erzieher*innenausbildung abgeschlossen. Eine Person war im letzten Jahr ihrer Ausbildung und eine Person war als Erzieherhelfer beschäftigt. Jeweils zwei Personen waren für das Deutsche bzw. für das Kurmancî zuständig und haben die Methode der Zwei-Wege-Immersion angewendet (Rothweiler/ Ruberg 2014: 264). Hierunter ist zu verstehen, dass der Tagesablauf der Kita in beiden Sprachen erfolgt und entsprechend die Kinder in beiden Sprachen durch den Alltag der Kita geführt werden. Mit dieser Methode wurde gewährleistet, dass jede Person in der Sprache mit dem Kind kommuniziert, für die er oder sie zuständig ist. Mit der Zeit hat sich die Personalsituation der Kita ein wenig geändert, aber der Grundsatz der Zwei-Wege-Immersion und die Regelung „eine Person: eine Sprache“ wurde beibehalten. Im Konzept der Kita hebt der Verein den Mehrwert der Mehrsprachigkeit hervor und knüpft somit an den neueren Weg im Umgang mit Mehrsprachigkeit an, der bereits im vorherigen Abschnitt geschildert wurde. Darüber hinaus wird im Konzept hervorgehoben, dass Mehrsprachigkeit eine gesellschaftliche Realität der globalen Welt sei. Der beste Umgang mit ihr sei deshalb, sich möglichst in jungem Alter beginnend mehrere Sprachen anzueignen. Dieser Standpunkt wird im Kitakonzept auch mit dem Beschluss der Europäischen Union von 2003 untermauert: Ferner ist die Förderung der bilingualen Erziehung im Zeitalter der Europapolitik, Globalisierung und der multikulturellen Gesellschaft von großer Bedeutung. Dies geht vom Beschluss 2003 der Regierungs- und Staatschefs der Europäischen Union auch hervor. Neben der Muttersprache sollen die Kinder der Europäischen Union die Möglichkeit haben, zwei weitere Sprachen zu erlernen. (Yekmal e. V. 2014: 1) Somit stehen das Kitakonzept, der Beschluss der Europäischen Union und die Feststellung von Chilla/ Niebuhr-Siebert (2017) im Einklang: Die globale Welt ist mehrsprachig, und Kinder sollten demnach mehrsprachig erzogen werden. Wie kann aber eine mehrsprachige Erziehung implementiert werden unter Einbeziehung des Kurmancî, das kaum die Möglichkeit hatte, sich als eine Bildungssprache zu etablieren? Wie können das Personal und die Eltern überzeugt werden, ein Kitaprojekt mit der Förderung des Kurmancî zu entfalten oder in Anspruch zu nehmen? In dem Leitfadeninterview erwähnte die Ge‐ schäftsführerin des Vereins einige Aspekte, die eine Antwort auf diese Frage geben. In erster Linie brachte sie zum Ausdruck, dass das Personal der Kita seine Zeit gebraucht habe, um Kurmancî als eine gleichberechtigte Sprache neben dem Deutschen zu fördern. „Immer wieder bei Teamtreffen oder bei einzelnen Gepräche(n), sie erwähnten, naja, die Kinder sollen Deutsch lernen, also nicht Kurdisch.“ Es ist offensichtlich, dass das Personal eine zusätzliche Motivation und Überzeugung benötigte, um das bilinguale Konzept mit Kurmancî konse‐ quent umzusetzen. Auch die Eltern zeigten zunächst kein großes Interesse an dem Vorhaben. Die Anzahl der Anmeldungen war zunächst mit nur drei Kindern so gering, 76 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder dass die Existenz der Kita gefährdet war. Mittlerweile ist die Kita gut besucht und nicht mehr in ihrer Existenz bedroht. Dies ist darauf zurückzuführen, dass sie ihre Angebote bereichert und optimiert hat (Kırgız 2017: 147). Vor allem die Vorbereitung des zweiten Standortes hat eventuell bei den Eltern die Vorstellung stimuliert, dass eine Kita mit Förderung des Kurmancî funktionieren kann - auch nachhaltig. Die bilinguale Praxis der Kita erhellt aus den Leitfadeninterviews mit den Erzieher*innen. Da die Praxis der Kita in erster Linie von ihren materiellen sowie personellen Ressourcen abhängig ist, werden die Interview-Aussagen dazu bei den folgenden Ausführungen in den Vordergrund gestellt. Hinsichtlich der materiellen Ressourcen haben die Erzieher*innen zum Ausdruck gebracht, dass sie über einiges Material in Kurmancî verfügen, beispielsweise über Kinderbücher. Diese wurden aus Schweden bestellt, das als eines der ersten Länder Europas Kurmancî bzw. andere kurdische Varietäten als muttersprachlichen Unterricht in den Schulen eingeführt hat (vgl. Skubsch 2002: 256, siehe auch den Abschnitt 4.1.3). Ebenso wurden einige Kinderbücher aus der Türkei bezogen, in der zwischen 2013 und 2015 einige Kindergärten und Grundschulen als Pilotprojekte in Kurmancî eingerichtet waren (vgl. Derince 2017: 190). Darüber hinaus hat auch der Träger Yekmal e. V. kurmancî-deutsch bilinguale Kinderbücher vorbereitet und publiziert, die ebenso in der Kita angewendet wurden. Allerdings merkten die Erzieher*innen an, dass ihnen nicht genügend Fingerspiele, Tischlieder, Spiele und Hörbücher in Kurmancî zur Verfügung stünden. Daher adaptierten sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten beispielsweise einige Spiele aus dem Deutschen oder recherchierten im Internet, wobei sie nicht immer etwas Passendes fanden. In Bezug auf das Deutsche hingegen hatte die Kita reiche Materialauswahl. Bei den Interviews sind in Bezug auf die personellen Ressourcen inter‐ essante Erkenntnisse festgehalten worden, die mit der Sprachbiografie der Erzieher*innen zusammenhängen. Die beiden Erzieher*innen, die für das Deut‐ sche zuständig waren, sind in Deutschland geboren, aufgewachsen und hatten ihre Schulbildung und berufliche Ausbildung in Deutschland absolviert. Einer davon hatte seine Ausbildung als Heilerziehungspfleger und die andere als staat‐ lich anerkannte Erzieherin abgeschlossen. Entsprechend ihrer Qualifikation waren der Erstere als Erzieherhelfer und die Letztere als Erzieherin angestellt, wobei sie gleichzeitig die Leitung der Kita innehatte. Diese Erzieherin kam aus einer zazakî-kurmancî bilingualen Familie, hatte aber weder Kurmancî noch Zazakî erworben, so dass es zwischen ihr und ihren Eltern zu einer Sprachverschiebung bzw. einem Sprachwechsel kam. Ihre Eltern haben mit 77 6.1 Forschungsfeld: Die Kita Pîya und ihre bilinguale Praxis ihr hauptsächlich Türkisch gesprochen, so dass sie Türkisch als Erstsprache erworben hat. Das Deutsche hat sie als Zweitsprache erworben. Von den beiden Erzieherinnen, die für Kurmancî zuständig waren, hatte eine ihre Ausbildung als staatlich anerkannte Erzieherin in Deutschland abge‐ schlossen und die andere befand sich im letzten Jahr der Ausbildung. Die erst‐ genannte Erzieherin wurde in Nordkurdistan (Südosttürkei) geboren und lebte dort bis zu ihrem neunten Lebensjahr. Obwohl ihre Eltern kurmancîsprachig waren, hat der Vater, der Lehrer war, die Kommunikation in Kurmancî in der Familie verboten. Dieses Verbot behielt der Vater bei, als die spätere Erzieherin mit neun Jahren mit ihrer Familie im Jahr 1974 nach Deutschland kam. Hier hat sie die Schule fortgeführt und im Anschluss ihre Ausbildung absolviert. Entsprechend der Tatsache, dass sie bis zum Alter von neun Jahren nur Türkisch sprach und dass ein Teil ihrer Schulbildung sowie ihre Berufsausbildung in Deutschland in der deutschen Sprache erfolgte, hat sie zum Ausdruck gebracht, dass Türkisch ihre Erstsprache sei, während sie Deutsch als ihre Zweitsprache angegeben hat. Kurmancî war in ihrer Kindheit eine Art Begleitsprache, die sie im Umfeld beispielsweise von ihrer Großmutter hörte, aber selbst nicht sprach. Nach ihren Aussagen hatte sie erst mit ihrer Heirat einen konsequenten Zugang zu Kurmancî und fing an, auch in dieser Sprache zu sprechen. Denn die Kommunikationssprache der Familie ihres Ehemannes war hauptsächlich Kurmancî. Bevor sie dann ihre Stelle in der Kita Pîya als Erzieherin für Kurmancî angetreten hat, wurde ihr ein Kurmancî-Kurs von Yekmal e. V. zur Verfügung gestellt, den sie auch für drei Monate besucht hat. Die zweite kurmancîsprachige Erzieherin, die sich in der Ausbildung befand, ist ebenso in der Türkei, aber in Zentralanatolien in einem kurmancîsprachigen Dorf auf die Welt gekommen. Als sie sieben Jahre alt war, zog sie mit ihrer Familie in eine Stadt im Westen der Türkei. In dieser Stadt ist sie zur Schule gegangen und hat dort auch ihr Abitur erworben. Danach hat sie auch ein Studium in der Türkei angefangen, das sie aber nicht abgeschlossen hat. Im Jahr 2005 ist sie im Alter von 35 Jahren nach Deutschland gekommen, wo sie zunächst einen Deutschkurs besucht und dann ihre Ausbildung zur Erzieherin begonnen hat. Sie gab an, dass Kurmancî ihre Erstsprache sei und dass sie bis zum Alter von sieben Jahren mit ihren Eltern in Kurmancî kommuniziert habe. Bis zu diesem Zeitpunkt konnte sie hauptsächlich Kurmancî und ein wenig Türkisch. Türkisch hatte sie in der Schule in ihrem Dorf gelernt, die sie ein Jahr lang ohne Registrierung besucht hatte. Mit Registrierung wurde sie erst im Westen der Türkei eingeschult, nachdem ihre Familie dorthin umgezogen war. Mit dem Umzug und ihrem offiziellen Eintreten in die Schule im Alter von sieben 78 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder Jahren haben auch ihre Eltern die Kommunikation in Kurmancî verboten. Somit befand sie sich am Anfang in einer schwierigen Lage, weil sie nicht über genügend Sprachkompetenz in Türkisch verfügte. Aber mit der Zeit hat sie das Türkische besser erworben, das auch später ihre dominante Sprache wurde. Kurmancî hat sie sich im Erwachsenenalter selbst und mithilfe von Freund*innen wieder beigebracht. Bevor sie ihre Ausbildung in der Kita Pîya aufnahm, hat sie ebenfalls den Kurmancî-Kurs für ein bis zwei Monate besucht, den Yekmal e. V. zur Verfügung gestellt hat. Es wird deutlich, dass sowohl hinsichtlich des Materials als auch hinsichtlich der Sprachaneignung der Erzieher*innen zwischen Kurmancî und Deutsch ein Gefälle zugunsten des Letzteren bestand. Während die Erzieher*innen für das Deutsche diese Sprache als Medium in der Schul- und Berufsausbildung benutzt hatten, mussten sich die Erzieherinnen für Kurmancî diese Sprache au‐ ßerschulisch und zumeist jenseits der institutionellen Möglichkeiten aneignen. Sie mussten sogar die Hürde des Verbots überwinden. Insofern waren die Erzieher*innen für das Deutsche in Bezug auf die Sprachkompetenz im Vorteil. Sie konnten in Deutsch selbstverständlich auch lesen und schreiben, während die Erzieherinnen für Kurmancî angaben, dass sie zwar Kurmancî lesen konnten, aber ihre Schreibkompetenz in dieser Sprache nicht ausgeprägt war. Ein anderer Aspekt hinsichtlich der Sprachkompetenz war, dass die Erziehe‐ rinnen, die für Kurmancî zuständig waren, auch Deutsch verstehen, sprechen, lesen und schreiben konnten. Die Erzieher*innen, die für Deutsch zuständig waren, gaben hingegen an, dass sie lediglich einzelne Wörter oder Ausdrücke auf Kurmancî verstünden. Dies ist auch der Grund, warum die Teamkommuni‐ kation in der Kita zum Zeitpunkt der Datenerhebung auf Deutsch stattfand. Lediglich unter sich sprachen die beiden Erzieherinnen für Kurmancî in dieser Sprache. Die Kommunikation mit den Eltern lief überwiegend in Deutsch und in Kurmancî, manchmal auch in Türkisch, falls die Eltern diese Sprache besser sprechen konnten. Eine weitere Herausforderung für Kurmancî in der Kita war, wie die dafür zuständigen Erzieherinnen zum Ausdruck brachten, dass für die Mehrheit der Eltern die Förderung des Deutschen vorrangig gegenüber der des Kurmancî war. Das lag zum einen daran, dass ein Teil der Eltern, wenn auch wenige, nur aufgrund der räumlichen Nähe ihre Kinder in der Kita Pîya angemeldet hatten, aber keinen kurdischen Hintergrund aufwiesen. Die Anmeldung erfolgte in diesen Fällen nicht aufgrund des Konzeptes. Die Eltern mit kurdischem Hintergrund waren am Kurmancî und am Konzept der Kita interessiert, aber auch bei den meisten dieser Eltern hatte das Deutsche den Vorrang. Es gab sogar einen Fall, in dem eine Familie mit kurdischem Hintergrund ihr Kind abgemeldet 79 6.1 Forschungsfeld: Die Kita Pîya und ihre bilinguale Praxis hat, da sie der Meinung war, dass ihr Kind in der Kita nicht genügend in Deutsch gefördert würde. Ungünstig war der Umstand für Kurmancî auch noch dahingehend, dass dieses bis dahin kaum in einer Kita vermittelt wurde. Die Kita und insbesondere die Erzieherinnen für Kurmancî standen vor der großen Herausforderung, Kurmancî in einer Kita erst zu etablieren. Sie mussten zudem dieser Aufgabe au‐ ßerhalb des Herkunftslandes bzw. der Herkunftsländer in der Migration gerecht werden. Es mussten beispielsweise Entsprechungen der Begriffe wie basteln, puzzeln und viele ähnliche alltägliche und pädagogische Begriffe gefunden werden, die in Kurmancî nicht geläufig waren. Um diese Entsprechungen zu finden, haben die Erzieherinnen für Kurmancî Wörterbücher zu Rate gezogen, im Internet recherchiert oder Personen gefragt, die sich mit dieser Sprache beschäftigten. Trotz dieser ungünstigen Rahmenbedingungen haben sowohl der Träger als auch die Erzieher*innen in der Kita versucht, zwischen der Vermittlung des Kurmancî und des Deutschen das Gleichgewicht zu halten. Dies wurde vor allem dadurch gewährleistet, dass das Prinzip „eine Person: eine Sprache“ konsequent umgesetzt wurde. Der Morgenkreis wurde in zwei Sprachen durchgeführt, die pädagogischen Abläufe fanden in beiden Sprachen statt, ebenso wurde während des Frühstücks und des Mittagessens mit den Kindern in beiden Sprachen kommuniziert. Die pädagogischen Abläufe wurden nicht übersetzt, sondern ein*e Erzieher*in hat ein pädagogisches Angebot in einer Sprache geleitet und der/ die andere Erzieher*in hat dies in der anderen Sprache unterstützt. Es wurde im Sinne der Gleichberechtigung der beiden Sprachen darauf Wert gelegt, dass der/ die Leiter*in des Angebots sich abwechselten. Auch bei den Angeboten und Aktivitäten außerhalb der Kita - wie z. B. bei Parkbesuchen oder Ausflügen - wurde beachtet, dass beide Sprachen vertreten waren. Das Bestreben nach Gleichgewicht zwischen den beiden Sprachen zog sich auch in den beiden pädagogischen Angeboten durch, die von zwei externen Fachkräften für etwa zwei Stunden pro Woche in der Kita durchgeführt wurden. Das Angebot der Tonarbeit (Basteln mit Ton) erfolgte in Deutsch und das der Musik in Kurmancî. In diesem Sinne gestaltete sich auch die Arbeit der Elternberaterin, die ihre Beratung in Kurmancî und Deutsch anbot und darüber hinaus Elterninfoveranstaltungen zu erziehungsrelevanten Themen wie z. B. Mediennutzung, Spracherwerb oder Übergang von der Kita zur Schule mit Unterstützung der Erzieher*innen in beiden Sprachen veranstaltete. Trotz der Bestrebungen des Kitaträgers wie auch des Personals, die beiden Sprachen im Gleichgewicht zu halten, haben die Kinder mehrheitlich dazu tendiert, unter sich und mit dem Personal Deutsch zu sprechen. Auf diesen 80 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 35 Zum Personal der Kita gehörten zum Zeitpunkt der Erhebung auch Praktikant*innen, externe Personen für pädagogische Angebote in Musik und Tonarbeit, eine Elternbe‐ raterin und eine Köchin, die nicht interviewt wurden. Wenngleich unter den vier pädagogischen Hauptverantwortlichen der Kita eine noch in ihrem letzten Jahr der Ausbildung stand und einer eine Ausbildung als Heilerziehungspfleger abgeschlossen hatte, sind alle vier als Erzieher*innen erfasst, da sie das Programm der Kita gleichbe‐ rechtigt gestaltet haben. Aspekt wird in Bezug auf die Studienkinder bei der Ausführung der Rolle der Kita für ihren Spracherwerb und ihre Sprachkompetenz näher eingegangen. 6.2 Methodisches Vorgehen 6.2.1 Methoden zur Dokumentation der Rolle von Familie und Kita 6.2.1.1 Leitfadeninterviews mit dem Personal der Kita und der Geschäftsführerin des Kitaträgers Auf einige Erkenntnisse aus den Leitfadeninterviews wurde bereits in vorhe‐ rigen Abschnitten vorgegriffen, obwohl die zugrunde liegende Methode noch nicht erläutert worden war. Diese Vorgehensweise war jedoch notwendig, um das Forschungsfeld Kita Pîya und ihre bilinguale Praxis vorzustellen. Hier erfolgt im Nachgang die kurze Erläuterung der zugrunde gelegten Methode. Das Leitfadeninterview mit den Erzieher*innen, 35 das in Anlehnung an Brizić (im Ersch.) entwickelt wurde, enthielt nicht nur offene, sondern auch geschlos‐ sene Fragen. Zu den Letzteren gehörten Fragen nach Bildungsabschlüssen und Sprachkenntnissen. Mit den offenen Fragen sollte dagegen vor allem in Erfahrung gebracht werden, wie die vier Erzieher*innen zur kurmancî-deutsch bilingualen Erziehung stehen und wie sie diese konzeptionell umsetzen. Der Kitaleiterin wurden zusätzlich einige übergreifende Fragen gestellt, um das Interesse der Kinder und der Eltern an Kurmancî und Deutsch zu ermitteln. In dem Leitfadeninterview mit der Geschäftsführerin ging es darum zu ermitteln, wie die Idee der Kitagründung entstanden ist, wie die Umsetzung erfolgte und welche Erfahrungen dabei gemacht wurden. Die Interviews mit den Erzieher*innen und der Kitaleitung haben in dem Raum stattgefunden, in dem auch die Spracherhebung der Kinder stattfand. Mit der Geschäftsführerin wurde das Interview in einer privaten Räumlichkeit geführt. Alle Interviews wurden mit dem Audiorecorder TASCAM DR-05 aufge‐ nommen und anschließend transkribiert. 81 6.2 Methodisches Vorgehen 6.2.1.2 Elternfragebogen Da die vorliegende Studie die Sprachkompetenz von Kindern umfassend be‐ trachtet und analysiert, sollte diesbezüglich auch die Rolle der Familie erhoben werden. Dies geschah durch einen Fragenbogen, der vom MAIN-Fragebogen für Eltern adaptiert wurde (Gagarina et al. 2012). Mit dem Fragebogen war in erster Linie beabsichtigt, einen Einblick in die Sprachpraxis der Familie und die Spracherziehung des Kindes zu bekommen. Da für die Erhebung der sprachli‐ chen Daten das Instrument MAIN benutzt wurde, war es naheliegend, seinen Fragebogen für die Familie heranzuziehen. Zudem ermöglicht der MAIN-Frage‐ bogen durch seine vielfältigen und konkreten Fragen einen aufschlussreichen Zugang zu der Sprachpraxis in der Familie. Dem Fragebogen wurde ein weiterer Teil hinzugefügt, der nach Interview-Leitfäden von Brizić (im Ersch.) adaptiert ist. Dieser Teil dient zur Ermittlung der Sprachkenntnisse der Eltern in Wort und Schrift, des sozioökonomischen Status und auch des Bildungsstandes (siehe hierzu den Elternfragebogen im Anhang). Dass der sozioökonomische Status der Familie und der elterliche Bildungsstand bei der Sprachentwicklung des Kindes wirksam sind, wird in der Forschung nicht bestritten. Es wird aber auch festgestellt, dass der Grad und der Umfang der Wirksamkeit dieser Faktoren nicht leicht zu messen sind (vgl. Ahrenholz 2010: 24). Dennoch sollten sie nicht außer Acht bleiben. Um die Betrachtung der Rolle der Familie beim Spracherwerb zu vervollstän‐ digen, wurden den Eltern auch ergänzende offene Fragen gestellt, die auf ihre Sprachbiografie Bezug nehmen. So wurde unter anderem gefragt, wie die Eltern ihren Lebensweg in Bezug auf Sprache(n) gestaltet haben und was sie mit ihren erworbenen/ gelernten Sprachen jeweils verbinden. Mit diesen Fragen wurde beabsichtigt, das „Selbsterlebte“ in Bezug auf die Sprachbiografie in den Blick zu nehmen (Lucius-Hoene/ Deppermann 2004: 20). Es wurde den Eltern freigestellt, ob die Erhebung bei ihnen zu Hause oder in der Kita stattfinden sollte. Vier der Eltern haben sich für ihr Zuhause, eine Familie hingegen für die Kita entschieden. Unter den insgesamt sechs Studienkindern lebte nur ein Kind mit einem alleinerziehenden Elternteil. Bei den Kindern mit zwei gemeinsam lebenden Elternteilen wurde die Sitzung auch gemeinsam mit beiden Elternteilen gestaltet. In einer Sitzung wurden mit beiden Elternteilen erst die Fragen des Fragebogens durchgegangen und anschließend die offenen Fragen gestellt. Die Sitzungen mit den Eltern wurden ebenso wie die mit den Erzieher*innen mit dem Audiorecorder TASCAM DR-05 aufgenommen und anschließend transkribiert. 82 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 36 An dieser Stelle geht es primär darum, was mit dem Instrument MAIN elizitiert, wie es angewendet und ausgewertet wird. Für den theoretischen Hintergrund des Instruments und damit verknüpfte Diskussionen zur Auseinandersetzung mit der Erzählung als Erhebungsinstrument siehe u. a. Gagarina et al. (2012, 2015). 37 In der Arbeit wird die Geschichte Babyvögel als BV und die Geschichte Babyziegen als BZ abgekürzt. 38 In der neueren Ausarbeitung von MAIN soll jede Geschichte für jedes Format an‐ wendbar sein (vgl. Gagarina et al. 2019b). 39 Language Impairment in a Multilingual Society: Linguistic Patterns and the Road to Assessment (für detaillierte Informationen: www.bi-sli.org). 6.2.2 Instrumente zur Dokumentation der Sprachentwicklung 6.2.2.1 Multilingual Assessment Instrument for Narratives (MAIN) 36 MAIN besteht aus vier Bildergeschichten, die Katze, Hund, Babyvögel (Vögel‐ chen) und Babyziegen genannt werden. 37 Alle vier Geschichten wurden auf kognitive und sprachliche Komplexität überprüft und speziell für die Elizitie‐ rung der Erzählkompetenz konzipiert (vgl. Gagarina et al. 2012: 1). Die ersten beiden Bildergeschichten sind als Nacherzähl- und Modellgeschichten, die letzten beiden als Erzählgeschichten konzipiert und wurden für die vorliegende Studie entsprechend genutzt. 38 MAIN-Geschichten sind ein Teil von Language Impairment Testing in Multi‐ lingual Settings (LITMUS) und ihre Konzeption erfolgte im Rahmen des Projekts COST Action IS0804, das im Jahr 2009 initiiert wurde 39 . Im Rahmen dieses Projekts erarbeitete die Narrative and Discourse working group nach umfas‐ senden Reviews der vorhandenen Instrumente sowie intensivem Austausch das Instrument MAIN (vgl. Gagarina et al. 2012). MAIN ist nicht normiert, wurde aber in unterschiedlichen Sprachkonstel‐ lationen mit mehrsprachigen Kindern erprobt. Entsprechend ist das Instru‐ ment bereits in mehreren Sprachen vorhanden. Die Adaptation ins Kurmancî erfolgte im Rahmen der vorliegenden Studie. Über die Erfahrungen mit der Adaptation und der Anwendung wird noch zu berichten sein. Zunächst wird ein Überblick darüber gegeben, was genau mit MAIN elizitiert werden kann. Makrostruktur Unter der Makrostruktur, die auch als einordnendes Schema der Erzählung aufgefasst werden kann (vgl. Stein/ Glenn 1979: 58), unterscheidet MAIN vier Komponenten, die in der Erzählung einer Geschichte miteinander verzahnt sind: 83 6.2 Methodisches Vorgehen A. Struktur der Geschichte B. Komplexität der Geschichte C. Internal state terms D. Verständnis der Geschichte Während die ersten drei Komponenten sich auf die Produktion der Erzählung beziehen, handelt es sich bei der letzten Komponente um das Verständnis der Geschichte, das durch die Verständnisfragen ermittelt wird (siehe die Ausführungen in den folgenden Abschnitten). A. Struktur der Geschichte In Anlehnung an Mandler (1979), Stein/ Glenn (1979) und Trabasso/ Nickels (1992) wird in der Erläuterung von MAIN festgehalten, dass alle Geschichten ein Setting und eine Episodenstruktur haben und damit einhergehend einen universellen Charakter aufweisen (Gagarina et al. 2012: 10). In diesem Setting und durch die Episodenstruktur wird eine Handlung oder werden mehrere Handlungen beschrieben. Mit Setting ist in diesem Zusammenhang im weiteren Sinne die Setzung des Kontextes, in dem sich die Handlung abspielen wird, und im engeren Sinne die Einführung des Zeitpunktes und des Ortes der Handlung gemeint. Wenn auch MAIN-Geschichten fiktional sind und keinen realen Zeitbezug haben, wird von den Erzähler*innen erwartet, dass sie einen (fiktionalen) Zeitpunkt ansetzen, wie es in einer Erzählung üblich ist. Im deutschen Sprachraum ist beispielsweise gängig, dass Geschichten mit „es war einmal“ beginnen. Im Gegensatz zum Zeitbezug sehen die Erzähler*innen in den MAIN-Geschichten innerhalb der Fiktionalität einen realen Ort und es wird erwartet, dass sie diesen Ort auch benennen. Um den Unterschied zwischen Zeit‐ punkt und Ort zu veranschaulichen und darüber hinaus die weiteren Aspekte der MAIN-Geschichten zu erläutern, wird die Katze-Geschichte herangezogen. 84 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 40 Die Abbildung wird mit der freundlichen Genehmigung von MAIN-Autor*innen ge‐ zeigt. 41 Die Katze-Geschichte ist ursprünglich eine Nacherzählgeschichte. Die folgende Ge‐ schichte wird dem Kind vorgelesen, bevor es mit seiner Erzählung beginnt: „Es war einmal eine verspielte Katze, die einen gelben Schmetterling auf einem Busch sitzen sah. Sie sprang hoch, weil sie das Tier fangen wollte. Währenddessen kam ein fröhlicher Junge mit einem Ball und einem Eimer vom Angeln zurück. Er beobachtete, wie die Katze den Schmetterling jagte. Doch der Schmetterling flog schnell weg und die Katze landete im Busch. Sie tat sich weh und war sehr enttäuscht. Der Junge erschrak so sehr, daß ihm der Ball aus der Hand fiel. Als der Ball ins Wasser rollte, rief er: ‚Oh je, da schwimmt mein Ball! ‘ Er war traurig und wollte seinen Ball zurückholen. Währenddessen bemerkte die Katze den Eimer mit den Fischen und dachte: ‚Oh, den Fisch will ich haben.‘ So begann der Junge seinen Ball mit der Angel aus dem Wasser zu fischen. Er bemerkte nicht, daß die Katze sich den Fisch aus dem Eimer klaute. Am Ende war die Katze sehr zufrieden und fraß den leckeren Fisch. Der Junge war glücklich, daß er seinen Ball wieder hatte“ (Gagarina et al. 2019b: 8). Abbildung 7: Bilderstimuli der Katze-Geschichte 40 Aus der bildlichen Darstellung der Geschichte kann kein realer Zeitpunkt bestimmt werden, ein Ort aber schon, wie beispielsweise an einem See, am Wasser oder auf einer Wiese. 41 85 6.2 Methodisches Vorgehen 42 Vgl. auch Trabasso/ Rodkin für eine vergleichbare Aufstellung der Komponenten für die Geschichte Frog, where are you? , ein Bilderbuch von Mayer (1969) (Trabasso/ Rodkin 1994: 89). Die Erzählung einer MAIN-Geschichte erfolgt in einem Prozess, der in drei Episoden eingeteilt ist. Jede Episode beinhaltet wiederum fünf Komponenten (vgl. Gagarina et al. 2012: 20): ● Internal state terms als einleitendes Ereignis ● Goal „Ziel“ ● Attempt „Versuch“ ● Outcome „Ergebnis“ ● Internal state terms als Reaktion auf das Ergebnis 42 Mit internal state terms als einleitendes Ereignis wird meistens eine Wahrneh‐ mung oder der Zustand der Figuren beschrieben, die der Handlung den Anstoß geben. Eine Wahrnehmung in der Katze-Geschichte ist z. B., dass die Katze den Schmetterling sieht. Mit dem Ziel wird die Absicht der Figuren beschrieben, während im Versuch ihre Bemühung, dieses Ziel zu erreichen, zum Ausdruck kommt. Die Katze will den Schmetterling fangen und springt hoch. Dann landet sie in einem Busch und tut sich weh. Das Landen der Katze im Busch stellt das Ergebnis dar und ihr Wehtun internal state terms als Reaktion auf das Ergebnis. Wenngleich die Komponenten einer Erzählung unter der Struktur der Ge‐ schichte erfasst sind, macht ihr Vorhandensein oder Fehlen auch die Komplexität der Struktur der Geschichte aus, die im nächsten Schritt behandelt wird. B. Komplexität der Struktur In Anlehnung an Westby (2005) wird in MAIN hinsichtlich der Komplexität der Struktur der Geschichte ausgeführt, dass eine Erzählung zum einen die tempo‐ rale und kausale Verkettung der einzelnen Ereignisse zu gewährleisten hat. Zum anderen sollten in einer Erzählung auch die Komponenten Versuch, Ziel und Ergebnis miteinander verknüpft vorhanden sein. Hier ist von Bedeutung festzuhalten, dass dem Ziel in einer Erzählung eine besondere Rolle zukommt. Denn die anderen Komponenten sind vom Ziel geleitet (goal-directed) (vgl. Lindgren 2018: 16, Maviş/ Tunçer/ Gagarina 2016: 77, Trabasso/ Rodkin 1994: 88). Dies gilt insbesondere für den Versuch und das Ergebnis. Die besondere Rolle des Ziels bedeutet jedoch nicht, dass es in der Erzählung am ehesten zum Ausdruck gebracht wird, zumindest nicht bei den Kindern. Einige Untersuchungen haben gezeigt, dass der Ausdruck des Ziels in den Erzählungen durch Kinder deutlich hinter den des Versuchs und Ergebnisses fällt (vgl. Bohnacker 2016: 31). 86 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder C. Internal State Terms Die in manchen Quellen auch mental state terms genannten internal state terms sind ein Teil der Makrostruktur der Geschichte (vgl. Altman et al. 2016: 167). In der Konzeption der Makrostruktur von MAIN-Geschichten wird den internal state terms zweierlei Bedeutung beigemessen. Zum einen wird in jeder Episode als Einstieg und als Abschluss eine Äußerung mit internal state terms erwartet, die die Wahrnehmung oder den Zustand der Figuren offenbaren. Zum anderen wird unabhängig davon die Anzahl der internal state terms als Token berechnet. Diese Token können beim Einstieg oder zum Abschluss der Episoden produziert werden, aber auch bei der Nennung des Ziels, des Versuchs und des Ergebnisses. Für internal state terms sind in den MAIN-Geschichten folgende Wörter festgehalten: Mögliche internal state terms Token in den MAIN-Geschichten Perceptual State Terms z.B. sehen, fühlen, hören, riechen Physiological State Terms z.B. durstig, hungrig, müde, weh tun Consciousness Terms z.B. lebendig, wach, schlafend Emotion Terms z.B. traurig, glücklich, fröhlich, wütend, sauer, besorgt, enttäuscht, ängstlich, erschrocken, fürchtet sich, hat Angst, stolz, mutig, sicher, zufrieden, überrascht Mental Verbs z.B. wollen, möchten, denken, wissen, vergessen, beschließen, glauben, sich fragen, sich wundern, etwas vorhaben Linguistic Verbs/ Verbs of Saying and Telling z.B. sagen, rufen, schreien, warnen, fragen Abbildung 8: Kategorisierung von internal state terms (Gagarina et al. 2019b: 11) Aus der Studie von Altman et al. (2016) basierend auf MAIN-Geschichten und anhand des Erwerbs des Englischen und des Hebräischen geht hervor, dass Kinder internal state terms nicht Kategorie für Kategorie, sondern ganzheitlich erwerben. Mental verbs werden etwa nicht vor linguistic verbs oder physiological state terms nicht vor emotion terms erworben oder umgekehrt. Vielmehr scheint ausschlaggebend zu sein, welche terms Kinder quer durch die Kategorien am frühsten und häufigsten hören. Der Verlauf des Erwerbs dieser terms hin zu den später und am seltensten gehörten Ausdrücken impliziert auch, dass Kinder sich mit der Zeit ein sich stetig ergänzendes Vokabular-Repertoire aus den verschiedenen internal state terms aneignen und dieses dann vermehrt in ihrem Sprachgebrauch anwenden (vgl. Bohnacker 2016: 43). 87 6.2 Methodisches Vorgehen D. Verstehen der Geschichte Im Anschluss an die Erzählung werden dem Kind zehn Verständnisfragen gestellt. In drei der Fragen wird nach dem Ziel der Figuren gefragt. Das Kind wird z. B. darum gebeten, auf das erste und zweite Bild zu schauen und die Frage zu beantworten: „Warum springt die Katze auf den Busch? “ Sechs Fragen beziehen sich auf Elizitation der internal state terms. Hier wird beispielsweise zum dritten Bild gefragt: „Wie fühlt sich die Katze? “ Die letzte Frage wird gestellt, um zu ermitteln, ob das Kind die Geschichte in ihrer Gesamtheit verstanden hat. Denn die richtige Antwort des Kindes setzt voraus, dass es die gesamte Geschichte reflektiert (vgl. Gagarina et al. 2012: 16). In der Katze-Geschichte lautet diese Frage: „Wird sich der Junge mit der Katze anfreunden? Warum? “ Mit Verständnisfragen wird von dem Kind also erwartet, dass es die Absichten und Emotionen der Figuren und darüber hinaus den Zusammenhang der Geschichte in Erinnerung ruft und sie beantwortet. „Here, 10 why and how questions probe the children’s overall story comprehension, in particular, their inferencing ability concerning the thoughts, feelings, and intentions of the protagonists.“ (Bohnacker 2016: 26, Herv. i. Orig.) Insofern können die Verständnisfragen von MAIN nicht mit „ja“ oder „nein“ oder nonverbal durch Nicken oder Kopfschütteln beantwortet werden, was z. B. bei den anderen Instrumenten wie LiSe-DaZ möglich ist. Mikrostruktur Die Mikrostruktur zeichnet sich im Gegensatz zur Makrostruktur dadurch aus, dass sie je nach Sprache variiert (vgl. Skerra/ Adani/ Gagarina 2013: 131). Während die Makrostruktur weitgehend sprachunabhängig das global mentale Schema der Erzählung darstellt, ist die Mikrostruktur das sprachliche Mittel in der jeweiligen Sprache, die Erzählung mündlich oder schriftlich zu kommunizieren. In der Anleitung zu MAIN werden verschiedene Parameter in drei verschie‐ denen Ebenen - A. Narrative length and lexis, B. Syntactic complexity and discourse cohesion, C. Bilingualism - aufgezeigt, mit denen die Mikrostruktur der Erzählungen ausgewertet und analysiert werden kann. Für die vorliegende Studie wird auf vier dieser Parameter zurückgegriffen, die im Folgenden zuge‐ ordnet zu ihren Ebenen kurz erläutert werden. A. Narrative length and lexis - Total number of types and tokens without mazes (TNTT): Wie viele Typen und Token ausschließlich Wiederholungen, Verbesserungen und Reformulierungen sind in der Erzählung vorhanden? MAIN gibt die Berechnung nicht ausgehend 88 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder von Typen, sondern von Lemmata vor (Gagarina et al. 2012: 58). Die vorliegende Studie unternimmt dagegen eine Berechnung ausgehend von Typen. Dadurch wird nicht nur der Nutzung eines Lexems, sondern auch der Nutzung seiner Formen Rechnung getragen, die durch die Flexion entstehen (vgl. Lindgren 2018: 97). Sowohl für den Erwerb des Kurmancî als auch für den des Deutschen ist es wichtig, dass ein Lexem in unterschiedlichen Formen - beispielsweise ein Verb in unterschiedlichen Tempusformen - angewendet werden kann. - Number of communication units: Wie viele kommunikative Einheiten enthält die Erzählung? In der Linguistik steht es zur Diskussion, wie Äußerungen der gesprochenen Sprache segmentiert werden können. Zur Debatte stehen in diesem Zusammenhang insbesondere die Segmentierung in communication units - abgekürzt als c-units - und die Segmentierung in minimally terminable units - abgekürzt als t-units. Der erstere Vorschlag geht auf Loban (1976) und der letztere auf Hunt (1965) zurück. In dem theoretischen Rahmen von MAIN werden beide Vorschläge erwähnt. Darüber hinaus wird ausgeführt, dass MAIN sich auf eine Segmentierung nach Loban in communication units festlegt (vgl. Gagarina et al. 2012: 58). Loban selbst definiert die kommunikative Einheit hauptsächlich als einen Hauptsatz mit seinen Nebensätzen (Loban 1976: 9 f.). Diese Definition ist an der Schriftsprache orientiert und trägt den Eigenschaften der gesprochenen Sprache - wie z. B. der Intonation - keine besondere Rechnung. Dies ist im Übrigen auch bei der Segmentierung nach Hunt in minimally terminable units der Fall (vgl. Lindgren 2018: 61). Damit die Daten der vorliegenden Studie mit denen der anderen Studien, die mit MAIN elizitiert werden, vergleichbar sind, folgt sie den Richtlinien von MAIN und legt bei der Segmentierung kommunikative Einheiten nach Loban (1976) zugrunde. B. Syntactic complexity and discourse cohesion - Mean length of communication units: Um die mittlere Länge kommunikativer Einheiten zu ermitteln, werden sie zusammengezählt und durch die total number of tokens without mazes geteilt. Die Variation der Mikrostruktur einer Erzählung je nach Sprache wird sich eventuell in erster Linie bei der Anzahl der Token bemerkbar machen. Sprachen wie das Deutsche verfügen beispielsweise über ein Artikelsystem und die meisten Nomen treten mit einem Artikel auf. Folglich bringt das Auftreten eines Nomens in den meisten Fällen zwei Token hervor. In Sprachen wie Kurmancî, die über kein Artikelsystem verfügen, wird dagegen die Nutzung eines Nomens nicht zwei Token hervorbringen. Je mehr Token ein Satz beinhaltet, desto länger wird er auch, so dass auch die mittlere Länge kommunikativer Einheiten je nach Sprache bedeutend variieren wird. Diese einzelsprachlichen Variationen 89 6.2 Methodisches Vorgehen sind unabhängig von der Sprachkompetenz einer Person/ eines Kindes. Bei der Datenanalyse soll ihnen Rechnung getragen werden. C. Bilingualism - Code switching: Damit wird ermittelt, wie viele Token in der nicht zielsprach‐ lichen Sprache benutzt werden und welchem Prozentsatz das entspricht. Wenn beispielsweise ein Kind eine Geschichte in Kurmancî erzählt, werden die Token, die vom Deutschen übernommen werden, gezählt und deren Prozentzahl im Verhältnis zur total number of tokens without mazes errechnet. Mit diesen Parametern versucht die vorliegende Studie zu ermitteln, wie viel Text von den Kindern bei der Erzählung der Geschichten produziert wird und wie diese Menge auf der Wort- und Satzebene zuzuordnen ist. Es ist allerdings in der Spracherwerbsforschung umstritten, wie Codeswitching zu definieren ist. Daher folgt hier eine kurze Auseinandersetzung mit diesem Begriff. Entlehnte Elemente und Codeswitching Wenn eine Person einen Sachverhalt schildert oder eine Geschichte in einer Sprache erzählt, kann sie sich auch an Wörtern, Wortgruppen oder Sätzen anderer Sprachen bedienen. Falls jemand in einer bilingualen/ multilingualen Gesellschaft bilingual/ multilingual aufwächst, ist es wahrscheinlich, dass dies häufiger vorkommt (vgl. Cantone 2007: 56, Ruberg/ Rothweiler 2012: 34). Mit Riehl gesprochen ist es sogar „ein typisches Merkmal mehrsprachiger Sprecher.“ (Riehl 2014: 100, siehe auch Jeuk 2003: 33) Zu betonen ist jedoch, dass Entleh‐ nungen und Codeswitchings keineswegs auf eine niedrige Sprachkompetenz insgesamt oder in einer der Sprachen hinweisen (vgl. Gogolin 2010: 542). Ganz im Gegenteil: Sie deuten auf „einen hohen Beherrschungsgrad der Sprachen“ hin (Müller et al. 2015: 11). Das zeigt sich beispielsweise daran, dass bereits junge bilinguale Kinder einkalkulieren, ob Entlehnungen und Codeswitchings zu Kommunikationsschwierigkeiten führen werden, und sie dann nutzen, wenn die Kommunikationspartner*innen ebenso bilingual sind und die genutzten Entlehnungen und Codeswitchings verstehen (vgl. Jeuk 2003: 31, Kauschke 2012: 124, Montanari/ Panagiotopoulou 2019: 28 f., Tracy 2008: 118). Aber es soll eine Differenzierung vorgenommen werden, wann von einer Ent‐ lehnung oder einem Codeswitching die Rede ist. Denn bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass bei der Nutzung unterschiedliche Prozesse vor allem hinsichtlich der Grammatik wirksam sind (vgl. Riehl 2014: 105). In der folgenden Tabelle wird ausgehend von den Ausführungen von Poplack (2018) eine Differenzierung vorgenommen, die den unterschiedlichen Prozessen der Nutzung Rechnung trägt. 90 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder Ad-hoc-Entlehnung (Nonce borrowing) Codeswitching Besteht in der Regel aus einem Wort (S. 27). Bei der Entlehnung operiert morpholo‐ gisch und syntaktisch die Grammatik der Rezipienten-Sprache (recipient language) (S. 62). Besteht in der Regel aus mehreren Wör‐ tern (S. 7). Beim Codeswitching operiert morpholo‐ gisch und syntaktisch die Grammatik der Geber-Sprache (donor language) (S. 7). Abbildung 9: Unterscheidung von Ad-hoc-Entlehnungen und Codeswitchings Diese Unterscheidung wird helfen, die aus den anderen Sprachen übernom‐ menen Wörter, Wortgruppen und Sätze nicht pauschal als Codeswitchings zu betrachten, sondern einer differenzierten Analyse zu unterziehen. Dieser Differenzierung von Poplack (2018) liegen die Sprachdaten von Er‐ wachsenen zugrunde, die den Spracherwerbprozess abgeschlossen haben. Es ist insofern berechtigt zu fragen, ob sie auf die Sprachdaten von Kindern anwendbar ist, die noch im Prozess des Erwerbs sind. Die Antwort auf diese Frage ist positiv. Denn Kinder scheinen nicht anders als Erwachsene zu operieren, wenn sie Äußerungen aus einer anderen Sprache übernehmen (vgl. Montanari/ Panagiotopoulou 2019: 27). Dies gilt auch, wenn sie noch im Erwerbprozess sind, wie Cantone ausgehend von ihrer untersuchten jungen Gruppe festhält: „I argue in favor of analyzing young bilingual children’s (in the present study, age 1; 8 to 5 years) mixed utterances in the same way as adult language mixing.“ (Cantone 2007: 229, Herv. i. Orig.) Zusätzlich zu den vier Analyse-Parametern zur Mikrostruktur in MAIN wird sich die vorliegende Studie auch mit den in den Abschnitten 4.1.4 und 4.2 erläuterten grammatischen Merkmalen der sprachlichen Daten aus MAIN und LiSe-DaZ befassen. Adaptation von MAIN ins Kurmancî Bevor die vorliegende Studie überhaupt starten konnte, war es nötig, ein passendes Instrument zu finden, um damit die Sprachkompetenz der Kinder in Kurmancî zu elizitieren. Es waren zwar verschiedene Instrumente für die Elizitierung der Sprachkompetenz in Deutsch vorhanden, jedoch nicht für Kurmancî. Zu diesem Zweck wurden verschiedene Instrumente, vor allem die Bildergeschichte Frog, where are you? von Mayer (1969) und die von HAVAS 5 von Reich/ Roth (2004a, 2004b) in Erwägung gezogen. Letzteres wurde dann bei einigen Kindern der Studie für die Ermittlung der Sprachkompetenz in einer dritten Sprache und bei einem Kind auch in der vierten Sprache herangezogen. 91 6.2 Methodisches Vorgehen 43 Für die Adaptation von MAIN ins Kurmancî haben Salih Akın, Ercan Aras, Rojda Emine Yaşîk, Alan Dilpak, Ömer Delikaya, Hüseyin Kartal sowie Erzieher*innen und Eltern der Kita Pîya eine großartige Hilfe geleistet. An dieser Stelle möchte ich mich bei ihnen herzlich bedanken. Nach eingehenden Recherchen sowie Beratungen wurde entschieden, das Instrument MAIN ins Kurmancî zu adaptieren. Mit dem Instrument kann die Erzählkompetenz elizitiert und dadurch die allgemeine Kompetenz in der jeweiligen Sprache untersucht werden (Gagarina et al. 2012). Da das Instrument für das Deutsche bereits vorhanden war, konnte es somit nach der Adaptation ins Kurmancî für beide Sprachen angewendet werden. Die Adaptation von MAIN war unter verschiedenen Gesichtspunkten zweckmäßig. Allem voran ist es ein Instrument, das Analysemöglichkeiten auf der Ebene der Makro- und Mikrostruktur beinhaltet. Ebenso ist es von Bedeutung, dass MAIN auch für mehrsprachige Kinder konzipiert ist. Des Weiteren war MAIN bereits in mehrere Sprachen adaptiert und diente in diesen Sprachen zur Erhebung von sprachlichen Daten. Anhand der gesam‐ melten sprachlichen Daten wurden breitgefächerte Diskussionen im engeren Sinne zur Erzählkompetenz und im weiteren Sinne zur allgemeinen Sprachkom‐ petenz von bilingualen Kindern geführt. Die Adaptation von MAIN sollte dazu führen, dass auch Kurmancî ein Teil dieser Diskussionen wird. Für das Kurmancî hatte MAIN auch den Vorteil, dass es u. a. zwei Modalitäten der Nutzung, nämlich das Erzählen und das Nacherzählen, anbietet. Bei der Modalität des Erzählens wird dem Kind kein Input gegeben und somit auch keine Varietät des Kurmancî suggeriert - sei es auch die Standardvarietät. Das Kind kann die Geschichte ohne solche Beeinflussung erzählen. Doch auch die Modalität des Nacherzählens ist von Bedeutung. Denn diese Studie bezieht auch die Rolle der bilingualen kurmancî-deutschen Kita in die Analyse der Sprachkompetenz der untersuchten Kinder ein, in der für Kurmancî zuständige Erzieherinnen sich bei der Sprachvermittlung an der Standardvarietät des Kurmancî orientieren. Manche pädagogischen Aktivitäten lassen sich sogar nur unter Benutzung der Standardvarietät des Kurmancî gestalten, wie etwa das Vorlesen. Denn in der Regel wird in dieser Varietät geschrieben und entsprechend gibt es lediglich in dieser Varietät Kinderbücher. Die Modalität des Nacherzählens bietet hier die Möglichkeit, zu sehen, wie Kinder mit einem bestimmten Input in der Standardvarietät des Kurmancî umgehen. Die Adaptation von MAIN ins Kurmancî wurde von mir und von Frau Gagarina unternommen. 43 Dabei wurden die Richtlinien, die für die Adaptation vorgegeben sind, beachtet (siehe Gagarina et al. 2012: 65 f.). Nach der Adaptation kam das Instrument bei den Kindern der Kita Pîya am Standort Wedding zur 92 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 44 Das dem Wort pivdanok zugrunde liegende pivist evtl. eine Ableitung aus dem Wort pif, das als Blase ins Deutsche übersetzt werden kann. -danok müsste ein Derivationssuffix sein, das an das Wort herantritt. Anwendung (ab hier, falls nicht anders angemerkt, ist mit Kita Pîya der Standort Wedding gemeint). Bei der Adaptation war es eine Herausforderung, bestimmte Wörter adäquat ins Kurmancî zu übersetzen. Dies betraf zum einen diejenigen Wörter, bei denen die Standardvarietät des Kurmancî sich eher mit Neologismen behilft, die von Kurmancîsprecher*innen aber nicht gebraucht und eventuell auch nicht ohne weiteres verstanden werden. Dies betrifft beispielsweise das Wort „Bild“, das entsprechend der Standardvarietät als wêne zu übersetzen wäre. Die Spre‐ cher*innen benutzen dafür aber eher - je nach Region anders ausgesprochen - das Wort resm, das aus dem Arabischen entlehnt ist und auch in den weiteren Kontaktsprachen des Kurmancî (z. B. im Türkischen) gebraucht wird. Da die Kita das Wort wêne benutzte, wurde „Bild“ entsprechend übersetzt. Dennoch wurde bei der Durchführung von MAIN auch resm neben wêne als Synonym verwendet. Des Weiteren gab es Wörter, die in verschiedenen Regionen unterschiedlich benutzt werden. Dies betrifft z. B. das Wort „Schmetterling“, das in der Katze-Ge‐ schichte vorkommt, die dem Kind vorgelesen wird. Je nach Region waren dazu in Kurmancî perperik, pepûle und firfirok etc. bekannt. In Konsens mit den Erzieherinnen, die für Kurmancî zuständig sind, wurde letztendlich perperik ausgewählt. Interessanterweise haben Kinder in ihren Erzählungen noch zwei andere Wörter dafür benutzt, nämlich balantîk und qoq. Dem Ersteren kann in Wörterbüchern zum Kurmancî - mit unterschiedlichen Schreibweisen - be‐ gegnet werden, aber dem Letzteren zumindest in der Bedeutung ‚Schmetterling‘ nicht. Aber auch sonst haben einige Kinder z.T. Wörter wie pivdanok „Luftballon“ benutzt, die kaum bekannt sind. Entlehnungen aus den westlichen Sprachen wie balon für „Luftballon“ sind im Sprachgebrauch viel verbreiteter. Dabei kann pivdanok ein Derivationsmuster für eine/ einige Region/ en des Kurmancî sein, das der Kurdologie nicht sehr bekannt ist. 44 Auch in anderen Studien wird thematisiert, dass die Anwendung des Kur‐ mancî auf ähnliche Schwierigkeiten stößt. Skubsch (2002) berichtet beispiels‐ weise, dass die Arbeitsgruppe, die den Kurmancî-Unterricht in Bremen, der im Jahr 1993 begonnen hatte, begleitete, die Schreibung einiger Wörter zunächst diskutieren musste. Dazu gehört z. B. die Schreibung des Wortes „Ball“ als gog oder als gok (vgl. Skubsch 2002: 307). 93 6.2 Methodisches Vorgehen Durchführung, Transkription und Auswertung Ebenso wie die Adaptation erfolgte auch die Durchführung von MAIN nach seinen Richtlinien (siehe Gagarina et al. 2012: 61 f.), meist in der Kita in einem vom Gruppenraum getrennten Raum. Der Raum war ruhig und gut beleuchtet, so dass die Kinder sich auf die Erzählung konzentrieren konnten. Vereinzelt haben Durchführungen aus organisatorischen Gründen - beispielsweise wegen der Ferien - auch im Elternhaus stattgefunden, jedoch nur dann, wenn auch hier ein ruhiger und gut beleuchteter Raum zur Verfügung stand. Wenn das jeweilige Kind in den Raum kam, wurde es begrüßt und auf den Platz verwiesen, der für das Kind bestimmt war. Es hat ein kurzes, informelles Gespräch zwischen dem/ der Testleiter*in und dem Kind darüber stattgefunden, wie es dem Kind geht, was es heute in der Kita gemacht hat etc. Dieses Gespräch diente zur Aufwärmung. Danach hat der/ die Testleiter*in dem Kind erklärt, dass er/ sie heute mit ihm ein Spiel spielen werde, und es wurde gefragt, ob es mitspielen möchte. Beim ersten Messzeitpunkt wurde dem Kind auch gesagt, dass es mit einem Audio- und Videogerät aufgenommen werde. Der oder die Testleiter*in erklärte daraufhin dem Kind, dass er/ sie drei Umschläge mit jeweils verschiedenen Geschichten mitgebracht habe und es sich einen Umschlag aussuchen solle. In allen drei Umschlägen befand sich aber dieselbe Geschichte. Dem Kind wird aus zwei Gründen das Gefühl gegeben, dass es sich um verschiedene Geschichten handelt. Zum einen denkt das Kind, dass es seine Geschichte selbst ausgesucht habe, zum anderen vermittelt der/ die Testleiter*in während der gesamten Dauer der Erhebung den Eindruck, dass er/ sie nicht wisse, welche Geschichte mit welchem Inhalt das Kind aussuchen werde. Somit wird dem Effekt von „shared knowledge“ zwischen dem Kind und dem/ der Testleiter*in vorgebeugt (Gagarina et al. 2012: 61). Nach der Auswahl der Geschichte wurden dem Kind die insgesamt sechs Bilder paarweise gezeigt. Im Falle einer Nacherzählgeschichte wurde dem Kind nach dem Anschauen der Bilder der Text der Geschichte vorgelesen, und danach wurde es gebeten, die Geschichte nachzuerzählen. Zum Schluss wurden dem Kind die Verständnisfragen gestellt. Handelte es sich um eine Erzählgeschichte, war das Prozedere bis auf das Vorlesen dasselbe. Nachdem das Kind die Geschichte erzählt und die Verständnisfragen beantwortet hatte, wurde die Sitzung mit einer kleinen Belohnung für das Kind - Sticker oder Stempel - beendet. Pro MZP hat ein Kind vier Geschichten erzählt, jeweils zwei in Kurmancî und zwei in Deutsch. Je eine Geschichte pro Sprache war eine Nacherzähl- und eine andere eine Erzählgeschichte. Zwischen den Erzählungen in beiden Sprachen wurde etwa eine Woche Zeitabstand gelassen, „in order to minimise 94 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 45 Lediglich im ersten MZP konnte die Erhebung in der zweiten Sprache aufgrund organisatorischer Komplikationen nicht wie geplant nach einer Woche, sondern erst nach etwa drei Wochen durchgeführt werden. 46 Der Berliner Interdisziplinäre Verbund für Mehrsprachigkeit (BIVEM) hat eine Hand‐ reichung zu den Konventionen von CHAT vorbereitet. In dieser Handreichung sind die deutschen Übersetzungen der Konventionen und zum Teil ihre Vereinfachung zu finden. Aus diesen Gründen wurde bei der Transkription neben CHAT auch diese Handreichung herangezogen. 47 Diese sind: internal state terms als einleitendes Ereignis, Ziel, Versuch, Ergebnis und internal state terms als Reaktion zum Ergebnis (für detaillierte Informationen siehe oben zur Makrostruktur). cross-language influence as well as training and carry-over effects.“ (Vgl. Gagarina et al. 2012: 59) 45 Pro MZP haben die Kinder in der jeweiligen Sprache verschiedene Geschichten erzählt. Wenn ein Kind beispielsweise für das Deut‐ sche die Geschichte der Katze und der Babyvögel erzählt hat, erhielt es für Kurmancî die Geschichten des Hunds und der Babyziege. Im nächsten MZP wurden die Geschichten für die beiden Sprachen getauscht. Die Durchführung von MAIN hat mit einem Zeitabstand von etwa drei Monaten insgesamt dreimal stattgefunden. Für die Durchführung habe ich mich mit den Richtlinien vertraut gemacht und zusätzlich von Frau Gagarina eine kurze Unterweisung erhalten. Daraufhin wurden zwei Erzieherinnen und eine Kollegin, die sich zur Durchführung bereit erklärt hatten, von mir geschult. Die Anwendung wurde zur Einübung an Kindern erprobt, die nicht Teil der eigentlichen Studie waren. Die beiden Erzieherinnen haben auch beim ersten MZP die Durchführung bei den meisten Kindern übernommen. Aber da der Kita-Alltag stark ausgelastet war, konnten sie nicht flexibel agieren, wenn die Durchführung bei einem Kind beispielsweise krankheitsbedingt verschoben werden musste. Aus diesem Grund mussten ich und die andere Kollegin die Durchführung ab dem zweiten MZP vollständig übernehmen. Die Sitzungen mit den Kindern wurden mit dem Audiorecorder TASCAM DR-05 und dem Videorecorder SONY-HANDYCAM EXMOR-R aufgenommen und anschließend mit dem Programm CLAN und nach den Konventionen von CHAT  46 transkribiert, die von MacWhinney (2000) aufgestellt wurden. Die Auswertung von MAIN auf der Ebene der Makrostruktur erfolgte mittels eines Auswertungsbogens, den das Instrument zur Verfügung stellt. In diesem Auswertungsbogen sind hinsichtlich der Struktur der Geschichte bis zu 17 Punkte zu vergeben (vgl. Gagarina et al. 2012: 66). Diese Zahl setzt sich wie folgt zusammen: Pro Episode wird ein Punkt für das Vorhandensein der fünf Kom‐ ponenten der Struktur der Geschichte vergeben. 47 Da die MAIN-Geschichten 95 6.2 Methodisches Vorgehen aus drei Episoden bestehen, können daher für das Vorhandensein der besagten Komponenten bis zu 15 Punkte vergeben werden. Zusätzlich kann jeweils ein Punkt für die Nennung des Ortes und der Zeit am Anfang der Erzählung vergeben werden. Hinsichtlich der Komplexität der Geschichte wird auf der einen Seite das gemeinsame Vorhandensein von Versuch (V) und Ergebnis (E) ausgewertet und auf der anderen Seite die Nennung des Ziels (Z) allein, mit Versuch oder Ergebnis und die Kombination von Ziel, Versuch und Ergebnis. Dazu gibt es eine Auswertungstabelle, die wie folgt aussieht: Anzahl von VE Sequenzen Anzahl von einzelnen Z Anzahl von ZV/ ZE Sequenzen Anzahl von ZVE Sequenzen B1. B2. B3. B4. Abbildung 10: Auswertungstabelle zur Komplexität der Geschichte (Gagarina et al. 2012: 112) In Bezug auf internal state terms wird dahingehend ausgewertet, dass die betreffenden Token zusammengezählt und eingetragen werden. Zuletzt wird auf der Ebene der Makrostruktur auch das Verständnis der Geschichte mittels zehn Verständnisfragen überprüft. Für die Auswertung der Ebene der Mikrostruktur ist kein Auswertungsbogen in MAIN vorhanden. Dennoch wird auf einige Parameter hingewiesen, mit denen die Erzählungen einer Analyse auf dieser Ebene unterzogen werden können. Vier dieser Parameter werden in der vorliegenden Studie aufgegriffen, um die Erzählungen der Studienkinder auf der Ebene der Mikrostruktur auszu‐ werten (siehe oben zur Mikrostruktur). Hinweise zur Auswertung der MAIN-Daten Bevor die Ergebnisse der Studienkinder durch MAIN in Kapitel 7 einzeln dargestellt werden, sollen an dieser Stelle einige Hinweise zur Auswertung der Daten erfolgen. Im Falle von einfachen Wiederholungen und Verbesserungen (Retracings) wurden die darin enthaltenen internal state terms als Token nur einmal gerechnet, wie im folgenden Beispiel bei wollte: <Und sie wollte da> [/ / ] und [? ] er wollte das essen. 96 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 48 In der Forschung zum Kurmancî wird diskutiert, ob das zweite Element bei diesen Adposi‐ tionen „ra“ oder „re“ ist (vgl. Chyet 2019: 108, Matras 1989: 56f.). Die reformulierten Token wurden hingegen berechnet. Denn hier wurden die Token nicht wiederholt, wie aus dem folgenden Beispiel mit sah hervorgeht: Danach sah [/ / / ] hattet der Junge die Luftballon losgelassen. In manchen Geschichten wurden einige Verständnisfragen nicht komplett oder nicht richtig gestellt. Während im ersten MZP sieben Fragen nicht gestellt worden sind, waren es im zweiten MZP fünf Fragen und im dritten MZP eine Frage. Insgesamt handelt es sich also um dreizehn aus 610 Fragen. Bei sechs dieser Fragen handelte es sich um ein Versehen, während drei Fragen zum falschen Bild gestellt worden waren. Bei einer Frage ging es darum, dass die Testleiterin eine Antwort nicht richtig bewertet hat, um darauf stützend die anschließende Frage zu stellen. Bei drei Fragen gab es zudem einen (und zwar immer denselben) Überset‐ zungsfehler: Zur Geschichte der Babyziegen wurde in der ersten Frage gefragt: „Warum war die Ziegenmutter im Wasser? “ Dabei wurde „Ziegenmutter“ ins Kurmancî lediglich als bizin „Ziege“ übersetzt. Während der Erhebungen im zweiten MZP hat sich gezeigt, dass Studienkinder dieses Wort nicht als Ziege, sondern eher als karik „Ziegenkind“ verstehen. Obwohl bizin und karik ver‐ schiedene Lexeme in Kurmancî sind, können Kinder sie anscheinend in ihrem jungen Alter nicht adäquat unterscheiden. Daher reichte es bei der Übersetzung nicht aus, den Text in Kurmancî wiederzugeben, sondern er hätte darüber hinaus der Kindersprache gerecht werden müssen. Ziegenmutter hätte demnach als diya karikan „Mutter der Ziegenkinder“ übersetzt werden müssen. Aus den genannten Gründen sind diese dreizehn Fragen von der Auswertung ausgenommen. Wenn die Studienkinder mit Kindern anderer Studien in Bezug auf die Verständnisfragen verglichen werden sollten, wird dies auf der Grundlage des dritten MZPs erfolgen, bei dem nur eine Frage nicht gestellt worden ist. Bei der Zählung von total number of types and tokens without mazes wurden in Deutsch die trennbaren Verben wie anschauen, auffressen, aufessen als ein Typ und ein Token berechnet. Ähnlich wurden auch die Adpositionen dû re und pê(y) re  48 „dann, danach“ des Kurmancî als ein Typ und ein Token berechnet, die überwiegend getrennt geschrieben werden. Denn sie stellen bezüglich der Bedeutung eine Einheit dar. Damit wurde auch der Benachteiligung eines Kindes vorgebeugt, das anstelle von dû re und pê(y) re paşê mit derselben Bedeutung und Funktion benutzt. Denn anders als dû re und pê(y) re wird paşê immer zusammengeschrieben. 97 6.2 Methodisches Vorgehen Die Leichtverbkonstruktionen des Kurmancî wie gez kirin „Beißen machen“, alîkarî kirin „Hilfe machen“ wurden dagegen als zwei Typen und zwei Token be‐ rechnet. Ein Grund dafür liegt darin, dass in der Konstruktion zwei Bedeutungen zusammenkommen. Des Weiteren stellt diese Konstruktion eine der Stellen dar, wo häufig eine Entlehnung aus dem Deutschen stattgefunden hat, z. B. retten kirin „Retten machen“, klettern kirin „Klettern machen“. Diese Konstruktionen nur als ein Typ und ein Token zu berechnen, hätte zur Folge, entweder das deutsche oder das Kurmancî-Wort zu ignorieren. In der Berechnung von Codeswitchings, und damit sind auch Ad-hoc-Ent‐ lehnungen gemeint, wurden neben Wiederholungen und Verbesserungen auch reformulierte Wörter - Letzteres kam nur einmal vor - nicht berücksichtigt. Zu begründen ist diese Herangehensweise damit, dass der Prozentrang des Codes‐ witchings ebenfalls ohne Reformulierungen ermittelt wird. In einer Erzählung in Kurmancî hat ein Kind bei einem Wort das Zahlwort des Kurmancî yek „eins“ und das deutsche Wort mal als yekmal in der Bedeutung von einmal verbunden. Da bei dem Wort zwei Sprachen operieren, wurde es als Teil-Codeswitching betrachtet und der übernommene Teil des Wortes mal als ein Codeswitching berechnet. So wurde im Übrigen auch mit Entlehnungen der Infinitive des Deutschen in die Leichtverbkonstruktionen des Kurmancî verfahren. Schwierig war auch die Bewertung von balonê „Ballon“, das in einer deutsch erzählten Geschichte viermal benutzt wurde. Denn balon in Kurmancî und Ballon in Deutsch sind identische Wörter mit leichtem Unterschied der Aussprache. Aber aufgrund der Tatsache, dass das Wort mit dem Obliquussuffix -ê des Kurmancî genutzt wurde und seine Aussprache eher dem Kurmancî zuzuordnen war, wurde es als ein Codeswitching berechnet. Zum Schluss ist zu erwähnen, dass nur Äußerungen gerechnet wurden, die sich auf den Inhalt der Geschichten beziehen. Wenn ein Kind von der Erzählung der Bildergeschichte abwich und von einem anderen Ereignis oder Erlebnis berichtete, wurden diese Passagen bei der Berechnung nicht berücksichtigt. Addiert wurden auch nicht Äußerungen wie nein, nicht, gar nicht, fertig, die als Antwort auf Fragen wie diese gegeben wurden: „Möchtest du noch was zu der Geschichte sagen? “ Wurde allerdings fertig am Ende der Geschichte gesagt, wurde dies als Abrundung der Erzählung einmalig berechnet. 6.2.2.2 Linguistische Sprachstandserhebung - Deutsch als Zweitsprache (LiSe-DaZ) Das Sprachstandsinstrument LiSe-DaZ, das von Schulz/ Tracy (2011) entwickelt wurde, ist - anders als MAIN und HAVAS 5 - ein normiertes Verfahren. Somit ist bei der Anwendung von LiSe-DaZ die Möglichkeit gegeben, die ermittelten 98 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder Daten eines Kindes zum Erwerb des Deutschen in Werte zu verwandeln. Anhand dieser Werte kann in Bezug auf die verschiedenen Erwerbsbereiche der Sprache ermittelt werden, wie sich ein Kind sprachlich entwickelt. LiSe-DaZ ist nur für das Deutsche entwickelt worden, hat aber im Gegen‐ satz zu den vergleichbaren Verfahren normierte Werte für den Erwerb des Deutschen nicht nur als Erstsprache, sondern auch als Zweitsprache erarbeitet (vgl. Jeuk 2018: 29). Dabei wird beim Erwerb des Deutschen nicht nur das Alter als Indikator für die Ermittlung der Werte berücksichtigt, sondern auch die Kontaktdauer mit dieser Sprache (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 58, 122 ff.). Aus diesem Grund wurde für die vorliegende Studie zugunsten der Anwendung dieses Instruments entschieden, um die Normwerte der Studienkinder in Deutsch zu ermitteln. Überprüft werden mit LiSe-DaZ in zwei Modulen die folgenden Bereiche der Sprache: Modul Sprachproduktion: ● Untertest SK - Satzklammer ● Untertest SVK - Subjekt-Verb-Kongruenz ● Untertest WK - Wortklassen ● Untertest KAS - Kasus Modul Sprachverständnis: ● Untertest VB - Verstehen der Verbbedeutung ● Untertest WF - Verstehen von W-Fragen ● Untertest NEG - Verstehen von Negation (Schulz/ Tracy 2011: 32) Wie aus der Darstellung hervorgeht, wird mit LiSe-DaZ auf verschiedenen Ebenen das Sprachverständnis des Kindes überprüft, während der Test in Bezug auf die Sprachproduktion die morphologische und syntaktische Kompetenz hervorhebt. Im Folgenden werden diese Untertests auf der Grundlage der An‐ leitung von LiSe-DaZ kurz erläutert. Auch die Reihenfolge der Thematisierung in der Anleitung - erst die Sprachproduktion, dann das Sprachverständnis - wird beibehalten. Die Stellung des Verbs und die damit einhergehende Entwicklung der Satz‐ klammerstruktur werden in LiSe-DaZ als ein wichtiger Indikator betrachtet, um die Spracherwerbentwicklung in Deutsch zu dokumentieren. Im Konkreten: „[…] bestimmte Eigenschaften gehören für alle SprecherInnen zum Kernbereich der deutschen Grammatik, wie etwa die Verbstellung. Die Platzierung des Verbs ist daher ein gutes Kriterium, um Lernfortschritte festzustellen.“ (Schulz/ Tracy 2011: 25) Ausgehend von der Stellung des Verbs unter Miteinbezug seiner 99 6.2 Methodisches Vorgehen Konjugation werden für das Deutsche Entwicklungsstufen für die Beherrschung der Satzklammer definiert. Satzklammer- Vorfeld LINKS Mittelfeld RECHTS Nachfeld Tür auf ESS-II Mama auch Bus fahren Jetzt geh ich hoch. ESS-III (Hauptsatz) Mama hat (den) Hund gefüttert. Konjunktion wenn (die) Mama den Hund füttert im Park. ESS-IV (Nebensatz) Abbildung 11: Entwicklungsstufen Satzklammer nach Schulz/ Tracy (Schulz/ Tracy 2011: 33) Aus Abbildung 11 geht hervor, dass das Verb oder die Verbpartikel in der zweiten Entwicklungsstufe in der rechten Satzklammer steht. Falls es ein Vollverb ist, wird es nicht konjugiert, sondern steht in der Infinitivform. Die Konjugation und damit einhergehend die Finitheit des Verbs kommt in der dritten Entwicklungs‐ stufe zustande, in der das Verb von der rechten Klammer zur linken Klammer verschoben wird, wobei die Konjugation nicht unbedingt fehlerfrei sein muss, aber die Finitheit gegeben ist. In der vierten Entwicklungsstufe wird das Verb wiederum zu der rechten Klammer verschoben. In diesem Fall muss aber das Verb das Prädikat eines Nebensatzes sein, der mit einem entsprechenden Element - hier einer Konjunktion - eingeleitet wird. In der Abbildung ist in der Zeile der vierten Entwicklungsstufe eine Spalte für das Nachfeld eingeführt (im Park). Das Nachfeld definiert hier Elemente, die nach der rechten Klammer vorkommen. Solche Elemente können auch in den früheren Entwicklungsstufen auftreten. Schulz/ Tracy (2011) nehmen die erste Entwicklungsstufe nicht in ihre Tabelle auf, da es sich dabei um die Produktion von einzelnen verbalen Elementen handele, deren Zuordnung zur rechten oder linken Klammer nicht möglich sei. Dennoch definieren sie die Produktion dieser Elemente als Entwicklungsstufe Satzklammer I, weil sie letztendlich verbale Elemente sind und somit den Ausgangspunkt für die Entwicklung der Satzstrukturen darstellen (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 34). Mit dem fortschreitenden Alter sowie längerem Kontakt zum Deutschen wird von einem Kind erwartet, dass es beginnend mit der ersten Entwicklungsstufe 100 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder sich bis in die vierte Entwicklungsstufe hineinarbeitet, so dass es am Ende sowohl die Struktur eines Hauptals auch eines Nebensatzes erwirbt. In diesem Zusammenhang wird in LiSe-DaZ angemerkt, dass Kinder mit Deutsch als Erstsprache (DaM) zwischen zweieinhalb und drei Jahren Nebensätze benutzen. Bei Kindern mit Deutsch als Zweitsprache (DaZ) kommen Nebensätze zum Teil vor Ende des ersten Kontaktjahres vor, treten aber meistens im zweiten Kontaktjahr auf (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 34). In LiSe-DaZ wird die Subjekt-Verb-Kongruenz ermittelt, wenn das Kind hinsichtlich der Satzklammerstruktur die Entwicklungsstufe III erreicht hat, was bedeutet, dass das Kind das Verb in der linken Klammer in der finiten Form benutzt. Das ist insofern sinnvoll, als in den ersten beiden Entwicklungsstufen das Verb in der infiniten Form steht, falls überhaupt eins vorhanden ist. Kinder mit DaM können etwa mit zweieinhalb Jahren und Kinder mit DaZ etwa nach einem Jahr Kontakt Sätze mit richtiger Subjekt-Verb-Kongruenz anwenden (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 35). In LiSe-DaZ wird der Wortschatzerwerb als Gesamtheit nicht überprüft, wohl aber der von bestimmten Wortklassen. Diese sind: Vollverben, Modal- und Hilfs‐ verben, Fokuspartikeln, Präpositionen und Konjunktionen. Die Überprüfung dieser Wortklassen wird damit begründet, dass sie für den Strukturaufbau des Satzes in Deutsch von zentraler Bedeutung seien (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 35). Hinsichtlich des Kasus wird angemerkt, dass auch die Unterscheidung der Ka‐ susformen für den Satzaufbau in Deutsch von großer Relevanz sei. Dabei werde zunächst die Unterscheidung zwischen dem Nominativ und dem Akkusativ und anschließend diejenige zwischen dem Akkusativ und dem Dativ erworben. Dies gelte sowohl für Kinder mit DaM als auch für Kinder mit DaZ (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 36). Hinsichtlich des Sprachverständnisses wird das Verstehen der Verbbedeutung insofern hervorgehoben, als dieses für die Herstellung der syntaktischen und semantischen Beziehungen innerhalb des Satzes eine bedeutende Rolle spielt. Dabei wird die Bedeutung des Verbs unterteilt in drei Klassen elizitiert. Die erste Klasse bezieht sich auf Verben, die Zustände - wie gesund sein - beschreiben. Die zweite Klasse bezieht sich auf Verben, die Ereignisse - wie malen - wiedergeben, während die dritte Klasse sich auf Verben bezieht, die - wie finden - endzustandsorientiert sind (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 37). Für das Verständnis von W-Fragen wird in der Begründung von LiSe-DaZ ihre kommunikative Funktion betont. Die W-Fragen werden nach dem Subjekt, dem Objekt und dem Adjunkt gestellt und entsprechend mit unterschiedlichen Fragepronomina (wer, was) oder Adverbien (wann, wo) eingeleitet (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 38). 101 6.2 Methodisches Vorgehen Schließlich wird in LiSe-DaZ auch das Verstehen von Negation überprüft. Dies geschieht zum einen durch negierte, aber inhaltlich richtige Sätze und zum anderen durch negierte und auch inhaltlich falsche Sätze. Im ersten Fall wird von dem Kind erwartet, dass es der Aussage widerspricht, und im zweiten Fall, dass es sie bestätigt (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 39). Durchführung und Auswertung von LiSe-DaZ Von den angewendeten Instrumenten war LiSe-DaZ, was die Durchführung betrifft, das Anspruchsvollste. Dies liegt zum einen daran, dass die verschie‐ denen Ebenen der Sprache überprüft werden und eine einzelne Erhebung selbst bei konzentrierten und sprachlich fortgeschrittenen Kindern etwa 30 Minuten dauert. Daher musste bei einigen Kindern die Durchführung in zwei Teilen und manchmal an unterschiedlichen Tagen stattfinden. Der/ die Testleiter*in muss im Gegensatz zu den anderen angewendeten Instrumenten viel mehr mit dem Kind in Interaktion sein und bei einigen Untertest auch die Handpuppe - genannt Fine - miteinbeziehen. Zum anderen ist der Instruktion genauestens zu folgen, denn die Ergebnisse der Kinder werden nach den Normwerten ausgewertet. LiSe-DaZ kann nicht ohne eine vorhergehende Schulung durchgeführt und ausgewertet werden. Die durchführende Kollegin und ich haben eine intensive Ausbildung von zweieinhalb Tagen in Anspruch genommen. Ich als Auswerter habe zusätzlich an einem eintägigen Feedbacktreffen teilgenommen. Dennoch mussten einige problematische Fälle mit der Ausbilderin im Nachhinein geklärt werden. Es musste beispielsweise entschieden werden, ob es sich bei essen gehen um ein oder zwei Vollverben handelt. Die Erhebung mit LiSe-DaZ hat insgesamt zweimal mit einem Zeitabstand von etwa fünf Monaten stattgefunden. Die Erhebung hat in der Kita in dem Raum stattgefunden, in dem auch MAIN stattfand. Vereinzelt hat sie wiederum aus organisatorischen Gründen auch im Elternhaus stattgefunden. Die Sitzungen wurden ebenso wie bei MAIN mit dem Audiorecorder TASCAM DR-05 und dem Videorecorder SONY-HANDYCAM EXMOR-R aufgenommen. Bei LiSe-DaZ wird die Erhebung nicht separat transkribiert, sondern die Daten werden direkt in den Auswertungsbogen eingetragen. Der Auswertungs‐ bogen ist entsprechend der Untertests gegliedert. Die aus den sprachlichen Daten gewonnenen Ergebnisse werden als Rohwerte in den Auswertungsbogen eingetragen, welche dann im nächsten Schritt anhand der Normwerte in die T-Werte sowie Prozentränge verwandelt werden. Dadurch kann ermittelt werden, wie sich ein Kind im Verhältnis zur Vergleichsgruppe sprachlich entwickelt. 102 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 49 https: / / deutsch-fuer-den-schulstart.de/ 6.2.2.3 Hamburger Verfahren zur Analyse des Sprachstands bei Fünfjährigen (HAVAS 5) und Lexikonabfrage HAVAS 5 wurde herangezogen, um die Sprachkompetenz der Studienkinder in der dritten und vierten Sprache zu ermitteln. Bei HAVAS 5 handelt es sich ebenfalls um eine Bildergeschichte und es ist ein im deutschen Sprachraum bewährtes und weithin genutztes Instrument, um die Erzählfähigkeit von Kindern und darüber hinaus ihre sprachliche Kompetenz zu ermitteln (vgl. Skerra/ Adani/ Gagarina 2013: 128). Die Geschichte von HAVAS 5 besteht aus sechs Bildern, die auf der Vorder- und Rückseite eines DIN-A4-Blattes abgebildet sind. Das Instrument ist für die Altersgruppe der Fünf- und Sechsjährigen konzipiert (vgl. Reich/ Roth 2007: 73). In dieser Altersgruppe lagen auch die Studienkinder, bei denen HAVAS 5 angewendet wurde. Der Grund, warum die MAIN-Geschichten nicht auch für die dritte und vierte Sprache benutzt wurden, liegt darin, dass sie für die Ermittlung der Kompetenz in den ersten beiden Sprachen - Kurmancî und Deutsch - für drei Durchgänge eingeplant waren. Die MAIN-Geschichten für die dritte und vierte Sprache zu nutzen, hätte zum einen zu Transfereffekten, zum anderen aufgrund der Bekanntheit zum Verlust des Interesses an den Geschichten seitens der Kinder führen können. Wenn die Studienkinder in der Lage wären, die HAVAS-5-Geschichte zu erzählen, wäre es möglich gewesen, hinsichtlich der Kompetenzen in den ersten beiden Sprachen durch MAIN-Geschichten und in den weiteren Sprachen durch HAVAS 5 Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede festzuhalten, wenn auch beide Instrumente unterschiedlichen Konzeptionen unterliegen. Da jedoch aus dem Elternfragebogen die Erkenntnis abgeleitet wurde, dass die Studienkinder eine geringe Kompetenz in der dritten und vierten Sprache hatten, war voraus‐ zusehen, dass vermutlich nicht alle in der Lage sein würden, in dieser jeweiligen Sprache eine Geschichte zu erzählen. Im Umkehrschluss bedeutete dies, dass ein zusätzliches Elizitierungsverfahren HAVAS 5 vorauszugehen hatte, das auch eine niedrige Kompetenz erfassen kann. In diesem Zusammenhang wurde angelehnt an LiSe-DaZ und anhand des Bildmaterials, das im Rahmen des Projekts „Deutsch für den Schulstart“ 49 an der Universität Heidelberg entwickelt wurde, eine kleine Lexikonabfrage zusammengestellt. Die Lexikonabfrage bezog sich auf Nomen wie Vogel, Frosch, Luftballon etc. Nomen wurden als Grundlage für die Lexikonabfrage ausgesucht, weil Kinder eine mit Nomen verbundene Lexikonabfrage genauer zu lösen scheinen als eine Abfrage nach einer anderen Wortklasse, wie z. B. Verben: „It is 103 6.2 Methodisches Vorgehen also expected that the accuracy scores on the noun tasks will exceed the scores on the verb tasks.“ (Haman/ Łuniewska/ Pomiechowska 2015: 222) Die meisten ausgesuchten Nomen kommen auch in vergleichbaren Lexikonabfragen, bei‐ spielsweise in der Liste von „cross-linguistic lexical tasks“ vor. Diese Liste ist ferner von den zitierten Autor*innen vorbereitet und in mehreren Sprachen verfügbar. Durchführung, Transkription und Auswertung Durch den Elternfragebogen wurde ermittelt, dass eine mögliche Sprachkom‐ petenz in einer dritten Sprache bei fünf von insgesamt sechs Studienkindern vorlag. Bei vier dieser Kinder war dies in Arabisch und bei einem weiteren Kind in Französisch. Nur bei dem Kind mit einer möglichen Kompetenz in Französisch bestand auch eine mögliche Kompetenz in der vierten Sprache Türkisch. Die Kompetenz dieser Kinder in diesen weiteren Sprachen sollte ergänzend ermittelt werden. Zu diesem Zweck war es in erster Linie nötig, kompetente Sprecher*innen in diesen Sprachen als geeignete Testleiter*innen zu finden. Für das Arabische sollte der/ die Testleiter*in auch möglichst die Varietät/ en kennen, zu der/ denen die Kinder Zugang hatten. Da die Kinder mit möglicher Arabischkompetenz aus Rojava (Nordsyrien) und Şengal (Nordirak) kamen, musste der/ die Testleiter*in entsprechend die Varietät/ en dieser beiden Regionen kennen. In der Kita hat sich ein Elternteil finden lassen, der dieses Kriterium erfüllte. Für das Französische hat die Mutter des Studienkindes sich bereit erklärt, HAVAS 5 und die Lexi‐ konabfrage durchzuführen. Für das Türkische konnte eine Kollegin außerhalb der Kita gewonnen werden. Alle an der Durchführung beteiligten Personen haben eine kurze Schulung von mir erhalten und haben vor der eigentlichen Durchführung einen Probedurchlauf absolviert. Die Erhebung der dritten und vierten Sprache fand einmalig in der Räum‐ lichkeit der Kita statt, in der auch MAIN und LiSe-DaZ durchgeführt wurden. Falls das Kind und der/ die Testleiter*in sich nicht kannten, wurden sie als Erstes durch mich einander vorgestellt. Anschließend habe ich dem Kind erklärt, dass der/ die Testleiter*in mit ihm ein Spiel in der jeweiligen Sprache spielen wird. Dabei wurde das Kind auch motiviert mitzumachen. Es wurde beispielsweise gesagt, dass ich erfahren habe, wie toll es eine dritte oder vierte Sprache spreche. Im Anschluss wurde das Wort dem/ der Testleiter*in übergeben. Der/ die Testleiter*in hat zunächst versucht, in der jeweiligen Sprache ein kurzes Aufwärmgespräch mit dem Kind über sein Befinden und den Kita- Alltag zu führen. Vom Aufwärmgespräch bis zum Ende der Testung wurde die gesamte Sitzung in der jeweiligen Sprache durchgeführt. Dies diente einerseits 104 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder dazu, möglichst eine monolinguale Atmosphäre während der Erhebung in der jeweiligen Sprache - „in order to promote a monolingual context“ - herzustellen (Gagarina et al. 2012: 59). Andererseits sollte dadurch die Kommunikation in der jeweiligen Sprache während der Erhebung begünstigt werden, um möglichst viele Informationen darüber zu erhalten, inwieweit das Kind die jeweilige Sprache rezeptiv und produktiv beherrscht. Bei der Lexikonabfrage gab es pro Abbildung eine und insgesamt zwölf Lexikonabfragen. Dem Kind wurden die Objekte, die auf den Bildern abgebildet sind, einzeln gezeigt und für sechs Bilder das richtige und für die anderen sechs Bilder das falsche Wort dazu gesagt. Das Kind sollte bestätigen, wenn das Wort zutraf oder widersprechen, wenn dies nicht der Fall war. Mit dieser Herangehensweise sollte das Sprachverständnis des Kindes überprüft werden. Aus diesem Grund wurden im Sinne von LiSe-DaZ auch falsche Wörter gesagt, damit im Falle des Nickens bei zwölf Fragen nicht von einem vollkommenen Verständnis ausgegangen wird. Falls das Kind einem falschen Wort widerspro‐ chen hat, wurde es gefragt, ob es das richtige Wort dazu sagen könne. Somit sollte die Sprachproduktion von einfachen Wörtern zu der eigentlichen Sprach‐ produktion durch die Erzählung der HAVAS-5-Geschichte übergeleitet werden. Bei der Durchführung von HAVAS 5 wurde dem Kind die Bildergeschichte vorgelegt und es wurde darum gebeten, die Geschichte zu erzählen. Die Sitzung zu der dritten und vierten Sprache wurde wie bei MAIN und LiSe-DaZ mit dem Audiorecorder TASCAM DR-05 und dem Videorecorder SONY-HANDYCAM EXMOR-R aufgenommen und anschließend mit dem Pro‐ gramm CLAN transkribiert. Für HAVAS 5 werden Aspekte genannt, anhand derer die Auswertung er‐ folgen kann (vgl. Reich/ Roth 2004a, 2004b). Da aber die sprachliche Kompetenz der Kinder nicht ausreichend war, um die Geschichte zu erzählen, konnten diese Aspekte auch nicht in die Auswertung einbezogen werden (siehe den Abschnitt 7.2). Die Lexikonabfrage diente hauptsächlich dazu, einen Eindruck zu bekommen, ob die jeweiligen Kinder die dritte oder vierte Sprache in elementarer Weise verstehen. Entsprechend hat sie keine festgelegten Aspekte zur Auswertung. 105 6.2 Methodisches Vorgehen 6.3 Studienkinder: Falldarstellungen Zozan und Roza Zozan und Roza sind Zwillingsschwestern und teilen daher den familiär-bio‐ grafischen Hintergrund. Dies betrifft vor allem ihre sprachliche Erziehung innerhalb der Familie und die Bedingungen ihres Spracherwerbs. Geboren wurden die Zwillingsschwestern vor dem Bürgerkrieg in Kobanî/ Rojava in Nordsyrien am 23. Oktober 2010. Sie wuchsen dort in einem kurmancîspra‐ chigen Umfeld auf. Zum einen sprachen ihre Eltern mit ihnen Kurmancî und zum anderen war auch innerhalb der Nachbarschaft und Verwandtschaft Kurmancî die dominierende Sprache. Einen kurzzeitigen systematischen Kontakt zum Arabischen hatten die Kinder auch, weil sie im Alter von etwa dreieinhalb Jahren für drei Monate einen arabischsprachigen Kindergarten besuchten. Im April 2015 sind die Eltern mit den beiden Kindern als Geflüchtete in Deutschland angekommen. Zu diesem Zeitpunkt waren die Kinder vier Jahre und fünf Monate alt. Nach etwa fünf Monaten, im September 2015, sind die Zwillinge in die Kita Pîya gekommen und hatten fortan ihren ersten systema‐ tischen Kontakt mit dem Deutschen. Zu Beginn der Datenerhebung waren die Zwillingsschwestern etwa seit siebzehn Monaten in der Kita Pîya. Die Schwestern wuchsen auch in Deutschland weiterhin in einem Haus‐ halt auf, in dem Kurmancî die dominierende Sprache war. Die Eltern erklärten, dass sie mit ihren Kindern fast ausschließlich in Kurmancî kommunizierten. Lediglich die Mutter sprach sporadisch innerhalb ihres Kurmancî einzelne Wörter auf Arabisch zu ihren Kindern. Beispielsweise: Dieser Gegenstand heißt in Kurmancî X und in Arabisch Y. Zu Beginn der Erhebungen hatten Zozan und Roza allerdings die deutsche Sprache so weit erworben, dass sie nach Angaben der Eltern sowie des Personals der Kita sowohl zu Hause als auch in der Kita untereinander mehrheitlich auf Deutsch kommunizierten. Mit den Eltern war ihre Kommunikationssprache jedoch weiterhin Kurmancî. Was den Bildungsstatus der Familie anbelangt, so ist anzumerken, dass die Mutter in Syrien die Schule bis zur neunten Klasse und der Vater bis zur sechsten Klasse besucht hat. Nach dem Maßstab von ISCED 2011 (International Standard Classification of Education) der UNESCO kommt die Mutter mit ihrer 106 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 50 Nach dem Maßstab von ISCED werden Stufen von null bis neun unterschieden. Bei der nullten Stufe handelt es sich um eine elementare Bildung vor dem Schulbeginn mit nicht konkreter Zeitdauer. Die neunte Stufe wird als „not elsewhere classified“ definiert (vgl. UNESCO Institute for Statistics 2012: 21). Die Stufe acht entspricht einem Promotionsstudium. Die Tabelle von ISCED zu Bildungsstufen ist im Anhang wiedergegeben. neunjährigen Schulbildung auf Stufe zwei. 50 Diese Stufe ist als „lower secondary education“ definiert. Der Vater kommt mit seiner sechsjährigen Schulbildung dagegen auf Stufe eins, was in der Auflistung der „primary education“ entspricht (vgl. UNESCO Institute for Statistics 2012: 21). Der sozioökonomische Status der Eltern von Zozan und Roza sowie von Azad und Welat war vergleichbar. Um Wiederholungen zu vermeiden, wird der sozioökonomische Status der Eltern dieser vier Kinder deshalb hier kurz zusammen dargestellt. Im Wesentlichen war das Leben dieser Familien geprägt von dem Umstand, dass sie erst kürzlich geflüchtet waren. In erster Linie waren sie damit beschäftigt, den Umständen und Anforderungen des Lebens in dem neuen Land gerecht zu werden und für ihr neues Leben Infrastrukturen zu schaffen, wie es bei den geflüchteten Menschen oder im weiteren Sinne allgemein bei neu migrierten Menschen der Fall ist (vgl. Panke 2019: 9). Zum einen versuchten die Eltern, ihre Kinder in Bildungseinrichtungen, sei es Kita oder Schule, unterzubringen. Zum anderen bemühten sie sich, in Integrations‐ kursen die deutsche Sprache mit lateinischer Schrift zu erlernen. Die Eltern von Zozan, Roza und Azad wohnten in kleinen Wohnungen und suchten daher nach Möglichkeiten, in eine größere Wohnung umzuziehen. Die Eltern von Welat lebten dagegen noch in einer Flüchtlingsunterkunft. Daher waren sie viel stärker bemüht, für ihre Familie eine geeignete Wohnung zu finden. Zum Schluss ist noch zu erwähnen, dass die Eltern dieser Kinder bereits ihre Asylanerkennung hatten und keine Abschiebung befürchten mussten. Damit einhergehend hatten sie eine „relativ sichere Bleibeperspektive“ (Kattwinkel/ Petzi/ Wein 2019: 240) und die Möglichkeit, langfristige Planungen zu machen. Sie gingen jedoch aufgrund der dargestellten Umstände noch keiner geregelten Beschäftigung nach und bezogen soziale Leistungen. Die Schulsprache der Eltern von Zozan und Roza in Syrien war Arabisch gewesen und entsprechend wurden sie arabisch alphabetisiert und hatten das Lesen sowie Schreiben in dieser Sprache gelernt. Doch der Vater sagte, dass er beim Lesen und Schreiben Defizite aufweise. In Kurmancî hingegen haben die Eltern keinerlei Schulbildung erfahren. Aus diesem Grund gaben sie an, in Kurmancî über keine Lese- und Schriftkompetenz zu verfügen. 107 6.3 Studienkinder: Falldarstellungen 51 Damit ist die Kurmancî-Varietät gemeint, die die Familie spricht. 52 „Em dixwazin ku zimanê xwe Kurdî ji bîr nekin em sirf bi wan re didin distînin. (…) Almanî jî zatî t(d)erine Kîta.“ 53 Die Informationen zum Kind sowie zum Vater wurden dem Fragebogen der Mutter entnommen. Zu Zozan und Roza bemerkten die Eltern, dass sie sich sowohl physisch als auch kognitiv gut entwickelten. Die Mutter erzählte, dass die Zwillingsschwes‐ tern mit neun Monaten ihre ersten Wörter gesprochen haben. Auch in der Kita bemerkte das Personal, dass sie die Abläufe in den pädagogischen Angeboten und Aktivitäten schnell begriffen. In meinen teilnehmenden Beobachtungen in der Kita konnte ich das bestätigen. Aus dem Elternfragebogen geht hervor, dass die Eltern zu Hause in der Sprachpraxis den Fokus auf Kurmancî legen und die Vermittlung des Deutschen von der Kita erwarten. „Wir wollen nicht, dass sie ihre kurdische Sprache 51 vergessen und sind immer in Interaktion mit ihnen. (…) Für die deutsche Sprache gehen sie eh in die Kita.“ 52 Den Kindern wurden abwechselnd von Vater und Mutter Geschichten auf Kurmancî erzählt. Die Mutter schaute sich sogar die Kurmancî-Kinderbücher an, die die Kinder aus der Kita mitbrachten, und versuchte, die dort abgedruckten Bildergeschichten den Kindern auf Kurmancî zu erzählen. Nach Einschätzung der Eltern hatten Zozan und Roza zum Zeitpunkt der Datenerhebung eine sehr gute Kompetenz in Kurmancî sowohl im Sprechen als auch im Verstehen. Sie gingen auch davon aus, dass die Kinder ebenso über eine gute Kompetenz in Deutsch sowohl im Sprechen als auch im Verstehen verfügten. Was das Arabische als dritte Sprache betrifft, erklärten sie, dass sie diese Sprache ein wenig verstünden und sprächen. Aram Am 10. März 2011 ist Aram in Antony bei Paris in Frankreich auf die Welt gekommen. 53 Aram war ein Einzelkind. Seine Mutter ist Ende der 70er Jahre mit etwa zwei Jahren als Gastarbeiterkind aus Nordkurdistan (Osttürkei) nach Deutschland gekommen und hat ihren Bildungsweg vom Kindergarten bis zum Abschluss einer Universität in Deutschland absolviert. Danach hat sie einige Jahre in Frankreich gelebt, in dieser Zeit wurde Aram geboren. Der Vater kommt ebenso aus Nordkurdistan, ist aber anders als die Mutter als Geflüchteter nach Frankreich gekommen. Aram wuchs in Frankreich in einem multilingualen Umfeld auf. Die Mutter hat mit ihm Deutsch, der Vater dagegen meistens Kurmancî, selten aber auch 108 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder Französisch gesprochen. Die Eltern haben untereinander meistens Türkisch, selten auch Französisch gesprochen. Die Umgebungssprache war Französisch, und Aram hatte etwa ab dem Alter von sechseinhalb Monaten eine französisch‐ sprachige Tagesmutter, bis er etwa mit dreieinhalb Jahren in eine Kita kam. Aram verbrachte in der Woche viereinhalb Tage mit der Tagesmutter. An vier Tagen war er neun bis zehn Stunden und an dem übrigen halben Tag vier bis fünf Stunden bei dieser Tagesmutter. Als er etwa dreieinhalb Jahre alt war, ist die Betreuung durch die Tagesmutter entfallen, und er ist für etwa dreieinhalb Monate in eine französischsprachige Kita gekommen, bis er mit seiner Mutter nach Deutschland übersiedelte. Laut der Mutter ist in Frankreich die dominante Sprache des Kindes das Französische gewesen, weshalb Aram seine ersten Wörter auch auf Französisch gesprochen habe. Am 1. Januar 2015 ist die Mutter mit Aram nach Deutschland gezogen. Von dem Vater des Kindes hatte sie sich zu dieser Zeit getrennt. Aram war zu diesem Zeitpunkt drei Jahre und neun Monate alt. Die Trennung und der Umzug nach Deutschland haben für die Sprachenkonstellation von Aram verschiedene Änderungen mit sich gebracht. Erstens ist der Zugang zum Kurmancî durch den Vater ausgefallen. Zweitens hat sich die Umgebungssprache vom Französischen zum Deutschen geändert. Der regelmäßige Zugang zum Französischen durch die Tagesmutter, durch das Umfeld und später durch die Kita ist entfallen. Drittens war Türkisch nicht mehr als Sprache der Eltern präsent. Der Ausfall des Kurmancî konnte dadurch ausgeglichen werden, dass die Mutter vor dem Umzug nach Deutschland einen Platz in der Kita Pîya reserviert hatte und bereits fünf Tage nach dem Umzug Aram auch in die Kita gekommen ist. Damals gab es die Kita gerade einmal seit etwa zwei Monaten. Auch für die Aufrechterhaltung des Französischen hat die Mutter nach Lösungen gesucht. Sie hat beispielsweise zwischen Ende Oktober 2016 und Ende Januar 2017 eine französischsprachige Babysitterin beschäftigt, die Aram einmal in der Woche etwa anderthalb bis vier Stunden betreut hat. Dabei bemerkte die Mutter, dass Aram zu Beginn dieser Betreuung nicht bereit war, auf Französisch angesprochen zu werden. Aus diesem Grund einigten sich die Mutter und die Babysitterin darauf, dass die Babysitterin erst einmal auf Deutsch mit ihm kommunizierte und das Französische peu à peu in die Betreuung miteinbaute. Die Betreuung war jedoch nicht von Dauer. Für den Wegfall des Türkischen fand keine Ausgleichsbemühung statt. Als die Erhebung im Februar 2017 begonnen hatte, war Aram schon seit etwa 25 Monaten in der Kita Pîya. In dieser Zeit hatte bereits eine Verschie‐ bung seiner Sprachenkonstellation aufgrund der oben genannten Änderungen stattgefunden: Französisch war nicht mehr seine dominante Sprache, sondern 109 6.3 Studienkinder: Falldarstellungen Deutsch und Kurmancî. Französisch rückte in der Konstellation an die dritte Stelle. Das Türkische kam weiterhin an vierter Stelle, aber der Zugang zum Türkischen war eingeschränkt. Im Hinblick auf den Bildungsstatus der Familie war festzuhalten, dass die Mutter über einen Diplomabschluss in Betriebswirtschaftslehre verfügte. Somit kam sie auf der Liste von ISCED 2011 auf Stufe sieben. Diese Stufe ist als „master’s or equivalent level“ definiert. Dagegen hat der Vater in der Türkei lediglich die Grundschule besucht und diese auch nicht abgeschlossen. Laut Angaben der Mutter dauerte der Schulbesuch des Vaters vier oder fünf Jahre. Diese Angaben entsprechen der Stufe eins, der „primary education“ auf der Liste von ISCED 2011. Zum sozioökonomischen Status war festzuhalten, dass die Mutter aufgrund ihrer hohen beruflichen Qualifikation eine angesehene Stelle - Projektleitung in der Buchhaltung im Finanzbereich - hatte. Sie konnte diese Beschäftigung allerdings nur als halbe Stelle ausüben, da sie alleinerziehend war. Arams Mutter hat drei Sprachen - Deutsch, Türkisch und Französisch - auch schriftlich erworben. In Bezug auf Kurmancî hat bei ihr im jungen Alter eine Sprachverschiebung bzw. ein Sprachwechsel stattgefunden. Die Weitergabe des Kurmancî von ihren Eltern an sie war nicht erfolgt. Beginnend im jungen Alter hat sie verschiedene Anstrengungen unternommen, um die Kompetenz in Kurmancî nachzuholen. Diese Anstrengungen haben sie bis zum Kurdologie-Studium am Inalco-Institut der Universität Sorbonne geführt, dem sie einige Semester nachgegangen ist, das sie aber nicht abgeschlossen hat. Sie ist der einzige Elternteil in dieser Studie, der die Gelegenheit zum institutionellen schriftsprachlichen Erwerb des Kurmancî hatte. Der Vater hatte laut Angaben der Mutter Kurmancî hauptsächlich als eine mündliche Kompetenz erworben, konnte aber auch ein wenig in der Sprache lesen. Die geringe Lesekompetenz hat er nicht institutionell erworben, sondern sich selbst beigebracht. In Türkisch sowie in Französisch hatte er auch eine schriftliche Kompetenz, wobei diese in Türkisch stärker als in Französisch war. In den teilnehmenden Beobachtungen war in Bezug auf Aram festzuhalten, dass er sich bemühte, dem Konzept der Kita - eine Person: eine Sprache - zu folgen. Während bei den anderen Kindern eher die Tendenz zu beobachten war, auch mit dem kurmancîsprachigen Personal auf Deutsch kommunizieren zu wollen, hat Aram sich stets Mühe gegeben, genau nach sprachlicher Aufteilung mit dem Personal zu sprechen. Das Personal merkte ebenfalls an, dass sich Aram in dieser Richtung bemühte - eine Bemühung, die auch in der Erzählung von MAIN-Geschichten in Kurmancî festzuhalten war. Es gab nämlich wenige 110 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 54 Mit „um danach“ ist die Zeit nach der Kita gemeint. Aram war zum Zeitpunkt der Erhebung in seinem letzten Kitajahr. Codeswitchings/ Entlehnungen aus dem Deutschen in seinen Erzählungen in Kurmancî. Zu Hause hatte Aram hauptsächlich Zugang zum Deutschen, der sich nicht nur auf die alltäglichen Konversationen beschränkte, sondern auch literate Praktiken, wie z. B. regelmäßiges Vorlesen beinhaltete. Daher merkte die Mutter an, dass der Bedarf an Deutsch zu Hause gedeckt werde und sie die Erwartung an die Kita hatte, dass dort das Kurmancî gefördert werde. Darüber hinaus machte sich die Mutter Gedanken, wie Aram nach der Kita seinen Zugang zu Kurmancî weiterhin aufrechterhalten könne. „(…) dieses Jahr ist es dann bald zu Ende und (…) ich hab(e) jetzt schon angefangen, mir um danach 54 Gedanken zu machen (…) was ich da alles machen kann, welche Alternativen sich dann für mich bieten, damit es weitergeht.“ Aram hatte zu Hause und in seinem Umfeld auch Zugang zum Türkischen und Kurmancî, wenn auch in geringem Umfang. Die Zugangsmöglichkeiten zum Türkischen werden noch aufgegriffen. Nach Einschätzung der Mutter sprach Aram das Deutsche zwischen gut und sehr gut und verstand es sehr gut; sprach das Kurmancî zwischen nicht gut und gut und verstand es zwischen befriedigend und gut; sprach und verstand das Französische nicht gut; sprach weder das Türkische noch verstand er es, abgesehen vom Verstehen einzelner Wörter wie anne (Mutter). Azad Am 25. Januar 2012 ist Azad in einem Dorf in Şengal auf die Welt gekommen. Er hatte drei Geschwister und war der Zweitälteste. Aufgrund der Angriffe auf Şengal im Sommer 2014 musste er mit seiner Familie flüchten und in Flücht‐ lingsunterkünften der autonomen Region Kurdistan im Nordirak unterkommen. Im Februar 2016 ist die Familie nach Deutschland gekommen. Zu dieser Zeit war Azad genau vier Jahre alt. Etwa fünf Monate später ist er in die Kita Pîya gekommen und hatte von nun an systematischen Kontakt zur deutschen Sprache. Davor hatte er lediglich etwa einen Monat lang unter der Woche ein einstündiges niederschwelliges Kinderbetreuungsangebot in deutscher Sprache besucht. Zu Beginn der Erhebung war er seit etwa neun Monaten in der Kita Pîya. Sowohl in Şengal als auch in der autonomen Region Kurdistan und später in Deutschland wuchs Azad in einem Kurmancî-Umfeld auf. Er wurde hier wie dort in der Familie ausschließlich in Kurmancî erzogen. Anders als Zozan und 111 6.3 Studienkinder: Falldarstellungen Roza hat Azad weder einen arabischen Kindergarten in seinem Herkunftsland besucht, noch sprach ein Elternteil in dieser Sprache mit ihm. Entsprechend ergab der Test in dieser Sprache, dass er sie weder verstand noch sprach. Was den Bildungsstatus der Eltern anbelangt, so ist anzumerken, dass weder die Mutter noch der Vater eine formale Bildung erworben haben. Daher war ihre Einstufung in der Liste von ISCED 2011 nicht möglich. Die niedrigste Stufe dieser Liste ist mit „Null“ definiert. Selbst diese Stufe verlangt jedoch eine institutionelle Bildung bzw. die Inanspruchnahme eines Bildungsprogrammes: „ISCED level 0 refers to early childhood programmes that have an intentional education component. These programmes aim to develop socio-emotional skills necessary for participation in school and society. They also develop some of the skills needed for academic readiness and prepare children for entry into primary education.“ (UNESCO Institute for Statistics 2012: 26) Die nullte Stufe würde also etwa dem Besuch einer Kindertagesstätte in Deutschland entsprechen. (Zum sozioökonomischen Status der Eltern siehe die Ausführungen bei den Eltern von Zozan und Roza.) In Bezug auf die Sprachen der Eltern konnte ermittelt werden, dass die Mutter neben Kurmancî auch ein wenig Arabisch sprechen konnte. Der Vater dagegen hat erklärt, dass er das Arabische gut versteht und spricht. Darüber hinaus könne er das Soranî einigermaßen verstehen und sprechen. Dieser Vater war der einzige Elternteil der Studie, der außer Kurmancî noch über Kenntnisse in einer weiteren Varietät des Kurdischen verfügte. In den teilnehmenden Beobachtungen in der Kita war festzuhalten, dass Azad sich sehr aktiv an den pädagogischen Aktivitäten und Angeboten beteiligte. Er zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass er sehr interessiert an der deutschen Sprache war und versuchte, seinen Alltag in der Kita mehr mit Deutsch zu gestalten. Wenn das Personal ihn auf Kurmancî ansprach, reagierte er meistens auf Deutsch. Während der Erhebungen hat er sich aber im Gegensatz dazu eher zurückhaltend gezeigt. Beim ersten MZP war Azad gar nicht bereit, die MAIN-Geschichten zu erzählen, sondern erst beim zweiten MZP. Aus diesem Grund hat bei ihm die Erhebung der sprachlichen Daten mit den MAIN-Ge‐ schichten zeitversetzt stattgefunden. Aus dem Fragebogen geht hervor, dass die Eltern zu Hause in der Sprachpraxis den Fokus auf Kurmancî legten. Sie betonten aber, dass ihre Kinder auch das Deutsche erwerben sollten und begründeten dies damit, dass die Familie in Deutschland lebe. In Bezug auf Kurmancî fand im Elternhaus eine konkrete Förderung statt. Den Kindern wurden beispielsweise vor allem in den Winter‐ monaten Geschichten erzählt. Darüber hinaus gab es Sprachkorrekturen. Wenn Azad etwa Mama sagte, korrigierte ihn die Mutter, indem sie ihn aufforderte, 112 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 55 „Kîtaba me bi Kurmancî ye.“ dakê zu sagen. Oder wenn er reng „Farbe“ sagte, wurde er mit lewn korrigiert. Letzteres hat eigentlich einen arabischen Ursprung, aber scheinbar hielt die Mutter dieses Wort für den Sprachgebrauch ihrer Familie oder Region für passender. In Bezug auf den Hintergrund der Förderung des Kurmancî kann es aufschlussreich sein, zu erwähnen, dass die Eltern Kurmancî als mit ihrer Religion, dem Jesidentum, eng verbunden betrachteten bzw. es als ein Medium ihrer Religion sahen. Beide Elternteile betonten dies, indem sie beispielsweise sagten: „Unser Buch ist in Kurmancî.“ 55 Nach Einschätzung der Eltern sprach und verstand Azad zum Erhebungs‐ zeitpunkt Kurmancî sehr gut. Die Eltern gingen davon aus, dass er auch in Deutsch über eine sehr gute Verständniskompetenz verfügte. In Bezug auf das Sprechen in Deutsch waren die Eltern leicht unterschiedlicher Meinung. Nach der Überzeugung der Mutter sprach er gut, nach der des Vaters sehr gut Deutsch. Eine mögliche dritte Sprache Arabisch verstand und sprach Azad nach Angaben der Eltern nicht. Welat Welat wurde in einem Dorf in Şengal am 24. November 2011 geboren. Er hatte zwei jüngere Brüder. Da Welat und Azad aus derselben Region kamen, die im Jahr 2014 angegriffen wurde und aus der die Bevölkerung fliehen musste, haben die beiden Kinder einen ähnlichen Fluchthintergrund. Auch sprachbiografisch weisen die beiden Studienkinder viele Gemeinsamkeiten auf. Im Sommer 2014 musste Welat wie Azad mit seiner Familie aus seinem Dorf flüchten. Bis zu seiner Ankunft in Deutschland im September 2015 musste Welat mit seiner Familie in Flüchtlingsunterkünften der autonomen Region Kurdistan im Nordirak unterkommen. Bei seiner Ankunft in Deutschland war Welat drei Jahre und zehn Monate alt. Welat ist das einzige Kind in der Studie, das vor dem vierten Lebensjahr als Geflüchteter nach Deutschland kam. Anders als bei den anderen Studienkindern mit Fluchthintergrund kam er erst etwa neun Monate nach seiner Ankunft - am 1. Juli 2016 - in die Kita und hatte von diesem Zeitpunkt an systematischen Kontakt zur deutschen Sprache. Er war beim Eintritt in die Kita vier Jahre und sieben Monate alt. Zu Beginn der Erhebung war Welat etwa seit sieben Monaten in der Kita. Wie Azad wuchs auch Welat in Şengal, in der autonomen Region Kurdistan und später in Deutschland in einem Kurmancî-Umfeld auf. Er wurde in der Familie nur mit Kurmancî erzogen. Auch Welat hatte keinen Input in Arabisch 113 6.3 Studienkinder: Falldarstellungen weder durch Eltern noch durch einen Kindergarten. Der Test in Arabisch sollte entsprechend bestätigen, dass er diese Sprache weder sprach noch verstand. Das Testergebnis war jedoch nicht eindeutig. Dieser Punkt wird bei der Besprechung seines Testergebnisses detailliert aufgegriffen und erläutert. Welats Eltern haben keine formale Bildung erworben, so dass auch in ihrem Fall eine Einstufung nach der Liste von ISCED 2011 nicht möglich war. Somit ist festzuhalten, dass keines der vier Elternteile aus der jesidischen Gemeinschaft (Eltern von Welat und Azad) irgendeine Art formaler Bildung erfahren hat. (Zum sozioökonomischen Status der Eltern von Welat siehe die Ausführungen bei den Eltern von Zozan und Roza.) In Bezug auf die Sprachen der Eltern konnte ermittelt werden, dass der Vater neben Kurmancî auch Arabisch konnte. Die Mutter dagegen sagte, dass sie lediglich ein wenig Arabisch verstehe. Hier ist eine weitere Gemeinsamkeit mit den Eltern von Azad festzuhalten: Es waren nämlich in beiden Fällen die Väter, die außer Kurmancî auch das Arabische gut beherrschten. Während der teilnehmenden Beobachtungen in der Kita fiel auf, dass Welat sich sehr aktiv an den pädagogischen Aktivitäten und Angeboten beteiligte, die handwerklich orientiert waren, wie Basteln oder Bauen mit Bausteinen. Am meisten interessierte er sich für die Tonarbeit. Jedoch war er im Gegensatz zu den anderen Studienkindern weniger sprachfreudig. Ähnlich wie bei Azad war seine Kommunikationssprache meistens Deutsch. Auch er hat auf die Ansprachen des Personals in Kurmancî häufig mit Deutsch reagiert. Auf der anderen Seite war Welat das einzige Kind der Studie, das im ersten MZP in einer auf Deutsch erzählten Geschichte ein Wort aus dem Kurmancî benutzte. Auf diesen Aspekt wird bei der Analyse der Sprachdaten noch näher eingegangen. Zu Hause legten Welats Eltern ähnlich wie die Eltern von Azad den Fokus auf Kurmancî. Sie haben aber auch zum Ausdruck gebracht, dass ihre Kinder auch das Deutsche erwerben sollten. In Bezug auf die Förderung des Kurmancî wurden im Elternhaus konkrete Möglichkeiten genutzt, wie z. B. das Erzählen von Geschichten. Sie waren jedoch geringer als bei den Eltern von Azad, Zozan und Roza. Im Vergleich zu den Eltern von Azad haben die Eltern von Welat die Bedeu‐ tung des Kurmancî hinsichtlich ihrer Religion nicht besonders hervorgehoben, sondern Kurmancî vielmehr dahingehend verortet, dass es das Erbe der Eltern und daher auch an die nächste Generation weiterzugeben sei: „Also Kurdisch 114 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 56 „Yanî Kurdî zimanê me ye. Kurdî zimanê me û dak û bavên me, me divê zarokên me jî Kurdî bielimin.“ ist unsere Sprache, Kurdisch (ist) unsere und die Sprache unserer Mütter und Väter, wir möchten, dass unsere Kinder auch Kurdisch lernen.“ 56 In Bezug auf die Einschätzung der Sprachenkompetenz von Welat erklärten die Eltern zum Erhebungszeitpunkt, dass Welats Deutsch besser sei als sein Kurmancî. In Bezug auf das Deutsche merkte die Mutter an, dass Welat nach ihren Beobachtungen während des Spielens mit seinen Spielkamerad*innen gut auf Deutsch kommuniziere. Hinsichtlich des Kurmancî waren Mutter und Vater sich einig, dass Welat wenig Kurmancî könne. Eine mögliche dritte Sprache Arabisch verstand und sprach Welat nach den Angaben der Eltern nicht. Aras Aras wurde am 1. Dezember 2013 in Berlin geboren. Er war das jüngste und zugleich das einzige Kind der Studie, das in Deutschland geboren wurde. Er stammte aus einer deutsch-kurdischen Familie - die Mutter war deutsch, der Vater kurdisch. Aras war das Jüngste von vier Geschwistern. Der Vater stammte aus der Südosttürkei und kam mit 14 Jahren als Geflüchteter nach Deutschland. In der Familie von Aras wurde hauptsächlich Deutsch gesprochen. Der Vater sagte, dass er in seltenen Fällen mit ihm in Kurmancî spräche, wenn er z. B. mit ihm scherze. Somit bedeutete also der Kitaeintritt am 3. Juni 2015 seinen systematischen Zugang zum Kurmancî. Aras war das einzige Kind der Studie in dieser Ausgangssituation. Zu Beginn der Erhebung war Aras etwa seit zwanzig Monaten in der Kita. Er war nach Aram das Kind mit der längsten Kitabesuchsdauer der Studie. Im Hinblick auf den Bildungsstatus der Familie ist festzuhalten, dass die Mutter und der Vater über einen ähnlichen Bildungsstand, jedoch mit unter‐ schiedlichen Verläufen verfügten. Die Mutter besaß einen deutschen Realschul‐ abschluss, der nach zehn Jahren Schulbesuch erworben wird. Danach hat die Mutter eine Ausbildung zur Hauswirtschaftlerin abgeschlossen, die drei Jahre gedauert hatte. Daher kam die Mutter auf Stufe drei der Liste von ISCED 2011, die als „Upper secondary education“ definiert wird. Der Vater hatte acht Jahre in der Türkei die Schule besucht, bevor er nach Deutschland kam. In Deutschland besuchte er zunächst für etwa sechs Monate einen Deutschkurs. Daraufhin ist er in die neunte Klasse der Hauptschule gekommen. Er hat die Hauptschule nicht nach der neunten Klasse beendet, sondern sie um ein Jahr verlängert und durch diese Verlängerung anstatt des üblichen Hauptschulabschlusses den 115 6.3 Studienkinder: Falldarstellungen erweiterten Hauptschulabschluss erworben. Im Anschluss absolvierte er eine Ausbildung zum Elektroinstallateur, die dreieinhalb Jahre dauerte. Demnach kommt der Vater auch auf Stufe drei der Liste von ISCED 2011. Zum Zeitpunkt der Erhebung war nur der Vater berufstätig. Die Mutter hat sich in erster Linie um die Erziehung der Kinder gekümmert und war im Begriff, eine neue Ausbildung zur Erzieherin zu beginnen. In Bezug auf die Sprachen der Eltern konnte ermittelt werden, dass die Mutter Deutsch und Schulenglisch konnte. Der Vater hingegen konnte Kurmancî, Türkisch, Deutsch und Schulenglisch. Beim Kurmancî waren seine Kenntnisse jedoch auf den mündlichen Gebrauch beschränkt. Somit war er auf einem vergleichbaren Stand mit den anderen kurmancîsprachigen Eltern, bis auf die Mutter von Aram. Aras war in der jüngeren Gruppe der Kita, während die anderen Studien‐ kinder in der älteren Gruppe der Kita waren. Daher mussten teilnehmende Beobachtungen in Bezug auf ihn separat erfolgen. Sie zeigten, dass er sich aktiv an den pädagogischen Angeboten und Aktivitäten beteiligte. Seine Kom‐ munikationssprache war dabei fast ausschließlich Deutsch, auch mit dem kurmancîsprachigen Personal. Bis auf Aram haben auch die anderen Studien‐ kinder mehrheitlich auf die Ansprachen des kurmancîsprachigen Personals auf Deutsch reagiert, bei Aras war es jedoch fast ausschließlich auf Deutsch. Inter‐ essanterweise war zu beobachten, dass Aras auf die Ansprachen in Kurmancî richtig reagierte. Wurde er beispielsweise in Kurmancî gefragt „Kannst du mir die Farbe X geben? “, dann hat er entsprechend reagiert und die Farbe X gereicht. Auch das Personal bestätigte, dass Aram auf die Ansprachen in Kurmancî meistens passend reagierte und sie daher davon ausgingen, dass er vieles in Kurmancî verstehe. Aras war bei den Erhebungen mit LiSe-DaZ interessiert, und sie konnten gut durchgeführt werden. Hinsichtlich der Erhebungen mit MAIN ist anzumerken, dass er die Geschichten in Kurmancî überhaupt nicht erzählen konnte und für das Deutsche die Erhebungen sich schwierig gestalteten. Aras war nicht immer bereit, die Geschichten auf Deutsch zu erzählen und die dazugehörigen Verständnisfragen zu beantworten. Im dritten MZP musste beispielsweise die Erhebung abgebrochen und am nächsten Tag fortgesetzt werden. Im ersten MZP wollte er nicht auf die Verständnisfragen antworten. Die Testleiterin hat sich sehr bemüht, dass die Verständnisfragen vollständig und adäquat gestellt werden, jedoch ohne Erfolg. Außerdem hat Aras lieber von seinen eigenen Ideen und Erlebnissen berichtet, als die MAIN-Geschichten zu erzählen, was die Testsituation weiter erschwerte. Im dritten MZP hat er zum Beispiel bei der Katze-Geschichte in Anspielung darauf, dass der Ball ins Wasser fällt, gesagt: 116 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder „… so wie mein Ball gestern auch.“ Die Testleiterin hat daraufhin mit ihm einen kurzen Dialog darüber geführt, was mit seinem Ball passiert sei, damit seine Erlebniserzählung nicht ignoriert wird. Nach diesem kurzen Dialog hat die Testleiterin ihn gebeten, die Katze-Geschichte weiter zu erzählen. Dies tat er, es war jedoch zu beobachten, dass er lieber über sein Erlebnis erzählte als die MAIN-Geschichte. Entsprechend konnten die Erhebungen mit MAIN in Bezug auf das Deut‐ sche bis auf zwei Geschichten nicht so durchgeführt werden, wie die Elizitie‐ rungsrahmen dies verlangen. Diese zwei Geschichten hat er einigermaßen konzentriert und vollständig erzählt, und bei einer dieser Geschichten konnten im Anschluss auch die Verständnisfragen vollständig gestellt werden. Diese beiden Geschichten werden der Studie in Bezug auf seine Sprachkompetenz inkludiert, die anderen jedoch nicht. Die anderen Geschichten werden allerdings herangezogen, wenn die grammatischen Merkmale beleuchtet werden. Wie bereits erwähnt, war es nicht möglich, bei den Erhebungen von Aras die Geschichten auf Kurmancî erzählt zu erhalten. Aras hat auch keine einzelnen Figuren oder Objekte in Kurmancî benannt, die in der Geschichte abgebildet sind. Aufgrund der Tatsache, dass er zu Beginn der Erhebung etwa seit zwanzig Monaten in der Kita war, wurde erwartet, dass er die Geschichten in Kurmancî ansatzweise erzählt oder zumindest die abgebildeten Figuren und Objekte benennt. Um zu schauen, ob sich bei ihm im weiteren Verlauf des Kitabesuchs eine Kurmancî-Kompetenz entwickelte, wurden mit ihm auch nach Wunsch der Eltern nach der regulären Erhebungszeit weitere Tests durchgeführt. In der Tat konnte eine kleine Entwicklung in diesen weiteren Erhebungen festgehalten werden, auf die bei der Erläuterung der Ergebnisse eingegangen wird. Aus dem Fragenbogen mit den Eltern geht hervor, dass Aras zu Hause nicht nur hauptsächlich Zugang zum Deutschen hatte, sondern dass er auch in dieser Sprache konkret gefördert wurde, z. B. durch das Erzählen von Geschichten oder durch Sprachkorrekturen. Die Eltern äußerten aber den Wunsch, dass er auch Kurmancî erwerben solle. Der Vater sagte in diesem Zusammenhang beispielsweise: „Ich wollte das unbedingt, dass er Kurdisch lernt.“ Dies erklärt auch, warum die Eltern einen weiten Weg - von Hellersdorf nach Wedding - auf sich nahmen, um Aras speziell in die Kita Pîya zu bringen. Allerdings konnte die Familie wegen des weiten Wegs Aras nicht regelmäßig in die Kita bringen, weshalb er sehr viele Fehltage hatte (siehe den Abschnitt 7.1.6.3 für genaue Angaben). Nach Einschätzung der Eltern zum Erhebungszeitpunkt sprach und verstand Aras sehr gut Deutsch. Sie waren mit seiner Entwicklung in Deutsch zufrieden. In Bezug auf Kurmancî brachten die Eltern zum Ausdruck, dass er es zwar 117 6.3 Studienkinder: Falldarstellungen nicht spreche, aber verstehe. Der Vater sagte, dass Aras auf seine Ansprachen in Kurmancî zwar auf Deutsch, aber richtig reagiere. Diese Einschätzung deckt sich sowohl mit den teilnehmenden Beobachtungen als auch mit den Aussagen des kurmancîsprachigen Personals der Kita. 118 6 Forschungsfeld, methodisches Vorgehen und Studienkinder 57 Eine Aufschlüsselung der relevanten Abkürzungen der Tabellen findet sich bei den Tabellen zu Zozans Ergebnissen sowie in der Übersicht im Anhang. 58 Unter Komplexität der Geschichte sind Versuch-Ergebnis-Sequenzen, Ziel allein, Ziel-Versuch-/ Ziel-Ergebnis- und Ziel-Versuch-Ergebnis-Sequenzen zu verstehen (siehe diesbezüglich die Erörterungen zur Makrostruktur von MAIN im Abschnitt 6.2.2.1). 7 Ergebnisse 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch Im Folgenden werden die einzelnen Ergebnisse durch MAIN in Kurmancî und Deutsch sowie durch LiSe-DaZ in Deutsch zunächst erörtert und im Anschluss tabellarisch dargestellt. 57 Hinsichtlich der MAIN-Tabellen ist anzumerken, dass die Hund-Geschichte und die Katze-Geschichte Nacherzählungen sind, während es sich bei der Babyvögel-Geschichte und der Babyziegen-Geschichte um Erzählungen handelt. 7.1.1 Ergebnisse von Zozan 7.1.1.1 Ergebnisse durch MAIN Wird die Struktur der Geschichte zugrunde gelegt, kann für die Erzählungen von Zozan für den ersten MZP konstatiert werden, dass sie in beiden Sprachen auf der Makroebene ähnlich bzw. in Deutsch jeweils um einen Punkt besser als in Kurmancî abschneidet. Auch in Bezug auf die Komplexität der Geschichte 58 weisen ihre Erzählungen ähnliche Werte auf. Bei internal state terms gehen die Token-Werte in beiden Sprachen jedoch zugunsten des Deutschen stärker auseinander. Des Weiteren ist der Tabelle zu entnehmen, dass Zozan mehr Verständnisfragen in Deutsch als in Kurmancî richtig beantwortet. Vor allem bei der Erzählgeschichte in Kurmancî beantwortet sie von neun lediglich vier Fragen richtig. Die Unterschiede der Erzählungen in beiden Sprachen sind auf der Mikro‐ ebene viel deutlicher. Wird total number of types and tokens without mazes zugrunde gelegt, wird deutlich, dass in Deutsch viel mehr Typen und Token produziert werden. Des Weiteren bildet Zozan in Deutsch mehr kommunikative Einheiten und diese sind auch länger als die in Kurmancî. Codeswitching kommt in ihren Erzählungen in diesem MZP nur einmal vor. Vom ersten MZP zum zweiten MZP ist bis auf die Erzählgeschichte in Kur‐ mancî eine Entwicklung hinsichtlich der Makrostruktur in ihren Erzählungen zu verzeichnen, die sich an den Werten ablesen lässt. Am besten hat Zozan dabei auf der Makroebene bei der Nacherzählgeschichte des Kurmancî abgeschnitten. Hier erzielte sie bei der Struktur der Geschichte zwölf Punkte und es ist ihr gelungen, in allen drei Episoden dieser Geschichte die Verkettung Ziel-Ver‐ such-Ergebnis (ZVE-Sequenzen) herzustellen. Des Weiteren hat sie bis auf die Erzählgeschichte in Kurmancî alle Verständnisfragen richtig beantwortet. Die Entwicklung der Erzählungen auf der Mikroebene zeigt sich dadurch, dass Zozan in den Erzählungen in beiden Sprachen viel mehr Typen und Token sowie kommunikative Einheiten produziert, interessanterweise auch bei der Erzählgeschichte in Kurmancî, bei der sie hinsichtlich der Struktur der Geschichte gegenüber dem ersten MZP einen leicht niedrigeren Wert hat. Codeswitching kommt in ihren Erzählungen im zweiten MZP nicht vor. Im dritten MZP schneidet Zozan bei der Struktur der Geschichte bis auf die Nacherzählgeschichte in Kurmancî in allen Erzählungen gegenüber dem zweiten MZP besser ab. Hier erzielt sie bei der Nacherzählgeschichte in Deutsch dreizehn Punkte, was ihr höchster Wert und zugleich der beste Wert der Studie ist. In dieser Erzählung konnte sie das Ortsetting der Erzählung benennen und fünf von sechs Malen internal state terms als einleitendes Ereignis oder als Reaktion zur Sprache bringen. In diesem MZP ist es ihr gelungen, alle Verständnisfragen richtig zu beantworten. Auch in Bezug auf die Mikrostruktur ist bis auf die Erzählgeschichte in Deutsch eine Entwicklung aufwärts zu verzeichnen. Bei Token erreicht sie bei der Nacherzählgeschichte in Deutsch fast die 200-Token-Marke, was wiederum der höchste Wert der Studie ist. In Kurmancî überwindet sie die 100-Token-Marke in beiden Erzählungen. Codeswitching kommt in diesem MZP einmal vor. 120 7 Ergebnisse 59 Aufschlüsselung der Abkürzungen in MAIN-Tabellen → K: Kurmancî, D: Deutsch, BZ: Babyziegen, BV: Babyvögel, Struktur der Ges.: Struktur der Geschichte, VE Seq: Ver‐ such-Ergebnis-Sequenzen, ZV/ ZE Seq: Ziel-Versuch-/ Ziel-Ergebnis-Sequenzen, ZVE Seq: Ziel-Versuch-Ergebnis-Sequenzen, ISTs: Internal state terms, Vers.fra: Verständnis‐ fragen, TNTT: Total number of types and tokens without mazes, KE: Kommunikative Einheiten, MLKE: Mittlere Länge kommunikativer Einheiten. 60 Bei der Berechnung von Prozentrang des Codeswitchings sowie MLKE wurden nach dem Komma die ersten drei Ziffern berücksichtigt. Anstelle von 1,694915254237288 ergibt sich also 1,694. 1. MZP 59 Makrostruktur Hund_K BZ_K Katze_D BV_D Struktur der Ges. 6/ 17 8/ 17 7/ 17 9/ 17 VE Seq 1 3 1 3 Ziel allein 2 1 1 2 ZV/ ZE Seq 3 2 2 4 ZVE Seq 1 1 1 2 ISTs 2 4 5 5 Vers.fra 8/ 10 4/ 9 9/ 9 6/ 9 Mikrostruktur TNTT 35/ 50 42/ 59 48/ 85 55/ 106 KE 8 8 10 12 MLKE 6,25 7,375 8,5 8,833 Codeswitching 0 1 (1,694) 60 0 0 2. MZP Makrostruktur Katze_K BV_K Hund_D BZ_D Struktur der Ges. 12/ 17 7/ 17 9/ 17 10/ 17 VE Seq 3 2 2 3 Ziel allein 3 2 3 1 ZV/ ZE Seq 6 3 5 2 ZVE Seq 3 1 2 1 ISTs 6 2 9 5 Vers.fra 10/ 10 4/ 8 10/ 10 10/ 10 Mikrostruktur TNTT 51/ 81 48/ 83 63/ 140 68/ 139 KE 12 9 16 18 MLKE 6,75 9,222 8,75 7,722 Codeswitching 0 0 0 0 121 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 3. MZP Makrostruktur Hund_K BZ_K Katze_D BV_D Struktur der Ges. 11/ 17 9/ 17 13/ 17 12/ 17 VE Seq 2 2 3 3 Ziel allein 2 1 1 2 ZV/ ZE Seq 3 2 2 4 ZVE Seq 1 1 1 2 ISTs 6 5 10 6 Vers.fra 10/ 10 10/ 10 10/ 10 10/ 10 Mikrostruktur TNTT 63/ 123 70/ 111 78/ 189 62/ 109 KE 16 12 18 13 MLKE 7,687 9,25 10,5 8,384 Codeswitching 1 (0,813) 0 0 0 7.1.1.2 Ergebnisse durch LiSe-DaZ Im Hinblick auf die LiSe-DaZ-Ergebnisse ist in Bezug auf das Sprachverständnis festzuhalten, dass Zozan sowohl im ersten MZP als auch im zweiten MZP alle Aufgaben zur Verbbedeutung und im zweiten MZP zusätzlich die W-Fragen richtig löst. Hinsichtlich der Negation ändern sich die Werte nicht. In Bezug auf die Sprachproduktion fällt auf, dass sie schon im ersten MZP die Entwicklungs‐ stufe Satzklammer IV erreicht, also in der Lage ist, Nebensätze in Deutsch zu bilden. In beiden MZP macht sie keine Fehler bei der Subjekt-Verb-Kongruenz. Bei den Wortklassen ist den Tabellen zu entnehmen, dass ihre Werte sich bei Präpositionen, Fokuspartikeln und Vollverben vom ersten MZP zum zweiten MZP verschlechtern, aber außer bei Fokuspartikeln nicht unter 50% Prozentrang fallen. Bei Fokuspartikeln lag ihr Wert jedoch auch im ersten MZP unter dem 50% Prozentrang. Dagegen ist eine leicht positive Entwicklung hinsichtlich Modal- und Hilfsverben zu verzeichnen. Bei Konjunktionen bleibt ihr Wert vom ersten MZP zum zweiten MZP unverändert, ebenso bei der Kasuszuweisung. 122 7 Ergebnisse 61 Aufschlüsslung der Abkürzungen in LiSe-DaZ-Tabellen → RW: Rohwert, TW: T-Wert, PR: Prozentrang, VB: Verbbedeutung, WF: W-Fragen, N: Negation, ESS: Entwicklungs‐ stufe Satzklammer, SVK: Subjekt-Verb-Kongruenz, PRÄ: Präpositionen, FP: Fokuspar‐ tikeln, VV: Vollverben, MHV: Modal- und Hilfsverben, KONJ: Konjunktionen, KZ: Kasuszuweisung. 1. MZP 61 Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 12/ 12 57 75,8 IV 39,0 WF 9/ 10 49 46,0 SVK PR 1 (25/ 25) >0,970 (oberes Viertel) N 10/ 12 46 34,5 Wortklassen RW TW PR PRÄ 9 58 78,8 FP 4 46 34,5 VV 25 63 90,3 MHV 6 47 38,2 KONJ 5 51 54,0 KZ 4 52 57,9 Bemerkungen: • Alter: 6,5; Kontakt mit Deutsch: 19 Monate • Für Zozan gibt es keine T-Werte sowie Prozentränge entsprechend ihrem Alter und ihrer Kontaktdauer. Als Vergleichsbasis wurden die Werte und Prozentränge der nächsten Gruppe herangezogen (25-53 Kontaktmonate der Sechsjährigen). 123 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 2. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 12/ 12 57 75,8 IV 39,0 WF 10/ 10 59 81,6 SVK PR 1 (18/ 18) >0,970 (oberes Viertel) N 10/ 12 46 34,5 Wortklassen RW TW PR PRÄ 7 51 54,0 FP 2 37 9,7 VV 17 53 61,8 MHV 7 51 54,0 KONJ 5 51 54,0 KZ 4 52 57,9 Bemerkungen: • Alter: 6,10; Kontakt mit Deutsch: 24 Monate • Vergleichsgruppe: 25-53 Kontaktmonate der Sechsjährigen 7.1.2 Ergebnisse von Roza 7.1.2.1 Ergebnisse durch MAIN Im ersten MZP schneidet Roza sowohl auf der Makroals auch auf der Mikroebene in der Gesamtheit in Deutsch deutlich besser ab als in Kurmancî. Auf der Makroebene ist dies eindeutig bei der Struktur der Geschichte und bei Verständnisfragen festzuhalten. Hinsichtlich der Struktur der Geschichte hat sie in Deutsch bei der Nacherzählgeschichte zwei Punkte und bei der Erzählgeschichte sogar drei Punkte mehr als in ihren Äquivalenten in Kurmancî. Der Unterschied zwischen den beiden Sprachen ist bei den Verständnisfragen viel größer. Es gelingt Roza zu beiden Erzählungen in Deutsch alle zehn Fragen richtig zu beantworten, während sie zu den Erzählungen in Kurmancî von zehn Fragen zu der Nacherzählgeschichte lediglich sechs und zu der Erzählgeschichte sogar nur vier Fragen richtig beantwortet. Hinsichtlich der Mikrostruktur geht aus der Tabelle hervor, dass Roza in Deutsch mehr Typen und Token zur Sprache bringt als in Kurmancî. Bei der Nacherzählgeschichte in Deutsch überwindet sie schon in diesem MZP die 100-Token-Marke. Sie bildet des Weiteren in Deutsch mehr kommunikative Einheiten, die länger sind als die in Kurmancî. 124 7 Ergebnisse Die Struktur der Geschichte sowie die Verständnisfragen als Grundlage ge‐ nommen, kann vom ersten MZP zum zweiten MZP festgehalten werden, dass Roza sich in Deutsch leicht verschlechtert und in Kurmancî eindeutig verbessert. Denn in Deutsch erzielt sie in beiden Formaten der Erzählung jeweils einen Punkt weniger. Bei den Verständnisfragen zur Nacherzählgeschichte beantwortet sie zwar alle Fragen richtig, macht aber bei der Erzählgeschichte drei Fehler. In Kurmancî dagegen erzielt sie im Hinblick auf die Struktur der Geschichte bei der Nacherzählgeschichte vier Punkte und bei der Erzählgeschichte zwei Punkte mehr als zum früheren Zeitpunkt. Bei den Verständnisfragen macht sie bei der Nacherzählgeschichte nur einen Fehler, bei der Erzählgeschichte keinen. Auf der Mikroebene ist jedoch festzuhalten, dass eine Steigerung in beiden Sprachen vorhanden ist. In beiden Erzählungen in Deutsch erreicht sie die 100-Token-Marke, in der Erzählgeschichte sogar die 150-Token-Marke. In Kur‐ mancî erreicht sie in der Erzählgeschichte die 100-Token-Marke. Im dritten MZP ist festzuhalten, dass in Bezug auf die Struktur der Geschichte bei der Erzählgeschichte in Kurmancî und bei der Nacherzählgeschichte in Deutsch eine Steigerung zu verzeichnen ist. Bei den anderen beiden Geschichten bleiben die Werte dagegen unverändert. Die erreichten zwölf Punkte bei der Nacherzählge‐ schichte in Deutsch sind zugleich ihr bester Wert in der Studie. In Kurmancî erreicht sie in beiden Geschichten die Punktzahl elf und es gelingt ihr, in der Erzählgeschichte in allen drei Episoden die Verkettung Ziel-Versuch-Ergebnis herzustellen. Des Weiteren beantwortet sie in diesem MZP alle Verständnisfragen richtig. Wenn die Mikroebene betrachtet wird, fällt auf, dass Roza in den Nacherzählge‐ schichten in beiden Sprachen mehr Typen/ Token als im zweiten MZP produziert. Während sie mit mehr Typen/ Token in der Nacherzählgeschichte in Deutsch auch mehr Punkte bei der Struktur der Geschichte erreicht, ist dies bei der Nacherzähl‐ geschichte in Kurmancî nicht der Fall. Bei der Nacherzählgeschichte in Kurmancî sind ihre Werte hinsichtlich Typen/ Token die höchsten in der Studie. Anders als bei den Nacherzählgeschichten gibt es bei den Erzählgeschichten in beiden Sprachen hinsichtlich der Tokenanzahl einen Rückgang gegenüber dem zweiten MZP. 125 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 1. MZP Makrostruktur Hund_K BV_K Katze_D BZ_D Struktur der Ges. 7/ 17 6/ 17 9/ 17 9/ 17 VE Seq 0 1 1 2 Ziel allein 2 2 2 1 ZV/ ZE Seq 2 3 3 1 ZVE Seq 0 1 1 0 ISTs 4 2 11 5 Vers.fra 6/ 10 4/ 10 10/ 10 10/ 10 Mikrostruktur TNTT 34/ 59 32/ 59 50/ 128 52/ 88 KE 11 11 18 15 MLKE 5,363 5, 363 7,111 5,866 Codeswitching 0 0 0 0 2. MZP Makrostruktur Katze_K BZ_K Hund_D BV_D Struktur der Ges. 11/ 17 8/ 11 8/ 17 8/ 17 VE Seq 2 2 1 1 Ziel allein 2 1 1 3 ZV/ ZE Seq 3 1 1 3 ZVE Seq 1 0 0 1 ISTs 4 4 9 11 Vers.fra 9/ 10 9/ 9 10/ 10 7/ 10 Mikrostruktur TNTT 48/ 86 60/ 126 61/ 131 71/ 157 KE 14 15 15 20 MLKE 6,142 8,4 8,733 7, 85 Codeswitching 0 6 (4,761) 0 0 126 7 Ergebnisse 3. MZP Makrostruktur Hund_K BV_K Katze_D BZ_D Struktur der Ges. 11/ 17 11/ 17 12/ 17 8/ 17 VE Seq 2 2 3 2 Ziel allein 2 3 2 1 ZV/ ZE Seq 3 5 4 2 ZVE Seq 1 3 2 1 ISTs 2 5 8 7 Vers.fra 10/ 10 10/ 10 10/ 10 10/ 10 Mikrostruktur TNTT 82/ 166 60/ 116 65/ 148 54/ 120 KE 25 15 17 17 MLKE 6,64 7,733 8,705 7,058 Codeswitching 10 (6,024) 2 (1,724) 0 0 7.1.2.2 Ergebnisse durch LiSe-DaZ Wenn die LiSe-DaZ-Tabellen betrachtet werden, ist in Bezug auf das Sprachver‐ ständnis in allen Teilbereichen eine Steigerung vom ersten MZP zum zweiten MZP zu verzeichnen. Im zweiten MZP gelingt es Roza, alle W-Fragen richtig zu lösen. Hinsichtlich der Sprachproduktion zeigt sich, dass sie schon im ersten MZP wie ihre Schwester die Entwicklungsstufe Satzklammer IV erreicht. In Bezug auf die Wortklassen ist zu konstatieren, dass sie bei Präpositionen, Modal- und Hilfsverben sowie Konjunktionen gegenüber dem ersten MZP eine Steigerung verzeichnet. Lediglich bei Fokuspartikeln ist eine leichte Ver‐ schlechterung gegeben. Bei Vollverben bleibt ihr Wert unverändert. Auch bei der Kasuszuweisung ist eine Steigerung zu beobachten. Aus den Tabellen geht des Weiteren hervor, dass sie in einigen Teilbereichen der Sprachproduktion Werte über 80% Prozentrang erreicht. Dies gelingt ihr schon im ersten MZP bei Vollverben und Modal- und Hilfsverben. Im zweiten MZP kommen die Teilbereiche Präpositionen und Konjunktionen noch hinzu. 127 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 1. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 9/ 12 36 8,1 IV 39,0 WF 9/ 10 49 46,0 SVK PR 1 (29/ 29) >0,970 (oberes Viertel) N 7/ 12 35 6,7 Wortklassen RW TW PR PRÄ 8 54 65,5 FP 6 56 72,6 VV 26 64 91,9 MHV 10 59 81,6 KONJ 4 47 38,2 KZ 3 49 46,0 Bemerkungen: • Alter: 6,5; Kontakt mit Deutsch: 19 Monate • Für Roza gibt es keine T-Werte sowie Prozentränge entsprechend ihrem Alter und ihrer Kontaktdauer. Als Vergleichsbasis wurden die Werte und Prozentränge der nächsten Gruppe herangezogen (25-53 Kontaktmonate der Sechsjährigen). 128 7 Ergebnisse 2. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 11/ 12 46 34,5 IV 39,0 WF 10/ 10 59 81,6 SVK PR 1 (26/ 26) >0,970 (oberes Viertel) N 11/ 12 51 54,0 Wortklassen RW T-Wert PR PRÄ 10 62 88,5 FP 5 51 54,0 VV 26 64 91,9 MHV 12 67 95,5 KONJ 8 64 91,9 KZ 5 56 72,6 Bemerkungen: • Alter: 6,10; Kontakt mit Deutsch: 24 Monate • Vergleichsgruppe: 25-53 Kontaktmonate der Sechsjährigen 7.1.3 Ergebnisse von Aram 7.1.3.1 Ergebnisse durch MAIN Hinsichtlich der Struktur der Geschichte kann für die Makrostruktur im ersten MZP festgehalten werden, dass Aram in beiden Sprachen eine ähnliche Leistung aufweist. Denn bis auf die Nacherzählgeschichte in Deutsch, bei der er sechs Punkte erzielt, erreicht er in den anderen Erzählungen die gleiche Punktzahl, nämlich sieben. Auch hinsichtlich der Beantwortung der Verständnisfragen zeigt er vergleichbare Leistungen. Einzig bei den internal state terms gehen die erreichten Werte zugunsten des Kurmancî stärker auseinander. Das gleiche Bild zeigt sich auch bei den Werten der Mikrostruktur. Sowohl hinsichtlich der Typen als auch der Token erzielt Aram ähnliche Werte in beiden Sprachen. Bei der Anzahl der kommunikativen Einheiten sind die Unterschiede etwas größer. Aram bildet in Kurmancî mehr kommunikative Einheiten, die allerdings kürzer sind. Des Weiteren sind in beiden Erzählungen des Kurmancî jeweils zwei Codeswitchings zu verzeichnen. Hinsichtlich der Struktur der Geschichte ist im zweiten MZP gegenüber dem ersten MZP zu beobachten, dass Aram bis auf die Nacherzählgeschichte in Kur‐ 129 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch mancî in anderen Erzählungen höhere Werte erzielt. Eine Steigerung in Deutsch ist auch in Bezug auf internal state terms festzuhalten, während in Kurmancî diesbezüglich ein Rückgang zu beobachten ist. Bei den Verständnisfragen zu den Nacherzählgeschichten erzielt er in beiden Sprachen gegenüber dem ersten MZP gleiche Werte. Bei den Erzählgeschichten ist dagegen eine leichte Steigerung in beiden Sprachen zu verzeichnen. Hinsichtlich der Mikrostruktur ist auffällig, dass Aram im zweiten MZP in Kurmancî weniger und in Deutsch mehr Typen und Token als im ersten MZP produziert. Sein Token-Wert in der Erzählgeschichte in Deutsch ist beispiels‐ weise gegenüber dem im ersten MZP fast verdoppelt. Im zweiten MZP sind in der Erzählgeschichte des Kurmancî zwei Codeswitchings zu verzeichnen. Im dritten MZP kommt es in Kurmancî in Bezug auf die Struktur der Ge‐ schichte zu einer deutlichen Steigerung. Bei der Erzählgeschichte des Kurmancî erzielt Aram zwölf Punkte, was sein bester Wert in der Studie ist. In der Nacherzählgeschichte in Kurmancî ist es ihm gelungen, das Zeitsetting der Geschichte zu benennen, was in der Studie einmalig vorkommt. Des Weiteren beantwortet er in beiden Erzählungen in Kurmancî alle Verständnisfragen richtig. Arams Werte in Deutsch ändern sich in diesem MZP in Bezug auf die Struktur der Geschichte gegenüber dem zweiten MZP in der Nacherzähl‐ geschichte nicht, in der Erzählgeschichte gehen sie jedoch leicht zurück. Bei den Verständnisfragen verbessert sich Aram auch in Deutsch und beantwortet alle Fragen zur Erzählgeschichte richtig. Er macht jedoch zwei Fehler bei der Nacherzählgeschichte in Deutsch. In Bezug auf die Mikrostruktur ist festzuhalten, dass Aram in der Nacher‐ zählgeschichte des Deutschen in diesem MZP gegenüber dem zweiten MZP mehr Typen/ Token produziert, in der Erzählgeschichte des Deutschen dagegen weniger. In Kurmancî ist dagegen eine Steigerung in beiden Geschichten festzuhalten. 130 7 Ergebnisse 1. MZP Makrostruktur Hund_K BZ_K Katze_D BV_D Struktur der Ges. 7/ 17 7/ 17 6/ 17 7/ 17 VE Seq 0 1 1 3 Ziel allein 2 3 1 1 ZV/ ZE Seq 2 3 1 2 ZVE Seq 0 1 0 1 ISTs 7 8 4 2 Vers.fra 8/ 10 7/ 9 7/ 10 7/ 10 Mikrostruktur TNTT 32/ 61 35/ 67 36/ 75 37/ 61 KE 14 13 12 10 MLKE 4,357 5,153 6,25 6,1 Codeswitching 2 (3,278) 2 (2,985) 0 0 2. MZP Makrostruktur Katze_K BV_K Hund_D BZ_D Struktur der Ges. 7/ 17 10/ 17 10/ 17 10/ 17 VE Seq 0 2 3 2 Ziel allein 1 2 2 1 ZV/ ZE Seq 1 4 4 1 ZVE Seq 0 2 2 0 ISTs 5 5 7 6 Vers.fra 8/ 10 9/ 9 7/ 10 8/ 10 Mikrostruktur TNTT 26/ 46 30/ 61 46/ 98 50/ 119 KE 8 14 15 21 MLKE 5,75 4,357 6,533 5,666 Codeswitching 0 2 (3,278) 0 0 131 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 3. MZP Makrostruktur Hund_K BZ_K Katze_D BV_D Struktur der Ges. 10/ 17 12/ 17 10/ 17 9/ 17 VE Seq 2 3 2 1 Ziel allein 2 2 2 2 ZV/ ZE Seq 3 4 4 2 ZVE Seq 1 2 2 0 ISTs 6 8 10 11 Vers.fra 10/ 10 10/ 10 8/ 10 10/ 10 Mikrostruktur TNTT 37/ 72 34/ 65 60/ 130 47/ 87 KE 13 9 15 10 MLKE 5,538 7,222 8,666 8,7 Codeswitching 3 (4,166) 0 0 0 7.1.3.2 Ergebnisse durch LiSe-DaZ Zu den LiSe-DaZ-Tabellen ist im Bereich des Sprachverständnisses festzuhalten, dass Aram sowohl im ersten als auch im zweiten MZP bei der Verbbedeutung und den W-Fragen alle Aufgaben richtig löst. Bei der Negation dagegen macht er im ersten MZP einen Fehler und im zweiten MZP zwei. Ein leichter Rückgang ist also diesbezüglich auszumachen. So wie Zozan und Roza erreicht Aram schon im ersten MZP die Entwicklungsstufe Satzklammer IV und macht auch keine Kongruenzfehler. Des Weiteren ist in Bezug auf die Wortklassen festzuhalten, dass bei Präpositionen, Fokuspartikeln, Vollverben, Modal- und Hilfsverben eine Steigerung vorhanden ist. Lediglich sein Wert bei Konjunktionen bleibt unverändert. Hingegen ist bei der Kasuszuweisung eine Steigerung vorhanden. Im ersten MZP hat Aram in einigen Wortklassen Werte, die unter 20% Prozent‐ rang fallen. Im zweiten MZP hat er nur bei Konjunktionen einen solchen Wert. Hingegen hat er im zweiten MZP Werte bei Präpositionen und Fokuspartikeln, die über 80% Prozentrang erreichen. 132 7 Ergebnisse 1. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 12/ 12 53 61,8 IV 4,8 WF 10/ 10 55 69,1 SVK PR 1 (10/ 10) >0,980 (oberes Viertel) N 11/ 12 47 38,2 Wortklassen RW TW PR PRÄ 6 45 30,9 FP 5 52 57,9 VV 12 41 18,4 MHV 4 36 8,1 KONJ 4 36 8,1 KZ 2 30 2,3 Bemerkungen: • Alter: 6,0; DaM-Werte zugrunde gelegt 2. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 12/ 12 53 61,8 IV 4,8 WF 10/ 10 55 69,1 SVK PR 1 (16/ 16) >0,980 (oberes Viertel) N 10/ 12 42 21,2 Wortklassen RW TW PR PRÄ 12 >70 >97,7 FP 6 60 84,1 VV 16 54 65,5 MHV 5 44 27,4 KONJ 4 36 8,1 KZ 5 43 24,2 Bemerkungen: • Alter: 6,5; DaM-Werte zugrunde gelegt 133 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 7.1.4 Ergebnisse von Azad 7.1.4.1 Ergebnisse durch MAIN Wird die Struktur der Geschichte zugrunde gelegt, kann hinsichtlich der Ma‐ krostruktur der Erzählungen von Azad im ersten MZP festgehalten werden, dass er in beiden Sprachen ähnlich bzw. in Deutsch leicht besser abschneidet - jeweils um einen Punkt. Anders als bei der Struktur der Geschichte erzielt er in Kurmancî mehr Punkte für internal state terms. Azad beantwortet in der Gesamtheit in Deutsch mehr Verständnisfragen richtig als in Kurmancî. Die Nacherzählgeschichte in Deutsch stellt die einzige Geschichte in diesem MZP dar, zu der er mehr als die Hälfte der Verständnisfragen richtig beantwortet. In Bezug auf die Mikrostruktur ist festzuhalten, dass Azad in Kurmancî weniger Token als in Deutsch zur Sprache bringt. Das Gegenteil gilt aber, wenn Typen berechnet werden. Sowohl in der Nacherzählgeschichte als auch in der Erzählgeschichte produziert er mehr Typen in Kurmancî als in ihren Äquivalenten in Deutsch. Vom ersten MZP zum zweiten MZP ist ersichtlich, dass sich bei der Struktur der Geschichte sowohl in der Nacherzählgeschichte des Kurmancî als auch in der des Deutschen keine Änderung ergibt. Eine Veränderung gibt es dagegen in den Erzählgeschichten der beiden Sprachen. Diese Änderung zeigt sich in Kurmancî in Form einer beachtlichen Steigerung, in Deutsch dagegen in einem leichten Rückgang. Nach fünf Punkten in der Erzählgeschichte zuvor kommt Azad nun auf neun Punkte in Kurmancî, was seinen besten Wert in Kurmancî während der Studie darstellt. Wird total number of types and tokens without mazes zugrunde gelegt, ist ersichtlich, dass Azad in beiden Sprachen in allen Erzählungen im zweiten MZP mehr Typen und Token zur Sprache bringt als im ersten MZP. Im zweiten MZP kommt Codeswitching in beiden Geschichten in Kurmancî jeweils einmal vor. Im dritten MZP ist bei der Struktur der Geschichte festzuhalten, dass Azad bis auf die Erzählgeschichte in Kurmancî gegenüber dem zweiten MZP seine Werte steigert. Die Steigerung in Deutsch beträgt jeweils zwei Punkte für beide Geschichten. In Kurmancî dagegen steigert er seine Punktzahl bei der Nacherzählgeschichte um einen Punkt, erreicht aber bei der Erzählgeschichte drei Punkte weniger. Die Struktur der Geschichte zugrunde gelegt, ist bei Azad also hinsichtlich der Makrostruktur in Deutsch eine Steigerung vom zweiten MZP zum dritten MZP zu verzeichnen, aber in Kurmancî ein Rückgang. Auch die produzierten internal state terms und die Anzahl der richtig beantworteten Verständnisfragen sind mit dieser Entwicklung im Einklang. In Deutsch gelingt es Azad, zu beiden Erzählungen alle Fragen richtig zu beantworten, jedoch nicht in Kurmancî. 134 7 Ergebnisse Auch auf der Mikroebene ist eine deutlich positive Entwicklung in Deutsch zu verzeichnen. In der Nacherzählgeschichte ist im dritten MZP mehr als eine Verdopplung der Anzahl der Token gegenüber dem zweiten MZP zu verzeichnen. Azad überwindet in dieser Erzählung die 150-Token-Marke. In Kurmancî dagegen ist eine Steigerung bei den Token der Nacherzählgeschichte vorhanden, ansonsten ist eine Stagnation bzw. ein leichter Rückgang zu ver‐ zeichnen. 1. MZP Makrostruktur Hund_K BV_K Katze_D BZ_D Struktur der Ges. 6/ 17 5/ 17 7/ 17 6/ 17 VE Seq 0 1 1 2 Ziel allein 2 0 2 1 ZV/ ZE Seq 2 0 3 2 ZVE Seq 0 0 1 1 ISTs 5 5 4 1 Vers.fra 5/ 10 4/ 10 7/ 10 4/ 10 Mikrostruktur TNTT 32/ 47 35/ 54 29/ 65 32/ 60 KE 10 10 13 11 MLKE 4,7 5,4 5 5,454 Codeswitching 3 (6,382) 6 (11,111) 0 0 2. MZP Makrostruktur Katze_K BZ_K Hund_D BV_D Struktur der Ges. 6/ 17 9/ 17 7/ 17 5/ 17 VE Seq 2 0 1 1 Ziel allein 2 3 3 1 ZV/ ZE Seq 2 3 4 1 ZVE Seq 1 0 1 0 ISTs 3 4 5 4 Vers.fra 10/ 10 8/ 10 10/ 10 5/ 10 Mikrostruktur TNTT 37/ 55 39/ 60 36/ 76 37/ 61 KE 9 12 13 9 MLKE 6,111 5 5,846 4,923 Codeswitching 1 (1,818) 1 (1,666) 0 0 135 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 3. MZP Makrostruktur Hund_K BV_K Katze_D BZ_D Struktur der Ges. 7/ 17 6/ 17 9/ 17 7/ 17 VE Seq 1 2 2 1 Ziel allein 1 1 2 1 ZV/ ZE Seq 3 2 4 2 ZVE Seq 1 1 2 1 ISTs 2 3 7 5 Vers.fra 9/ 10 7/ 10 10/ 10 10/ 10 Mikrostruktur TNTT 37/ 67 38/ 59 53/ 158 43/ 91 KE 8 10 19 12 MLKE 8,375 5,1 8,315 7,583 Codeswitching 3 (4,477) 10 (16,949) 0 0 7.1.4.2 Ergebnisse durch LiSe-DaZ Azad ist das einzige Kind der Studie, das vom ersten MZP zum zweiten MZP bei LiSe-DaZ in allen Teilbereichen des Sprachverständnisses und der Sprachpro‐ duktion eine positive Entwicklung verzeichnet. Hinsichtlich des Sprachverständ‐ nisses kann er im ersten MZP nur bei der Verbbedeutung mehr als die Hälfte der Aufgaben richtig lösen. Bei der Negation kann er noch die Hälfte und bei den W-Fragen weniger als die Hälfte der Aufgaben richtig lösen. Im zweiten MZP löst er die Aufgaben in diesen Teilbereichen bis auf einen Fehler alle richtig. Im Bereich der Sprachproduktion erreicht Azad im ersten MZP nur die Entwicklungsstufe Satzklammer II. Daher wird auch entsprechend des theoretischen Rahmens von LiSe-DaZ die Subjekt-Verb-Kongruenz seiner Sprachproduktion nicht bewertet. Im zweiten MZP erreicht er die Entwicklungsstufe Satzklammer IV und macht bei der Subjekt-Verb-Kongruenz nur einen Fehler. Auch hinsichtlich der Wortklassen und der Kasuszuweisung macht er relevante Fortschritte. Insgesamt fallen seine Werte im zweiten MZP weder beim Sprachverständnis noch bei der Sprachpro‐ duktion unter 20% Prozentrang. Im ersten MZP liegen alle seine Werte außer bei Präpositionen unter 20% Prozentrang. Es ist jedoch anzumerken, dass Azad im ersten MZP wenig Interesse an dem Test zeigte und sich nicht auf die Aufgaben konzentrierte. Vor allem beantwortete er viele Fragen im Bereich der Sprachproduktion mit „weiß ich nicht“. Solche Äußerungen werden in LiSe-DaZ als „feststehende Wendungen“ definiert und nicht der Analyse unterzogen (Schulz/ Tracy 2011: 50). Insofern 136 7 Ergebnisse 62 Entwicklungsstufe Satzklammer III ist nicht erreicht. Daher wird auch die Sub‐ jekt-Verb-Kongruenz nicht ermittelt. entsprachen die Ergebnisse des Tests vom ersten MZP wahrscheinlich nicht seiner tatsächlichen Kompetenz. 1. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 8/ 12 34 5,5 II 2,4 WF 4/ 10 38 11,5 SVK 62 PR N 6/ 12 38 11,5 Wortklassen RW TW PR PRÄ 4 42 21,2 FP 1 36 8,1 VV 4 34 5,5 MHV 3 38 11,5 KONJ 1 40 15,9 KZ 1 41 18,4 Bemerkungen: • Alter: 5,2; Kontakt mit Deutsch: 9 Monate • Für Azad gibt es keine T-Werte sowie Prozentränge entsprechend seinem Alter und seiner Kontaktdauer. Als Vergleichsbasis wurden die Werte und Prozentränge der nächsten Gruppe herangezogen (13-47 Kontaktmonate der Fünfjährigen). 137 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 2. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 11/ 12 48 42,1 IV 40,0 WF 9/ 10 56 72,6 SVK PR 0,9333 (14/ 15) (oberer Mittelbereich) N 11/ 12 56 72,6 Wortklassen RW TW PR PRÄ 5 46 34,5 FP 4 48 42,1 VV 17 55 69,1 MHV 8 55 69,1 KONJ 5 51 54,0 KZ 3 50 50,0 Bemerkungen: • Alter: 5,7; Kontakt mit Deutsch: 14 Monate • Vergleichsgruppe: 13-47 Kontaktmonate der Fünfjährigen 7.1.5 Ergebnisse von Welat 7.1.5.1 Ergebnisse durch MAIN Wenn die Werte der Struktur der Geschichte zugrunde gelegt werden, kann für die Makrostruktur der Erzählungen von Welat im ersten MZP festgehalten werden, dass er in beiden Sprachen gleich abschneidet. In keiner der Erzäh‐ lungen stellt er die Ziel-Versuch-Ergebnis-Kette her. Auf der anderen Seite bringt er in beiden Sprachen eine beachtliche Anzahl von internal state terms zur Sprache. Bei den Verständnisfragen schneidet er in Kurmancî leicht besser ab als in Deutsch. Auch hier übersteigen seine richtigen Antworten aber nicht die Hälfte der gestellten Fragen. Hinsichtlich der Mikrostruktur ist ersichtlich, dass Welat in Kurmancî we‐ niger Typen und Token als in Deutsch produziert. Es ist weiterhin auffällig, dass er in Deutsch viel mehr kommunikative Einheiten bildet als in Kurmancî. Im ersten MZP gibt es Codeswitchings in beiden Geschichten des Kurmancî und in der Nacherzählgeschichte des Deutschen. Im zweiten MZP kann gegenüber dem ersten MZP ein Rückgang der Werte hinsichtlich der Struktur der Geschichte mit Ausnahme der Nacherzählge‐ 138 7 Ergebnisse schichte in Deutsch beobachtet werden. Der Rückgang in der Erzählgeschichte des Kurmancî und des Deutschen beträgt jeweils einen Punkt und in der Nacherzählgeschichte des Kurmancî zwei Punkte. Die Nacherzählgeschichte in Deutsch weist nicht nur in Bezug auf die Struktur der Geschichte, sondern auch in anderen Hinsichten auf positive Aspekte hin. Sie ist die einzige Erzählung des zweiten MZP, in der die Ziel-Versuch-Ergebnis-Kette in einer Episode hergestellt ist. In dieser Erzählung befindet sich auch die höchste Anzahl der internal state terms. Insgesamt beantwortet Welat in diesem MZP mehr Verständnisfragen richtig als im ersten MZP. Wird total number of types and tokens without mazes zugrunde gelegt, ist in Bezug auf die Mikrostruktur anzumerken, dass Welat bis auf die Nacherzählge‐ schichte in Kurmancî in allen anderen Geschichten gegenüber dem ersten MZP sowohl weniger Typen als auch weniger Token zur Sprache bringt. Insbesondere ist die Produktion von Typen/ Token bei Erzählgeschichten in beiden Sprachen niedrig. Die Werte, die Welat hier erreicht, sind seine niedrigsten Werte. Aus der Tabelle zum dritten MZP ist abzulesen, dass Welat in diesem MZP gegenüber dem zweiten MZP bei der Struktur der Geschichte in Kurmancî mehr Punkte erreicht. Es gelingt ihm, in den beiden Erzählungen des Kurmancî jeweils auch in einer Episode die Ziel-Versuch-Ergebnis-Kette herzustellen. In Deutsch erzielt Welat in der Nacherzählgeschichte des Deutschen weniger Punkte als im zweiten MZP, in der Erzählgeschichte die unveränderte Anzahl an Punkten. Des Weiteren beantwortet Welat in diesem MZP mehr Verständnisfragen zu den Erzählungen des Kurmancî richtig als im zweiten MZP. Das ist auch bei der Erzählgeschichte des Deutschen der Fall. Ausgehend von total number of types and tokens without mazes kann für die Mikrostruktur konstatiert werden, dass Welat gegenüber dem zweiten MZP im dritten MZP in den Erzählgeschichten in beiden Sprachen mehr Typen und Token produziert. In der Nacherzählgeschichte des Deutschen ist gegenüber dem zweiten MZP hinsichtlich der Token ebenfalls eine Steigerung vorhanden, nicht aber hinsichtlich der Typen. In der Nacherzählgeschichte des Kurmancî ist dagegen sowohl in Bezug auf Token als auch in Bezug auf Typen ein Rückgang gegenüber dem zweiten MZP vorhanden. 139 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 1. MZP Makrostruktur Katze_K BV_K Hund_D BZ_D Struktur der Ges. 6/ 17 5/ 17 5/ 17 6/ 17 VE Seq 0 1 1 0 Ziel allein 1 0 0 0 ZV/ ZE Seq 1 0 0 0 ZVE Seq 0 0 0 0 ISTs 3 3 2 8 Vers.fra 4/ 10 3/ 9 2/ 8 2/ 10 Mikrostruktur TNTT 27/ 43 27/ 33 32/ 69 29/ 48 KE 8 8 18 16 MLKE 5,375 4,125 3,888 3 Codeswitching 1 (2,325) 1 (3,030) 4 (5,797) 0 2. MZP Makrostruktur Hund_K BZ_K Katze_D BV_D Struktur der Ges. 4/ 17 4/ 17 7/ 17 5/ 17 VE Seq 0 0 1 0 Ziel allein 1 2 2 2 ZV/ ZE Seq 1 1 3 2 ZVE Seq 0 0 1 0 ISTs 0 0 6 3 Vers.fra 3/ 10 4/ 9 5/ 10 4/ 10 Mikrostruktur TNTT 36/ 57 22/ 29 31/ 54 20/ 32 KE 12 6 16 11 MLKE 4,75 4,833 3,375 2,909 Codeswitching 4 (7,017) 0 0 0 140 7 Ergebnisse 63 Auffällig ist im ersten MZP, dass Welat bei Vollverben deutlich überdurchschnittlich abschneidet. Dies liegt zum einen daran, dass die mit einer NP zu beantwortenden Fragen zum Teil mit einem Satz beantwortet werden. Zum anderen greift er an einigen Stellen auf die indirekte Rede zurück und nutzt dabei zwei Vollverben wie etwa: „Lise sagt, ich fahre auch.“ 3. MZP Makrostruktur Katze_K BV_K Hund_D BZ_D Struktur der Ges. 5/ 17 6/ 17 5/ 17 5/ 17 VE Seq 1 1 0 1 Ziel allein 1 2 2 1 ZV/ ZE Seq 2 2 2 1 ZVE Seq 1 1 0 0 ISTs 0 2 3 1 Vers.fra 6/ 10 8/ 10 2/ 9 5/ 10 Mikrostruktur TNTT 28/ 44 39/ 57 30/ 67 22/ 45 KE 8 15 13 9 MLKE 5,5 3,8 5,153 5 Codeswitching 4 (9,090) 3 (5,263) 0 0 7.1.5.2 Ergebnisse durch LiSe-DaZ Den Tabellen zu den Ergebnissen von Lise-DaZ ist hinsichtlich des Sprachver‐ ständnisses vom ersten MZP zum zweiten MZP eine positive Entwicklung bei W-Fragen zu entnehmen. Hingegen bleibt Welats Wert bei der Verbbedeutung unverändert und bei der Negation ist er leicht niedriger. In Bezug auf die Teil‐ bereiche der Sprachproduktion ist zu konstatieren, dass die Entwicklungsstufe Satzklammer mit der Stufe III unverändert bleibt, aber bei der Subjekt-Verb-Kon‐ gruenz im zweiten MZP ein Fehler mehr zu verzeichnen ist. Bei der Produktion der Wortklassen ist die Entwicklung vom ersten MZP zum zweiten MZP unterschiedlich. Während sich bei Präpositionen und Modal- und Hilfsverben eine positive Entwicklung zeigt, ist die Entwicklung bei Fokuspartikeln und Vollverben 63 negativ. In beiden MZP produziert Welat keine Konjunktionen, was auch erklärt, warum die Entwicklungsstufe Satzklammer IV nicht eintritt. Ebenso löst er sowohl im ersten als auch im zweiten MZP keine Aufgabe der Kasuszuweisung richtig. 141 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 1. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 11/ 12 48 42,1 III 4,8 WF 5/ 10 40 15,9 SVK PR 0,947 (18/ 19) Oberer Mittelbereich N 7/ 12 41 18,4 Wortklassen RW TW PR PRÄ 0 31 2,9 FP 1 36 8,1 VV 22 65 93,3 MHV 1 34 5,5 KONJ 0 34 5,5 KZ 0 33 4,5 Bemerkungen: • Alter: 5,4; Kontakt mit Deutsch: 9 Monate • Für Welat gibt es keine T-Werte sowie Prozentränge entsprechend seinem Alter und seiner Kontaktdauer. Als Vergleichsbasis wurden die Werte und Prozentränge der nächsten Gruppe herangezogen (13-47 Kontaktmonate der Fünfjährigen). 142 7 Ergebnisse 2. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 11/ 12 48 42,1 III 4,8 WF 8/ 10 49 46,0 SVK PR 0,857 (12/ 14) Unterstes Viertel N 6/ 12 38 11,5 Wortklassen RW TW PR PRÄ 3 39 13,6 FP 0 30 2,3 VV 11 43 24,2 MHV 7 53 61,8 KONJ 0 34 5,5 KZ 0 33 4,5 Bemerkungen: • Alter: 5,9; Kontakt mit Deutsch: 14 Monate • Vergleichsgruppe: 13-47 Kontaktmonate der Fünfjährigen 7.1.6 Ergebnisse von Aras 7.1.6.1 Ergebnisse durch MAIN Bei Aras werden insgesamt zwei seiner Erzählungen ausgewertet und erörtert, je eine vom ersten und vom zweiten MZP. Denn bei den anderen Erzählungen konnte die Erhebung nicht vollständig durchgeführt werden (siehe die Aus‐ führungen bei seiner Falldarstellung im Abschnitt 6.3). Werden diese beiden Erzählungen betrachtet, ist festzuhalten, dass er bei der Struktur der Geschichte im ersten MZP fünf und im zweiten MZP vier Punkte erzielt. In keiner der Er‐ zählungen kann er die Ziel-Versuch-Ergebnis-Kette herstellen. Zu der Erzählung des ersten MZP konnten die Verständnisfragen nicht gestellt werden. Zu der des zweiten MZP konnten sie hingegen gestellt werden und Aras beantwortete dabei über die Hälfte der Fragen richtig. Hinsichtlich der Mikrostruktur der Erzählungen geht aus den Tabellen hervor, dass Aras in der Erzählung vom ersten MZP deutlich mehr Token und Typen zum Ausdruck bringt. Dies hängt aber u. a. damit zusammen, dass er sich inhaltlich wiederholt. Er bildet in der Erzählung vom ersten MZP auch mehr kommunikative Einheiten, die wiederum länger sind. 143 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 1. MZP Katze_D Makrostruktur Mikrostruktur Struktur der Ges. 5/ 17 TNTT 53/ 93 VE Seq 0 KE 18 Ziel allein 2 MLKE 5,166 ZV/ ZE Seq 2 Codeswitching 0 ZVE Seq 0 ISTs 10 Vers.fra konnten nicht ge- stellt werden 2. MZP BV_D Makrostruktur Mikrostruktur Struktur der Ges. 4/ 17 TNTT 29/ 47 VE Seq 1 KE 14 Ziel allein 0 MLKE 3,357 ZV/ ZE Seq 0 Codeswitching 0 ZVE Seq 0 ISTs 1 Vers.fra 6/ 10 7.1.6.2 Ergebnisse durch LiSe-DaZ Aus den LiSe-DaZ-Tabellen ist ersichtlich, dass Aras schon beim ersten MZP alle Aufgaben von Verbbedeutung richtig löst, was er auch im zweiten MZP bei W-Fragen tut. Allerdings ist bei der Negation ein Rückgang zu verzeichnen. Hinsichtlich der Sprachproduktion ist zu konstatieren, dass Aras im ersten MZP die Entwicklungsstufe Satzklammer III erreicht und diese dann im zweiten MZP zur Entwicklungsstufe Satzklammer IV steigert. In beiden MZP macht er keine Subjekt-Verb-Kongruenz-Fehler. Des Weiteren ist in Bezug auf die Produktion der Wortklassen zu beobachten, dass er außer bei Fokuspartikeln, deren Wert sich leicht verschlechtert, bei jeder Wortklasse seine Werte steigert. Der Wert der Kasuszuweisung bleibt unverändert. Dass er bei den meisten Wortklassen seine Werte verbessert, bringt mit sich, dass er diesbezüglich im zweiten MZP keine Werte unter 20% Prozentrang hat. Lediglich im zweiten MZP hat er im Bereich des Sprachverständnisses bei Negation einen Wert unter 20% Prozentrang. Hingegen hat Aras in diesem Bereich bei Verbbedeutung im ersten und zweiten 144 7 Ergebnisse MZP einen Wert von über 80% Prozentrang, den er im zweiten MZP auch bei W-Fragen erreicht. 1. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 12/ 12 60 84,1 III 4,5 WF 7/ 10 47 38,2 SVK PR 1 (6/ 6) >0,980 (oberes Viertel) N 9/ 12 50 50,0 Wortklassen RW TW PR PRÄ 5 53 61,8 FP 5 55 69,1 VV 6 37 9,7 MHV 1 37 9,7 KONJ 1 41 18,4 KZ 3 47 38,2 Bemerkungen: • Alter: 3,4; DaM-Werte zugrunde gelegt 145 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 2. MZP Sprachverständnis Sprachproduktion RW TW PR ESS PR VB 12/ 12 60 84,1 IV 46,6 WF 10/ 10 67 95,5 SVK PR 1 (10/ 10) >0,980 (oberes Viertel) N 6/ 12 40 15,9 Wortklassen RW TW PR PRÄ 8 63 90,3 FP 4 50 50,0 VV 12 51 54,0 MHV 4 49 46,0 KONJ 5 53 61,8 KZ 3 47 38,2 Bemerkungen: • Alter: 3,9; DaM-Werte zugrunde gelegt 7.1.6.3 Besonderer Fall: Arasʼ Kurmancî-Kompetenz Zu Beginn der Erhebungen war Aras etwa seit zwanzig Monaten in der Kita und hatte einen systematischen Zugang zum Kurmancî, auch wenn dieser Zugang durch die vielen Fehltage eingeschränkt wurde. Die Mutter gab an, dass er im Durchschnitt ein bis zwei Tage in der Woche nicht in der Kita war. Nach ihren Informationen kam es auch vor, dass er zuweilen eine ganze Woche in der Kita fehlte. Dennoch war zu erwarten, dass er die Geschichten in Kurmancî ansatzweise erzählt oder zumindest die Figuren und Objekte, die in den Geschichten abgebildet sind, benennt. Denn die Namen dieser Figuren und Objekte - wie z. B. Katze, Hund, Baum oder Ball - hörte er in der Kita in Kurmancî immer wieder. Er konnte jedoch weder die Geschichten erzählen noch die abgebildeten Figuren und Objekte benennen. Aufgrund der langen Kitabesuchsdauer war dies nicht nachvollziehbar. Auch auf Wunsch der Eltern wurden nach der regulären Erhebungszeit weitere Tests mit ihm durchgeführt. Welche Ergebnisse sich bei diesen Tests ergaben, wird in diesem Abschnitt dargestellt, jedoch soll zunächst kurz darauf eingegangen werden, wie Aras auf die Tests während der regulären Erhebungszeit reagiert hat und wie diese abgelaufen sind. 146 7 Ergebnisse 64 Das Verb ist mit Subjunktiv-Präfix bikonjugiert. Dieses Präfix wird genutzt, um in Kurmancî die Futur- oder Konjunktivform zu bilden (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 187). Dementsprechend könnte Aras bixwe mit dem Bestreben genutzt haben, „wird essen“ oder „möchte essen“ auszudrücken. Im ersten MZP hat Aras beim Betrachten der Nacherzählgeschichte einige Figuren und Objekte - wie Wurst und Hund - auf Deutsch benannt. Nach dem Ansehen wurde ihm die Geschichte in Kurmancî vorgelesen und er wurde darum gebeten, die Geschichte nachzuerzählen. Er konnte sie jedoch nicht erzählen, daher wurde auch von der Erzählung der Erzählgeschichte abgesehen. Zum zweiten MZP war derselbe Umstand zu verzeichnen. Hier wurde lediglich zusätzlich gefragt, ob er die Farbe des Umschlags nennen kann, den er für seine Geschichte ausgesucht hat. Er konnte jedoch nicht sagen, welche Farbe es war, obwohl Farben den Kindern in der Kita immer wieder auch in Kurmancî seitens der Erzieher*innen genannt wurden. Zum dritten MZP hat sich an dem Umstand nicht viel geändert, außer dass der Testleiter die Zahlen von eins bis fünf einzeln - yek, du, sê, çar, pênc - in Kurmancî vorgesprochen und ihn darum gebeten hat, diese Zahlen einzeln nachzusprechen. Dieser Bitte ist er nicht nachgekommen. In den Erhebungen nach der regulären Zeit konnte jedoch beobachtet werden, dass Aras durchaus einige Äußerungen auf Kurmancî sagen kann. In der Erhebung vom 19. März 2018 konnte er zu der Katze-Geschichte ein paar Figuren wie pisik „Katze“ oder masî „Fisch“ in Kurmancî benennen. Als der Testleiter fragte, was mit dem Ball passiert sei, hat Aras mit avê „ins Wasser“ geantwortet. Auf die Frage, was die Katze mit dem Fisch gemacht habe, antwortete er mit bixwe „essen“ 64 . Zum Zeitpunkt dieser Erhebung war Aras vier Jahre und drei Monate alt und war etwa seit zwei Jahren und neun Monaten in der Kita. Zu ergänzen ist, dass Aras seit September 2017 die Kita regulär, also ohne besondere Fehltage besuchte. Dies hängt damit zusammen, dass die Mutter zu dieser Zeit in derselben Kita eine Ausbildung begonnen hatte und ihn nun auch regelmäßig in die Kita brachte. In der Erhebung vom 12. September 2018 hat er eine ähnliche Leistung wie sechs Monate zuvor gezeigt. Er konnte wieder einige Figuren der Bilderge‐ schichte benennen. Dieses Mal konnte er auch zwei Farben der Umschläge - rot und blau - in Kurmancî benennen. Zuletzt wurde mit Aras am 15. Mai 2019 die Lexikonabfrage durchgeführt, die für die anderen Kinder der Studie für die Ermittlung ihrer Kompetenz in der dritten und vierten Sprache zur Anwendung kam. In dieser Zeit war er fünf Jahre und fünf Monate alt und etwa seit drei Jahren und elf Monaten in der Kita. Bevor die Wörter abgefragt wurden, wurde mit ihm wieder ein kurzes Aufwärmgespräch geführt. Ein solches Gespräch wurde mit ihm in der Regel 147 7.1 Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch vor jedem Testdurchgang geführt, aber er war dabei meistens teilnahmslos. Vor der Lexikonabfrage war er interessiert und hat versucht, auf die Fragen zu antworten. Auf die Frage „Wie geht es dir? “ hat er mit baş im „mir geht es gut“ geantwortet. Darauf wurde gefragt, wie sein Vater und seine Mutter heißen. Auch auf diese Fragen hat er richtig antworten können. Die Lexikonabfrage hat er jedoch nicht gut meistern können. Denn er hat die meisten Fragen mit erê „ja“ beantwortet, gleichgültig ob das vorgesagte Wort mit dem Bild übereinstimmte oder nicht. Somit konnte nicht eindeutig ermittelt werden, ob er die Bedeutung der Wörter in Kurmancî kannte oder nicht. Zusammenfassend kann in Bezug auf die Sprachkompetenz von Aras in Kurmancî festgehalten werden, dass sie sehr langsam voranschreitet. Mit der Zeit hat er sich bemüht, auf die Fragen zu antworten und den Aufgaben gerecht zu werden. Dass er während der regulären Erhebungszeit auf die Fragen nicht antwortete und nicht versuchte, bei den Aufgaben mitzumachen, kann damit zusammenhängen, dass er aufgrund der sehr vielen Fehltage seine Zeit mehrheitlich zu Hause verbrachte, wo die Kommunikationssprache hauptsächlich Deutsch war. Allerdings hat sich seine Kurmancî-Kompetenz auch beim regelmäßigen Besuch der Kita nicht in dem Maße entwickelt, dass er MAIN-Geschichten ansatzweise in Kurmancî erzählen konnte. Er wollte die Geschichten auch auf Deutsch nicht immer erzählen, aber wenn er sie erzählen wollte, hat er sie entsprechend seines Alters erzählt. Auch bei LiSe-DaZ war zu sehen, dass seine Werte denen seines Alters entsprechen. Daraus ist abzuleiten, dass sein Deutsch sich auf eine erwartbare Weise, sein Kurmancî sich jedoch sehr langsam entwickelte. Dafür dürfte auch die Tatsache eine Rolle gespielt haben, dass Deutsch in der Kita die dominante Sprache war. Vor allem die Kommunikationssprache unter den Kindern war mehrheitlich Deutsch. Dies dürfte den Input in Kurmancî und damit einhergehend die Entwicklung in dieser Sprache eingeschränkt haben (siehe die Abschnitte 6.1, 8.1.4). Diese asymmetrische Entwicklung der Sprachen von Aras müsste seitens der Kita analysiert werden. Darüber hinaus sollte sie Strategien entwickeln, wie sie ein Gleichgewicht - zumindest annähernd - hinsichtlich der Entwicklung des Kurmancî und des Deutschen herstellen kann. Denn so wie für einige Kinder - Zozan, Roza, Azad, Welat - erwartet wird, dass sie in der Kita Deutsch erwerben und dieses fortlaufend entwickeln, wird dies für andere Kinder - Aram, Aras - für Kurmancî erwartet. Es ist davon auszugehen, dass auch in Zukunft Kinder in der Kita angemeldet werden, die zu Hause nicht die Möglichkeit haben, Kurmancî zu erwerben, so dass der Spracherwerb in der Kita gewährleistet werden muss. 148 7 Ergebnisse 65 „Ana ismi Zozan ( انأ يمسا نازوز ).“ Anders als im Deutschen und Kurmancî, aber ähnlich wie im Türkischen, ist ein Satz im Arabischen ohne Verb möglich. 7.2 Ergebnisse zu weiteren Sprachen 7.2.1 Ergebnisse zu Arabisch bei Zozan und Roza Die Zwillinge Zozan und Roza haben bis etwa zu ihrem dritten Lebensjahr in Kobanî/ Nordsyrien gelebt und dort für etwa drei Monate einen arabischspra‐ chigen Kindergarten besucht. Somit bot sich ihnen die Möglichkeit, Arabisch zu erwerben. Da aber die Familie das Land verlassen musste, wurde ihr Erwerb‐ prozess des Arabischen abgebrochen. In Deutschland angekommen, war nicht mehr Arabisch, sondern Deutsch die Zweitsprache der Zwillingsschwestern (für weitere Informationen siehe ihre Falldarstellung im Abschnitt 6.3). Um zu er‐ mitteln, ob und inwiefern sie in Arabisch über eine Sprachkompetenz verfügen, wurde mit ihnen am 15. Juni 2017 ein Test durchgeführt; ihre Ergebnisse werden im Folgenden dargelegt. In der Aufwärmphase antwortete Zozan mit ihrem eigenen Namen „Zozan“, als der Testleiter auf Arabisch fragte: „Weißt du, wie ich heiße? “ Danach erweiterte sie ihre Antwort, indem sie ihren Namen in einem Satz auf Ara‐ bisch sagte: „Mein Name (ist) Zozan.“ 65 Sie konnte also ihren Namen in dem entsprechenden arabischen Satz nennen, hat jedoch die Frage des Testleiters offenbar falsch verstanden. Ansonsten hat sie sich an dem Gespräch während der Aufwärmphase nicht beteiligt und auf Fragen wie die folgende nicht reagiert: „Ich wollte erstmal fragen, wie es dir heute geht? “ Dies kann bedeuten, dass sie entweder die Fragen nicht verstanden hat oder nicht genügende produktive Sprachkompetenz in Arabisch hatte, um auf die gestellten Fragen zu antworten. Bei der Lexikonabfrage konnte sie bei acht von zwölf Fragen richtig unter‐ scheiden, ob das genannte Wort mit dem Bild übereinstimmte oder nicht. Bei den meisten Fragen war ihre Antwort nur nonverbal oder nonverbal begleitet, vor allem durch ein Nicken. Wenn das genannte Wort mit dem Bild überein‐ stimmte, bestätigte sie es meistens durch ein Nicken. In einigen Fällen hat sie jedoch auch genickt, wenn das vorgesagte Wort mit dem Bild nicht übereinge‐ stimmt hat. Sie konnte durchaus auch verbal auf die Fragen antworten, indem sie das Wort sah (حــص) „richtig“ und la (ال) „nicht, nein“ benutzte. Falls das ge‐ nannte Wort mit dem Bild nicht übereinstimmte und sie das richtig erkannte, wurde sie darum gebeten, das richtige Wort zum Bild zu sagen, worauf sie jedoch nicht reagierte. 149 7.2 Ergebnisse zu weiteren Sprachen 66 Mit „oben“ ist der Gruppenraum der Kita gemeint. Die Bildergeschichte HAVAS 5 konnte sie nicht erzählen. Sie war auch nicht in der Lage, einzelne Charaktere oder Objekte wie Katze, Vogel, Baum etc. zu benennen. Nur an einer Stelle, als der Testleiter auf Arabisch fragte: „Und was macht die Katze hier? “, gab sie eine Antwort auf Deutsch und sagte: „Die Katze springt.“ Dass sie auf die Frage antwortete - wenn auch auf Deutsch -, kann dahingehend interpretiert werden, dass sie die Frage verstanden hat. Als der Testleiter sie bat, die Geschichte auf Arabisch zu erzählen, machte sie mit ihrer Hand eine Geste in der Bedeutung von „ein bisschen“. Als der Testleiter daraufhin fragte: „Ein bisschen? “, nickte sie, aber sagte weiterhin nichts zu der Geschichte. Es kann daher vermutet werden, dass sie die Bitte zum Erzählen als Frage verstanden hat, ob sie Arabisch könne. Wenn auch aus der Testsituation heraus diese Vermutung naheliegt, kann sie nicht mit Sicherheit bestätigt werden. Mit Roza gestaltete sich die Erhebung schwieriger als mit Zozan, da Roza vor dem Test gesagt hatte, dass sie kein Arabisch könne, und während der Testphase eine Haltung der Nichtinvolviertheit zeigte. Der Testleiter und ich versuchten, sie zu motivieren, was auch ein wenig dazu beitrug, dass sie zumindest den Test mitmachte, aber ihre unbeteiligte Haltung nicht ablegte. Dennoch konnten durch den Test einige Erkenntnisse ermittelt werden, die Indizien zu ihrer Sprachkompetenz in Arabisch geben. In der Aufwärmphase hat Roza die Frage: „Wie heißt du? “ richtig verstanden. Denn sie hat darauf mit „Roza“ geantwortet. Danach hat sie ihre Antwort erweitert, indem sie ihren Namen auf Arabisch in einem Satz sagte: „Mein Name (ist) Roza.“ Sie konnte also wie ihre Schwester ihren Namen auf Arabisch zum Ausdruck bringen. Es scheint, dass sie auch die folgende Frage in der Aufwärmphase richtig verstanden hat: „Was hast du oben 66 gemacht? “ Darauf antwortete sie nämlich auf Deutsch: „Oben [/ ] oben habe ich richtig Spaß gehabt.“ Bei der Lexikonabfrage hat sie auf die meisten Fragen auf Deutsch reagiert bzw. geantwortet, so dass es nicht eindeutig war, ob sie die Fragen verstanden hat oder nicht. Der Testleiter (TL) zeigte beispielsweise auf das Bild eines Vogels: *TL: Hada asfur? „(Ist) das ein Vogel? “ *ROZA: &em Vogel? *TL: Hada asfur? “(Ist) das ein Vogel? “ *ROZA: asfur? (.) toll. “Vogel? Toll“ 150 7 Ergebnisse *TL: sah wela la? „richtig oder nicht? “ *ROZA: was? *TL: Hada asfur wela la? “(Ist) das ein Vogel oder nicht? “ *ROZA: &em, das ist ein Vogel. Neun von zwölf Fragen beantwortete sie etwa auf diese Weise. Lediglich bei drei Fragen gab sie ihre Antwort nonverbal durch ein Nicken. Während sie davon zwei Fragen richtig beantwortet hat, lag sie bei einer Frage falsch. Bestätigungs- oder Verneinungsausdrücke wie sah (حص) „richtig“ und la (ال) „nicht, nein“ ver‐ wendete Roza nicht. Die Bildergeschichte HAVAS 5 konnte Roza wie ihre Schwester nicht er‐ zählen. Sie war auch nicht in der Lage, die einzelnen Charaktere oder Objekte der Geschichte zu benennen. Vielmehr hat sie wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie kein Arabisch könne: „Ich hab(e) dir doch gesagt, ich kann nicht Arabisch reden“ - eine Aussage, die sie aber danach relativiert hat: „Aber ich weiß nicht so viel, ich weiß nur ein bisschen. Aber über Tiere weiß ich nicht.“ Insgesamt kann im Hinblick auf die Sprachkompetenz von Zozan und Roza für das Arabische festgehalten werden, dass ihnen diese Sprache nicht fremd ist. Es konnte konkret ermittelt werden, dass sie, vor allem Zozan, diese Sprache in elementarer Weise verstehen. In Bezug auf das Sprechen ist anzumerken, dass beide ihren Namen in einem vollständigen arabischen Satz sagen konnten. Zozan ist es sogar gelungen, einfache Ausdrücke wie sah und la zu benutzen. Es konnte also eine kleine produktive Kompetenz festgestellt werden, wenn auch nur in sehr geringem Maß. 7.2.2 Ergebnisse zu Französisch bei Aram Aram hat in Frankreich gelebt, bis er etwa drei Jahre und neun Monate alt war. In dieser Zeit hatte er einen intensiven Kontakt zum Französischen, erst durch eine Tagesmutter und dann in der Kita. Dieser intensive Zugang zum Französischen erklärt auch, warum er laut seiner Mutter seine ersten Worte in dieser Sprache sprach. Nach dem Umzug nach Deutschland hat die Mutter nach Wegen gesucht, den Zugang zum Französischen aufrechtzuerhalten. Jedoch konnte sie keinen so intensiven Zugang wie in Frankreich herstellen (für weitere Informationen siehe den Abschnitt 6.3). Als Resultat ging die Mutter eher von einer inaktiven Sprachkompetenz ihres Kindes in Französisch aus: „(…) dass in seinem Unterbewusstsein mehr gespeichert ist, als wie er versteht und spricht jetzt. Das muss man aktivieren.“ Um zu ermitteln, inwiefern Aram 151 7.2 Ergebnisse zu weiteren Sprachen 67 Bei einer Frage hat Aram richtig erkannt, dass das genannte Wort mit dem Bild nicht übereinstimmt. Die Testleiterin hat jedoch aus Versehen die Frage nicht gestellt, was tatsächlich auf dem Bild zu sehen ist. Er hat auch von sich aus nicht gesagt, was abgebildet ist. Französisch kann, wurde mit ihm am 13. Juni 2017 ein Test mit folgendem Ergebnis durchgeführt. In der Aufwärmphase hat Aram meistens auf Fragen wie: „Was hast du gestern in der Kita gemacht, kannst du mir etwas erzählen? “ nicht reagiert. Lediglich die Fragen: „Geht es dir gut? “ und „Möchtest du, dass wir anfangen zu spielen? “ hat er mit oui „ja“ beantwortet. Ansonsten hat er auf Deutsch zum Ausdruck gebracht, dass er auf die Fragen nicht antworten könne: „&hau ich kann nicht sagen.“ Bei der Lexikonabfrage konnte er von zwölf Fragen neun Mal richtig unter‐ scheiden, ob das genannte Wort mit dem Bild übereinstimmte oder nicht. Die meisten Fragen beantwortete er dabei verbal, mit den Ausdrücken oui „ja“ oder non „nein“. Falls das genannte Wort mit dem Bild nicht übereinstimmte und er das richtig erkannt hat, wurde er darum gebeten, das richtige Wort zum Bild zu sagen, was er aber nicht konnte. 67 Dagegen hat er an zwei Stellen einige Worte auf Französisch gesagt. Zuerst während der Einleitung der Lexikonabfrage, als er auf ein Bild in der Hand der Testleiterin zeigte und fragte: <ça quoi? > [/ ] ça quoi „was das [/ ] was das? “ Danach bei der Frage: „Ist das ein Hund? “ Diese Frage hat Aram zuerst mit na [=? non] negiert. Dann hat er sich korrigiert und gesagt: ça un chien „das ein Hund.“ Dabei hat die transkribierende Person angemerkt, dass er das Wort chien „Hund“ nicht ganz richtig ausgesprochen habe. Die Bildergeschichte HAVAS 5 konnte auch Aram nicht erzählen. Dabei hat er in einigen Fällen die letzten Worte einer Äußerung der Testleiterin (TL) aufgegriffen und danach gefragt: *TL: Tu peux me raconter, qu’est-ce qui se passe là? „Kannst du mir erzählen, was da/ hier passiert? “ *ARAM: Was ist das là? In einigen Fällen hat Aram die Testleiterin direkt nach bestimmten Ausdrücken oder nach den Namen der Figuren gefragt, die in der Geschichte abgebildet sind. Nachdem diese genannt wurden, hat er sie nachgesprochen oder versucht nachzusprechen: 152 7 Ergebnisse *ARAM: Wie heißt Vogel? *TL: oiseau *ARAM: oiseau. In einem Fall konnte er sogar einen Ausdruck, den er nachgefragt hat, mit einem Wort in Kurmancî go(t) „sagen“ verknüpfen und daraus einen Satz bilden: *ARAM: Und wie heißt „ich habe dich gesehen? “ *TL: <Ich habe dich &em> [/ / / ] Je t’ai vu. „Ich habe dich gesehen.“ *ARAM: Je t’ai vu chat go@s: kur chat. „‚Ich habe dich gesehen‘ Katze sagte Katze“ Ansonsten konnte er von den Figuren, die in der Bildergeschichte abgebildet sind, nur die Katze benennen, die er auch in seiner oben zitierten Äußerung eingefügt hat. Insgesamt kann für die Sprachkompetenz von Aram in Französisch festge‐ halten werden, dass er in dieser Sprache eher über eine geringe Kompetenz verfügt, die nicht vergleichbar mit der des Deutschen oder des Kurmancî ist. Die Verschiebung der Zugangsbedingungen zu diesen Sprachen spiegelt sich eindeutig in seiner Sprachkompetenz. Dennoch konnte festgehalten werden, dass Aram Französisch bis zu einem gewissen Grad versteht. Er konnte auch einfache Ausdrücke wie oui „ja“ oder non „nein“ benutzen, um auf die Fragen zu antworten. 7.2.3 Ergebnisse zu Türkisch bei Aram Laut den Aussagen der Mutter wurde mit Aram weder von ihr noch seitens des Vaters Türkisch gesprochen. Es gab auch keine andere Bezugsperson, die mit ihm in dieser Sprache kommuniziert hat, und es fand keine gezielte Förderung dieser Sprache statt. Jedoch hat Aram seit seiner Geburt bzw. bereits während der Schwangerschaft passiv das Türkische mitgehört, wie die Mutter beschrieb: „(…) dass (…) er seit seiner Geburt, auch seitdem er in meinem Bauch war &em das Türkische passiv mithört. Und das passive Mithören ist ja auch (ei)n Lernprozess.“ Das passive Mithören kam zustande, da die Eltern miteinander im Haushalt meistens Türkisch gesprochen haben. Es sollte ermittelt werden, ob das passive Mithören, das von der Mutter als ein Lernprozess bezeichnet wurde, Spuren hinterlassen hatte, und ob Aram dadurch in der Lage war, einiges auf Türkisch zu sprechen und zu verstehen. Um dies zu ermitteln, wurde mit ihm am 153 7.2 Ergebnisse zu weiteren Sprachen 20. Juni 2017 - eine Woche nach der Elizitation im Französischen - der gleiche Test auch in Türkisch durchgeführt. Die Testleiterin hat in der Phase des Aufwärmens die folgende Frage auf Türkisch gestellt: „Wenn du mit mir spielst, wie ich versprochen habe, bekommst du einen Stein, den ich mitgebracht habe, einverstanden? “ Darauf hat Aram mit einem zustimmenden Nicken reagiert. Bei der Lexikonabfrage konnte er bei sechs von zwölf Fragen richtig unter‐ scheiden, ob das genannte Wort mit dem Bild übereinstimmt oder nicht. Die Fragen beantwortete er dabei im Gegensatz zum Französischen ausschließlich nonverbal durch Nicken oder Kopfschütteln. Falls das vorgesagte Wort mit dem Bild nicht übereinstimmte und er das richtig erkannt hat, wurde er darum gebeten, das richtige Wort zum Bild zu sagen, was er aber außer bei einer Frage nicht konnte. In der Frage sechs ist auf dem Bild ein Fußball abgebildet und es wird gefragt, ob das ein Luftballon sei. Diese Frage hat Aram durch Kopfschütteln verneint. Daraufhin wurde er gefragt, was denn tatsächlich auf dem Bild zu sehen sei. Er hat darauf mit top und dann mit Fußball geantwortet. Das Wort top entspricht im Türkischen dem Wort Ball und kann dahingehend bewertet werden, dass er dieses Wort in Türkisch produziert hat. Allerdings ist die Nutzung top auch in Kurmancî mit derselben Bedeutung sehr verbreitet. Wie im Fall des Französischen war Aram nicht in der Lage, die Bilderge‐ schichte HAVAS 5 auf Türkisch zu erzählen. Im Französischen konnte er von den Figuren die Katze benennen. Im Türkischen konnte er diese nicht benennen, auch als die Testleiterin (TL) konkret danach fragte: *TL: Bu nedir „Was ist das? “ [% zeigt auf die Katze] *ARAM: [% macht eine Geste im Sinne von „keine Ahnung“] Im Gegensatz zum Französischen hat er im Türkischen kein Interesse gezeigt, die Ausdrücke nachzusprechen oder nachzufragen. Insgesamt ist für die Türkischkompetenz von Aram festzuhalten, dass diese Sprache ihm nicht fremd ist, so wie das Arabische Zozan und Roza nicht fremd ist. Des Weiteren behält die Mutter recht darin, dass passives Lernen auch ein Lernprozess ist, der zumindest auf der Ebene der Rezeption bei ihm Spuren hinterlassen hat, die erklären, dass er bei der Lexikonabfrage von den zwölf Fragen auf sechs richtig geantwortet hat. 154 7 Ergebnisse 7.2.4 Ergebnisse zu Arabisch bei Welat Wie bei seiner Falldarstellung ausgeführt wurde, hat Welat weder einen ara‐ bischsprachigen Kindergarten besucht, noch hat in der Familie jemand mit ihm in dieser Sprache kommuniziert. Daher wurde vermutet, dass er in dieser Sprache über keine Sprachkompetenz verfügt. Der Test konnte aber hierzu kein eindeutiges Ergebnis liefern. Im Folgenden soll ausgeführt werden, warum dies der Fall war und wie die Arabischkompetenz von Welat zu beurteilen ist. Der Test hat am 15. Juni 2017 stattgefunden. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Welat sich interessiert an dem Test beteiligt hat. Er hat dem Testleiter aufmerksam zugehört und ließ seine Fragen auf sich wirken. Darüber hinaus machte er den Eindruck, dass er sich bemühte, zu verstehen, was der Testleiter sagte. In der Aufwärmphase hat er zweimal auf die Fragen des Testleiters reagiert. An der ersten Stelle bezog sich die Frage auf seinen Namen. Der Testleiter sagte: „Kennst du mich? Ich heiße …. Wie heißt du? “ Er antwortete auf diese Frage nach seinem Namen und sagte: Welat. Es kann nicht mit Sicherheit gesagt werden, ob Welat aus der Situation heraus begriffen hat, dass er nach seinem Namen gefragt wurde, oder ob er die Frage unabhängig von der Situation verstand. Fest steht aber, dass er die Frage richtig erfasst und beantwortet hat. In der zweiten Situation bezog sich die Frage darauf, was er den Tag zuvor in der Kita gemacht habe und ob er mit seinen Freunden gespielt habe. Auf diese Frage hat Welat mit Buch geantwortet. Dann hat der Testleiter gefragt, ob sie ein Buch gelesen haben. Diese Frage hat Welat durch ein Nicken bejaht. Auch hier liegt die Vermutung nah, dass er die gestellte Frage verstanden hat. Bei der Lexikonabfrage hat er neun von zwölf Fragen mit einer uneindeutigen Interjektion eh beantwortet. Diese Interjektion benutzte er fünfmal, als das vor‐ gesagte Wort mit dem Bild übereinstimmte, und ebenso viermal, wenn es nicht übereinstimmte. Diese Tatsache legt nah, dass er die Wörter nicht gekannt, sondern eher geraten hat. Auch bei den übrigen zwei Fragen, die er mit einem Kopfschütteln bzw. mit der Wiederholung des genannten Wortes beantwortet hat, lag die Vermutung nah, dass er die Wörter nicht kannte. Aber eine Frage - die Frage sechs - hat er eindeutig und richtig beantwortet. In dieser Frage wird auf einen Fußball gezeigt und gefragt, ob dies ein Luftballon sei. Diese Frage hat er mit la (ال) verneint. Als er gefragt wurde, was es tatsächlich sei, antwortete er mit Ball. Es ist jedoch anzumerken, dass das Wort „Luftballon“ in Deutsch, in Kurmancî balon und im Arabischen balon (نولاب) ein ähnliches bzw. identisches Wort ist. Es kann daher sein, dass Welat sein Wissen in Deutsch und in Kurmancî genutzt hat, um zu identifizieren, dass das auf Arabisch vorgesprochene Wort nicht auf einen (Luft-)Ballon referiert (siehe auch bei Aram die vergleichbare 155 7.2 Ergebnisse zu weiteren Sprachen 68 Die Analysen zu den grammatischen Charakteristiken in Kurmancî beinhalten die sprachlichen Daten von Aras nicht (siehe diesbezüglich seine Falldarstellung im Abschnitt 6.3 sowie die Analyse seiner Kurmancî-Kompetenz im Abschnitt 7.1.6.3). 69 Um bei den phonologischen Analysen sowohl in Kurmancî als auch in Deutsch akustische Fehler zu vermeiden, wurden die Äußerungen mehrmals gehört. Darüber hinaus wurden sie von mindestens einer weiteren Person gehört und bewertet, um eine einseitige Einschätzung zu vermeiden. Situation bei derselben Aufgabe in Türkisch). Die HAVAS-5-Geschichte konnte auch Welat nicht erzählen. Er konnte auch keine Figuren und Objekte, die in der Geschichte abgebildet sind, benennen. Insgesamt zeigt der Test das Ergebnis, dass Welat entweder eine nur sehr geringe oder keine Kompetenz im Arabischen hat. Falls er keine Kompetenz in dieser Sprache haben sollte, so ist zu schlussfolgern, dass er bei den zutreffenden Antworten aus der Situation heraus begriffen hat, was gefragt wurde und/ oder dass er sein Wissen in Kurmancî und Deutsch eingesetzt hat. Letzteres scheint auch zu erklären, warum er von den zwölf Fragen nur eine Frage eindeutig richtig beantwortet hat. 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 7.3.1 Kurmancî 68 7.3.1.1 Phonologische Eigenschaften 69 Im Hinblick auf die phonologischen Eigenschaften in Kurmancî stehen in den sprachlichen Daten der Kinder nicht die Abweichungen im Vordergrund, sondern die Besonderheiten der regionalen Varietäten. Bei den Zwillingsschwestern Zozan und Roza ist zu konstatieren, dass ihre sprachlichen Daten drei von vier phonologischen Merkmalen des Westkurmancî zeigen, die von Haig/ Öpengin (2018) beschrieben sind. Erstens wird das [a: ] gerundet und als [ɔ: ] artikuliert, was sich beispielsweise an der Aussprache der Wörter dar [dɔ: r] „Baum“, bav [bɔ: v] „Vater“ oder heval [hævɔ: l] „Freund*in“ zeigt. Zweitens verwandeln sich [ɛ] und [æ], beides mit <e> geschrieben (vgl. Gündoğdu 2016: 61), zu einem kurzen zentralen [æ]. Dies ist u. a. an der Artikulation von dest [dæst] „Hand“, ser [sæɾ] „Kopf “ und reş [ræʃ] „schwarz“ zu erkennen. Drittens wird das [b] in manchen Wörtern durch [w] ersetzt. Dies konnte an dem Wort wîne [wi: næ] („bringen“ im Tempus des Futurs) beobachtet werden. Die einzige in der Fachliteratur beschriebene Eigenschaft, 156 7 Ergebnisse 70 Anders als das Deutsche hat das Kurmancî kein Reflexivpronomen, das je nach Person unterschiedliche Formen hat. Insofern kann xwe „mich“, „dich“, „sich“, „uns“ und „euch“ bedeuten (vgl. MacKenzie 1961: 173). Des Weiteren: „If a possessor is coreferent with the same-clause subject, the reflexive pronoun xwe is obligatorily used in place of a personal pronoun“ (Haig/ Öpengin 2018: 178). 71 kurdish.humanities.manchester.ac.uk/ k-023-imranli-turkey/ die sich nicht in den Daten der Zwillingsschwestern niederschlägt, ist die Verwandlung von [ɨ] zu [æ]. Beim Wort li [lɨ] „in“ verändert sich die Aussprache bei beiden Zwillingsschwestern beispielsweise nicht. Des Weiteren artikulieren beide Kinder revîya [rævi: ja: ] als rivîya [rɨvi: jɔ: ] „ist gerannt“, was wiederum eine regionale Besonderheit zu sein scheint. Auch bei dem Wort kûçik [ku: ʧɨk] „Hund“ wird das [ɨ] getilgt und als kuçk [ku: ʧk] zur Sprache gebracht. In einigen Fällen ist es auch zu Versprechern gekommen, beispielsweise wenn Zozan in einem Fall anstatt kurik „Junge“ kulik sagt. In einem weiteren Fall vermischt Roza die Verben xwarin „essen“ und girtin „fangen“ im Tempus des Futurs als bixwgre „essfangen“. Arams sprachliche Daten in Kurmancî lassen sich nicht eindeutig einer Varietät zuordnen. In dieser Hinsicht ist lediglich auffällig, dass er das Refle‐ xivpronomen xwe [xʷæ] zwischen xwe [xʷæ] und xe [xæ] versprachlicht 70 . Die letztere Form der Aussprache ist in einigen Varietäten des Westkurmancî dokumentiert 71 . Ferner versprachlicht Aram die Wörter kurik [kʊrɨk] „Junge“ und kûçik [ku: ʧɨk] „Hund“ als kuruk [kʊrʊk] und kûçuk [ku: ʧʊk]. Auch einige Wörter spricht er unterschiedlich aus - etwa xelas [xæla: s] „fertig“ als xulas [xʊla: s] oder xelas [xæla: s], pisîk [pɨsi: k] „Katze“ als pisik [pɨsɨk] oder pisîk [pɨsi: k]. Azad und Welat kommen aus der Region Şengal. Daher weisen ihre sprach‐ lichen Daten gemeinsame phonologische Merkmale auf. Diese sind wiederum im Wesentlichen im Südkurmancî anzutreffen. Zwei davon werden hier aufge‐ griffen: Erstens ist festzustellen, dass [æ] in der Regel offen, nah an einem [a] artikuliert wird, was aus der Aussprache von kevok [kavoːk] „Taube“ und qenc [qanʤ] „gut“ hervorgeht. Zweitens wird bei der Pluralendung der Nomen beim Obliquussuffix -an das -n nicht ausgesprochen (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 205 ff.). Dies kann an dem Wort masîya („Fische“ im Obliquus Plural) beobachtet werden. Diese Charakteristik wird sogar von Welat auf das Wort Fisch als fîşa übertragen, das er aus dem Deutschen übernimmt. Charakteristisch für Südkurmancî ist auch, dass es über die pharyngalen Frikative [ʕ] und [ħ] verfügt, die auf den Einfluss des Arabischen zurückgeführt werden (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 206). Diese beiden Frikative sind nicht in den sprachlichen Daten von Azad, aber in denen von Welat jeweils in einem 157 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten Wort vorgekommen. Die Nutzung von [ʕ] konnte an dem Wort baak [baʕak] „Lamm“ und die von [ħ] an dem Wort hêl [ħe: l] „schnell“ beobachtet werden. Anzumerken ist jedoch, dass auch in den sprachlichen Daten von Zozan und Roza diese pharyngalen Frikative in zwei entlehnten Wörtern - [ʕ] in salab [sʕala: b] „Fuchs“ und [ħ] in sîbahe [si: ba: ħæ] „schwimmen“ - vorkommen. Ihr Auftreten ist ein Widerspruch zu den phonologischen Eigenschaften des West‐ kurmancî (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 206). Es kann aber damit erklärt werden, dass die beiden Wörter entlehnt sind oder dass Sprachgebiete des Westkurmancî in Syrien im Gegensatz zu denen in der Türkei wesentlich mehr im Einflussbereich des Arabischen liegen. 7.3.1.2 Morphologische Eigenschaften Nominalphrase Für die Analyse der Nominalphrase des Kurmancî werden die sprachlichen Daten der Studienkinder in Bezug auf die Ezafe- und Obliquusmarkierung untersucht, die zwei wesentliche grammatische Kategorien der Nominalphrase des Kurmancî darstellen. Die Ezafe verfügt, je nachdem ob das herantretende Nomen ein Indefinitheitssuffix beinhaltet oder nicht, über verschiedene Formen (vgl. Omarkhali 2011: 203). Der Obliquus hat bei den singulären Nomen immer die gleiche Markierung unabhängig davon, ob die Nomen über ein Indefini‐ theitssuffix verfügen oder nicht. Der Unterschied diesbezüglich besteht nur bei den pluralen Nomen (Bedir Khan/ Lescot 1986: 86 ff.). In den sprachlichen Daten der Studienkinder wurde sowohl die Ezafe als auch der Obliquus nur vereinzelt mit den Nomen verwendet, die über ein Indefinitheitssuffix verfügen, so dass eine entsprechende Analyse nicht unternommen werden kann. Insofern beziehen sich folgende Ausführungen auf die Nomen, die nicht über ein solches Suffix verfügen. Solche Nomen werden in der Kurdologie von einigen Forscher*innen auch als definite Nomen erfasst (vgl. Omarkhali 2011: 198). In der vorliegenden Arbeit werden sie jedoch in Anlehnung an MacKenzie (1961) als Nomen in der Grundform betrachtet (siehe die ausführliche Diskussion im Abschnitt 4.1.4.2). Anhand der sprachlichen Daten von Zozan und Roza kann festgehalten werden, dass ihre Ezafenutzung eine regionale Charakteristik aufweist. Bei den Nomen wird in den meisten Fällen das -ê eingesetzt, das sowohl mit maskulinen und femininen als auch mit pluralen Nomen verwendet wird: 158 7 Ergebnisse 72 Auf welche Person sich das Reflexivpronomen bezieht, wird aus dem Kontext abgeleitet, in dem es genutzt wird. 73 Auffällig ist jedoch, dass das Wort wext „Zeit“ konsequent mit -a, also mit dem femininen Genus markiert wird, falls es als Konjunktion gebraucht wird (siehe auch die Ausführungen im syntaktischen Teil). 1. bav-ê wî Vater-EZ 3PSg.OB.M „sein Vater“ 2. xwîşk-ê wê Schwester-EZ 3PSg.OB.F „ihre Schwester“ 3. çav-ê xwe Auge-EZ RP „ihre Augen“ 72 Nach dem Standard-Kurmancî werden nur maskuline Nomen mit -ê durch Ezafe markiert, so wie im ersten Beispiel. Feminine Nomen erhalten dagegen eine Ezafemarkierung mit -a, was aber in den sprachlichen Daten von Zozan und Roza nur sporadisch vorkommt: 4. kêf-a  73 xwe Freude-EZ RP „ihre Freude“ Hingegen kommt wiederum sporadisch vor, dass maskuline Nomen mit -î durch Ezafe gekennzeichnet werden: 5. nan-î wî Brot-EZ 3PSg.OB.M „sein Brot“ Die Markierung der Ezafe bei maskulinen Nomen in der Grundform durch -î scheint eine Charakteristik der Varietäten von Westkurmancî zu sein. In der Varietätendatenbank des Kurdischen der Universität Manchester ist sogar dokumentiert, dass ein Sprecher aus Kobanî - der Stadt, aus der Zozan und Roza stammen - die maskuline Ezafe in dieser Form verwendet: 159 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 74 kurdish.humanities.manchester.ac.uk/ k-037-kobani-syria/ . 6. ard-î xwe  74 Mehl-EZ RP „ihr Mehl“ Des Weiteren ist zu beobachten, dass Zozan und Roza für die Markierung der pluralen Ezafe die Form -ê nutzen. Damit geht insgesamt einher, dass die Ezafe bei den Nomen weder das Maskulinum und Femininum noch den Plural gegenüber dem Singular klar abgrenzt (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 215). Daher wird bei der Glossierung der Daten von Zozan und Roza an den entsprechenden Stellen die Ezafe nicht nach Genus und Numerus unterschieden. Bei Aram ist zu erkennen, dass er bei den Nomen die Ezafe entsprechend der Unterscheidung der Genera anwendet: 7. dest-ê xwe Hand-EZ.M RP „seine Hand“ 8. dayik-a xwe Mutter-EZ.F RP „seine Mutter“ Bei manchen Nomen nutzt Aram aber die beiden Ezafe-Suffixe, wie etwa im dritten MZP bei balon „[Luft]-Ballon“: 9. balon-ê xwe Luftballon-EZ.M RP „sein Luftballon“ 10. balon-a xwe Luftballon-EZ.F RP „sein Luftballon“ Aram verwendet keine Ezafe im Pluralkontext. In den sprachlichen Daten von Azad ist ebenfalls nicht dokumentiert, dass die Ezafe mit pluralen Nomen gebraucht wird. Sie wird lediglich mit den singulären Nomen entsprechend der Generaunterscheidung angewendet: 11. ser-ê kûçik Kopf-EZ.M Hund „Kopf des Hundes“ 160 7 Ergebnisse 12. balon-a kurik Luftballon-EZ.F Junge „Luftballon des Jungen“ Welat dagegen nutzt die Ezafe sowohl mit singulären als auch mit pluralen Nomen. Wie Aram und Azad nutzt er sie im Singular entsprechend der Genusunterschei‐ dung. Jedoch ist ihre Anwendung mit pluralen Nomen formüberlappend mit den maskulinen Nomen. Als Folge ist die Ezafe nicht eindeutig numerusunterscheidend: 13. bab-ê wî Vater-EZ.M 3PSg.OB.M „sein Vater“ 14. balon-a wî Luftballon-EZ.F 3PSg.OB.M „sein Luftballon“ 15. masî-y-ê wî Fisch.Ep-EZ.P 3PSg.OB.M „seine Fische“ Neben der Ezafe ist die Obliquusmarkierung ein wesentliches Merkmal der No‐ minalphrase des Kurmancî. In den nächsten Abschnitten wird diese Markierung -wiederum nur im Zusammenhang mit Nomen in der Grundform - erläutert. In den sprachlichen Daten von Zozan, Roza, Azad und Aram finden sich wesentliche Gemeinsamkeiten in Bezug auf die Obliquusmarkierung, die mit dem Standard-Kurmancî übereinstimmen. Erstens werden Nomen im Singular entlang der Generaunterscheidung markiert. Dies bedeutet, maskuline und feminine Nomen werden im Obliquus durch Obliquussuffixe differenziert. Dabei erhalten maskuline Nomen das Obliquussuffix -î und feminine Nomen -ê. Beispiele dafür sind die folgenden Äußerungen: 16. Bab-ê wî wî bîbîk-î dertîne. Vater-EZ.M 3PSg.OB.M DP.OB.M Baby-OB.M VPR: raus.PRÄS.PRÄSS: holen.3PSg „Sein Vater holt dieses Baby raus.“ (Welat_Erzählung_BZ_K_07.06.2017) 17. Kûçk ser-ê xwe dar-ê de lê xist. Hund Kopf.Ez RP Baum.OB.F POS VPR: an PRÄTS: schlagen.3PSg „Der Hund hat seinen Kopf an dem Baum gestoßen.“ (Zozan_Nacherzählung Hund_K_02.09.2017) 161 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 75 Das Modalverb xwestin des Kurmancî kann im Deutschen mit „wollen“ und „mögen“ wiedergegeben werden. In dieser Studie wird „wollen“ ausgewählt. 76 Zeitadverbien des Kurmancî (pê re, dû re, paşê) können ins Deutsche als dann oder danach übersetzt werden. In dieser Studie werden sie im Deutschen als dann wieder‐ gegeben. 77 Gemeint ist „in den Busch“. Des Weiteren verwenden Zozan, Roza, Azad und Welat das plurale Obliquussuffix, um Nomen im Obliquus-Plural vom Obliquus-Singular abzugrenzen. Diese Abgren‐ zung findet wiederum auch im Standard-Kurmancî statt. Auch das dabei verwendete Suffix -an ist dasselbe Suffix wie im Standard-Kurmancî. Dass bei Azad und Welat das -n dieses Suffixes getilgt wird, hat lediglich einen phonologischen Charakter (siehe diesbezüglich die Ausführungen im Abschnitt 7.3.1.1): 18. Pisik dixwaze cûcik-an bixwe. Katze PRÄS.PRÄSS: wollen.3PSg Vogel-OB.Pl SUB.PRÄSS: essen.3PSg „Die Katze will 75 die Vögelchen essen.“ (Roza_Erzählung_BV_K_07.03.2017) 19. Kûçik şûcûq-a dixwe. Hund Würstchen-OB.Pl PRÄS.PRÄSS: essen.3PSg „Der Hund isst die Würstchen.“ (Azad_Nacherzählung_Hund_K_07.06.2017) Bei Zozan und Roza kommt die maskuline Obliquusmarkierung des Nomens nan „Brot“ auch durch Ablaut vor, indem es sich zu nên verwandelt. Dieses Nomen wird von Azad und Welat nicht genutzt, so dass nicht ermittelt werden kann, ob sie eine solche Markierung vornehmen. Aus den Daten geht jedoch hervor, dass Zozan den Ablaut zu der Präposition nav „in“ überträgt, die entsprechend nêv wird. Eine solche Übertragung findet auch bei Welat statt: 20. Pê re pisik kete nêv gihê. dann Katze PRÄTS: fallen.3PSg PRÄ.OB Gras.OB.F „Dann 76 ist die Katze ins Gras 77 gefallen.“ (Zozan_Nacherzählung _Katze_ K_31.05.2017) 21. Bala@s: deu wî kete nêv avê. Ball.EZ.F 3PSg.OB.M PRÄTS: fallen.3PSg PRÄ.OB Wasser.OB.F „Sein Ball ist ins Wasser gefallen.“ (Welat_Nacherzählung_Katze_K_07.09.2017) 162 7 Ergebnisse Die Obliquusmarkierung der Nomen durch Ablaut ist in den Studien zu Kur‐ mancî bekannt (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 174, Bedir Khan/ Lescot 1986: 86). Jedoch scheint die Übertragung auf Präpositionen bisher nicht erfasst zu sein. Auch bei den Personal- und Demonstrativpronomen ist bei diesen vier Kindern die dreigliedrige Obliquusunterscheidung zu beobachten. In Bezug auf die dritte Person sieht diese Unterscheidung wie folgt aus: wî (3PSg.OB.M), wê (3PSg.OB.F), wan (3PPl.OB). Nur in Ausnahmefällen kommen in den Daten von Zozan, Roza, Azad und Welat Unterschiede in Bezug auf die Obliquusmarkierung vor. Das Nomen nan „Brot“ erhält beispielsweise bei Roza nicht immer den Ablaut im Obliquus. Bei Aram ist die Obliquusmarkierung auch bei den Nomen in der Grundform selten vorgekommen - nur in drei Fällen ist sie verzeichnet. In allen drei Fällen ist das Nomen postprädikativ gesetzt. In zwei Fällen handelt es sich um Richtungsadverbiale, die in Kurmancî postprädikativ gesetzt werden (vgl. Boeder/ Schroeder 1998: 211). Ein Fall sei hier als Beispiel aufgeführt: 22. Bizin kete av-ê. Ziege PRÄTS: fallen.3PSg Wasser.OB.F „Die Ziege ist ins Wasser gefallen.“ (Aram_Erzählung_BZ_K_07.03.2017) In dem anderen Fall handelt es sich jedoch um ein direktes Objekt, das in Kurmancî vor dem Verb auftreten sollte. Des Weiteren handelt es sich bei dem Satz um einen transitiven Vergangenheitssatz, bei dem in Kurmancî aufgrund der Ergativität das direkte Objekt nicht mit Obliquus markiert werden sollte: 23. Kûçuk xwar sosîs-a. Hund PRÄTS: essen.3PSg Würstchen.OB.Pl „Der Hund hat die Würstchen gegessen.“ (Aram_Nacherzählung_Hund_K_07.03.2017) In Kurmancî steht der Obliquus für eine Reihe von Funktionen. Neben dem Ausdruck des direkten Objekts in nicht-Ergativsätzen sowie dem des indirekten Objektes unabhängig von der Ergativität des Satzes ist der Obliquus der einzige Kasus, der mit Adpositionen auftritt (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 173, MacKenzie 1961: 153). Dass in den Daten von Aram der Obliquus kaum vorhanden ist, mit dem in Kurmancî verschiedene Funktionen abgedeckt werden, hat im Wesent‐ lichen zwei Konsequenzen: Erstens werden Nominalphrasen in den Funktionen 163 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 78 Die Anwendung der dritten Regel, dass das Subjekt des Satzes im Obliquus stehen muss, kann in dem Satz nicht überprüft werden. Denn maskuline Nomen können im Kurmancî im Obliquus wie in dem Beispiel ohne Markierung vorkommen. Jedoch müssen im Kurmancî feminine Nomen im Obliquus und somit als Subjekt in Ergativsätzen eine Markierung haben. Bei Aram erhalten sie jedoch keine Markierung. des Obliquus verwendet, ohne entsprechend markiert zu werden. Zweitens werden Sätze eher mit Rectus und einer syntaktischen Rolle produziert. Sätze mit syntaktischen Funktionen einer notwendigen Obliquusmarkierung sind im Gegensatz zu Zozan, Roza, Azad und Welat bei Aram selten. So kommen in seinen Daten kaum Sätze vor, die eine Adposition beinhalten, da die Nutzung der Adposition eine Obliquusmarkierung verlangt. In Bezug auf die Kasusmarkierung und insbesondere die Obliquusmarkierung wird in den Studien zu Kurmancî die Ergativität stark thematisiert. Die Daten der Studienkinder wurden daraufhin überprüft, ob sie Ergativität aufweisen. Das Ergebnis liefert ein Bild, das aus den grammatischen Studien zu Kurmancî bekannt ist: nämlich das Bild der Variation von Sätzen ohne Ergativität bis hin zu Sätzen mit vollständigem Ergativitätsparadigma (vgl. Gündoğdu 2017: 53). Der vorherige Satz in Beispiel 23 verletzt beispielsweise zwei der drei Regeln der Ergativität. Das Objekt des Satzes ist nicht im Rectus und das Prädikat kongruiert nicht mit dem Objekt. 78 Im Gegensatz dazu erfüllt der folgende Satz die drei Regeln der Ergativität und ist somit ein vollkommener Ergativsatz: 24. Wê pisikê masî ji satilê derxistin. DP.OB.F Katze.OB.F Fisch.RE PRÄ Eimer.OB.F VPR: raus.PRÄTS: holen.3PPl „Diese Katze hat die Fische aus dem Eimer geholt.“ (Zozan_Nacherzählung _Katze_K_31.05.2017) Das Subjekt des Satzes wê pisikê „diese Katze“ ist im Obliquus, das Objekt des Satzes masî „Fische“ ist im Rectus und das Prädikat derxistin „hat rausgeholt“ kongruiert mit dem Objekt des Satzes (für weitere Informationen zur Ergativität in Kurmancî siehe die Ausführungen in Abschnitten 4.1.4.2 und 4.1.4.3). Nur bei Zozan wurden solche vollkommenen Ergativsätze dokumentiert, bei denen die Einhaltung der drei Regeln klar festgestellt werden kann. Sie nutzt aber auch Teil-Ergativsätze, die ebenso von Roza und Welat verwendet werden. Bei Azad und Aram sind hingegen keine Sätze dokumentiert, die auf einen klaren vollständigen oder teilweisen Ergativsatz hinweisen. 164 7 Ergebnisse 79 Äußerst selten wurden Sätze mit einer anderen Person gebildet, etwa bei der indirekten Rede in der ersten Person Singular. Verbalphrase Wie in Deutsch, was noch zu analysieren ist, werden die sprachlichen Daten in Kurmancî in Bezug auf die Verbalphrase im Hinblick auf Person- und Numerusmarkierung thematisiert. Deren Markierung erfolgt ebenso wie in Deutsch in Kongruenz, die jedoch im Gegensatz zum Deutschen sowohl mit dem Subjekt als auch mit dem Objekt vorliegen kann. Der Diskussion der Person- und Numerusmarkierung folgt die Erläuterung der genutzten Tempusformen und Tempusmarkierungen. Hinsichtlich Person- und Numerusmarkierung in Kongruenz zwischen dem Subjekt und dem Prädikat sind in nicht-Ergativsätzen in den sprachlichen Daten keine Fehler verzeichnet. Die Person- und Numerusmarkierung wird entsprechend den Regeln am Prädikat gekennzeichnet. In Bezug auf Kongruenz zwischen dem Objekt und dem Prädikat in Ergativsätzen kommt es in einigen Fällen vor, dass die Regel der Ergativität hinsichtlich der Kongruenz nicht beachtet wird. Das heißt, das Prädikat kongruiert wie in einem nicht-Ergativsatz mit dem Subjekt des Satzes, wobei die Kongruenz mit dem Subjekt in Person und Numerus richtig hergestellt wird (siehe Beispielsatz 23). Insofern wird nicht die Kongruenzregel verletzt, sondern die der Ergativität. Hier ist jedoch anzumerken, dass MAIN-Geschichten meistens in der dritten Person Singular und selten in der dritten Person Plural zu erzählen sind, was durch den Plot und die Figuren, die zu den Geschichten abgebildet sind, bedingt ist. 79 Dementsprechend enthalten die meisten Sätze der Studienkinder sowohl im Subjekt als auch im Objekt die dritte Person Singular. Dies hat zwei wesentliche Folgen. Erstens kann nicht ermittelt werden, ob Studienkinder in nicht-Ergativsätzen und Ergativsätzen die Kongruenz zwischen dem Prädikat und dem Subjekt oder dem Objekt hinsichtlich der ersten und zweiten Person im Singular und im Plural richtig herstellen. Zweitens kann nicht bestimmt werden, ob Studienkinder in Ergativsätzen die Kongruenz mit dem Objekt oder Subjekt des Satzes herstellen. Wenn beide in der dritten Person Singular sind, haben sie zwangsläufig dieselbe Kongruenz mit dem Prädikat. In den sprachlichen Daten der Studienkinder ist eine vielfältige Tempus‐ nutzung zu beobachten. Bei allen fünf Studienkindern ist die Nutzung des Präteritums und des Präsens vorgekommen. Das Präteritum wird mit dem Prä‐ teritalstamm plus Personalendungen gebildet, wobei die dritte Person Singular 165 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 80 Wenn dem Verb ein postprädikatives Element - beispielsweise ein Richtungsadverbial - folgt, kann das Verb im Präteritum ein fakultatives Suffix -e erhalten (vgl. Omarkhali 2011: 225). in den meisten Fällen ohne Personalendung ist. 80 Das Präteritum des Kurmancî wird mit Perfekt ins Deutsche übersetzt (siehe den Hinweis im Abschnitt 4.1.4.2). Das Präsens wird mit dem Präfix diplus Präsensstamm plus Personalendungen gebildet: 25. Paşê kûçuk alîkarî kir. dann Hund Hilfe PRÄTS: machen.3PSg „Dann hat der Hund geholfen/ Hilfe gemacht.“ (Aram_Erzählung_BV_ K_07.06.2017) 26. Kevok di-fir-e. Taube PRÄS-PRÄSS: fliegen-3PSg „Die Taube fliegt.“ (Azad_Erzählung_BV_K_07.06.2017) Außer bei Welat ist auch die Nutzung des Plusquamperfekts zu beobachten, das mit Präteritalstamm plus Hilfsverb bûn „sein, werden“ und Personalendungen gebildet wird (vgl. Tan 2005: 245). Bei der dritten Person Singular gibt es wiederum keine Personalendung: 27. Pê re kurikek hat-i-bû. dann Junge.IDS PRÄTS: kommen-EP-sein.3PSg „Dann war ein Junge gekommen.“ (Roza_Nacherzählung_Katze_K_07.06.2017) Anders als in Deutsch haben die Studienkinder bis auf Aram in Kurmancî das Futur I benutzt, mit dem sie meistens die Pläne und Absichten der Figuren zum Ausdruck bringen. In Kurmancî wird das Futur I mit Hilfe der Partikel dê oder wê gebildet, die dem Subjekt folgen. Diese Partikel können jedoch auch als -ê dem Subjekt suffigiert werden (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 187). In den Transkripten wurde jedoch -ê getrennt erfasst, so dass es bei der Typen-/ Token-Frequenz mit der Partikel gleichberechtigt ist, während es hier im Fließtext zusammengeschrieben wird. Das Verb steht im Präsensstamm und es hat bials Subjunktiv-Präfix und Personalendungen wiederum als Suffix. Die Studienkinder sind in Bezug auf die Bildung von Futur I jedoch zum Teil anders 166 7 Ergebnisse 81 Dieses Wort hat im Kurmancî etwa die Bedeutung am Ende, schließlich (Farqînî 2013: 1802). Zozan und Roza nutzen es aber auch in der Bedeutung von danach, dann. verfahren. Zum einen ist die Futurpartikel bei Zozan und Roza kê, was eine regionale Besonderheit zu sein scheint: 28. Talî  81 pisik hat kê zarîyê wê dann Katze PRÄTS: kommen.3PSg FPR Kind.EZ 3PSg.OB.F bi-xw-e. SUB-PRÄSS: essen.3PSg „Dann ist die Katze gekommen und wird ihre Kinder essen.“ (Zozan_Erzählung_BV_K_31.05.2017) Die Kinder haben zum anderen bei einigen Sätzen beim Futur I das Sub‐ junktiv-Präfix weggelassen wie im folgenden Beispiel: 29. Ez-ê dûvîyê rêvî girim. 1PSg-FUS Schwanz.EZ.M Fuchs.OB PRÄSS: fassen.1PSg „Ich werde den Schwanz des Fuchses fassen/ greifen.“ (Azad_Erzählung_BZ_K_07.09.2017) Zozan, Roza, Azad und Welat nutzen in ihren Erzählungen auch das Perfekt, das mit einem der Suffixe e/ ye/ îye gebildet wird, das am Ende der Personalsuffixe angehängt wird (vgl. Tan 2005: 243). Genutzt wird für das Perfekt auch der Präteritalstamm: 30. Kûçk vir rûnişt-îye. Hund hier PRÄTS: sitzen.3PSg-PERF „Der Hund hat hier gesessen (und sitzt weiterhin).“ (Roza_Nacherzählung_Hund_K_10.09.2017) Der progressive Aspekt kommt kaum vor, der in Kurmancî mit den Tempus‐ formen der Vergangenheit verwendet und mit dem Präfix digekennzeichnet wird. Dies wurde nur einmal bei Welat registriert: 167 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 82 Gemeint sind die Sachen des Jungen. 31. Kûçik çîkê wî di-xwarin. Hund Sache.EZ.Pl 3PSg.OB.M PAS-PRÄTS: essen.1PSg „Der Hund war am Essen seiner Sachen. 82 “ (Welat_Nacherzählung_Hund_K_07.06.2017) Wenn auch jedes Kind in seinen Erzählungen mindestens drei Tempusformen des Kurmancî benutzt hat, so war doch zu beobachten, dass die Nutzung des Präteritums überwiegt, das im Deutschen mit dem Perfekt wiedergegeben wird. In Bezug auf die Tempusformen ist zum Schluss anzumerken, dass die Stu‐ dienkinder in ihren Erzählungen die beiden Stammformen - Präterital- und Präsensstamm - des Kurmancî verwendet haben. Im Folgenden wird zu jedem Kind jeweils ein Verb angeführt, das es in beiden Stammformen angewendet hat. Kind Präteritalstamm Präsensstamm Bedeutung Zozan kir k(i) machen Roza xwar xw essen Aram girt g(i)r fangen Azad firî fir fliegen Welat da did geben Abbildung 12: Beispiele für genutzte Präterital- und Präsensstämme in Kurmancî Wie den Beispielen entnommen werden kann, sind die beiden Stammformen ähnlich, aber nicht gleich. Einige Regularitäten sind für die Klassifikation erarbeitet worden, beispielsweise in Bezug auf girtin „fangen“: „When the past stem ends in -t, -d preceded by a voiced consonant the form of the present stem is normally that of the past stem less the dental stop.“ (MacKenzie 1961: 179) Wichtig ist zu bemerken, dass bei der Nutzung der beiden Stammformen bei den Studienkindern keine Abweichungen dokumentiert sind. Ein Präteritum‐ satz wurde beispielsweise nicht mit dem Präsensstamm oder ein Präsenssatz mit Präteritalstamm gebildet. Das bedeutet, die Kinder konnten die beiden Stämme auseinanderhalten und in den entsprechenden Kontexten richtig einsetzen. 168 7 Ergebnisse 7.3.1.3 Syntaktische Eigenschaften Syntaktische Eigenschaften der Kurmancî-Daten werden im Hinblick auf die Wort- und Verbstellung beleuchtet. Anders als in Deutsch geht in Kurmancî die Bildung eines Nebensatzes nicht mit einer spezifischen Verbstellung einher. Die Nebensätze in Kurmancî sind wie in Deutsch subordiniert/ abhängig, haben je‐ doch die gleiche Wort- und Verbstellung wie ein Hauptsatz (vgl. Hajo 1982: 131, Wurzel 1997: 82). Unter einem Nebensatz des Kurmancî ist also im Folgenden ein subordinierter/ abhängiger Satz zu verstehen, der die Wort- und Verbstellung eines Hauptsatzes hat. Zum Schluss wird auch die Nutzung vom tema in den Daten von Zozan und Roza thematisiert. Bei der Beschreibung der Syntax des Kurmancî wurde festgehalten, dass das Verb in Kurmancî in den meisten Fällen die Endstellung des Satzes beansprucht. Bei Zozan und Roza kommt es kaum und bei Azad und Welat geringfügig zu einer Abweichung von der SOV-Stellung. Jeweils ein Satz ohne und ein Satz mit Abweichung werden als Beispiel zitiert: 32. Talî kurik balonê xwe wieder@s: deu daxist. dann Junge Luftballon.EZ RP wieder VPR: runter.PRÄTS: holen.3Psg „Dann hat der Junge seinen Luftballon wieder runtergeholt.“ (Zozan_Nacherzählung_Hund_K_02.09.2017) 33. Vire Katze@s: deu girt masî. Hier Katze PRÄTS: fangen.3PSg Fisch „Hier hat die Katze den Fisch gefangen.“ (Azad_Nacherzählung_Katze_K_07.09.2017) In Kurmancî werden jedoch Richtungsadverbiale und indirekte Objekte ohne Adpositionen postprädikativ und postverbal gesetzt. Auf dieses Merkmal wurde bei der Beschreibung des Kurmancî hingewiesen. Zozan, Roza, Azad und Welat haben vor allem Sätze mit postprädikativen Richtungsadverbialen insbesondere mit dem Verb ketin „fallen, hineingehen, hineintreten“ gebildet; dazu zwei Beispiele als Illustration: 34. Tapa wî kete nêv avê. Ball.EZ.F 3PSg.OB.M PRÄTS: fallen.3PSg PRÄ.OB Wasser.OB.F „Sein Ball ist ins Wasser gefallen.“ (Welat_Nacherzählung_Katze_K_07.09.2017) 169 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 35. Kurik topê wî dest wî kete xwarê. Junge Ball.Ez 3PSg.OB.M Hand 3PSg.OB.M PRÄTS: fallen.3PSg unten.OB.F „Dem Jungen sein Ball ist aus seiner Hand runtergefallen.“ (Zozan_ Nacherzählung_Katze_K_31.05.2017) Bei Aram sind auch Richtungsadverbiale postprädikativ gestellt, wie im fol‐ genden Beispiel: 36. Luftbalona@s: deu kuruk kete dar. Luftballon.EZ.F Junge PRÄTS: fallen.3PSg Baum „Der Luftballon des Jungen ist in den Baum hineingegangen.“ (Aram_Nacherzählung_Hund_K_07.03.2017) Bei Aram sind aber nicht nur solche Richtungsadverbiale postprädikativ gesetzt, sondern auch direkte Objekte. Diese Setzung kommt auch häufig vor, jedoch nicht häufiger als das direkte Objekt vor dem Verb kommt. Die Wortstellung SOV des Kurmancî wird also weitgehend befolgt, es wird aber auch nicht selten zur Wortstellung SVO abgewichen: 37. Lawik girt luftballon@s: deu. Junge PRÄTS: fangen.3PSg Luftballon „Der Junge hat den Luftballon gefangen.“ (Aram_Nacherzählung_Hund_K_07.03.2017) 38. Rovî dît bizin. Fuchs PRÄT: sehen.3PSg Ziege „Der Fuchs hat die Ziege gesehen.“ (Aram_Erzählung_BZ_K_07.03.2017) Der SVO-Stellung liegt die Verbzweitstellung zugrunde, welche die Charakte‐ ristik der Wortstellung eines Hauptsatzes im Deutschen ist (vgl. Czinglar 2014: 24, Truckenbrodt 2014: 56). Daher kann gefragt werden, ob die SVO-Wortstel‐ lung des Kurmancî in Arams Daten ein möglicher Einfluss der deutschen Wortstellung im Hauptsatz ist. Jedoch kommt es kaum zur Inversion wie in Deutsch, wenn der Satz mit einem Adverb beginnt. Das Subjekt wird also in der Regel nicht nach dem Verb gesetzt, wie das folgende Beispiel illustriert: 170 7 Ergebnisse 83 Einfügung des Verfassers aus dem Kontext. 39. Paşê pisîk dît cîvîk. dann Katze PRÄTS: sehen.3PSg Vogel „Dann hat die Katze das Vogelbaby gesehen.“ (Aram_Erzählung_BV_K_07.06.2017) In einem anderen Fall - bei der Beantwortung der vierten Verständnisfrage zur Babyziegen-Geschichte im dritten MZP - nutzte Aram ein Satzmuster, das der Struktur des Nebensatzes in Deutsch entspricht. Auf die Frage: Çima rovî hilpêdike pêş? „Warum springt der Fuchs nach vorne? “ antwortete Aram: 40. Ji bel ku bizin bixwe xwest. weil Ziege SUB.PRÄSS: essen.3PSg PRÄTS: wollen.3PSg „Weil [er] 83 die Ziege essen wollte.“ (Aram_Erzählung_BZ_K_10.09.2017) In Kurmancî wäre zu erwarten, dass das Modalverb vor dem direkten Objekt und vor dem Hauptverb gesetzt wird. Aber wie in einer Nebensatzstruktur des Deutschen kommt das Modalverb in diesem Beispiel sowohl nach dem Objekt als auch nach dem Hauptverb. Nicht nur im Hinblick auf die Wortstellung, sondern auch bezüglich des se‐ mantischen Aufbaus lassen sich an einigen Stellen die Strukturen des Deutschen in Arams Sätzen in Kurmancî vermuten, etwa im folgenden Satz: 41. Kuruk tirs hebû. Junge Angst vorhanden.PRÄTS: sein.3PSg „Der Junge hat Angst gehabt.“ (Aram_Nacherzählung_Hund_K_10.09.2017) Das Kurmancî würde hier eher mit dem Verb tirsîn (kurik tirsî) oder mit dem Attributiv-Partizip tirsî(ya) plus Verb bûn „sein“ operieren, also Kurik tirsî(ya) bû nutzen, um den Angstzustand des Jungen auszudrücken. Insofern könnte die Struktur „Angst haben“ eine Übertragung aus dem Deutschen sein. Im Hinblick auf Nebensätze in Kurmancî ist festzuhalten, dass lediglich Zozan und Roza solche in ihren Erzählungen gebildet haben. Bei Zozan sind sie verglichen mit denen in ihren Erzählungen in Deutsch selten. Lediglich bei Roza sind sie annähernd gleich häufig wie in ihren Erzählungen in Deutsch. Genutzt 171 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 84 Wext ist ein temporales Nomen, kann aber mit Hinzuziehung der Ezafe als eine Konjunktion in der Bedeutung als, wenn gebraucht werden (vgl. Herkenrath 2019: 170). Siehe das Beispiel 44. 85 Einfügung des Verfassers aus dem Kontext. werden für die Verknüpfung hauptsächlich die folgenden Konjunktionen: go „als, wenn“, wext  84 „Zeit“ und pê „weil, damit“. Die Ersteren sind als temporale und die Letztere als eine kausale bzw. finale Konjunktion zu erfassen. Beispiele sind die Konjunktionen go und pê und damit gebildete Nebensätze: 42. Pê re go balonê xwe kire dest dann als Luftballon.EZ RP PRÄTS: machen.3PSg Hand xwe talî kûçk hat. RP schließlich Hund PRÄTS: kommen.3PSg „Dann als [er] 85 seinen Luftballon in die Hand genommen hat, ist schließlich der Hund gekommen.“ (Zozan_Nacherzählung_Hund_K_13.02.2017) 43. Kûçk dêlê wê kê gez ke Hund Schwanz.EZ 3PSg.OB.F FPR Beißen PRÄSS: machen.3PSg pê naxwaze ew wan bixwe. weil N.PRÄSS: wollen.3PSg 3PSg 3PPl.Ob SUB.PRÄSS: essen.3PSg „Der Hund wird ihren Schwanz beißen, weil er nicht möchte, dass sie sie frisst.“ (Roza_Erzählung_BV_K_07.03.2017) Das go in den sprachlichen Daten von Zozan und Roza korrespondiert mit dem ku des Kurmancî. Des Weiteren ist die Nutzung von wext in Kurmancî vor‐ handen (vgl. Kurdo 1990: 283). Das in Kurmancî verbreitete ji ber/ ji ber ku „weil, damit“ wurde in den Erzählungen nicht als Konjunktion verwendet, jedoch bei der Beantwortung der Verständnisfragen als solche benutzt, beispielsweise von Aram. Ob das pê etwa in der gleichen Funktion und Bedeutung des ji ber/ ji ber ku benutzt wird oder eine davon unabhängige regional verwendete Konjunktion darstellt, kann hier nicht geklärt werden. Fest steht jedoch, dass Zozan und Roza pê als Konjunktion gebrauchen. Beide benutzten auch das Wort tema. Das Wort scheint eine Bedeutungs‐ spanne etwa zwischen „doch“ und „weil, da“ zu haben. Syntaktisch scheint es zwischen zwei Funktionen zu schwanken: erstens als Modalpartikel, etwa 172 7 Ergebnisse 86 In den Daten von Roza und Zozan wird Hund im Kurmancî sowohl als maskulin als auch feminin gebraucht. Flexible Genuszuweisung scheint in Kurmancî also nicht nur bei den Personenbezeichnungen wirksam zu sein (siehe die Beschreibung des Genus in Kurmancî im Abschnitt 4.1.4.2). 87 Gemeint sind die Würstchen. 88 Ferner scheint die Verwendung von tema in den Untersuchungen zum Kurmancî bisher nicht erfasst und analysiert zu sein. Der Grund hierfür kann darin liegen, dass es in Standard-Kurmancî nicht verwendet wird. In literarischen Werken, die zum Teil die Sprechweise der lokalen Varietäten abbilden, ist die Verwendung von tema jedoch nachzuweisen, wie z. B. in dem Roman von Jan Dost „Kobanî“. vergleichbar mit dem türkischen hani „doch“ (vgl. Şimşek 2012: 81), zweitens als eine kausale Konjunktion vergleichbar mit „weil“ im Deutschen: 44. Tema çavê wî girtibûn wexta doch Auge-Ez 3PSg.OB.M PRÄTS: fangen: Ep.sein.3PPl Zeit.EZ.F (als) serê wî darê de lê ket. Kopf.Ez 3PSg.OB.M Baum.OB.F POS VPR: an PRÄTS: schlagen.3PSg „Doch seine Augen waren zu gewesen, als er sich an dem Baum gestoßen hat.“ (Roza_Nacherzählung_Hund_K_10.09.2017) 45. Bes ew nabine hevalê hev aber 3PSg N.PRÄSS: sein.3PPl Freund.Ez voneinander tema kûçkê goştê wî xwar. weil Hund.OB.F Fleisch.Ez 3PSg.OB.M PRÄTS: essen.3PSg „Aber sie werden keine Freunde, weil die Hündin 86 sein Fleisch 87 gegessen hat.“ (Roza_Nacherzählung_Hund_K_10.09.2017) Dass tema zwei verschiedene syntaktische Funktionen belegt, ist für das Kurmancî nicht außergewöhnlich. Auch einige andere Konjunktionen haben verschiedene syntaktische Funktionen, wie es auch bei wext der Fall ist (siehe Herkenrath 2019 für einen Überblick). 88 Zu ergänzen ist in Bezug auf die syntaktischen Merkmale in Kurmancî, dass wie in Deutsch das Weglassen eines Satzelementes selten vorkommt. Sind es im Deutschen meistens Determinanten, die weggelassen werden, so sind es in Kurmancî die Adpositionen. Im folgenden Beispiel sollte in Kurmancî vor destê die Präposition ji „aus“ kommen, die von Welat aber nicht verwendet wird. Zu 173 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 89 Eine nicht vereinfachte, aber geänderte Aussprache kam bei Zozan, Roza, Azad und Aram beim Wort Eichhörnchen vor. Sie haben dieses Wort nicht als Eichhörnchen [aɪ̯çˌhœʁnçən], sondern als Einchörnchen [aɪ̯nçˌhœʁnçən] artikuliert. Verständnisschwierigkeiten führen solche Auslassungen jedoch in der Regel nicht: 46. Ev balona wî kurkî DP Luftballon.EZ.F 3PSg.OB.M Junge.OB.M destê wî derket. Hand.EZ.M 3PSg.OB.M VPR.PRÄTS.fallen.3PSg „Dieser Luftballon des Jungen ist aus seiner Hand gefallen/ geglitten.“ (Welat_Nacherzählung_Hund_K_07.06.2017) 7.3.2 Deutsch 7.3.2.1 Phonologische Eigenschaften In den Erzählungen sowie in den LiSe-DaZ-Tests sind hinsichtlich der Phono‐ logie des Deutschen keine besonderen Abweichungen aufgefallen. Die Studi‐ enkinder konnten die Aussprache der deutschen Wörter gut meistern. Dazu gehören auch Wörter wie schwimmen [ʃvɪmən] oder Schmetterling [ʃmɛtɐlɪŋ], die in ihrem Silbenbau (im Anlaut) ein Konsonantencluster aufweisen. Solche Wörter weichen vom einfachen Konsonant-Vokal-Silbenbau ab. In der For‐ schung ist dokumentiert, dass Kinder diese Wörter beim Erwerb zunächst phonologisch vereinfacht aussprechen (vgl. Kauschke 2012: 38). 89 Es sind bei den Studienkindern jedoch sporadisch phonologische Auffällig‐ keiten vorgekommen, die kurz zu besprechen sind. Zozan hat das Wort Angel [aŋl̩] im ersten MZP in der Katze-Geschichte als Ankel [aŋkl̩] artikuliert. Im dritten MZP bei der Erzählung derselben Geschichte erfolgte die adäquate Artikulation. Roza hat im zweiten MZP in der Nacherzählgeschichte das Wort wieder als wierer und das Wort ihren als ihlen ausgesprochen. Des Weiteren hat sie im dritten MZP in der Nacherzählgeschichte das Wort gerettet als gerlettet und das Wort retten als ratten artikuliert. Da in den anderen Erzählungen die Aussprache der Wörter wieder, ihren, gerettet richtig erfolgte, ist davon auszugehen, dass es sich bei der abweichenden Aussprache um Versprecher handelt. Analog zu der richtigen Aussprache von gerettet liegt evtl. auch bei ratten ein Versprecher 174 7 Ergebnisse vor. Einzig bei dem Wort deswegen [dɛsveːɡn], das Roza als daswegen [dasveːɡn] artikuliert hat, kann eine abweichende Aussprache vorliegen, da sie dieses Wort in der abweichenden Form zweimal nutzte. Aram hat das Wort fröhlich [fʁø: lɪç], das er ein einziges Mal verwendete, als flörich [flø: ʁɪç] ausgesprochen. Zozan hat im ersten MZP dieses Wort als fröhlig [fʁølɪk] bzw. mit Deklination als fröhlige ausgesprochen. Im zweiten und dritten MZP erfolgte jedoch die richtige Aussprache. Des Weiteren ist es bei Aram auffällig, dass er den Konsonanten g bei der Partizipbildung wie ein d artikuliert. Entsprechend hat er Partizipien wie gehüpft, gesprungen, gefallen als dehüpft, desprungen, defallen ausgesprochen. Bei Azad war festzuhalten, dass er in einigen Fällen das Flexiv -t des Partizips nicht eindeutig artikulierte. Das war beispielsweise in der Nacherzählgeschichte im dritten MZP beim Partizip aufgemach(t) der Fall. Des Weiteren artikulierte er im dritten MZP in der Erzählgeschichte das Modalverb wollen einmal als willen. Da er im Verlauf derselben Erzählung dieses Modalverb richtig aussprach, handelte es sich in diesem Fall wahrscheinlich um einen Versprecher. Es war auch bei Welat zu beobachten, dass in einigen Fällen das Flexiv -t des Perfekts nicht eindeutig herauszuhören war. Dies war beispielsweise bei der Nacherzählgeschichte im dritten MZP beim Partizip gemach(t) der Fall. Des Weiteren wurde bei Welat in der Nacherzählgeschichte im zweiten MZP festgehalten, dass er das Wort hüpft [hʏpft] als hupft [hu: pft] ausgesprochen hat. Er hat also das <ü> / ʏ/ durch <u> / u: / ersetzt. Diese Ersetzung wurde jedoch nur einmal verzeichnet und es konnte daher nicht eindeutig bestimmt werden, ob es sich um einen Versprecher handelt oder auf einen Einfluss der Phonologie des Kurmancî deutet, dessen meiste Varietäten kein <ü> / ʏ/ kennen (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 165). Bei Aras wurden keine besonderen phonologischen Merkmale festgehalten. Lediglich wurde in den LiSe-DaZ-Tests erfasst, dass bei ihm bei der Nutzung der Wortfolge „auf dem“ - Präposition plus Dativartikel - eine Kontraktion stattfindet und dabei der Konsonant d des Artikels wegfällt. Entsprechend sagt er anstatt auf dem aufem. 7.3.2.2 Morphologische Eigenschaften Nominalphrase In Bezug auf die Nominalphrase wird die Verwendung des Genus, des Kasus und des Numerus unter die Lupe genommen. Zuvor ist jedoch eine methodische Anmerkung vorauszuschicken. 175 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 90 Phonetische Abweichungen sind für die Analyse der Morphologie sowie der Syntax ignoriert. Sowohl in MAIN-Geschichten als auch in LiSe-DaZ sind Nomen mit Neutrum unterrepräsentiert. So sind in MAIN-Geschichten die meisten Figuren, um die die Geschichten gespannt sind, entweder Maskulinum oder Femininum (Katze, Schmetterling, Junge, Hund, Maus, Vogelmutter, Ziegenmutter, Fuchs, Vogel). Lediglich die Figuren Küken und Ziegenkind sind mit Neutrum belegt. Allerdings kommen diese zu zweit vor, so dass sie im Plural, also ohne Genuszuweisung verwendet werden können. Des Weiteren kann in der einen oder anderen Geschichte auf die Nomen Wasser, Gras und Würstchen referiert werden, an denen das neutrale Genus kenntlich gemacht werden kann. In LiSe-DaZ wird dem Kind vor der Sprachproduktion eine kleine Wort‐ schatzliste bestehend aus sechzehn Wörtern vorgestellt, anhand derer eine Geschichte interaktiv erzählt wird. Von diesen sechzehn Wörtern sind lediglich die drei Wörter Brot, Eichhörnchen und Skateboard Neutrum. Dabei ist das erstgenannte Wort lediglich für den Sprechpart des/ der Testleiters/ Testleiterin bestimmt. Insgesamt sind also Wörter mit Neutrum in beiden Instrumenten unterrepräsentiert. Zudem müssen Kinder diese Wörter nicht benutzen bzw. können sie mit Wörtern äquivalenter Semantik ersetzen, wie z. B. Küken von Aram im ersten MZP durch Babyvögel oder Vögel ersetzt wird. Daher kann ein genaues Urteil zum Genussystem der sprachlichen Daten der Studienkinder nicht gefällt werden. Dennoch soll eine annähernde Analyse versucht werden. Berücksichtigt werden dabei möglichst Markierungen der Genera an den de‐ finiten Artikeln im Nominativ und im Akkusativ, denn an diesen wird die Genusunterscheidung am sichtbarsten. Bei der Analyse der Daten wird ersichtlich, dass Aras das neutrale Genus richtig anwenden kann, wie aus dem folgenden Beispiel hervorgeht: 1. Das Baby fällt ins Wasser. (Aras_Erzählung_BZ_D_01.09.2017) Bei Zozan und Azad ist es vorgekommen, dass sie in je einem Fall bei einem Nomen das richtige neutrale Genus gesetzt haben (das Gras, das Skateboard). Aber in den meisten Fällen haben sie den neutralen Nomen ihr Genus abweichend zugewiesen (der Küken, die Wasser). Aram hat das neutrale Genus nur einmal gesetzt und dieses auch nicht richtig (das Schmetterling). Vielmehr hat er wie Zozan und Azad das falsche Genus für ein neutrales Nomen verwendet (für den Eichhörnchen  90 ). Von Roza und Welat wurde das Neutrum zumindest durch den definiten Artikel im Nominativ oder Akkusativ bei den Nomen nicht gesetzt. 176 7 Ergebnisse 91 Könnte maskulin, aber auch neutral sein. Auf dieser Grundlage kann vermutet werden, dass bei Aras, Zozan, Azad und Aram ein dreigliedriges Genussystem des Deutschen zumindest ansatzweise entwickelt ist, aber dass es nur Aras gelingt, es richtig anzuwenden. Bei Roza und Welat könnte der Fall sein, dass sie zunächst ein zweigliedriges Genussystem ohne Neutrum aufgebaut haben. Aufgrund der Tatsache, dass mit den zugrunde liegenden Instrumenten keine genaue Analyse unternommen werden kann, ist das nicht mehr als eine Vermutung. In der Spracherwerbsforschung ist allerdings dokumentiert, dass es bei den sukzessiven Erwerber*innen nicht unüblich ist, das neutrale Genus auszulassen und zunächst anstelle eines dreigliedrigen ein zweigliedriges Genussystem aufzubauen (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012: 134). Auch hinsichtlich der Unterscheidung des Maskulinums und Femininums sind in den sprachlichen Daten der Studienkinder Fehler zu verzeichnen. Dabei sind sie bei Aras eher Ausnahmen (ein  91 Maus). Bei Aram sind solche Fehler etwas häufiger zu finden, vor allem im pronominalen Gebrauch, aber auch bei der nominalen Zuweisung (eine Rabe). Bei Zozan, Roza, Azad und Welat kommen Genusfehler bei der Unterscheidung des Maskulinums und Femini‐ nums sowohl bei der pronominalen als auch bei der nominalen Zuweisung deutlich häufiger vor. In Bezug auf Letztere seien einige Beispiele aufgeführt: 2. die [: der] [*] Schmetterling (Zozan_Nacherzählung_Katze_D_07.03.2017) 3. der [: die] [*] Katze (Roza_Nacherzählung_Katze_D_02.09.2017) 4. der [: die] [*] Maus (Azad_Nacherzählung_Hund_D_31.08.2017) 5. die [: der] [*] Ball (Welat_Nacherzählung_Katze_D_31.05.2017) 6. die [der] [*] Junge (Azad_Nacherzählung_Katze_D_31.05.2017) Es ist anzumerken, dass die Fehler bei der Genuszuweisung bei Zozan, Roza, Azad und Welat im Laufe der Erhebungszeit nicht bedeutend abgenommen haben. Bei den theoretischen Erläuterungen des Genus im Abschnitt 4.2.2 wurde in Anlehnung an Koeppel (2018), Schulz/ Tracy (2011) und Wegener (1995) auf die Diskussion eingegangen, ob das Genus eines Nomens durch semantische und formale Regeln/ Indikatoren vorhergesagt werden kann und darüber hinaus ob Spracherwerber*innen und Sprachlerner*innen diese bei der Genuszuweisung als Hilfsmittel in Anspruch nehmen. Ein solches Vorgehen konnte in den Daten der Studienkinder nicht festgestellt werden. Sowohl bei Aram, der von Geburt an Zugang zum Deutschen hatte, als auch bei Zozan, Roza, Azad und Welat, die das Deutsche sukzessiv erwerben, wird Nomen wie Eichhörnchen, Katze oder Junge das falsche Genus zugewiesen, obwohl das Genus solcher Nomen durch formale 177 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten oder semantische Regeln vorhergesagt werden kann. Wichtig ist an dieser Stelle zu betonen, dass die Indikatoren zum Teil gegeneinander wirksam sind. Junge müsste nach den formalen Eigenschaften, nach dem Schwa-Indikator feminin sein (vgl. Wegener 1995: 93). Aber der semantische Indikator, das Geschlecht, ist wirksamer und bestimmt das Genus. In Bezug auf den Kasus ist bei Aras anzumerken, dass er Nominativ und Akkusativ auf der Satzebene unterscheidet (7). Auf der präpositionalen Ebene gelingt es ihm, auch den Dativ zu markieren (8). In manchen Fällen jedoch wendet er den Akkusativ auf Dativkontexte an, was noch in der letzten Elizitierung durch MAIN beobachtet werden konnte (9): 7. Der hat keinen Fisch gefangen. (Aras_Nacherzählung_Katze_D_13.02.2017) 8. aufem Baum, im Wasser (LiSe-DaZ, Dativaufgaben 2. MZP) 9. Da ist ein Fuchs mit eine [: einer] [*] (.) Ziege. (Aras_Erzählung_BZ_D_01.09.2017) Aram war das einzige Kind, das auf der Satzebene schon zu Beginn der Erhebungen Nominativ, Akkusativ und Dativ unterscheiden konnte, wie aus dem nächsten Satz hervorgeht: 10. Die Mutter gabte [: gab] [*] den Vögeln &em Würmer. (Aram_Erzählung_BV_D_14.02.2017) Er konnte den Akkusativ und den Dativ auch auf der präpositionalen Ebene voneinander unterscheiden, machte dabei jedoch sporadische Fehler: 11. Die &We [? ] Katze hatte Angst vor den [: dem] [*] Hund. (Aram_Erzählung_BV_D_02.09.17) Insgesamt hat Aram in Bezug auf den Kasus in MAIN-Erzählungen über die Erhebungszeit hinweg wenige Fehler gemacht. Dass er in LiSe-DaZ bei der Kasuszuweisung insbesondere beim ersten MZP schlecht abgeschnitten hat, ist u. a. darauf zurückzuführen, dass er an den entsprechenden Stellen das Nomen ohne Kasusträger bzw. ohne Determinant nutzte oder dass er das Determinant mit dem falschen Genus belegte. Zur Illustration siehe die Aufgabe 10.2 der Sprachproduktion von LiSe-DaZ: 12. Aufgabe 10.2 (Und für wen sind die Nüsse? ) Arams Antwort beim ersten MZP: Eichhörnchen Arams Antwort beim zweiten MZP: für den Eichhörnchen Erwartet wird die Antwort: „für das/ ein Eichhörnchen“. Bei Zozan, Roza und Azad kann nachgewiesen werden, dass sie auf der Satzebene Nominativ und Akkusativ voneinander unterscheiden können, wie 178 7 Ergebnisse aus einem Satz von Zozan hervorgeht (13). Auf der präpositionalen Ebene können sie auch Akkusativ und Dativ voneinander unterscheiden, siehe die Beispiele von Azad (14, 15): 13. Danach ist die Maus durch den Baum durch die andere Tür gegangen. (Zozan_Nacherzählung _Hund_D_07.06.2017) 14. 0det Katze sprang auf den Baum. (Azad_Nacherzählung_Katze_D_31.05.2017) 15. Die Katze ist auf dem Baum. (Azad_Nacherzählung_Katze_D_31.05.2017) Roza gelingt es im zweiten MZP von LiSe-DaZ in einem Fall, den Dativ auch auf der Satzebene zum Ausdruck zu bringen (16). Des Weiteren haben Roza und Zozan in der Nacherzählung des dritten MZPs den Genitiv attributiv verwendet (17, 18): 16. Aufgabe 10.3 (Und wem hat sie das Brot gegeben? ) Antwort von Roza: den beiden Vogeln auf dem Wasser 17. Der Junge war gekommen mit einen [: einem] [*] Eimer voller Fisch [: Fische] [*]. (Roza_Nacherzählung_Katze_D_02.09.2017) 18. Da ist ein Eimer voller Fischen. (Zozan_Nacherzählung_Katze_D_10.09.17) Wenn auch in Rozas Dativsatz die Pluralmarkierung nicht ganz gelungen ist, deutet das Determinant den und das Suffix -n auf eine klare Dativ-Plural-Nut‐ zung. Zu erwarten wäre, dass sie das Genitiv-Nomen Fisch im Plural - Fische - anwendet. Dies ist aber nicht der Fall. Dagegen wird das Adjektiv voll entsprechend dem Genitiv-Plural als voller richtig markiert. Aus dem Satz geht ferner hervor, dass Roza auch die Akkusativmarkierung auf einen Dativkontext überträgt. Ähnlich ist bei Zozan festzuhalten, dass sie zwar das Wort Fisch nicht adäquat im Genitiv-Plural nutzen kann, aber dafür das Adjektiv voll. Bei allen drei Kindern - Zozan, Roza und Azad - kam jedoch die Nutzung einer Kasusform in einem nicht passenden Kontext vor, wenn etwa der Akku‐ sativ in einem Dativkontext gebraucht wird (siehe Beispiel 17). Ferner kommt es häufig vor, dass sie maskuline Nomen im Akkusativ nicht markieren können, da sie ihnen das feminine Genus zuweisen (19, 20): 19. Die Katze wollte die [: den] [*] Schmetterling jagen. (Roza_Nacherzählung_Katze_D_13.02.2017) 20. Die Junge hat die [: den] [*] Ball. (Azad_Nacherzählung_ Katze_D_31.05.2017) In Bezug auf Welat wurde in den ersten Erhebungen beobachtet, dass er eine Nominativ- und Akkusativunterscheidung auf der Satzebene zunächst in Bezug auf Personalpronomen vornahm: 21. Er sagt „Papa hol mich daran [: da raus] [*].“ (Welat_Erzählung_BZ_D_14.02.2017) 179 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten Hinsichtlich der Nomen konnte dagegen keine klare Nominativ- und Akkusa‐ tivunterscheidung festgestellt werden, was zum Teil darauf zurückzuführen ist, dass seine Nominalphrasen zum Teil keine Kasusträger, keine Determinanten hatten: 22. 0det Hund gucken 0det Maus. (Welat_Nacherzählung_Hund_D_13.02.2017) Auch auf der präpositionalen Ebene konnte zu Beginn der Erhebungen eine Nominativ- und Akkusativunterscheidung festgehalten werden, wenn auch der Akkusativ in einem Dativkontext benutzt wird: 23. in den Baum 0v die Balonê@s: kur. (Welat_Nacherzählung_Hund_D_13.02.2017) In den späteren Erhebungen ist zu erkennen, dass Welat Nominativ und Akku‐ sativ auch auf der Satzebene am Artikel unterscheiden kann (24). Des Weiteren ist auch bei ihm zu verzeichnen, dass er in einigen Fällen den maskulinen Nomen das feminine Genus zuweist und so eine Markierung des Akkusativs an diesen Nomen entfällt (25): 24. Er will den Hund nehmen. (LiSe-DaZ, 2. MZP) 25. Er will die Ball nehmen. (LiSe-DaZ, 2. MZP) Die Nutzung des Dativs wurde bei Welat nicht dokumentiert. Er wendet in der Regel den Akkusativ auf die Dativkontexte an (23). Obwohl Welat in den MAIN-Erzählungen zumindest an einigen Fällen den Nomi‐ nativ und Akkusativ klar unterschieden hat, gelang ihm dies in den LiSe-DaZ-Tes‐ tungen an den geforderten Stellen nicht. In der zweiten Testung von LiSe-DaZ hat er an einer Stelle den Akkusativ klar zum Ausdruck gebracht (siehe Beispiel 24). Dies erfolgte jedoch nicht bei den Aufgaben zur Kasusabfrage. Dass er bei diesen Aufgaben den Akkusativ nicht zum Ausdruck gebracht hat, hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen beantwortete er die Fragen nicht in der beabsichtigten Weise (26). Zum anderen beantwortete er sie ohne Determinant (27): 26. Aufgabe 5 (Und was macht Lise hier? ) Welats Antwort im zweiten MZP: Lise macht so [% Gestik des Umarmens] Eine mögliche richtige Antwort: Lise hält den Hund. 27. Aufgabe 13.2 Bild (Und wen kannst du hier noch sehen? ) Welats Antwort im zweiten MZP: Hund Die erwartete Antwort etwa: den/ einen Hund Zur Kasuskompetenz der Studienkinder kann zusammengefasst werden, dass sie bis auf Welat drei Formen des Kasus - den Nominativ, den Akkusativ und den Dativ - unterscheiden können. Des Weiteren geht aus den Daten der 180 7 Ergebnisse 92 Ruberg/ Rothweiler (2012) machen in dieser Hinsicht jedoch keine konkrete zeitliche Angabe. Studienkinder hervor, dass der Akkusativ vor dem Dativ und Letzterer zunächst im Zusammenhang mit dem präpositionalen Gebrauch erworben wird. Der Erwerb in dieser Reihenfolge spiegelt die Befunde der Spracherwerbsforschung wider (vgl. Kaltenbacher/ Karas 2014: 58 f., Kauschke 2012: 78). Bei allen Kindern kann über die Erhebungszeit eine positive Entwicklung hinsichtlich der Kasusmarkierung festgehalten werden, die sich bei Roza, Aram und Azad auch in den Werten von LiSe-DaZ ablesen lässt. Die Werte von Zozan, Welat und Aras haben sich in der LiSe-DaZ-Testung vom ersten zum zweiten MZP nicht geändert. Zozan ist es allerdings gelungen, im dritten MZP von MAIN den Weg zum attributiven Genitiv zu bahnen, während Welat im zweiten MZP von LiSe-DaZ den Akkusativ auf der Satzebene zum Ausdruck gebracht hat, wenn auch nicht an der geforderten Stelle. Bei Aras ist wiederum festzuhalten, dass er im ersten MZP in der Nacherzählgeschichte mit dem Verb fallen den Dativ nutzt, während er im dritten MZP in derselben Geschichte dieses Verb richtig mit Akkusativ gebraucht. Hinsichtlich der Genus- und Kasuszuweisung wird in der Spracherwerbsfor‐ schung die Diskussion geführt, ob Kinder mit sukzessivem Deutscherwerb zunächst die Genusunterscheidung unterlassen und eine Kasusunterscheidung vornehmen (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012: 133 f.). Im Falle einer solchen Er‐ werbsabfolge merken die Autor*innen an, dass Kinder zunächst eine Nominativ- und Akkusativunterscheidung in der Form der, die (das selten oder gar nicht) versus den vornehmen. Dabei ist die Nutzung von der und die im Nominativ und den im Akkusativ unabhängig vom tatsächlichen Genus der Nomen. In den Daten von Zozan, Roza, Azad und Welat, die das Deutsche sukzessiv erwerben, kommt die Nutzung von das als Genusmarker kaum vor. Insofern bestätigen die Daten die Annahme, dass sukzessive Spracherwerber*innen des Deutschen das als Genusmarker zu Beginn 92 des Erwerbs meiden. Es ist allerdings daran zu erinnern, dass neutrale Nomen in den beiden eingesetzten Instrumenten unterrepräsentiert sind. Jedoch wird die Annahme nicht bestätigt, dass sukzes‐ sive Spracherwerber*innen zunächst den Nominativ und den Akkusativ in der Form der oder die versus den unterscheiden und die Genusunterscheidung dabei ignorieren. In den Daten von Zozan, Roza, Azad und Welat wurde weder den konsequent als Akkusativmarker verwendet (siehe die Beispiele 19, 20, 25) noch der und die beliebig im Nominativ als Genusmarker benutzt. Dennoch ist abschließend zu unterstreichen, dass die Genus- und Kasusun‐ terscheidung der grammatische Bereich war, in dem die sukzessiven Spracher‐ 181 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 93 In der BV-Geschichte ist nur ein einzelner Wurm dargestellt. Aram benutzt Wurm jedoch in einer Erzählung auch in der Pluralform (siehe Beispiel 10). Des Weiteren nehmen Studienkinder mit Singular Bezug auf den Körperteil Fuß der Figuren, Aram und Azad nutzen es jedoch auch im Plural. werber*innen der Studie in Deutsch ihre größten Schwierigkeiten hatten. Dies gilt sogar hinsichtlich der Genusmarkierung auch bei Aram, der von Geburt an Kontakt zum Deutschen hatte. Der Numerus in Deutsch wird in Bezug auf die sprachlichen Daten der Kinder unter drei Gesichtspunkten thematisiert: Kongruenz, Pluralmarkierung an Nomen und Markierung an Determinanten. Der erstgenannte Gesichtspunkt wird innerhalb der Verbalphrase erörtert, die zwei Letzteren werden dagegen hier der Reihe nach thematisiert. Nomen, die in MAIN-Geschichten und in LiSe-DaZ potenziell im Plural gebraucht werden, werden im Folgenden aufgelistet. Die Umschreibungen wurden von Studienkindern zum Teil anstatt des vorgesehenen Wortes genutzt: MAIN Fisch (-e) Würstchen (-) Küken (-) (Umschreibungen: (Baby)Vogel ["], Baby [-s], Kind [-er], Flügel [-]) Ziegenkind (-er) (Umschreibungen: (Baby)Schaf [-e], Ziege[-n], Baby [-s], Mädchen [-]) 93 LiSe-DaZ Ballon, Luftballon (-s) Ente (-n) (Umschreibungen: Vogel ["]) Eichhörnchen (-) Der Auflistung kann entnommen werden, dass Nomen, die im Plural gebraucht werden könnten, in beiden Instrumenten wie die neutralen Nomen selten sind. Zudem haben manche Nomen - Küken, Würstchen, Eichhörnchen und Mädchen - keine sich vom Singular unterscheidende Pluralform in Deutsch. Schließlich ist zu ergänzen, dass Kinder diese Nomen im Singular gebrauchen oder sie meiden können. Dennoch kann ausgehend von den vorhandenen Daten eine vorsichtige Analyse zur Pluralmarkierung der Nomen unternommen werden. Zozan benutzt die Wörter Fisch, Vogel, Kind, Ente und Luftballon, an denen sie das Pluralmorphem setzt. Sie setzt alle Pluralmorpheme richtig. Im dritten MZP nutzt sie das Wort Fisch im Genitiv-Plural, versieht es allerdings mit -en anstatt -e (siehe das Beispiel 18). Da sie im ersten MZP das Pluralmorphem bei dem Wort im Akkusativ richtig nutzt, ist davon auszugehen, dass der Fehler nicht an 182 7 Ergebnisse der Pluralmarkierung an sich liegt, sondern eher durch die Kasusanwendung verursacht wird. Roza setzt bei Fisch, Vogel und Ente das Pluralmorphem meistens richtig. Bei Fisch und Vogel macht sie jeweils an einer Stelle Fehler. Bei Vogel passiert der Fehler bei der Nutzung dieses Wortes im Dativ-Plural (siehe das Beispiel 16). Bei Fisch ereignet sich der Fehler bei seinem Gebrauch im Genitiv-Plural (siehe das Beispiel 17). Da sie an anderen Stellen diese Wörter richtig im Plural nutzt, ist auch bei ihr davon auszugehen, dass die Ursache des Fehlers eher bei der Kasusanwendung liegt. Aram setzt bei Fisch, Vogel, Wurm, Luftballon, Ente und Fuß das Pluralmor‐ phem und bei all diesen Wörtern auch richtig. Auch Aras macht keinen Fehler, wenn er bei Fisch, Ballon und Ente das Pluralmorphem setzt. Bei Azad konnte erfasst werden, dass er bei den Wörtern Schaf bzw. Baby‐ schaf, Fuß und Ballon das Pluralmorphem richtig setzt. Obwohl er im zweiten MZP von LiSe-DaZ den -s-Plural bei dem Wort Ballon nutzt, verwendet er diesen in der Erzählung einer MAIN-Geschichte nicht, die ein paar Tage davor stattgefunden hat, und macht dabei einen Numerusfehler: 28. Dann sagen die Baby [: Babys] [*]. (Azad_Erzählung_BV_D_31.08.2017) Welat gebraucht den Plural kaum. Nur das Wort Baby nutzt er im Plural und setzt dabei das Pluralmorphem -s richtig. In einem Fall nutzt er Fisch im Plural-Kontext, setzt aber das Pluralmorphem nicht und macht dabei einen Numerusfehler: 29. 0det Katze hab [: hat] [*] alle Fisch [: Fische] [*] geesst [: gegessen] [*]. (Welat_Nacherzählung_Katze_D_31.05.2017) Aus den obigen Ausführungen und Beispielen lässt sich schlussfolgern, dass Zozan und Aram alle fünf Pluralmorpheme des Deutschen, -(e)n, -e, "-(e), (")-er und -s nutzen können. Das heißt, dass ein sechsjähriges Kind mit Kontakt zum Deutschen seit der Geburt - Aram - sowie ein ebenso sechsjähriges Kind mit einem systematischen Kontakt von etwa zwei Jahren - Zozan - die Pluralmorpheme des Deutschen vollständig erwerben und anwenden können. Zu erwarten wäre, dass Roza wie ihre Zwillingsschwester Zozan alle fünf Pluralmorpheme anwendet, was jedoch nicht der Fall ist. Sie nutzt drei Pluralmorpheme. Es konnte nicht eindeutig geklärt werden, ob sie die weiteren beiden Pluralmorpheme erworben hatte, da sie keine Wörter mit den entsprechenden Pluralmorphemen anwendet. Bei Aras, der ebenso drei Pluralmorpheme anwendet, liegt ein ähnlicher Fall wie bei Roza vor. Was Aras und Roza weiterhin gemein haben, ist, dass sie kein Wort im Plural 183 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 94 Hier wird von der fehlenden Pluralmarkierung bei dem Wort Fisch durch Roza in einem Genitiv-Plural-Kontext abgesehen. 95 Bezieht sich auf Schaf. gebrauchen 94 , ohne es entsprechend zu markieren. Azad nutzt zwar ebenfalls drei Pluralmorpheme, kann jedoch eins davon nicht überall einsetzen, wo es benötigt wird. Welat dagegen verwendet nur ein Pluralmorphem. Es ist insofern davon auszugehen, dass sich die Aneignung der Pluralmorpheme bei Azad und Welat noch im Erwerbsprozess befindet, der bei Welat möglicherweise noch eher im Anfangsstadium ist. Wenn die Numerusmarkierung in der Nominalphrase betrachtet wird - Determinant + Nomen -, fällt auf, dass die Studienkinder bei der Pluralmarkie‐ rung das Determinant richtig setzen, falls dies ein bestimmter Artikel ist, wie z. B. die Fische, die Vögel, die Babyschafe. In einigen Fällen fungiert auch das Possessivpronomen als Plural-Determinant. Dabei wird die Pluralmarkierung ebenfalls richtig gesetzt wie im Beispiel 30. Hier ereignen sich aber auch Fehler wie im Beispiel 31. In beiden Fällen ist im Übrigen das Genus am Possessivpronomen falsch zugewiesen: 30. Dann ist der Wolf gespring [: gesprungen] [*] und hat der Wolf ihre  95 [: seine] [*] Füße gefangt [: gefangen] [*]. (Azad_Erzählung_BZ_D_30.11.2017) 31. Die Kükenmutter will Essen für sein [: ihre] [*] kleine [: kleinen] [*] Kinder holen. (Zozan_Erzählung_BV_D_07.03.2017) Der Singular wird in Deutsch nicht gesondert am Nomen gekennzeichnet. Die Grundform eines Nomens, die zugleich sein Lexikoneintrag ist, gilt als Singular (vgl. Bittner 2003: 7). Wenn Kinder die Nomen erwerben, wird also der Singular mit erworben. Der Singular könnte möglicherweise an Determinanten und Attributen untersucht werden, da sie zum Teil die Singular- und Plural‐ unterscheidung abbilden. Dazu ist aber die Beherrschung des Genussystems vorausgesetzt, was vor allem bei den sukzessiven Erwerber*innen Zozan, Roza, Azad und Welat nicht der Fall ist. Ansonsten können Genusfehler wie die Ball, die Schmetterling, die Wolf nicht als Genus-, sondern als Numerusfehler interpretiert werden. Im theoretischen Teil der Arbeit wurde ausgeführt, dass Schulz/ Tracy (2011) den Erwerb der Pluralmorpheme als Domäne von ‚item-by-item-Lernen‘ be‐ trachten. Die sprachlichen Daten der Studienkinder legen aber nahe, dass ihr Erwerb eher einer Systematik unterliegt (vgl. Hinnerichs/ Pagonis 2015: 32). Denn bei ‚item-by-item-Lernen‘ wäre - wie bei der Genuszuweisung - zu erwarten, dass Kinder die Pluralmorpheme öfter falsch zuweisen. Eine falsche Nutzung kommt aber in den sprachlichen Daten der Kinder bis auf 184 7 Ergebnisse 96 Siehe bei Aram allerdings die Besonderheit hinsichtlich der Nutzung des Plusquamper‐ fekts im zweiten MZP. sehr wenige Fälle, die eher durch Kasusanwendung verursacht sind, nicht vor. Pluralmorpheme werden also fast immer richtig genutzt. Es ist jedoch einschränkend zu erwähnen, dass die Analyse des Erwerbs der Pluralmorpheme in dieser Studie bei wenigen Kindern anhand weniger Nomen erfolgt. In anderen Studien, die in dieser Hinsicht breiter aufgestellt sind und den Pluralerwerb fokussierter betrachten, wird dagegen festgehalten, dass sowohl Kinder mit Deutsch als Muttersprache als auch sukzessive Erwerber*innen des Deutschen die Pluralmorpheme auch inkorrekt handhaben (vgl. Hinnerichs/ Pagonis 2015: 30 ff., Kauschke 2012: 75 ff.). Dennoch scheint die falsche Nutzung der Plural‐ morpheme vor allem bei den sukzessiven Erwerber*innen nicht in dem Maße ausgeprägt zu sein wie die falsche Genuszuweisung (siehe die vorherigen Analysen zur Genuszuweisung). Des Weiteren geht aus den sprachlichen Daten der Kinder hervor, dass sukzessive Erwerber*innen des Deutschen seine Pluralmorpheme nach einem etwa zweijährigen systematischen Zugang erwerben können. Der Numeruser‐ werb des Deutschen beschränkt sich jedoch nicht nur auf die Aneignung und Anwendung der Pluralmorpheme, sondern schließt die Markierung an Deter‐ minanten und Adjektiven mit ein. Um sich dieses gesamte System anzueignen, brauchen einsprachige Kinder „eine Reihe von Jahren“ (Kaltenbacher/ Klages 2007: 85). Bei den sukzessiven Erwerber*innen des Deutschen scheint ebenfalls eine Reihe von Jahren nötig zu sein. Zozan beispielsweise wendet zwar nach einem etwa zweijährigen systematischen Kontakt alle Pluralmorpheme richtig an, kann jedoch die Pluralmarkierung an den Determinanten nicht immer richtig kennzeichnen. Verbalphrase In Bezug auf die Verbalphrase werden im Folgenden die sprachlichen Daten der Kinder hinsichtlich Person- und Numerusmarkierung in Kongruenz zwischen dem Subjekt und dem Prädikat des Satzes untersucht. Anschließend folgt die Erläuterung der genutzten Tempusformen und Tempusmarkierungen. Aus den beiden LiSe-DaZ-Testungen geht hervor, dass Zozan, Roza, Aram und Aras bei der Person- und Numerusmarkierung in Kongruenz mit dem Subjekt keinen Fehler machen. Auch in den Erzählungen von MAIN-Geschichten kamen diesbezüglich keine Fehler vor 96 . Azad hat bei der ersten Testung von LiSe-DaZ die Entwicklungsstufe Satzklammer III nicht erreicht. Er hat also kaum Sätze gebildet, die das Finitum des Verbs an der zweiten Stelle des Satzes enthalten. 185 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 97 Gemeint ist ein Mann, der abgebildet ist. 98 Gemeint ist etwa: Möchtest du Skateboard fahren? 99 Gemeint ist, dass die Figur Lise den Helm auf den Kopf gesetzt hat. Daher wurde auch nicht ermittelt, ob er Person- und Numerusmarkierung richtig setzt. Im zweiten MZP hat er die Entwicklungsstufe Satzklammer IV erreicht, und entsprechend konnte ermittelt werden, ob er diese Markierungen richtig anwenden kann. Dabei wurden fünfzehn Sätze verzeichnet, in denen er diese Markierungen in Kongruenz mit dem Subjekt setzt. Bis auf einen Satz waren sie alle richtig. Der Satz mit dem Regelverstoß lautet: 32. Der  97 Stopp sag, guck mal. In den Erzählungen von MAIN-Geschichten konnte Azad auch Person- und Numerusmarkierung in Kongruenz mit dem Subjekt richtig setzen. Lediglich bei einem Satz ist ein Regelverstoß vorgekommen: 33. Die Schafe trinkt [: trinken] [*] die [: das] [*] Wasser. (Azad_Erzählung_BZ_D_31.05.2017) Bei Welat wurden im ersten MZP von LiSe-DaZ neunzehn Sätze dokumentiert, in denen die Person- und Numerusmarkierung in Kongruenz mit dem Subjekt gesetzt ist. Nur in einem Satz kommt ein Regelverstoß vor: 34. Du möchte die?   98 Im zweiten MZP der LiSe-DaZ-Testung bildet Welat vierzehn Sätze und in zwei davon gibt es einen Regelverstoß: 35. Er hab Mülltonne gegangen. 36. Er hab sein Kopf gemacht.  99 In beiden Fällen nutzt er nicht das vorgesehene hat, sondern hab. Auch im Hin‐ blick auf Erzählungen von MAIN-Geschichten ist festzuhalten, dass Welat das Verb haben in der dritten Person Singular als hab zum Ausdruck bringt, sowohl bei dessen Nutzung als Vollverb als auch bei der als Auxiliar. Entsprechend ist überall in seinen sprachlichen Daten ein Regelverstoß zu verzeichnen, wenn dieses Verb in der dritten Person Singular verwendet wird. Seine sprachlichen Daten wurden daraufhin überprüft, ob er dieses Verb auch in der ersten Person Singular in dieser Weise als hab anwendet und dies zu einer Form- und Funktionsdisambiguität führt. In seinen sprachlichen Daten wurde jedoch nicht verzeichnet, dass er dieses Verb in der ersten Person Singular nutzt. Weitere Regelverstöße kamen in seinen sprachlichen Daten nicht vor. 186 7 Ergebnisse In den sprachlichen Daten kommt es hinsichtlich der Person- und Numerus‐ markierung in Kongruenz mit dem Subjekt also selten zum Regelverstoß. Bei vier Kindern ist sogar gar kein solcher Verstoß vorhanden. Dies entspricht den Befunden der Spracherwerbsforschung. Dort ist nämlich dokumentiert, dass Kindern bei der Flexion der Verben hinsichtlich der Person und des Numerus in Kongruenz mit dem Subjekt nur selten Fehler unterlaufen (vgl. Kauschke 2012: 80). In Bezug auf Tempusformen ist festzuhalten, dass Zozan, Roza, Aram und Azad in ihren Erzählungen die Zeitformen Präsens, Perfekt und Präteritum nutzen, wobei die Zeitform Perfekt ihre Erzählungen prägt. Roza verwendet zudem die Zeitform Plusquamperfekt, und zwar schon im ersten MZP: 37. Und danach war ein Junge hier gekommen. (Roza_Nacherzählung_Katze_D_13.02.2017) Bei Aram wurde in den Erzählungen vom zweiten MZP verzeichnet, dass er das Modalverb wollen und das Auxiliar haben in der dritten Person Singular in der Vergangenheit als wolltet und hattet nutzt. Diese Nutzung ist ein Kongru‐ enzverstoß: 38. Dann hattet [: hatte] der Hund die Würstchen gesehen, wolltet [: wollte] [*] die essen. (Aram_Nacherzählung_Hund_D_31.05.17) Wie aus dem Beispiel hervorgeht, ist sowohl haben als auch wollen nicht nach der dritten Person, sondern nach der zweiten Person Plural flektiert. Dabei ergibt sich ein Kongruenzfehler. Da Aram sowohl im ersten als auch im dritten MZP die beiden Verben in der Vergangenheit richtig nutzt (siehe die Beispiele 39, 40), ist bei den Beispielen im zweiten MZP davon auszugehen, dass er sich an die Nutzung des Plusquamperfekts herantastet, dies aber mit der Person- und Numerusmarkierung nicht ganz korrekt hinbekommt und dabei gegen die Kongruenzregel verstößt: 39. Der Junge war da, wollte dann &f angeln. (Aram_Nacherzählung_Katze_D_02.09.17) 40. Und dann [/ ] dann (.) hat der Junge sich erschreckt. (Aram_Nacherzählung_Katze_D_02.09.17) Welat nutzt in seinen Erzählungen lediglich das Präsens und das Perfekt. Dabei ist die Tendenz zu beobachten, dass vom ersten MZP zum dritten MZP die Nut‐ zung des Perfekts zunimmt. Aus den zwei Geschichten, die Aras einigermaßen zusammenhängend erzählt hat, geht hervor, dass er die Tempusformen Präsens, 187 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 100 Anzumerken ist jedoch, dass von den eingesetzten Instrumenten MAIN mehr an der dritten Person Singular orientiert ist. Daher ist es verständlich, dass Äußerungen der Kinder hauptsächlich in der dritten Person Singular erfolgen und mögliche Fehler auch hier entdeckt werden. 101 Bei Aras ist jedoch festzuhalten, dass er das Verb fallen sowohl richtig als fällt als auch abweichend als fallt zum Ausdruck bringt. Perfekt und Präteritum nutzen kann. Wenn beide Erzählungen zusammenge‐ rechnet werden, überwiegt die Nutzung des Präsens. Dass bis auf Welat und Aras die anderen Kinder in ihren Erzählungen eher das Perfekt als Tempusform auswählen, steht wiederum im Einklang mit den Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung (von Stutterheim/ Halm/ Carroll 2012: 574). In diesem Zusammenhang ist hinzuzufügen, dass sich bei Welat vom ersten zum dritten MZP eine ähnliche Tendenz abzeichnet. Daran zu erinnern ist, dass in Kurmancî bei den Erzählungen die Nutzung des Präteritums überwiegt, das mit dem Perfekt des Deutschen wiedergegeben wird. Hinsichtlich der Tempusmarkierungen ist festzuhalten, dass allen Studien‐ kindern bei der Flexion der sogenannten unregelmäßig (stark) flektierten Verben Fehler unterlaufen sind. Die häufigsten Fehler sind dabei, außer bei Aram, bei der Perfektbildung entstanden, um genauer zu sein, bei der Partizip‐ bildung. Konkret wurde Folgendes beobachtet: Aram macht bei der Nutzung dieser Verben in der dritten Person Singular 100 meistens im Präteritum Fehler (fangte, gabte, fliegte). Im Perfekt ist ein Fehler einzig beim Verb essen vorgekommen, dessen Partizip er als geessen bildete. Im Präsens ist eine Abweichung bei den Verben tragen und fahren vorhanden, die er in der dritten Person Singular als tragt und fahrt nutzte. Beim letzteren Verb wurde die Abweichung im ersten MZP von LiSe-DaZ dokumentiert. Im zweiten MZP wurde dagegen festgehalten, dass Aram dieses Verb richtig als fährt zum Ausdruck bringt. Das Verb tragen hat er dagegen im zweiten MZP nicht benutzt. Bei den anderen Kindern sind keine Fehler im Präteritum dokumentiert. Anzumerken ist jedoch, dass die anderen Kinder jenseits der Verben sein und haben das Präteritum kaum verwenden - bei Welat kommt das Präteritum überhaupt nicht vor. Im Gegensatz zu Aram kommen bei den anderen Kindern die meisten Abweichungen bei der Partizipbildung des Perfekts vor, beispielsweise: geziehen (Zozan), gehelfen (Roza), genehmt (Azad), gerennt (Welat), gespringtet (Aras). Außer bei Aras sind jedoch Fehler auch im Präsens in der dritten Person Singular dokumentiert 101 . Zozan, Roza, Azad und Welat markieren das Verb essen in der dritten Person Singular abweichend als esst. Bei Roza wurde diese abweichende Konjugation im zweiten MZP von MAIN-Geschichten festgehalten. Im dritten 188 7 Ergebnisse MZP erfolgt jedoch die richtige Konjugation als isst. Bei Zozan ist des Weiteren die abweichende Konjugation auch beim Verb halten als halt, haltet, bei Roza beim Verb helfen als helft und bei Welat beim Verb laufen als lauft zu beobachten. Bei Azad ist kein weiteres Verb im Präsens dokumentiert, bei dem eine abwei‐ chende Konjugation vorliegt. Dass Kinder im Erwerb des Deutschen bei der Markierung des Perfekts der unregelmäßigen Verben Fehler machen, ist in der Spracherwerbsforschung gut dokumentiert (vgl. Grießhaber 2010: 57 f.). Dabei kann der Fehler daran liegen, dass das Muster der regelmäßigen Partizipbildung auf unregelmäßige Verben übertragen wird (vgl. Kauschke 2012: 82). Dies ist auch bei den Partizipbildungen genehmt, gerennt und zum Teil bei gespringtet in der Tat der Fall. Aber nicht bei jeder Abweichung trifft dieses Phänomen zu, wie etwa bei geziehen und gehelfen. Die falsche Markierung ist des Weiteren jenseits des Perfekts auch beim Präteritum sowie Präsens zu beobachten. Bemerkenswert ist dabei, dass das Flexionsmuster der regelmäßigen Verben hier viel stärker übertragen zu werden scheint. Zumindest mit Ausnahme von geben und halten ist bei allen Abweichungen, die bei den Studienkindern in diesen Tempusformen vorkommen, dieses Muster eindeutig zu erkennen: fangte, fliegte und esst, helft, lauft, tragt, fahrt. Auch bei halten ist dieses Muster bei der Nutzung als haltet zu sehen. Jedoch wird dieses Verb auch als halt in Anspruch genommen, bei dem die regelmäßige Konjugation nicht eins zu eins übertragen wird, was auch bei gabte zutrifft. Zuletzt wurden die Daten darauf überprüft, ob Kindern bei der Bildung vom Perfekt - bei Roza auch vom Plusquamperfekt - bei der Auswahl des Auxiliars Fehler unterlaufen. Dabei wurden bei Zozan, Aram, Azad und Aras keine Fehler verzeichnet. Solche passieren Roza aber sporadisch: 41. Danach hat [: ist] [*] der [: die] [*] Katze in den Baum geklettert. (Roza_Erzählung_BV_D_31.05.2017) Welat wendet für seine Perfektsätze immer das Auxiliar haben an. Entsprechend macht er überall einen Fehler, wo das Auxiliar sein verwendet werden muss: 42. Die [: der] [*] Fuchs hab [: ist] [*] &em [/ ] &em gerennt [: gerannt] [*] &em Vogel auch. (Welat_Erzählung_BZ_D_31.08.2017) 7.3.2.3 Syntaktische Eigenschaften Die syntaktischen Eigenschaften der sprachlichen Daten werden parallel zum Kurmancî im Hinblick auf die Wort- und Verbstellung untersucht. Beim ersten MZP von LiSe-DaZ konnte ermittelt werden, dass Zozan, Roza und Aram die Entwicklungsstufe Satzklammer IV erreichen. Dies bedeutet, dass 189 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten sie in der Lage sind, Nebensätze mit Verbendstellung zu bilden. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass ein Kind nach den Kriterien von LiSe-DaZ drei Sätze entsprechend der jeweiligen Entwicklungsstufe Satzklammer bilden muss, damit diese Stufe als erreicht gilt (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 49): 43. Aufgabe 8.2 (Ibo sagt zu dem Hund: du darfst NUR mitkommen, …) Zozan: Wenn du nicht wegrennst. Roza: Wenn du nicht rennst. Aram: Wenn du nicht wegrennst. Aras und Welat erlangen im ersten MZP von LiSe-DaZ die Entwicklungsstufe Satzklammer III, was bedeutet, dass sie Hauptsätze mit Verbzweitstellung bilden können: 44. Aufgabe 3 (Warum macht der Hund so ein trauriges Gesicht? ) Arasʼ Antwort: Der kommt aus Mülltonne nicht raus. Welats Antwort: Er macht so (% zeigt ein trauriges Gesicht). Azad hat im ersten MZP nur Entwicklungsstufe Satzklammer II erreicht. Dies bedeutet, dass er entweder das Verb am Ende des Satzes unflektiert benutzt oder dass er das Verb flektiert, dem aber kein weiteres Wort folgt, so dass die Verbzweitstellung nicht eindeutig ist. Er hat allerdings bei einem erheblichen Teil der Fragen die Antwort „weiß ich nicht“ gegeben. Durch diese Antwort wurden möglicherweise die erwarteten Äußerungen nicht gebildet, weshalb auch eine höhere Entwicklungsstufe Satzklammer nicht zu ermitteln war. Dass Azad eine höhere Entwicklungsstufe Satzklammer im ersten MZP ge‐ habt haben könnte und diese von feststehenden Wendungen überdeckt wurde, geht aus der Tatsache hervor, dass er im zweiten MZP von LiSe-DaZ, etwa fünf Monate nach dem ersten MZP, die Entwicklungsstufe Satzklammer IV aufweist. Erreicht wurde die Entwicklungsstufe Satzklammer IV auch von Aras. Einzig bei Welat bleibt die Entwicklungsstufe Satzklammer III vom ersten MZP zum zweiten MZP unverändert. Zozan, Roza, Aram, Azad und Aras haben nicht nur bei den LiSe-DaZ-Tes‐ tungen gezeigt, dass sie Nebensätze bilden können, sondern haben auch in MAIN-Erzählungen davon Gebrauch gemacht. Dabei ist aufgefallen, dass ihre Nebensätze in LiSe-DaZ meistens entsprechend dem Elizitationsverfahren mit den Konjunktionen weil, dass und wenn eingeleitet sind. Aber auch in Erzäh‐ lungen von MAIN-Geschichten haben diese Kinder ihre meisten Nebensätze mit diesen Konjunktionen eingeleitet. Dies deckt sich mit Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung in Bezug auf weil und wenn. Dort ist dokumentiert, 190 7 Ergebnisse dass es sich um früh erworbene Konjunktionen handelt, mit denen Nebensätze gebildet werden (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012: 127). Bei Zozan und Roza ist im Hinblick auf die Bildung und Nutzung von Nebensätzen zu ergänzen, dass sie diese im Vergleich zu Aram, Azad und Aras öfter benutzen. Zum anderen haben sie Nebensätze gebildet, die mit Nominal‐ pronomina eingeleitet sind (45, 46). Roza hat darüber hinaus Nebensätze mit Fragepronomina gebildet (47): 45. Die [: der] [*] Schmetterling hat das (.) Gras geessen [: gegessen] [*], das mit der auf dem Busch (.) wächst. (Zozan_Nacherzählung_Katze_D_10.09.17) 46. Aber (.) de: r, der in den [: dem] [*] Wasser ist, bemerkt das nicht. (Roza_Erzählung_BZ_D_02.09.2017) 47. Darf ich bitte in dein Rucksack gucken, was da drin ist. (Roza LiSe-DaZ 2. MZP) Zozan und Roza ist es sogar gelungen, Infinitivkonstruktionen zu bilden, wie in dem folgenden Beispiel von Zozan: 48. (.) Und der Junge hat versucht, sein [: seinen] [*] Ball zurückzuholen. (Zozan_Nacherzählung_Katze_D_10.09.17) Ferner ist in den Erzählungen der MAIN-Geschichten im Hinblick auf die Wortstellung zu beobachten, dass Zozan, Roza, Aram und Azad das Verfahren der Inversion nutzen, indem sie das Subjekt hinter dem Finitum setzen (vgl. Grießhaber 2010: 149). Dabei wird die Position vor dem Verb mit einer koor‐ dinierenden Konjunktion (meistens und) plus einem Adverb (dann, danach) besetzt (49). Die Besetzung kann auch ohne Konjunktion lediglich mit einem Adverb erfolgen (50): 49. Und dann hat die [: es] [*] Angst gekriegt. (Zozan_Erzählung_BV_D_07.03.2017) 50. Dann kommt ein Hund. (Aram_Erzählung_BV_D_14.02.2017) Somit zeigen Zozan, Roza, Aram und Azad ein Muster, das in Erzählungen häufig in Anspruch genommen wird (vgl. Ahrenholz 2007: 229). Dabei ist es nur bei Azad in einem Fall zur Verbdrittstellung gekommen: 51. Dann 0det Katze [/ ] Katze will die [: den] [*] Schmetterling fangen. (Azad_Nacherzählung_Katze_D_30.11.2017) Nicht in MAIN-Geschichten, aber in der Sprachproduktion von LiSe-DaZ wurde auch bei Roza in einem Fall die Verbdrittstellung dokumentiert: 52. Hier ich schneide den Baum. (Roza LiSe-DaZ 1. MZP) 191 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten 102 Häufiger kommt jedoch vor, dass Determinanten weggelassen werden, wenn Kinder in der Lise-DaZ-Testung auf eine Frage mit einer Nominalphrase antworten sollten. Im theoretischen Teil der Arbeit wurde darauf hingewiesen, dass Kinder, die mit dem Erwerb des Deutschen spät anfangen, etwa ab dem Alter von fünf Jahren, in solchen Konstellationen das Verb übergangsmäßig nicht vor, sondern nach dem Subjekt gebrauchen könnten, was dann zu der sogenannten Verbdrittstellung führt. Von den Studienkindern, die das Verfahren der Inversion nutzen, haben Zozan, Roza und Azad spät angefangen, das Deutsche zu erwerben. Zozan und Roza waren sogar kurz vor ihrem fünften Lebensjahr, nämlich vier Jahre und zehn Monate alt, als sie mit dem Erwerb des Deutschen begonnen haben. Dennoch ist die Verbdrittstellung die absolute Ausnahme bei Roza und Azad und wurde bei Zozan überhaupt nicht dokumentiert. Zu ergänzen ist, dass es bei anderen Satzbautypen ebenfalls sehr selten zu Fehlern kommt. Auch das Weglassen eines Satzelementes - etwa eines Determinants - kommt in den sprachlichen Daten von Zozan, Roza, Aram, Aras und Azad kaum vor. 102 Bei Welat ist im ersten MZP von MAIN-Geschichten zu beobachten, dass er häufig die Determinanten weglässt. Bis zum dritten MZP nehmen aber solche Auslassungen auch bei ihm bedeutend ab. 7.3.3 Ad-hoc-Entlehnungen und Codeswitchings Bei der Erläuterung der Mikrostruktur von MAIN im Abschnitt 6.2.2.1 wurde das Codeswitching thematisiert und in Anlehnung an Poplack (2018) eine Differen‐ zierung vorgenommen. Dieser Differenzierung wird hier Rechnung getragen: Alle in den Ergebnistabellen als Codeswitching erfassten Äußerungen anderer Sprachen werden kategorisiert. Die erste Kategorie umfasst Ad-hoc-Entleh‐ nungen (nonce borrowing). Darunter sind spontane Entlehnungen zu verstehen, die in der Regel aus einem Wort bestehen und, als Charakteristik viel wichtiger, bei der Übernahme von der Grammatik der entlehnenden Sprache morpholo‐ gisch und/ oder syntaktisch bearbeitet werden. Die zweite Kategorie umfasst die eigentlichen Codeswitchings. Damit ist gemeint, dass die übernommenen Äußerungen zwar auch spontane Übernahmen sind, aber in der Regel aus mehr als einem Wort bestehen und bei der Übernahme die grammatische Struktur der entlehnten Sprache hinsichtlich der Morphologie und/ oder Syntax bewahren (vgl. Poplack 2018). Zu diesen zwei Kategorien ist eine weitere hinzuzufügen, die Äußerungen in anderen Sprachen umfasst, die weder der ersten noch der zweiten Kategorie zuzuordnen sind. 192 7 Ergebnisse In den sprachlichen Daten sind fast ausschließlich in den Kurmancî-Erzäh‐ lungen Äußerungen aus dem Deutschen übernommen. Genau genommen handelt es sich um sechsundsechzig Vorkommnisse, bestehend meistens aus einzelnen Wörtern, aber auch aus Wortgruppen und Sätzen. Wenn die obigen Kriterien angewendet werden, so ist festzuhalten, dass es sich bei den meisten übernommenen Äußerungen um Ad-hoc-Entlehnungen handelt. Das heißt, sie übernehmen die morphologischen und/ oder syntaktischen Merkmale des Kurmancî. Ein Teil der entlehnten Wörter wird beispielsweise mit Ezafe versehen: 1. luftbalon-a@s: deu kuruk Luftballon-EZ.F Junge „der Luftballon des Jungen“ (Aram_Nacherzählung_Hund_K_07.03.2017) 2. bal-a@s: deu wî Ball-EZ.F 3PSg.OB.M „sein Ball“ (Welat_Nacherzählung_Katze_K_07.09.2017) Ein anderer Teil der Wörter - Verben - werden in die Leichtverbkonstruktion des Kurmancî transformiert, die eventuell das produktivste Muster der Verbbil‐ dung in Kurmancî darstellt (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 188). Einige Beispiele sind: helfen kir „hat geholfen/ hat Hilfe gemacht“, beißen kir „hat gebissen/ hat Beißen gemacht“, springen kir „ist gesprungen/ hat Sprung gemacht“, retten bike „wird retten/ wird Retten machen“. Bei einem Teil der Äußerungen scheint auf den ersten Blick die Domäne der Integration nur in der Syntax zu liegen. Äußerungen, die in Deutsch Determinanten verlangen, werden beispielsweise ins Kurmancî ohne solche übernommen: 3. Dû re katze@s: deu çû. dann Katze PRÄTS: gehen.3PSg „Dann ist die Katze gegangen.“ (Azad_Erzählung_BV_K_07.12.2017) 4. Pê re taube@s: deu pêy wî rivîya. dann Taube nach 3PSg.OB.M PRÄTS: rennen.3PSg „Dann ist die Taube ihm hinterhergerannt.“ (Roza_Erzählung_BZ_K_07.06.2017) 193 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten Jedoch ist die Übernahme ohne Determinanten auch von morphologischer Bedeutung. Denn somit löst sich die übernommene Äußerung von morpholo‐ gischen Kategorien, die in der Rezipienten-Sprache markiert werden müssen. Nomen müssen wie in den Beispielen Katze und Taube in Deutsch durch Determinanten für Genus, Numerus und Kasus markiert werden. In Kurmancî dagegen müssen sie das Genus und den Numerus nicht ausdrücken, solange sie im Rectus sind und sich nicht in einer Ezafe-Konstruktion befinden. Von syntaktischer Bedeutung ist ferner, dass die Übernahmen nach dem Wortstel‐ lungsmuster des Kurmancî erfolgen. Beide Sätze beginnen mit Adverbien, denen in Deutsch dem Prinzip der Inversion folgend das Verb und dem Verb das Subjekt folgen sollte. Aber entsprechend dem Wortstellungsmuster des Kurmancî folgt den Adverbien das Subjekt und diesem wiederum das Verb. Wie Poplack (2018) anmerkt, können einzelne Wörter in der Regel keine Codeswitchings sein, sondern nur Ad-hoc-Entlehnungen, was auch bei den meisten Wörtern zutrifft. Aber in einem Fall konnte genau festgehalten werden, dass es sich bei der Übernahme eines einzelnen Wortes mehr um ein Codeswit‐ ching als eine Ad-hoc-Entlehnung handelt. Denn das Wort behält die morpho‐ logische Grammatik des Deutschen bei und wird in dieser Weise ins Kurmancî übernommen: 5. Kurik bala@s: deu wî kete nêv Junge Ball.EZ.F 3PSg.OB.M PRÄTS: fallen.3PSg PRÄ.OB avê, <rausgeholt@s: deu> [/ / ] holt@s: deu. Wasser.OB.F rausgeholt holt. „Dem Jungen sein Ball ist ins Wasser gefallen, rausgeholt, holt.“ Welat_Nacherzählung_Katze_K_07.09.2017 Obwohl hier rausgeholt oder holt ein Wort ist - aufgrund des Retracings wird nur Letzteres berechnet -, trägt es eindeutig das morphologische Muster des Deutschen. Somit kann ein einziges Wort als Codeswitching übernommen werden. Dagegen ist es ein klarerer Fall des Codeswitchings, wenn ein Satz oder eine Wortgruppe übernommen werden (vgl. Riehl 2014: 106). Denn die Äußerungen werden in diesem Fall ohne Änderung oder Anpassung übernommen: 6. Aber eine Tasche hat er nicht. (Roza_Nacherzählung_Hund_K_10.09.2017) 194 7 Ergebnisse 103 Das Wort musade ist in einigen kurmancîsprachigen Regionen nicht als Hilfe, sondern als Erlaubnis bekannt, ebenso wie im Türkischen. In der dritten Kategorie befindet sich eine geringe Anzahl von Wörtern. Diese kommen einzeln vor, sollten also eigentlich Ad-hoc-Entlehnungen sein, zeigen aber eine diesbezügliche grammatische Integrität nicht eindeutig. Ende, fertig, wieder sind drei solche Wörter. In den deutschen Erzählungen wurde in einer einzigen Geschichte von Welat ein Wort - Ballon - viermal mit dem Obliquussuffix des Kurmancî versehen verwendet wie im folgenden Beispiel: 7. Er nehmen mein &ba [/ ] &ba Balonê@s: kur. (Welat_Nacherzählung_ Hund_D_13.02.2017) Mein Balonê ist ein direktes Objekt in einem Präsenssatz, wo auch das direkte Objekt in Kurmancî mit Obliquus markiert wird. Possessivität wird in Kurmancî jedoch durch Ezafe ausgedrückt, und sie lässt keine Obliquusmarkierung zu (siehe die theoretischen Ausführungen zur Ezafe im Abschnitt 4.1.4.2). Mein Balonê wäre also in Kurmancî nicht mit Obliquus markiert. Bei den anderen drei Nutzungen in Deutsch handelt es sich ebenfalls um Kontexte, in denen in Kurmancî nicht der Obliquus verwendet werden sollte. Warum Welat die Obliquusmarkierung übergeneralisiert in Deutsch nutzt, ist nicht klar. In Bezug auf Codeswitching ist noch zu ergänzen, dass die Kinder in dieser Studie beim Erzählen der Geschichten in Kurmancî in geringem Umfang Wörter verwendet haben, die aus dem Arabischen oder Türkischen stammen oder durch diese Sprachen in ihren Wortschatz gelangt sind. Die Wörter aus dem Arabischen, die in den Daten von Zozan und Roza anzutreffen sind, sind sîbahe „schwimmen“, salab „Fuchs“ und musade „Hilfe“ 103 . Aus dem Tür‐ kischen stammend oder durch dieses vermittelt sind ama „aber“ und sosîs „Wurst/ Würstchen“, die von Aram verwendet werden. Diese Wörter sind aber nicht als Codeswitchings oder Ad-hoc-Entlehnungen erfasst. Denn sie scheinen etablierte Lehnwörter des Kurmancî aus ihrem Umfeld zu sein, wenn sie auch nicht im gesamten Kurmancî-Raum etabliert sein sollten. In diesem Sinne wurde auch das Wort top „Ball“ aus dem Türkischen nicht als Codeswit‐ ching oder Ad-hoc-Entlehnung bewertet. Anders als die anderen Wörter ist dieses Wort jedoch in den Kurmancî-Erzählungen jedes Kindes - zum Teil mit unterschiedlicher Aussprache - vorgekommen. Insofern scheint dieses Wort regionenübergreifend in Kurmancî benutzt zu werden. 195 7.3 Grammatische Charakteristiken der sprachlichen Daten Zum Schluss ist anzumerken, dass die Studienkinder unterschiedlich häufig Äußerungen aus dem Deutschen - sei es als Ad-hoc-Entlehnungen oder als Codeswitchings - verwendet haben. Bei Zozan sind in der Gesamtheit zwei, bei Aram neun, bei Welat dreizehn, bei Roza achtzehn und bei Azad vierundzwanzig Wörter erfasst, die als Äußerung aus dem Deutschen übernommen werden. Es ist wiederum zu beobachten, dass die Anzahl der übernommenen Äußerungen im ersten und zweiten MZP nah beieinander liegt, während sich im dritten MZP eine deutliche Steigerung findet: Sechzehn Äußerungen wurden im ersten, vierzehn im zweiten und sechsunddreißig im dritten MZP übernommen. 196 7 Ergebnisse 8 Diskussion, Fazit und Ausblick 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch Das mehrsprachige Heranwachsen von Kindern im Kontext von Kurmancî und Deutsch stellt eine besondere Spracherwerbskonstellation dar. Kinder, die mit dieser Erwerbskonstellation aufwachsen, befinden sich in einem dynamischen, wechselhaften und diversen gesellschaftlichen Prozess. Zu der sehr jungen Bio‐ grafie von fünf der sechs Studienkinder gehört die Migration und bei vier dieser fünf Kinder ist sie fluchtbedingt. Durch Migration ergeben sich unterschiedliche Erwerbskonstellationen. War sie in Syrien Kurmancî und Arabisch, ist sie in Deutschland nun Kurmancî und Deutsch. Hatte das Kind in Frankreich einen starken Zugang zum Französischen durch die Tagesmutter und die Kita und weniger zum Deutschen und Kurmancî, hat der Zugang zum Französischen in Deutschland ab- und zum Deutschen und Kurmancî zugenommen. Die Eltern zweier Studienkinder haben keine schulische Bildung erworben. Die anderen Eltern verfügen über unterschiedliche schulische Bildung, aber niemand erfuhr eine formelle Bildung in Kurmancî. Entsprechend ist - abge‐ sehen von einer Mutter, die einige Semester Kurdologie studiert hat - bei den Eltern der Studienkinder eine schriftsprachliche Kompetenz in Kurmancî kaum vorhanden. Dass Kurd*innen in ihren Herkunftsländern zum Teil keine schulische Bildung oder jedenfalls keine in Kurmancî erwerben, unterscheidet sie von den meisten anderen Migrant*innengruppen. Wie Kinder dieser Gruppe in Deutschland sprachlich aufwachsen, war das Thema der vorliegenden Studie. Im Folgenden werden einige übergreifende Ergebnisse herausgegriffen und diskutiert. Sechs Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren waren über einen Zeitab‐ schnitt von etwa acht Monaten Teil dieser Studie. Zwei der Kinder waren während der Erhebungszeit sechs Jahre alt, zwei Kinder waren fünf und ein Kind war drei Jahre alt. Ein weiteres Kind war zu Beginn der Erhebung fünf Jahre und elf Monate alt, hat also während der Erhebung schon bald das sechste Lebensjahr erreicht; daher werden seine Ergebnisse im Vergleich mit Sechsjährigen besprochen. 104 TL bedeutet Testleiterin. 8.1.1 Deutung der Ergebnisse zu Kurmancî und Deutsch 8.1.1.1 Deutung der Ergebnisse durch MAIN Werden die Ergebnisse der Studienkinder im Hinblick auf das Alter mit den Be‐ funden der Spracherwerbsforschung abgeglichen, so ist festzuhalten, dass ihre Ergebnisse diese Befunde widerspiegeln. Nämlich: Je älter die Kinder werden, desto elaborierter gestalten sie meistens ihre Erzählung. Mit voranschreitendem Alter sind sie mehr in der Lage, das globale Schema einer Geschichte wiederzu‐ geben (vgl. Berman/ Slobin 1994: 13 ff., Lindgren 2018: 186, Pesco/ Bird 2016: 2). Ihre Erzählungen enthalten dann zum einen mehr Komponenten der Struktur einer Geschichte, die in MAIN als solche definiert sind: internal state terms als einleitendes Ereignis, Ziel, Versuch, Ergebnis und internal state terms als Reaktion auf das Ergebnis. Zum anderen werden Ziel, Versuch und Ergebnis als Komplexität der Struktur der Geschichte mehr miteinander verknüpft. Für die dreibis vierjährigen Kinder wird in diesem Zusammenhang konsta‐ tiert, dass sie zwar schon eine Geschichte erzählen können, diese Erzählung aber eher aus der Nennung/ Aufzählung einiger Figuren/ Objekte sowie einzelner Ereignisse besteht (vgl. Bohnacker 2016: 22 f.). Diese Erzählweise kann bei Aras - dem Dreijährigen der Studie - beobachtet werden: @G: Bild 1&2 (Aras_Erzählung_BV_D_01.06.2017) *ARAS: ein Vogel, Babys, ein großer, eine Katze [% ALA dazwischen "hm"]. *TL 104 : ja (.) und was passiert da? *ARAS: (.) hochklettern. *TL: &hm (.) was passiert da noch? *ARAS: (.) 0det Katze hoch auf 0det Baum [% ALA dazwischen "&hm"]. *TL: ja ok@i (.) noch was? *ARAS: 0wort [% nickt im Sinne von "ja"]. *TL: was denn? *ARAS: ein großer Vogel. *TL: ja (.) und dann. *ARAS: eine Katze. 198 8 Diskussion, Fazit und Ausblick *TL: &hm bist du fertig? *ARAS: 0wort [% nickt im Sinne von "ja"]. In den Erzählungen der Fünfjährigen Welat und Azad und der Sechsjährigen Zozan, Roza und Aram sind einzelne Benennungen kaum vorgekommen. Sie sind auch nicht nur fokussiert auf das Ereignis selbst, sondern versuchen, zum Ausdruck zu bringen, was diesem Ereignis vorausgeht, warum dieses Ereignis zustande kommt und welches Ergebnis dadurch entsteht. Der Unterschied dabei ist, dass dies den Sechsjährigen besser gelingt als den Fünfjährigen. Infolge‐ dessen beinhalten die Erzählungen der Sechsjährigen mehr Komponenten, und diese sind mehr miteinander verknüpft. Die Differenz zwischen den Altersgruppen ist aber nicht absolut, sondern eher individuell fließend. Die Kompetenz von Azad ist beispielsweise nahe an der der sechsjährigen Kinder. In Bezug auf die Erzählungen sind die Ergebnisse der Studienkinder bis auf diejenigen von Zozan ebenfalls im Einklang mit den Erkenntnissen der Spracherwerbsforschung: Die bilingualen Kinder weisen in Bezug auf die Makrostruktur in beiden Sprachen eine vergleichbare Kompetenz auf (vgl. Gagarina et al. 2015). Dies ist auch der Fall, wenn aufgrund der Erwerbsdauer und Erwerbsbedingungen anzunehmen wäre, dass eine Sprache eines Kindes stärker ausgeprägt ist als die andere. Beim ersten MZP hatten Azad und Welat weniger als ein Jahr systematischen Zugang zum Deutschen. Daher war zu vermuten, dass sie in Kurmancî besser abschneiden würden als in Deutsch. Dennoch hat Welat bei der Struktur der Geschichte beispielsweise die gleiche Punktzahl in Deutsch und in Kurmancî erreicht, bei Azad lag sie in Deutsch sogar leicht höher. Umgekehrt war die Annahme bei Aram, dass sein Deutsch besser als sein Kurmancî ist. Denn sein Zugang zum Deutschen war kontinuierlicher als der zum Kurmancî. Aber überraschenderweise erreichte er seinen besten Wert bei der Struktur der Geschichte mit zwölf Punkten in einer Kurmancî-Geschichte. Des Weiteren ist seine insgesamt erreichte Punktzahl in Kurmancî - zusammengenommen aus allen Erzähl- und Nacherzählgeschichten - um einen Punkt höher als in Deutsch. An dieser Stelle ist jedoch zu bemerken, dass eine gewisse Schwelle des Erwerbs in einer Sprache erreicht sein muss, um eine Geschichte in dieser Sprache zu erzählen, wenn auch in der Forschungsliteratur die Reichweite dieser Schwelle noch nicht eindeutig gekennzeichnet ist (vgl. Bohnacker 2016: 24, Lindgren 2018: 21). Ansonsten kann in dieser Sprache keine Geschichte erzählt werden, auch wenn eine andere Sprache beherrscht wird. Bei Aras scheint es der Fall zu sein, dass diese Schwelle in Kurmancî noch nicht erreicht ist. 199 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch Bei den Studienkindern unterliegt die erreichte Punktzahl bei der Struktur der Geschichte in beiden Sprachen zu den einzelnen Messzeitpunkten meistens Schwankungen. Selten erreichen sie die gleiche Punktzahl in beiden Sprachen. Jedoch ist die erreichte Gesamtpunktzahl der drei Messzeitpunkte bei den Kindern bis auf Zozan in beiden Sprachen vergleichbar. Der Unterschied beträgt null bis drei Punkte. Bei Aram besteht die Differenz - wie bereits erwähnt - mit einem Punkt zugunsten des Kurmancî. Bei Roza ist die erreichte Punktzahl in beiden Sprachen gleich. Bei Azad liegt die erreichte Punktzahl mit zwei Punkten und bei Welat mit drei Punkten in Deutsch höher. Nur bei Zozan ist sie mit sieben Punkten zugunsten des Deutschen deutlich höher. Da die anderen vier Kinder vergleichbar abschneiden, scheint der deutlich höhere Wert von Zozan in Deutsch eine individuelle Besonderheit zu sein. Zu erwähnen ist auch, dass sie in Deutsch insgesamt bessere Werte als die anderen Kinder hat. Zwischen dem ersten und dritten MZP ist in Bezug auf die Makrostruktur eine positive Entwicklung bei Zozan, Roza, Aram und Azad in beiden Sprachen zu verzeichnen, die sich auch in der Punktzahl bei der Struktur der Geschichte widerspiegelt. Der Durchschnittswert liegt bei Roza z. B. im ersten MZP bei 7,75 (Deutsch: 9, Kurmancî: 6,5), während er im dritten MZP bei 10,5 liegt (Deutsch: 10, Kurmancî: 11). Die höheren Werte vom ersten zum dritten MZP belegen eine voranschreitende Erzählkompetenz und deuten damit einhergehend auf eine Sprachentwicklung hin. Bei Welat ist vom ersten zum dritten MZP bei der Makrostruktur in Bezug auf die Struktur der Geschichte eine Stagnation bzw. ein leichter Rückgang zu beobachten. Er hat im ersten MZP einen Durchschnitt von 5,5 erreicht (Deutsch und Kurmancî: 5,5). Im dritten MZP hat er denselben Wert in Kurmancî, jedoch einen Rückgang von 0,5 in Deutsch. Aufgrund der Tatsache, dass bei Aras die Erhebung mit MAIN nicht vollständig erfolgte, ist auch keine genaue Richtung der Entwicklung mit diesem Instrument auszumachen. Dass Kinder mit ihrem Heranwachsen bei der Makrostruktur in der Regel besser abschneiden und dass bilinguale Kinder in beiden Sprachen eine ähnliche Kompetenz aufweisen, gilt auch in Bezug auf die Beantwortung der Verständ‐ nisfragen (vgl. Bohnacker 2016: 34 f., Maviş/ Tunçer/ Gagarina 2016: 69). Dies konnte auch bei den Studienkindern beobachtet werden. In Bezug auf die Verständnisfragen ist anzumerken, dass Roza in Kurmancî und Zozan sowohl in Kurmancî als auch in Deutsch Schwierigkeiten haben, im ersten MZP auf Wie-Fragen zu antworten. Sie verstehen die Fragen, geben aber nonverbale Antworten, die nach den Kriterien von MAIN nicht berechnet werden. Daher weisen sie diesbezüglich auch niedrige Werte auf. Bei Roza ist im zweiten MZP in Kurmancî und bei Zozan in Deutsch die Schwierigkeit behoben. Bei Zozan 200 8 Diskussion, Fazit und Ausblick 105 Aram war zum ersten MZP fünf Jahre und elf Monate alt. ist sie jedoch im zweiten MZP in Kurmancî weiterhin bei der Erzählgeschichte vorhanden. Erst im dritten MZP ist bei ihr die Schwierigkeit in beiden Sprachen komplett behoben. Wird die Struktur der Geschichte zugrunde gelegt, kann für die Makrokom‐ petenz der Studienkinder im engeren Sinne und für ihre Erzählkompetenz im weiteren Sinne konstatiert werden, dass sie ähnliche Werte wie ihre gleichalt‐ rigen bilingualen Kinder aufweisen. In der Studie von Bohnacker (2016), die mit MAIN bei schwedisch-deutsch bilingual aufwachsenden Kindern durchgeführt wurde, wird dargelegt, dass sechs- und siebenjährige Kinder bei der Struktur der Geschichte in beiden Sprachen im Durchschnitt sieben Punkte und die fünfjährigen Kinder fünf Punkte erreichen (vgl. Bohnacker 2016: 31). Auch in der Studie von Maviş/ Tunçer/ Gagarina (2016), die wiederum mit MAIN und mit türkisch-deutsch bilingual aufwachsenden Kindern, jedoch nur in Bezug auf Türkisch durchgeführt wurde, wurden ähnliche Werte ermittelt. Hier erzielen vier- und fünfjährige Kinder im Durchschnitt in Türkisch 5,08 Punkte und die sechs- und siebenjährigen Kinder 7,12 Punkte (vgl. Maviş/ Tunçer/ Gagarina 2016: 78). Die Kinder dieser Studie erreichen auch in etwa diese Werte im ersten MZP. Genau genommen erreichen die sechsjährigen Kinder dieser Studie die folgenden Werte: Zozan 7,5, Roza 7,75 und Aram 6,75 105 . Die Fünfjährigen der Studie erzielen folgende Werte: Azad 6 und Welat 5,5. Bis auf Welat haben die Studienkinder in den folgenden zwei Messzeitpunkten höhere Werte erzielt. Dabei kann die Vertrautheit mit den Geschichten für die höheren Werte eine Rolle gespielt haben. Insofern werden sie hier nicht als Vergleichsbasis aufgeführt. Aras hat im ersten MZP bei seiner vollständig erzählten Geschichte in Deutsch bei der Struktur der Geschichte fünf Punkte erhalten und war leicht hinter den Fünfjährigen. In Bezug auf die Mikrostruktur ist bei total number of types and tokens without mazes zu beobachten, dass die Studienkinder in Deutsch im Allgemeinen mehr Typen und Token produzieren und auch mehr kommunikative Einheiten bilden. Nur bei Welat ist die Typenanzahl in Kurmancî höher als die in Deutsch. Dass die meisten Studienkinder mehr Typen und Token in Deutsch haben, ist in erster Linie vor allem in Bezug auf die Token-Anzahl darauf zurückzuführen, dass Deutsch und Kurmancî unterschiedlichen Sprachsystemen unterliegen (siehe hierzu die Ausführungen zur Mikrostruktur von MAIN im Abschnitt 6.2.2.1). In Deutsch treten Nomen in den meisten Fällen mit einem definiten oder indefiniten Artikel auf, die in Kurmancî nicht existieren. Des Weiteren 201 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch 106 Mit weit weg ist die Distanz zum Ball gemeint. werden die Geschichten in Deutsch hauptsächlich im Perfekt erzählt, das aus zwei Wörtern - aus einem Hilfsverb und einem Partizip - gebildet wird. In Kurmancî werden die Geschichten dagegen meistens im Präteritum erzählt, das aus einem Wort besteht. Studienkinder bilden jedoch auch mehr kommunikative Einheiten in Deutsch. Dies deutet daraufhin, dass sie in Deutsch mehr zu den Geschichten erzählen. Dass in Deutsch mehr erzählt wird, spiegelt sich ferner auch zum Teil bei der Makrostruktur in Bezug auf die Struktur der Geschichte wider. Zozan, Azad und Welat schneiden diesbezüglich in Deutsch besser ab, allerdings ist die Differenz nur bei Zozan deutlich. Auch Aram, der als Einziger in der Studie bei der Struktur der Geschichte in Kurmancî leicht besser abschneidet, erzählt in Deutsch zu den Geschichten eindeutig mehr. Er gibt z. B. Nebeninformationen in Deutsch, die ihm zwar bei der Struktur der Geschichte keine Punkte einbringen, die aber dazu führen, dass die Erzählungen eine höhere Anzahl von Typen und Token sowie mehr kommunikative Einheiten aufweisen. Solche Nebeninforma‐ tionen wie im folgenden Beispiel sind in seinen Kurmancî-Erzählungen kaum vorhanden: Der Junge konnte nicht schwimmen, weil der zu weit weg wa: r.  106 (Aram_Nacherzählung_Katze_D_02.09.17) Ein anderer Aspekt in Bezug auf die Mikrostruktur ist, dass die Typen-Token-Anzahl bei den Studienkindern vom ersten zum dritten MZP außer in Welats Erzählungen in Deutsch zunimmt. Auch in Arams Erzählungen in Kurmancî ist der Anstieg nicht besonders hoch, von 67/ 128 im ersten MZP zu 71/ 137 im dritten MZP. Im Allgemeinen korrespondiert die Mikrostruktur mit der Makrostruktur. In den Erzählungen, in denen mehr Typen und Token produziert werden, gibt es in der Regel auch eine hohe Punktzahl bei der Struktur der Geschichte. Es gibt aber Fälle, in denen dies nicht zutrifft oder in denen die Korrelation nicht stark ausgeprägt ist. Dass Aram im dritten MZP bei sehr leichtem Anstieg in der Typen-Token-Anzahl in Kurmancî bei der Struktur der Geschichte gegenüber dem ersten MZP deutlich besser abschneidet, ist ein Beispiel für den letzteren Fall. Die Thematisierung der Mikrostruktur ist mit der Erwähnung zu beenden, dass in den Erzählungen der Studienkinder auch Äußerungen in jener Sprache 202 8 Diskussion, Fazit und Ausblick vorkommen, in der gerade nicht erzählt wird. Dabei ist zu bemerken, dass bis auf ein Wort in einer Erzählung von Welat lediglich Äußerungen aus dem Deutschen ins Kurmancî übernommen werden. Des Weiteren ist darauf hinzuweisen, dass Kinder unterschiedlich häufig Äußerungen aus dem Deutschen übernommen haben. Bei Zozan sind es beispielsweise zwei und bei Azad 24 Wörter, die aus dem Deutschen ins Kurmancî übernommen sind. Dass Äußerungen fast ausschließlich aus dem Deutschen übernommen werden, kann ein Indiz für die Dominanz des Deutschen im Sprachgebrauch der Kinder sein. Dabei kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden, ob diese mögliche Dominanz nur für den Sprachgebrauch in der Kita gilt und daher auch bei den Erzählungen zum Tragen kommt, oder ob sie den allgemeinen Sprachgebrauch betrifft, also auch den außerhalb der Kita. 8.1.1.2 Deutung der Ergebnisse durch LiSe-DaZ Obwohl das Deutsche spätestens seit den Migrationsbewegungen der 1960er Jahre nicht nur als Erstsprache, sondern vermehrt auch als Zweitsprache oder sogar als eine weitere Sprache erworben wird, gibt es kaum Instrumente, die den Erwerb des Deutschen als Zweitsprache oder als eine weitere Sprache mit Normwerten auswerten. LiSe-DaZ ist eines der wenigen solcher Instrumente, wenn nicht gar das Einzige. Jedoch liegt diesem Instrument die Annahme zugrunde, dass Kinder mit Deutsch als Zweitsprache im Alter von 2,0 bis 4,0 Jahren (25-48 Monaten) in die Kita kommen und von da an ihr systematischer Erwerb des Deutschen beginnt (vgl. Jeuk 2003: 9, Schulz/ Tracy 2011: 21). Vier der sechs Studienkinder sind in den Jahren 2015 und 2016 als Geflüchtete nach Deutschland gekommen. Diese Kinder waren bei ihrem Eintritt in die Kita und beim Beginn ihres systematischen Erwerbs des Deutschen älter als 4,0. Aufgrund dieser Tatsache konnten sie im ersten MZP bezüglich ihres Alters und ihrer Kontaktdauer nicht ihrer tatsächlichen Gruppe, sondern mussten der nächstpassenden Gruppe zugeordnet werden. Bei Zozan und Roza galt das auch im zweiten MZP, während Azad und Welat im zweiten MZP gerade am Rande der ihrem Alter und ihrer Kontaktdauer entsprechenden Gruppe zugeordnet werden konnten. Bei Aram wurden DaM-Werte zugrunde gelegt, weil seine Mutter mit ihm seit seiner Geburt Deutsch gesprochen hat. Auf der anderen Seite ist er in Frankreich geboren und wuchs dort mit drei weiteren Sprachen auf, bis er mit drei Jahren und neun Monaten nach Deutschland umsiedelte. Nach den Informationen der Mutter war in Frankreich die dominante Sprache von Aram Französisch. Sein Zugang zum Deutschen war eingeschränkt im Gegensatz zu den üblichen DaM-Kindern, die das Deutsche nicht nur in der Familie, sondern 203 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch auch hierzulande als Umgebungssprache haben. Diesen Besonderheiten der Lebenswelten der Studienkinder in Bezug auf ihren Deutscherwerb ist bei der Analyse ihrer Daten Rechnung zu tragen. Trotz der Tatsache, dass Zozan und Roza nur der nächstpassenden Gruppe zugeordnet werden können, sind ihre Werte sowohl im Sprachverständnis als auch in der Sprachproduktion verglichen mit dieser Gruppe nicht niedriger. Beim Sprachverständnis kann Zozan schon im ersten MZP in den drei Untertests die meisten der gestellten Aufgaben richtig lösen und dabei vergleichbare Werte mit der Gruppe erzielen. Dies gelingt Roza im ersten MZP noch nicht, aber doch im zweiten MZP. Mit Vergleichbarkeit ist in diesem Zusammenhang nicht gemeint, dass Kinder bei jedem Untertest den Mittelwert etwa zwischen 40% und 60% aufweisen, sondern dass sie in den einzelnen Untertests darüber oder darunter liegen können, aber insgesamt etwa auf diesen Mittelwert kommen. Beide Kinder erreichen schon beim ersten MZP im Bereich der Sprachproduk‐ tion bei der Satzstruktur Entwicklungsstufe Satzklammer IV. Dies bedeutet, dass sie imstande sind, Nebensätze zu bilden. Die Entwicklungsstufe Satzklammer IV wird von DaZ-Kindern in der Regel erst im zweiten Zugangsjahr zum Deutschen erwartet (Schulz/ Tracy 2011: 34). Ruberg/ Rothweiler sind auch der Ansicht, dass DaZ-Kinder in dieser Zeit zwar schon Nebensätze benutzen könnten, merken aber zugleich an, dass sie auch erst nach mehr als zwei Jahren erscheinen können (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012: 132 f.). Zozan und Roza befanden sich zu den Erhebungszeitpunkten in ihrem zweiten Zugangsjahr zum Deutschen und weisen somit eine zu erwartende Entwicklung auf. Des Weiteren kommen Zozan und Roza in LiSe-DaZ-Testungen ohne Kon‐ gruenzfehler aus und gehören dem oberen Viertel der verglichenen Gruppe an. Auch hinsichtlich der geprüften Wortklassen und der Kasuszuweisung ist ihre Kompetenz auf dem Niveau der verglichenen Gruppe. Die Kompetenz von Roza ist vor allem im zweiten MZP diesbezüglich sogar höher. Bei Aram sind die Werte im Sprachverständnis ebenfalls vergleichbar mit seiner Gruppe. In Verständnis von Verbbedeutung sowie W-Fragen kann er sowohl im ersten als auch im zweiten MZP alle Fragen ohne Fehler beantworten. Lediglich beim Verstehen der Negationsfragen macht er im ersten MZP einen und im zweiten MZP zwei Fehler. Mit zwei Fehlern weist er im zweiten MZP einen niedrigeren Wert auf. Bei der Sprachproduktion erreicht Aram schon im ersten MZP die Entwick‐ lungsstufe Satzklammer IV und macht keinen Fehler bei der Kongruenz. Dass er mit Entwicklungsstufe Satzklammer IV den Prozentrang 4,8 aufweist, bedeutet indes nichts Negatives: Es bedeutet vielmehr, dass die allermeisten DaM-Kinder 204 8 Diskussion, Fazit und Ausblick 107 In diesem Zusammenhang ist anzumerken, dass Aram im ersten MZP 6,0 Jahre alt war, die verglichenen Werte aber Kinder von 6,0 bis 6,11 Jahren umfassen. (etwa 95,2%) in seinem Alter wie er die Entwicklungsstufe Satzklammer IV erreichen. In Bezug auf die Wortklassen hat Aram im ersten MZP allerdings insgesamt niedrigere Werte als seine Vergleichsgruppe 107 . Dies betrifft vor allem Modal- und Hilfsverben sowie Konjunktionen. Viel niedriger ist sein Wert im ersten MZP bei der Kasuszuweisung. Im zweiten MZP verbessert er sich in allen Wortklassen bis auf Konjunktionen, so dass seine Werte diesbezüglich insge‐ samt vergleichbar mit seiner Gruppe sind. Eine Verbesserung ist auch bei der Kasuszuweisung auszumachen, deren Wert aber trotz der Verbesserung im zweiten MZP niedriger bleibt als der seiner Vergleichsgruppe. Wenn jedoch die Sprachproduktion zusammengenommen betrachtet wird, sind Arams Werte im zweiten MZP vergleichbar mit seiner Gruppe. Beim Sprachverständnis war dies schon im ersten MZP der Fall. Azads Werte sind im ersten MZP niedrig, verglichen mit der Gruppe, der er zugeordnet ist. Dies gilt sowohl im Hinblick auf das Sprachverständnis als auch im Hinblick auf die Sprachproduktion. Zu erinnern ist aber daran, dass diese Gruppe nicht vollständig vergleichbare, sondern die nächstpassende ist. Im Sprachverständnis gelingt es ihm nur bei der Verbbedeutung, über die Hälfte der Fragen richtig zu beantworten. Bei Negation und W-Fragen beantwortet er nur die Hälfte bzw. weniger als die Hälfte der Fragen richtig. Hinsichtlich der Sprachproduktion erreicht er lediglich die Entwicklungsstufe Satzklammer II. Daher wird nach Maßstäben von LiSe-DaZ die Kongruenz nicht ausgewertet (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 49). Bei den Wortklassen sowie der Kasuszuweisung hat Azad ebenfalls niedrigere Werte als die Vergleichsgruppe. Im zweiten MZP befindet sich Azad gerade noch am Rande seiner passenden Gruppe und weist sowohl im Sprachverständnis als auch in der Sprachproduk‐ tion in jedem Untertest Verbesserungen auf. Er beantwortet die Verständnis‐ fragen in allen drei Untertests lediglich mit einem Fehler. Bei der Sprachpro‐ duktion erreicht er die Entwicklungsstufe Satzklammer IV, macht aber bei der Kongruenz einen Fehler. Die Verbesserung bei den Wortklassen sowie bei der Kasuszuweisung führt dazu, dass er im zweiten MZP diesbezüglich vergleichbare Werte mit seiner Gruppe hat. Diese Verbesserung, gebündelt mit der Verbesserung der anderen Untertests der Sprachproduktion sowie des Sprachverständnisses, sorgt dafür, dass er in diesem MZP insgesamt vergleich‐ bare Werte mit seiner Gruppe aufweist. Es ist jedoch anzumerken, dass Azads niedriges Abschneiden im ersten MZP möglicherweise nicht seine tatsächliche 205 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch 108 Aras war zur Erhebungszeit 3,4 Jahre alt und die verglichenen Werte beziehen sich auf Kinder von 3,0 bis 3,11 Jahren (siehe auch die Anm. 107 zu Aram). Kompetenz abbildet. Denn er war wenig teilnehmend bei den Aufgaben des Tests (siehe die Erörterung seiner Testergebnisse im Abschnitt 7.1.4.2). Auch Welat konnte im ersten MZP nicht seiner tatsächlichen Gruppe zuge‐ ordnet werden. In diesem MZP verzeichnet er sowohl im Sprachverständnis als auch in der Sprachproduktion niedrigere Werte als die Gruppe, der er zugeordnet ist. In Bezug auf die Sprachproduktion ist jedoch anzumerken, dass er die Entwicklungsstufe Satzklammer III erreicht und nur einen Kon‐ gruenzfehler macht. Dass er die Entwicklungsstufe Satzklammer III erreicht, entspricht dem erwartbaren Verlauf des Deutscherwerbs der DaZ-Kinder in ihrem ersten Jahr des systematischen Zuganges (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 34). Mit einem Kongruenzfehler liegt er ferner verglichen mit der Gruppe im oberen Mittelbereich und zeigt diesbezüglich eine durchschnittliche Kompetenz. Im zweiten MZP befindet sich Welat so wie Azad gerade noch am Rande seiner passenden Gruppe. Er verbessert sich im Sprachverständnis insgesamt leicht, aber seine Werte bleiben niedriger als die seiner Gruppe. Bei der Sprach‐ produktion bleibt er weiterhin bei der Entwicklungsstufe Satzklammer III. Bei der Kongruenz macht er aber einen Fehler mehr, so dass sein Wert sich diesbezüglich verschlechtert. Seine Werte im Hinblick auf die Wortklassen unterliegen vom ersten zum zweiten MZP Schwankungen. Während bei einigen Wortklassen Verbesserungen beobachtet werden, sind bei anderen Rückschritte zu verzeichnen. Insgesamt sind seine Werte bei den Wortklassen, bei der Kasus‐ zuweisung sowie darüber hinaus bei der Sprachproduktion im Allgemeinen niedriger als die seiner Vergleichsgruppe. Es ist jedoch anzumerken, dass im zweiten Jahr des systematischen Zuganges zwar die Entwicklungsstufe Satzklammer IV erwartet wird, Welat im zweiten MZP aber noch am Beginn des zweiten Zugangsjahres war. Insofern ist die Entwicklungsstufe Satzklammer III noch mit seiner Erwerbsdauer vereinbar. In diesem Zusammenhang merken auch Grimm/ Schulz an, dass DaZ-Kinder bis circa drei Jahre benötigen, „um die Kernbereiche der Morphosyntax [des Deutschen] zu erwerben“. (Grimm/ Schulz 2014: 37) Im ersten MZP liegen Arasʼ Werte 108 im Sprachverständnis auf dem Niveau seiner Vergleichsgruppe. Schon in diesem MZP gelingt es ihm, alle Fragen zur Verbbedeutung richtig zu beantworten. In der Sprachproduktion sind seine Werte dagegen niedriger als die seiner Gruppe und er erreicht die Entwicklungsstufe Satzklammer III. Laut LiSe-DaZ sollte ein DaM-Kind im Alter zwischen zweieinhalb und drei Jahren Nebensätze bilden und die damit 206 8 Diskussion, Fazit und Ausblick verknüpfte Entwicklungsstufe Satzklammer IV erreichen (vgl. Schulz/ Tracy 2011: 34). Allerdings ist zu erwähnen, dass Aras sich beim ersten MZP in der ersten Hälfte des dritten Lebensjahres befindet. Insofern scheint die erreichte Entwicklungsstufe Satzklammer III nicht einen niedrigen Wert darzustellen, sondern eher einen, der mit Arasʼ Alter vereinbar ist. Bei den Wortklassen und der Kasuszuweisung sind seine Werte jedoch insgesamt niedriger als die seiner Vergleichsgruppe. Im zweiten MZP hat Aras im Sprachverständnis bei Negation einen Rück‐ schritt, jedoch bei W-Fragen einen Fortschritt erzielt, so dass seine Werte beim Sprachverständnis mit seiner Gruppe insgesamt vergleichbar bleiben. Im zweiten MZP erreicht er bei der Sprachproduktion die Entwicklungsstufe Satzklammer IV. Eine Verbesserung ist auch bei den Wortklassen bis auf Fokuspartikeln vorhanden. Sein Wert bei der Kasuszuweisung bleibt allerdings unverändert. Aber insgesamt sind seine Werte bei der Sprachproduktion sowie beim Sprachverständnis vergleichbar mit seiner Gruppe. Die Vergleichbarkeit mit seiner Gruppe beim Sprachverständnis war auch schon beim ersten MZP gegeben. 8.1.2 Deutung der Ergebnisse zu weiteren Sprachen Zozan, Roza, Aram, Azad und Welat hatten neben dem Deutschen und Kurmancî auch Zugang zu einer weiteren Sprache bzw. zu weiteren Sprachen oder lebten in einem Kontext, in dem diese gesprochen wurde(n). Bei Zozan, Roza, Azad und Welat war diese Sprache Arabisch, bei Aram Französisch und Türkisch. Aufgrund der Tatsache, dass diese Sprachen zu der Lebenswelt der Kinder gehörten oder den Kontext dieser Lebenswelt darstellten, wurde ihre Kompetenz in der jeweiligen Sprache, bei Aram in den jeweiligen Sprachen, getestet. Die Testung erfolgte durch eine Lexikonabfrage und HAVAS 5. Das Ergebnis der Testung spiegelt die Zugangsbedingungen der Kinder zu den Sprachen wider. Welat und Azad hatten kaum Zugang zum Arabischen und haben auch kaum Kompetenz in dieser Sprache. Aram hatte einen pas‐ siven Zugang zum Türkischen und seine Kompetenz ist eher rezeptiv. Zu Französisch hatte er dagegen einen intensiven und systematischen Kontakt und daher versteht er diese Sprache besser und kann auch einfache Ausdrücke darin verwenden. Auch der Zugang von Zozan und Roza zu Arabisch war systematisch gegeben, wenn auch nur kurzfristig. Insofern war bei ihnen über die rezeptive Kompetenz hinaus, vor allem bei Zozan, auch eine minimale produktive Kompetenz festzustellen. 207 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch Aufgrund der Tatsache, dass die meisten Kurd*innen die Migration zwei‐ sprachig antreten, ist für ihre Kinder die Möglichkeit gegeben, diese beiden Sprachen und die Umgebungssprache - im Kontext von Deutschland Deutsch - zu erwerben. In der Tat ist das dreisprachige Aufwachsen der kurdischen Kinder in Deutschland in einigen Studien dokumentiert (vgl. Şimşek 2016). Die meisten Eltern der Studienkinder sind auch zweisprachig in die Migration eingetreten oder zum Teil in der Migration selbst mehrsprachig aufgewachsen. Ob dieser Kontext auch bei den Studienkindern in ihrem späteren Lebensverlauf dazu Anlass bieten wird, neben dem Kurdischen (Kurmancî) eine oder sogar mehrere andere Sprachen der Eltern zu erwerben, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht eingeschätzt werden. 8.1.3 Deutung der grammatischen Merkmale der sprachlichen Daten 8.1.3.1 Kurmancî In den Kurmancî-Daten steht im Hinblick auf die phonologischen Merkmale der Einfluss der regionalen Varietäten im Vordergrund. In diesem Zusammenhang tragen die sprachlichen Daten von Zozan und Roza im Wesentlichen die phonologischen Merkmale des Westkurmancî und die von Azad und Welat die des Südkurmancî. Einzig in den sprachlichen Daten von Aram ist keine regionale Varietät eindeutig auszumachen. Für die nominale Morphologie des Kurmancî sind die Ezafe- und Obliqu‐ usmarkierung wesentlich. In den Daten der Studienkinder wird die Ezafe hauptsächlich gebunden und attributiv genutzt. Des Weiteren haben die Kinder sie im Wesentlichen einem Nomen in der Grundform folgend verwendet. In dieser Verwendung weist sie regionale Charakteristiken auf. Bei Zozan und Roza hat die Ezafe bei den Nomen in der Grundform sowohl im Maskulinum und Femininum als auch im Singular und Plural in den meisten Fällen denselben Ausdruck -ê. Damit einhergehend ist die Ezafe in ihren Daten weder genusnoch numerusunterscheidend. Bei Aram, Azad und Welat wird die Ezafe bei den Nomen in der Grundform in den meisten Fällen genusunterscheidend angewendet, wobei dies bei Aram nicht immer durchgängig geschieht. Bei diesen Nomen wird sie bei Welat auch mit Pluralnomen verwendet, jedoch in Formüberlappung mit der Markierung der maskulinen Singularnomen, in beiden Fällen mit -ê. Als Folge ist sie genus-, aber nicht numerusunterscheidend. Insgesamt ist die Ezafe in den sprachlichen Daten bei den Nomen in der 208 8 Diskussion, Fazit und Ausblick Grundform nicht immer genus- und numerusunterscheidend, also anders als es in Standard-Kurmancî beschrieben wird (vgl. Omarkhali 2011: 203). Anders als beim Ezafeausdruck ist die Obliquusmarkierung - wiederum bei den Nomen in der Grundform - in den sprachlichen Daten der Studienkinder weitgehend übereinstimmend mit Standard-Kurmancî. Bei Aram ist jedoch anzumerken, dass er anders als die Ezafe den Obliquus kaum in Anspruch nimmt. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass der Erwerb der Ezafe dem des Obliquus vorausgeht. Aber aufgrund der fehlenden Datengrundlage kann dieser Hinweis nicht überprüft werden. In Bezug auf die Verbalphrase ist festzuhalten, dass es bei den Kindern nicht zu Kongruenzfehlern kommt. In manchen Fällen wird die Ergativität nicht ver‐ wendet und die Kongruenz anstatt mit dem Objekt mit dem Subjekt hergestellt, jedoch in der Form richtig. Im Hinblick auf Tempus ist zu konstatieren, dass jedes Studienkind mindestens drei Tempusformen nutzt und dabei die beiden Stammformen des Kurmancî - Präsens- und Präteritalstamm - verwendet (vgl. Hajo 1982: 89). Der Erwerb der beiden Stammformen scheint insofern zum frühem Erwerbsbereich des Kurmancî zu gehören (vgl. Mahalingappa 2009: 53 ff.). Anders als in Deutsch nutzen vier der Studienkinder auch die Zeitform des Futurs I, was wiederum darauf hinweist, dass dessen Erwerb in Kurmancî eventuell im frühen Alter erfolgt. Für die Bestätigung oder Widerlegung dieser Annahmen sind wiederum weitere Datengrundlagen vonnöten. Was die Syntax anbelangt, so ist anzumerken, dass die häufig vorkommende Subjekt-Objekt-Verb-Wortstellung des Kurmancî in den meisten Fällen befolgt wird (vgl. Mahalingappa 2009: 10). Lediglich bei Aram häufen sich die Fälle, dass das direkte Objekt dem Verb nachgestellt wird, was ein möglicher Einfluss der Wortstellung im Hauptsatz des Deutschen sein kann. Denn dieser Satzbildung von Aram liegt die Verbzweitstellung zugrunde, was charakteristisch für den Hauptsatz im Deutschen ist (vgl. Czinglar 2014: 24, Truckenbrodt 2014: 56). Des Weiteren ist es auffällig, dass in Kurmancî weniger Nebensätze als in Deutsch gebildet werden. Bei Aram, Azad und Welat sind sie gar nicht vorhanden, bei Zozan selten und lediglich bei Roza annähernd vergleichbar mit ihrer Zahl in Deutsch. Zum Schluss ist hinzuzufügen, dass in den Erzählungen der MAIN-Ge‐ schichten Äußerungen fast ausschließlich aus dem Deutschen ins Kurmancî übernommen werden. Die meisten dieser Äußerungen werden morphologisch und/ oder syntaktisch dem Sprachsystem des Kurmancî angepasst übernommen und stellen insofern Ad-hoc-Entlehnungen dar. Dies bestätigt wiederum die Annahme von Poplack: „Nonce borrowing is a core component of language mixing.“ (Poplack 2018: 212) 209 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch Hinsichtlich der grammatischen Kompetenz der Studienkinder in Kur‐ mancî konnte nicht eindeutig herausgearbeitet werden, inwiefern diese voran‐ schreitet. Dies hat im Wesentlichen zwei Gründe. Zum einen ist die Sprachent‐ wicklung in Kurmancî nicht eingehend dokumentiert und damit einhergehend sind die Sequenzen des Erwerbs nicht definiert. Welche Erwerbssequenz vor‐ ausgeht, welche folgt und welche Erwerbssequenz die andere(n) betätigt, ist nicht bekannt. Daher konnte weder zum Beginn noch am Ende der Erhebungen die grammatische Kompetenz der Studienkinder einer Sequenz zugeordnet werden. Zum anderen wurde Standard-Kurmancî als Orientierung, aber nicht als Norm genommen. Deswegen wurden die Abweichungen von diesem Stan‐ dard nicht als Fehler und die Übereinstimmung mit ihm nicht als Entwicklung bezeichnet. Dennoch wurde in zwei übergreifenden Bereichen nach einem Entwicklungsindiz gesucht - bei der Nutzung der Nebensätze und bei der Anwendung der Tempusformen. Hier ergab sich aber auch kein eindeutiges Bild. Nebensätze wurden lediglich von Zozan und Roza genutzt und zwar schon zu Beginn der Erhebungen. Dies gilt ebenso für die vielfältige Anwendung der Tempusformen. Es konnte nicht konstatiert werden, dass ein Studienkind zu Beginn der Erhebungen eine Tempusform nicht erworben hatte und dies zu einem späteren Zeitpunkt erfolgte. 8.1.3.2 Deutsch Auf der phonologischen Ebene des Deutschen haben die Kinder keine beson‐ deren Schwierigkeiten. Selten werden Wörter wie fröhlich oder deswegen durch das eine oder andere Kind abweichend artikuliert. Das einzige Wort, das von mehreren Kindern abweichend ausgesprochen wird, ist Eichhörnchen. Dieses wird von Zozan, Roza, Aram und Azad als Einchörnchen [aɪ̯nçˌhœʁnçən] artiku‐ liert. Auf der morphologischen Ebene des Deutschen ist festzuhalten, dass Kinder eher bei der Nominalphrase Schwierigkeiten haben als bei der Verbalphrase. Bei allen Studienkindern kommen Genusfehler vor, wobei sie bei Aram und Aras seltener sind als bei Zozan, Roza, Azad und Welat. Dies ist dadurch zu erklären, dass die Ersteren seit der Geburt Zugang zum Deutschen haben. Dass bei den Studienkindern bei der Genuszuweisung Fehler vorliegen, steht im Einklang mit Befunden der Spracherwerbsforschung. Dort wird der Genuserwerb sowohl für DaM-Kinder als auch für DaZ-Kinder als ein langjähriger Prozess bezeichnet (Ruberg/ Rothweiler 2012: 129 ff.) Beim Kasus haben die Studienkinder im Gegensatz zur Genuszuweisung weniger Schwierigkeiten bzw. Kasusfehler sind zum Teil durch die falsche Genuszuweisung bedingt. Bis auf Welat unterscheiden die Studienkinder No‐ 210 8 Diskussion, Fazit und Ausblick minativ, Akkusativ und Dativ voneinander, wobei der Letztere hauptsächlich mit einer Präposition für den Ausdruck der räumlichen Beziehungen verwendet wird, wie z. B. auf dem Baum. In einigen Fällen kommt es jedoch vor, dass eine Kasusform, beispielsweise Akkusativ, für einen unpassenden Kontext angewendet wird, beispielsweise für den Dativkontext. Ferner legen die Daten der Studienkinder nahe, dass sie den Akkusativ vor dem Dativ und den Dativ zunächst im Zusammenhang mit dem präpositionalen Gebrauch erwerben. Dies ist auch die Reihenfolge, die in der Spracherwerbsforschung angenommen wird (vgl. Kaltenbacher/ Karas 2014: 58 f., Kauschke 2012: 78). Die Daten der Studienkinder deuten in Bezug auf den Numerus daraufhin, dass die Pluralmorpheme sowohl von DaMals auch von DaZ-Kindern eher sys‐ tematisch erworben werden, wie es von einigen Forscher*innen angenommen wird (vgl. Hinnerichs/ Pagonis 2015: 32). Dieser mögliche Vorteil bedeutet jedoch nicht, dass der Numeruserwerb schnell abgeschlossen wird. Denn dieser beinhaltet nicht nur die Aneignung der Pluralmorpheme, sondern verlangt darüber hinaus auch den Erwerb der Kongruenz zwischen dem Nomen und seinen Determinanten sowie Adjektiven im Singular und im Plural. Der Erwerb dieser Kongruenz ist wiederum verknüpft mit dem Genus- und Kasuserwerb, was wiederum einen langwierigen und langjährigen Prozess darstellt (vgl. Kaltenbacher/ Klages 2007: 85). Insgesamt sind im Deutschen der Genus-, Kasus- und Numerusausdruck voneinander abhängig, was dazu führt, dass deren Erwerb sich schwierig ge‐ staltet. Diese Situation bezeichnet Wegener für den/ die Lerner*in sogar als einen Teufelskreis (vgl. Wegener 1995: 97). Insbesondere scheint dies für DaZ-Kinder ein „Hauptproblembereich“ zu sein (Kaltenbacher/ Klages 2007: 85). Dies konnte bei den DaZ-Kindern der Studie und bis zu einem gewissen Grad auch bei Aram festgehalten werden. Im Hinblick auf die Verbalphrase ist festzuhalten, dass die Kongruenzfehler zwischen dem Prädikat und dem Subjekt bei einigen Kindern gar nicht und bei einigen Kindern selten vorkommen, was die Befunde der Spracherwerbs‐ forschung widerspiegelt (vgl. Kauschke 2012: 80). Des Weiteren treten bei der Flexion der unregelmäßigen Verben Abweichungen auf, was wiederum in der Spracherwerbsforschung bekannt ist (vgl. Grießhaber 2010: 57 f.). Dabei über‐ tragen die Studienkinder das Muster der regelmäßig flektierten Verben stärker auf das Präteritum und auf das Präsens der unregelmäßigen Verben. Dieses Muster wird auch auf die Perfektbildung - genauer auf die Partizipbildung - der unregelmäßigen Verben übertragen, jedoch nicht in dem Maß, wie es beim Präteritum und Präsens der Fall ist. Das Erzähltempus der Geschichten ist bei Zozan, Roza, Aram und Azad weitgehend das Perfekt. Auch bei Welat führt die 211 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch Entwicklung vom ersten MZP zum dritten MZP in diese Richtung. Lediglich bei Aras überwiegt das Präsens in den beiden Geschichten, die er zusammen‐ hängend erzählt hat. Insgesamt ist das Erzähltempus der Studienkinder also meistens das Perfekt. Wie bereits erwähnt, stoßen die Studienkinder beim Ausdruck der Kategorien der Verbalphrase auf weniger Schwierigkeiten als beim Ausdruck der Katego‐ rien der Nominalphrase. Auch im Hinblick auf die Syntax sind keine besonderen Schwierigkeiten vorhanden. Bei den späteren Testungen zeigt sich, dass fünf der sechs Studienkinder entsprechend ihrem Alter und ihrer Kontaktzeit mit dem Deutschen Nebensätze bilden können. Vier der Kinder nutzen in ihren Erzählungen das Verfahren der Inversion, bei der der Satz mit einem Adverb beginnt, dem auch eine koordinierende Konjunktion vorausgehen kann, und das Subjekt dem Verb folgt. In der Spracherwerbsforschung wird darauf hinge‐ wiesen, dass es bei den Kindern, die Deutsch spät erwerben - etwa ab dem Alter von fünf Jahren - beim Verfahren der Inversion zur Verbdrittstellung kommen kann. Das Subjekt würde also nicht dem Verb folgen, sondern ihm vorausgehen (vgl. Czinglar 2014: 25). In den Daten der Studienkinder sind lediglich zwei solche Fälle registriert. Sie sind also absolute Ausnahmen, obwohl drei der Kinder, die Inversion anwenden - Zozan, Roza und Azad -, spät mit dem Erwerb des Deutschen begonnen haben. Insbesondere Zozan und Roza waren kurz vor ihrem fünften Lebensjahr, nämlich vier Jahre und zehn Monate alt, als sie begonnen haben, Deutsch zu erwerben. Insgesamt ist zu beobachten, dass sich die grammatische Kompetenz der Stu‐ dienkinder über den Erhebungszeitraum in Deutsch entwickelt. In Bezug auf die Nominalphrase betrifft dies vor allem die Nutzung des Kasus. So weisen Roza, Aram und Azad in der zweiten Testung von LiSe-DaZ diesbezüglich bessere Werte auf. Des Weiteren ist Roza und Zozan in einer Erzählung von MAIN im dritten MZP gelungen, den Genitiv attributiv zu verwenden. Im Bereich der Verbalphrase ist festzustellen, dass die abweichende Konjugation bei den unregelmäßigen Verben bzw. die Übertragung des Musters der regelmäßigen Verben auf sie über den Erhebungszeitraum abnimmt. Im Hinblick auf die Syntax ist vor allem zu betonen, dass bis auf Welat alle Studienkinder in der zweiten Testung von LiSe-DaZ - Zozan, Roza und Aram bereits in der ersten Testung - die Entwicklungsstufe Satzklammer IV erreichen. Dies bedeutet, dass sie in Deutsch Nebensätze bilden können. Dabei fällt auf, dass Zozan und Roza über den Erhebungszeitraum nicht nur mit Konjunktionen, sondern auch mit Nominalpronomina bzw. Fragepronomina Nebensätze konstruieren. Schließlich ist zu ergänzen, dass Welat über den Erhebungszeitraum immer weniger Satzelemente, genauer gesagt Determinante weglässt. 212 8 Diskussion, Fazit und Ausblick 109 Damit ist Kurmancî gemeint. 110 „(…) ez naxwazim her tim bêjim: Hûn bi kurdî deng bikin, bi Kurdî deng kin! (…) Ez li dibistanê jî zanim ku meriv nikare bi zora tiştekî bi zarokan bide kirin din. (…) Ez her tim bêjim bi kurdî, bi kurdî îcarekê ez jî acîz dibime êdî.“ 8.1.4 Die Rolle der Kita Pîya für die Sprachentwicklung der Studienkinder Wenn auch der Träger und die Erzieher*innen versuchten, die beiden Sprachen in der Kita im Gleichgewicht zu halten, hat bei den Kindern die Nutzung des Deutschen in der Kita dominiert. Von den Studienkindern, die bis auf Aras alle in der Lage waren, auf Kurmancî zu kommunizieren, folgte nur Aram der Teilung der Sprachen nach Erzieher*innen. Zozan und Roza haben auf die Kommunika‐ tion der Erzieher*innen häufig auf Deutsch reagiert, Azad und Welat meistens, und Aras fast ausschließlich. Dies galt auch für die Kommunikation mit den Erzieherinnen für Kurmancî. Auch bei den anderen Kindern der Kita war ein ähnliches Sprachverhalten zu beobachten. Dieser Umstand stellte für die Arbeit der Kita, aber insbesondere für die Arbeit der Erzieherinnen, die für Kurmancî zuständig waren, eine Herausforderung dar. Eine der Erzieherinnen beschrieb die Situation wie folgt: „Ich möchte nicht immer sagen: In Kurdisch 109 sprechen, in Kurdisch sprechen! (…) Ich weiß auch von der Schule [Ausbildung] aus, dass man den Kindern etwas nicht aufzwingen kann. (…) Wenn ich immer sage, in Kurdisch, in Kurdisch, dann ist es auch belastend für mich.“ 110 Interessanterweise war das Deutsche auch bei den Kindern dominant, die ihren systematischen Zugang zu dieser Sprache erst in der Kita Pîya hatten und vor dem Eintritt in der Lage waren, in Kurmancî zu kommunizieren. Bei vier von insgesamt sechs Kindern der Studie war dies der Fall (Zozan, Roza, Azad, Welat). Bemerkenswert ist vor allem die Tatsache, dass das Deutsche bei Azad und Welat die dominante Sprache war. Denn sie waren noch nicht lange in der Kita, als die Erhebungen und Beobachtungen stattfanden. Azad war seit neun Monaten und Welat war sogar erst seit sieben Monaten in der Kita. Eine Erzieherin wies ebenfalls auf diesen Umstand hin und bemerkte, dass die Kinder lieber Deutsch sprachen, nachdem sie es einigermaßen erlernt hatten. Warum das Kurmancî-Angebot der Kita bei den Kindern nicht so ankam, wie die Kita es sich konzeptionell vorgestellt hat, ist eine eigenständige For‐ schungsfrage, auf die an dieser Stelle nicht ausführlich eingegangen werden kann. Aber es kann hier angemerkt werden, dass die Dominanz des Deutschen sich auch in den Erhebungen widergespiegelt hat. Während beispielsweise in den Erhebungen zum Deutschen so gut wie keine sprachlichen Äußerungen 213 8.1 Diskussion: Mehrsprachiges Heranwachsen mit Kurmancî und Deutsch des Kurmancî vorkamen, konnten in den Erhebungen zu Kurmancî reichlich Äußerungen des Deutschen festgestellt werden. Es ist aber festzuhalten, dass sowohl das Konzept als auch die Praxis der Kita so gestaltet waren, dass Deutsch und Kurmancî gleichermaßen gefördert werden. Sie war diesbezüglich insgesamt betrachtet auch wirksam. Kinder, die zu Hause keinen Input in Deutsch oder in Kurmancî hatten, bekamen diesen in der Kita. Infolgedessen konnten Zozan, Roza und Azad ihre Deutschkompetenz und Aram seine Kurmancî-Kompetenz ausbauen. Lediglich bei Welat war eine Stagnation vor allem in Deutsch zu beobachten und Aras profitierte nicht erheblich von dem Kurmancî-Input der Kita. 8.2 Fazit In der vorliegenden empirischen Studie wurden der Spracherwerb und die Sprachkompetenz von insgesamt sechs Kindern im Alter von drei bis sechs Jahren untersucht. Die Studie wurde im Format einer Fallstudie entfaltet und umfasst die Daten jedes einzelnen Kindes, die im Zeitrahmen von etwa acht Monaten gesammelt wurden. Die Erhebungen fokussierten die ersten beiden Sprachen der Kinder - Kurmancî und Deutsch -, schlossen aber auch die andere(n) Sprache(n) der Kinder mit ein. Die Studie wurde ausgehend von vier übergreifenden Fragen strukturiert. Zudem wurden Hypothesen aufgestellt, die überprüft werden sollten. Die erste übergreifende Forschungsfrage betraf die Sprachkompetenz in Kurmancî und in Deutsch. Sie lautete: 1. Über welche Sprachkompetenz verfügen die Studienkinder in Kurmancî und Deutsch im Alter von drei bis sechs Jahren und wie entwickelt sich diese über den Erhebungszeitraum von etwa acht Monaten? Diese zentrale Frage wurde in zwei Teilfragen untersucht. Erstens wurde der Frage nachgegangen, wie sich die Erzählkompetenz der Studienkinder in Kur‐ mancî und in Deutsch darstellt und wie der diesbezügliche Entwicklungsverlauf über die Erhebungszeit ist. Hierzu ist zunächst eindeutig, dass fünf der sechs Studienkinder in der Lage sind, Geschichten in Kurmancî zu erzählen. Lediglich Aras konnte keine Geschichte in Kurmancî erzählen. Auf der anderen Seite konnten alle sechs Studienkinder in Deutsch Geschichten erzählen, wobei Aras nicht immer an der Aufgabe des vorgegebenen Erzählens interessiert war und entsprechend nicht alle Geschichten zusammenhängend zu Ende erzählt hat. Insgesamt weisen also fünf der Studienkinder eine Erzählkompetenz sowohl in 214 8 Diskussion, Fazit und Ausblick Kurmancî als auch in Deutsch auf. Struktur der Geschichte und total number of types and tokens without mazes zugrunde gelegt, ist bei vier Studienkindern - Zozan, Roza, Aram und Azad - zudem festzuhalten, dass ihre Erzählkompetenz sowohl bei der Makroals auch bei der Mikrostruktur in beiden Sprachen voranschreitet. Bei Aram ist die Steigerung hinsichtlich der Mikrostruktur in Kurmancî allerdings nicht erheblich. Lediglich bei Welat ist bei der Erzähl‐ kompetenz in der Makrostruktur kein Fortschritt zu beobachten - weder in Kurmancî noch in Deutsch. Allerdings ist eine positive Entwicklung sowohl in Deutsch (leicht) als auch in Kurmancî bei der Beantwortung der Verständ‐ nisfragen vorhanden. Hinsichtlich der Mikrostruktur ist bei Welat in Deutsch wiederum keine positive Entwicklung zu verzeichnen, jedoch in Kurmancî. Des Weiteren war die Erzählkompetenz bei vier von diesen fünf Studienkindern - Roza, Aram, Azad, Welat - in Bezug auf die Makrostruktur weitgehend ausge‐ glichen, so wie es in der Forschungsliteratur für Erzählkompetenz bilingualer Kinder angenommen wird (vgl. Gagarina et al. 2015). Lediglich Zozan schnitt in Deutsch bemerkbar besser ab und bildete hierzu eine Ausnahme. Des Weiteren zeigte sich, dass die Erzählkompetenz der Studienkinder in Kurmancî und Deutsch vergleichbar mit der Erzählkompetenz der gleichaltrigen Kinder ist, die mit anderen zweisprachigen Konstellationen aufwachsen. Als Kriterium wurde die Struktur der Geschichte zugrunde gelegt und als Vergleich wurden die Werte der Studienkinder von Bohnacker (2016) und Maviş/ Tunçer/ Gagarina (2016) herangezogen. Diese Studien wurden im Übrigen wie die vorliegende Studie mit MAIN durchgeführt. Die zweite Teilfrage wurde in Bezug auf die Morphosyntax des Deutschen ge‐ stellt: Wie sind die Normwerte der Studienkinder in Deutsch und wie entwickeln sie sich über die Erhebungszeit? Mit den Normwerten von LiSe-DaZ (Schulz/ Tracy 2011) wurde eine Antwort auf diese Frage gesucht. Hier sollte die Analyse jedoch vorsichtig erfolgen. Denn die Studienkinder hatten aufgrund ihres Er‐ werbsbeginns, Erwerbsalters sowie ihrer Erwerbsbedingungen eine Diskrepanz zu ihren Vergleichsgruppen. Im ersten MZP, wo die diesbezügliche Diskrepanz größer war, wiesen die Studienkinder bis auf Zozan zum Teil niedrige Werte auf. Im zweiten MZP wurde die Diskrepanz kleiner - bei Aras nicht mehr existent -, und die Studienkinder hatten vergleichbare Werte. Nur bei Welat ist vom ersten MZP zum zweiten MZP keine bemerkbare Entwicklung zu beobachten, und seine Werte bleiben auch in diesem MZP unter der Vergleichsgruppe (siehe auch die zweite Hypothese). Bei Zozan verschlechtern sich die Werte hinsichtlich der Sprachproduktion im zweiten MZP leicht, aber sie bleiben weiterhin auf dem Niveau mit der Vergleichsgruppe. 215 8.2 Fazit Aus den zwei Teilantworten lässt sich die übergreifende Frage dahingehend beantworten, dass die Studienkinder insgesamt über eine Deutschkompetenz verfügen, die ihrem Alter und ihrer Kontaktdauer entspricht. Ihre Deutsch‐ kompetenz entwickelt sich auch - außer bei Welat - über die Erhebungszeit bemerkbar. In Bezug auf Kurmancî ist festzuhalten, dass fünf der Studienkinder eine Geschichte in dem Maße erzählen, die den Werten bilingualer Kinder in einer ihrer Sprachen entspricht. Insofern kann aus ihrer Erzählkompetenz in Kurmancî vorsichtig abgeleitet werden, dass auch ihre Sprachkompetenz in dieser Sprache mit ihrem Alter und ihrer Kontaktdauer vereinbar ist. Da ihre Er‐ zählkompetenz über die Erhebungszeit in Kurmancî voranschreitet, kann auch von der Entwicklung einer allgemeinen Sprachkompetenz in dieser Sprache ausgegangen werden. Allerdings entwickelt sich die Erzählkompetenz bei Welat lediglich hinsichtlich der Mikrostruktur und bei den Verständnisfragen. Bei Aras ist festzuhalten, dass seine Kurmancî-Kompetenz sich langsam formiert und er noch nicht in der Lage ist, in dieser Sprache eine Geschichte zu erzählen. Die zweite übergreifende Frage betraf die grammatischen Merkmale und wurde wie folgt formuliert: 2. Welche grammatischen Merkmale weisen die semi-spontan und experi‐ mentell elizitierten sprachlichen Daten der Studienkinder auf ? Die Antwort auf diese Frage wurde auf der phonologischen, morphologischen und syntaktischen Ebene sowohl in Kurmancî als auch in Deutsch gesucht. In Bezug auf die Phonologie des Kurmancî war zu beobachten, dass die Differenzen der regionalen Varietäten auf dieser Ebene deutlich zum Tragen kommen. Auf der morphologischen Ebene war ein Unterschied zwischen der Ezafenutzung bei den Nomen in der Grundform in den sprachlichen Daten und der Verwendung in Standard-Kurmancî vorhanden. Dies war vor allem in den Daten von Zozan und Roza zu beobachten, deren Region dem Westkurmancî zuzuordnen ist (vgl. Haig/ Öpengin 2018: 215). Hinsichtlich der Obliquusmarkierung bei den Nomen in der Grundform wird dagegen maßgeblich wie in Standard-Kurmancî verfahren. Bei der Verbalphrase wird zwar bei der Bildung von Futur I zum Teil anders verfahren als in Standard-Kurmancî, aber insgesamt ist zu beobachten, dass die Nutzung des Kurmancî in den Daten sich mit dem Standard-Kurmancî weitgehend deckt. Die anderen Tempusformen sind übereinstimmend, und die zugrunde liegende Differenzierung der Stammformen ist vorhanden. Des Weiteren kommt es in den Kurmancî-Daten nicht zu Kongruenzfehlern. Es kommt aber in einigen Fällen vor, dass die Ergativität nicht verwendet und die Kongruenz nicht mit dem Objekt, sondern mit dem Subjekt hergestellt 216 8 Diskussion, Fazit und Ausblick 111 Bei einem Kind - Welat - war nicht eindeutig zu ermitteln, ob es in der dritten Sprache über eine minimale oder keine Kompetenz verfügt. wird. Schließlich wird auf der syntaktischen Ebene, bei der Wortstellung, im Wesentlichen wie im Standard-Kurmancî verfahren. Im Hinblick auf das Deutsche ist festzustellen, dass die Studienkinder die Phonologie des Deutschen gut meistern. Nur bei vereinzelten Wörtern kommt es zu einer abweichenden Aussprache. In Bezug auf die Morphologie hatten insbesondere sukzessive Erwerber*innen der Studie - Zozan, Roza, Azad und Welat - bei der Genuszuweisung Schwierigkeiten, was auch mit den Befunden der Spracherwerbsforschung im Einklang steht (vgl. Kaltenbacher 2015: 57, Meisel 2009: 26). Weniger Schwierigkeiten hatten Kinder beim Kasus und noch weniger bei der Pluralmarkierung. Aber wenn die adäquate Kasus- oder Nume‐ rusmarkierung die adäquate Genuszuweisung voraussetzte, wurden wiederum insbesondere bei den sukzessiven Erwerber*innen mehr Fehler verzeichnet. Der Erwerb dieser drei Kategorien hängt stark zusammen und stellt eine besondere Herausforderung für Erwerber*innen und Lerner*innen des Deutschen dar (Wegener 1995: 97). Wie auch aus der Studie hervorgeht, ist die Genuszuwei‐ sung diesbezüglich die wesentlichere Kategorie (vgl. Jeuk 2018: 25). Bei der Verbalphrase hatten die Studienkinder deutlich weniger Schwierigkeiten. Einzig bei der Flexion einiger unregelmäßiger Verben kam es zu Abweichungen, was der Forschungsliteratur bekannt ist (vgl. Grießhaber 2010: 57 f.). Auch bei der Subjekt-Verb-Kongruenz kommt es selten zu Fehlern, ebenso wie in Bezug auf die Wortstellung der Syntax. Die dritte übergreifende Forschungsfrage bezog sich auf eine mögliche Sprachkompetenz in weiteren Sprachen: 3. Inwieweit ist bei den Studienkindern eine Sprachkompetenz in weiteren Sprachen - zusätzlich zu Kurmancî und Deutsch - vorhanden? Dreisprachigkeit oder Mehrsprachigkeit ist bei den in der Migration heran‐ wachsenden kurdischen Kindern häufig der Fall (vgl. Brizić/ Hufnagl 2011, Herkenrath 2017, Ozmen 2010, Şimşek 2016). Deshalb wurden fünf Kinder in dieser Studie in einer dritten Sprache und ein Kind auch in einer vierten Sprache getestet. Aus diesen Tests geht hervor, dass drei dieser Kinder die Benennung einiger Objekte wie Vogel, Frosch oder Luftballon kennen und einige einfache Fragen wie z. B. Wie heißt du? in dieser Sprache verstehen. Darüber hinaus konnten sie einige einfache Äußerungen - wie ja oder nein - in dieser Sprache verwenden oder ihren Namen in einem Satz in der Sprache sagen. 111 Bei einem Kind ist die Kompetenz in der vierten Sprache eher rezeptiv vorhanden. 217 8.2 Fazit Insgesamt kann festgehalten werden, dass keines der Studienkinder eine ver‐ gleichbar ausgeprägte Sprachkompetenz in einer anderen Sprache als Kurmancî oder Deutsch hatte, obwohl bei einem Kind (Aram) der Zugang zu der dritten Sprache (Französisch) im Alter zwischen etwa sechseinhalb Monaten und drei Jahren und neun Monaten intensiv und systematisch war. Die letzte Frage betraf die Rolle der Kita Pîya: 4. Welche Rolle spielt die Kita Pîya für den Erwerb des Kurmancî und des Deutschen? In der Spracherwerbsforschung ist die Rolle der Kita für den Spracherwerb unumstritten (vgl. Reich 2009: 13). Der Kita kommt aber insbesondere dann eine große Rolle zu, wenn sie eine Sprache vermittelt, zu der im Elternhaus keine oder wenig Inputmöglichkeiten gegeben sind, wie es z. B. bei Kindern mit Migrationshintergrund für das Deutsche gang und gäbe ist (vgl. Rothweiler/ Ru‐ berg 2014, Schulz/ Tracy 2011). Von den Studienkindern war dies in der Tat bei Zozan, Roza, Azad und Welat der Fall. Bei Aram und Aras war dies jedoch umgekehrt. Da Zozan, Roza, Azad und bis zu einem gewissen Grad Welat eine vergleichbare sprachliche Kompetenz in Deutsch mit anderen sukzessiven Erwerber*innen aufweisen, kann geschlussfolgert werden, dass die Kita Pîya in der Vermittlung des Deutschen wirksam und erfolgreich ist. In Bezug auf Arams Kompetenz in Kurmancî zeigt sich, dass die Kita Pîya auch in der Vermittlung des Kurmancî bedeutsam ist. Einzig bei Aras erzielt sie in Kurmancî keine ausgeprägte Entwicklung. Im Hinblick auf die Hypothesen ergibt sich ein differenziertes Bild. Einige haben sich bestätigt, einige dagegen nicht. Die erste Hypothese war, dass die bilingualen Kinder in ihren beiden Sprachen eine ähnliche Erzählkompetenz bezüglich der Makroebene aufweisen werden, was für die Studienkinder (bis auf ein Kind) auch tatsächlich der Fall ist, allerdings nur, wenn der Zugang zu einer der Sprachen über eine längere Zeit erfolgt ist. Für die Studienkinder, die das Deutsche sukzessiv erwerben, wurde in diesem Zusammenhang festgehalten, dass ihre Erzählkompetenz in Deutsch sich der in Kurmancî erst etwa ab dem Ende des ersten Jahres des systematischen Zuganges etappenweise angleicht. Denn erst in dieser Zeit und zum Teil danach werden die Grundstrukturen des Deutschen - wie z. B. verschiedene Satzstrukturen - durch sukzessive Erwerber*innen angeeignet (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012). Diese Hypothese hat sich aber nicht vollständig bestätigt. Zwei der Studienkinder waren schon vor ihrem ersten Jahr des Zuganges in der Lage, Geschichten in Deutsch auf der Makroebene - Struktur der Geschichte zugrunde gelegt - vergleichbar mit 218 8 Diskussion, Fazit und Ausblick dem Kurmancî zu erzählen. Ein Kind war diesbezüglich in Deutsch sogar leicht besser. Die zweite Hypothese der Studie war, dass Zozan, Roza, Aram, Azad und Welat in LiSe-DaZ niedrige Werte aufweisen werden. Denn sie hatten aufgrund ihres Erwerbsbeginns, Erwerbsalters sowie ihrer Erwerbsbedingungen eine Dis‐ krepanz zu der Vergleichsgruppe. Diese Diskrepanz hatte auch Aras aufgrund seines Erwerbsalters im ersten MZP. Er war im ersten MZP 3,4 Jahre alt und die Vergleichswerte bezogen sich auf Kinder von 3,0 bis 3,11 Jahren. Im zweiten MZP war er 3,9 Jahre alt und die Diskrepanz bestand nicht mehr. Bei den anderen Kindern wird im zweiten MZP die Diskrepanz kleiner, aber nicht aufgehoben. Zozans und Rozas Werte werden im zweiten MZP weiterhin nur mit der nächstpassenden Gruppe verglichen. Die Werte von Zozan sind aber schon im ersten MZP vergleichbar mit ihrer Gruppe und die von Roza, Aram und Azad im zweiten MZP, so dass die Hypothese sich bei Zozan überhaupt nicht bestätigt, bei Roza, Aram und Azad durch die Abnahme der Diskrepanz ebenfalls nicht. Sie bestätigt sich im zweiten MZP nur bei den Werten von Welat. Die dritte Hypothese war, dass die Studienkinder, insbesondere die suk‐ zessiven Erwerber*innen, nicht etwa mit der Syntax, auch nicht mit der ver‐ balen Morphologie des Deutschen Schwierigkeiten haben werden, sondern mit der nominalen Morphologie (vgl. Kaltenbacher/ Klages 2007, Meisel 2009, Ruberg/ Rothweiler 2012). Wie aus der Bearbeitung der zweiten Forschungsfrage hervorging, bestätigt sich diese Hypothese. An dieser Stelle kann aber ergänzt werden, dass der Ausdruck der Kategorien der nominalen Morphologie Genus, Kasus und Numerus nicht nur voneinander abhängen, sondern dass auch deren Ausdruck im Wesentlichen fusionierend an den Determinanten erfolgt, die in der Form und Funktion mehrdeutig sind (vgl. Wegener 1995: 94). Dies verkompliziert offensichtlich deren Erwerb und Differenzierung zusätzlich (vgl. Kauschke 2012: 78, Ruberg/ Rothweiler 2012: 118). Dort wo ihr Ausdruck nicht fusionierend und nicht in der ausgeprägten Form- und Funktionsmehrdeutig‐ keit erfolgt, scheinen ihr Erwerb und ihre Differenzierung besser zu gelingen. Dies könnte auch der Grund dafür sein, warum sowohl die DaM-Kinder als auch sukzessive Erwerber*innen der Studie die Pluralmorpheme schneller erworben haben bzw. erwerben und sie differenziert richtig einsetzen. Die vierte Hypothese war, dass die Unterscheidung der Stammformen der Verben in Kurmancî zum frühen Spracherwerb gehört, wie es auch aus der Studie von Mahalingappa hervorgeht (vgl. Mahalingappa 2009: 53 ff.). Diese Hy‐ pothese bestätigt sich. Bis auf Aras konnten die Studienkinder die Geschichten in Kurmancî erzählen und verwendeten dabei die beiden Stammformen. 219 8.2 Fazit Auch die fünfte Hypothese, dass die sprachlichen Daten den regionalen Färbungen des Kurmancî unterliegen werden, bestätigt sich. Wobei von der Phonologie über die Ezafemarkierung und Obliquusmarkierung - beide bei den Nomen in der Grundform - hin zur Wortstellung der Syntax die Unterschiede ab- und die Gemeinsamkeiten zunehmen. Dies ist jedoch nur eine vorsichtige Schlussfolgerung aus wenigen sprachlichen Daten. Die sechste Hypothese der Studie, dass die Studienkinder, die Zugang zu einer dritten oder vierten Sprache haben bzw. hatten, diese Sprache(n) auch produktiv verwenden werden, bestätigt sich nicht - zumindest nicht innerhalb der Erhebungszeit. Dies wurde bei der Abhandlung der dritten übergreifenden Frage festgestellt und wird hier um einiges konkretisiert. Bei drei der Studien‐ kinder - Aram, Zozan und Roza - bestand zwar der Zugang zu einer dritten und bei Aram auch zu einer vierten Sprache, jedoch war dieser lediglich bei Aram zu seiner dritten Sprache Französisch systematisch und langfristig. Bei Zozan und Roza bestand der systematische Zugang zu ihrer dritten Sprache Arabisch lediglich für etwa drei Monate, während sie einen arabischsprachigen Kindergarten besucht haben. Bei Aram war die vierte Sprache Türkisch die Kommunikationssprache der Eltern in Frankreich. Mit dem Umzug bzw. der Migration dieser Kinder nach Deutschland - bei Aram mit drei Jahren und neun Monaten, bei Zozan und Roza mit vier Jahren und fünf Monaten - hat ihr Zugang zu der dritten bzw. der vierten Sprache deutlich abgenommen, bei Zozan und Roza war er sogar nur noch sporadisch. Dies ist eventuell der Grund, warum die Kompetenz in dieser/ n Sprache(n) eher auf der rezeptiven und weniger auf der produktiven Ebene liegt. Ihre Sprachkompetenz in dieser/ n Sprache(n) steht insgesamt in keinem vergleichbaren Verhältnis zu ihrer Kompetenz in ihren beiden Erstsprachen Kurmancî und Deutsch. Keines der Kinder konnte beispielsweise in diesen Sprachen eine Erzählung produzieren. Die siebte Hypothese der Studie bestätigt sich. Diese Hypothese war, dass die Kita Pîya Schwierigkeiten haben wird, ihr kurmancî-deutsch bilinguales Konzept umzusetzen. Bei der Kita handelte es sich um ein Pilotprojekt und sie hatte vor allem Schwierigkeiten, die gleichberechtigte Sprachenteilung Kurmancî und Deutsch umzusetzen. Die Erzieher*innen versuchten mit der Methode Zwei-Wege-Immersion (vgl. Rothweiler/ Ruberg 2014: 264), Kurmancî und Deutsch gleichberechtigt zu fördern. Aber die Kinder bevorzugten das Deutsche sowohl untereinander als auch mit den Erzieher*innen, sogar mit den kurmancîsprachigen. Des Weiteren fehlte es an Erfahrungen mit der institutionellen Vermittlung des Kurmancî (vgl. Akın 2017, Derince 2017, Grond 2018), auf die die Erzieher*innen hätten zugreifen können. 220 8 Diskussion, Fazit und Ausblick Die Dominanz des Deutschen in der Kita widerlegt die achte und letzte Hy‐ pothese der Studie, die vorausgesehen hat, dass Kinder aus den kurmancîspra‐ chigen Familien vor allem in den Anfangszeiten des Kitabesuchs hauptsächlich Kurmancî sprechen werden. Zwei Kinder aus den kurmancîsprachigen Familien - Azad und Welat - waren zu Beginn der Erhebungen weniger als ein Jahr in der Kita. Aber selbst bei ihnen war die Nutzung des Deutschen eindeutig dominant. 8.3 Ausblick Spätestens seit den sechziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts sind Kurd*innen fester Bestandteil der Migrationsbewegungen nach Deutschland (vgl. Ammann 2019: 34). Seit dieser Zeit hat sich eine beachtliche Zahl kurdischer Migrant*innen in Deutschland eingefunden; ihre Zahl wird aktuell auf 1,2 Millionen geschätzt (vgl. Engin 2019: 9). Dabei ist der Anteil der Kurmancîspra‐ chigen unter den Kurd*innen in Deutschland am größten, und die letzte große Fluchtmigration der Kurd*innen aus Syrien müsste diese Proportion zusätzlich verfestigt haben (vgl. Ammann 2019: 28). Trotz ihrer langen Migrationsgeschichte und trotz ihrer hohen Anzahl haben Kurd*innen in Deutschland jedoch seitens der Forschung bislang wenig Beach‐ tung gefunden, weder hinsichtlich ihrer sozioökomischen noch ihrer soziolin‐ guistischen Situation (vgl. Karataş 2019: 12, Ozmen 2010: 162, Schleimer 2019: 84). Ein klares Indiz dafür ist beispielsweise, dass der Erwerb des Kurdischen - sei es Kurmancî oder seien es andere Varietäten - in der Spracherwerbsfor‐ schung kaum aufgegriffen worden ist. Auch jenseits von Deutschland gibt es - abgesehen von einigen Ausnahmen (z. B. Mahalingappa 2009) - kaum Studien, die sich mit dem Spracherwerb des Kurdischen auseinandersetzen, sei es allein oder in Kombination mit anderen Sprachen. Die Relevanz der hier vorliegenden Studie liegt insbesondere darin, dass sie sich dieser Forschungslücke stellt. Anhand von Fallanalysen befasst sich die Arbeit im Kern damit, wie der Erwerb des Kurmancî und des Deutschen im bilingualen Erwerbsprozess vonstattengeht. Dabei kann es als ausgesprochener Glücksfall bezeichnet werden, dass nicht allzu lange vor Beginn der Arbeit, nämlich im November 2014, eine deutsch-kurdisch-bilinguale Kindertagesstätte in Berlin ihre Tore öffnete. Mit der Eröffnung dieser Kita mit dem Namen Pîya durch den Verein Yekmal e. V. wurde nicht nur ein Grundstein für die parallele und gleichberechtigte Förderung des Kurmancî und des Deutschen gelegt, sondern darüber hinaus auch ein Forschungsfeld für die Untersuchung des Spracherwerbs in dieser Konstellation eröffnet. Mittlerweile hat Yekmal e. V. 221 8.3 Ausblick im Oktober 2018 seinen nunmehr zweiten Standort eröffnet. Beide Standorte sind gut besucht, und der Träger sowie die Teams an beiden Standorten und auch die Elternschaft treiben das Projekt voran. Die vorliegende Studie hat diese Möglichkeit genutzt, so dass erstmalig in Deutschland der kindliche Spracherwerb im Vorschulalter im Kontext der Sprachen Kurmancî-Kurdisch und Deutsch untersucht werden konnte. Dafür war es allerdings notwendig, überhaupt erst ein Instrument zu haben, mit dem sprachliche Daten in Kurmancî-Kurdisch elizitiert, ausgewertet und analysiert werden konnten - denn ein solches Instrument existierte bis dahin noch nicht. Gleichzeitig musste dieses Instrument aber auch weiteren Anfor‐ derungen genügen: Zum einen musste es auch in Deutsch vorhanden sein, um Daten in beiden Sprachen erheben und vergleichen zu können; und zum anderen wurde bewusst darauf gesetzt, dass das Instrument noch in weiteren Sprachen existiert, verwendet und international diskutiert wird. Das Ziel war es, die Daten zum Erwerb des Kurmancî in die Analysen aus den anderen Sprachen einzubetten. Damit wurde gerade auch die Möglichkeit geschaffen, dass Spracherwerbsforscher*innen über ein solch verbreitet genutztes Instru‐ ment auf Erwerbsprozesse in der Sprache Kurmancî-Kurdisch aufmerksam werden können. Das Instrument MAIN (Gagarina et al. 2012) erfüllt beide genannten Kriterien und wurde daher für die vorliegende Arbeit herangezogen und adaptiert. Somit konnten - wie vorgesehen - Daten in beiden Sprachen, Kurmancî und Deutsch, parallel erhoben, analysiert und verglichen werden. Das oben genannte Anliegen, Erwerbsprozesse in beiden Sprachen zu untersuchen, hat sich damit verwirklichen lassen. Wenngleich in erheblich begrenzterem Ausmaß, so konnte dennoch auch das zweite Anliegen verfolgt werden: dass nämlich die Spracherwerbsforschung auf das bislang unzureichend untersuchte Kurmancî aufmerksam werden sollte. Beispielsweise wurde der Erwerb des Kurmancî auf mehreren, auch interna‐ tionalen Tagungen thematisiert und auf die Adaptation des Instruments in Kurmancî verwiesen. Die Implikationen der vorliegenden Arbeit gehen indessen weit über das Kernthema Spracherwerb hinaus. Indem nämlich das Kurmancî in seinem Erwerb untersucht werden kann, können auch die Zusammenhänge zum Er‐ werb der Schul- und Bildungssprache Deutsch untersucht werden (vgl. Riehl 2014: 144 f.). Und indem das Kurdische erstmals in Bildungszusammenhängen relevant wird, wird auch die überaus verbreitete Mehrsprachigkeit seiner Sprecher*innen in ihrer Besonderheit sichtbar: Es handelt sich nämlich um Sprecher*innen einer Sprache, die in den Herkunftsländern des Nahen Ostens stark stigmatisiert war und ist; um eine Sprache, die nach wie vor aus den 222 8 Diskussion, Fazit und Ausblick meisten Bildungssystemen ausgeschlossen ist; und um eine Sprache, die daher kaum je als Schrift- und Bildungssprache zugänglich ist und genutzt werden kann (vgl. u. a. Brizić 2007, Coşkun/ Derince/ Uçarlar 2011, Grond 2018, Skubsch 2002). Die Folge dieser besonderen soziolinguistischen Situation ist, dass kaum eine Familie in der Förderung/ Vermittlung des Kurmancî auf schriftsprachliche Ressourcen zurückgreifen kann, wie beispielsweise zum Vorlesen (siehe die Fallbeschreibungen im Abschnitt 6.3). Und doch ist gerade die Schriftlichkeit einer Sprache und die Literalität ihrer Sprecher*innen in der heutigen Gesell‐ schaft von höchster Bedeutung. „Partizipation an dieser Gesellschaft ist damit gleichbedeutend mit Partizipation an der Schriftkultur.“ (Maas/ Mehlem 2013: 13) Wenn diese Arbeit also fragt, wie Kinder Kurmancî und Deutsch erwerben, so lautet die Frage zugleich: Wie erwerben Kinder aus stark stigmatisierten Spre‐ cher*innen-Gemeinschaften in einer Migrationsgesellschaft wie Deutschland ihre Erstsprache(n) und Deutsch? Es liegt auf der Hand, dass diese Fragestellung weit über das Kurmancî bzw. Kurdische hinausgeht und sich für viele weitere Bevölkerungsgruppen stellt. Für das Kurmancî ist indes mit dieser Arbeit ein erster Schritt vollzogen, und der Weg scheint ein wenig mehr geebnet als zuvor: Eine bislang wenig untersuchte Sprache, die gleichwohl in Nahost wie auch in Europa reich an Sprecher*innen ist, bietet ein weites Feld für Folgestudien, die - so die Hoffnung - an die vorliegende Arbeit anknüpfen können. 223 8.3 Ausblick 9 Literaturverzeichnis Ahrenholz, Bernt (2007): Wortstellung in mündlichen Erzählungen von Kindern mit Migrationshintergrund. In: Ahrenholz, Bernt: Kinder mit Migrationshintergrund - Spracherwerb und Fördermöglichkeiten. 2. Aufl. Freiburg im Breisgau: Fillibach bei Klett, 221-240. Ahrenholz, Bernt (2010): Bedingungen des Zweitspracherwerbs in unterschiedlichen Altersstufen. In: Schultze, Günther (Hrsg.): Sprache ist der Schlüssel zur Integration. Bedingungen des Sprachlernens von Menschen mit Migrationshintergrund. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung, 20-29. 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(Verein der Eltern aus Kurdistan in Berlin): https: / / yekmal.com/ (letzter Zugriff 03.02.2020). 239 9 Literaturverzeichnis 10 Abkürzungen und Hinweise zur Transkription Abkürzungen Ø: Nullmorphem P: Plural 1: 1. Person PAS: Progressiver Aspekt 1.PPl: 1. Person Plural PAST: Vergangenheit 1.PSg: 1. Person Singular PERF: Perfekt 2: 2. Person POS: Postposition 2.PPl: 2. Person Plural PR: Prozentrang 2.PSg: 2. Person Singular PRÄ: Präposition 3: 3. Person PRÄS: Präsens 3.PPl: 3. Person Plural PRÄSS: Präsensstamm 3.PSg: 3. Person Singular PRÄT: Präteritum BV: Babyvögel PRÄTS: Präteritalstamm BZ: Babyziegen RE: Rectus DaM: Deutsch als Muttersprache RP: Reflexivpronomen DaZ: Deutsch als Zweitsprache RW: Rohwert DP: Demonstrativpronomen Sg: Singular EP: Epenthese SK: Standard-Kurmancî ESS: Entwicklungsstufe Satzklammer SUB: Subjunktiv EZ: Ezafe SVK: Subjekt-Verb-Kongruenz F: Feminin TL: Testleiter*in FP: Fokuspartikeln TNTT: Total number of types and tokens without mazes FPR: Futurpartikel FUS: Futursuffix TW: T-Wert IDS: Indefinitheitssuffix V2: Verb-Zweitstellung IST(s): Internal state term(s) VÄ: Vokaländerung KE: Kommunikative Einheiten VB: Verbbedeutung KONJ: Konjunktionen VE: Verb-Endstellung KOP: Kopula VE Seq: Versuch-Ergebnis-Sequenzen KZ: Kasuszuweisung VPR: Verbpartikel M: Maskulin VV: Vollverben MHV: Modal- und Hilfsverben WF: Verstehen von W-Fragen MLKE: Mittlere Länge kommunikativer Einheiten ZVE Seq: Ziel-Versuch-Ergebnis-Sequenzen ZV/ ZE Seq: Ziel-Versuch-/ Ziel-Ergebnis- Sequenzen MZP: Messzeitpunkt N: Negation OB: Obliquus 112 Adaptiert von MacWhinney (2000) und BIVEM Handreichung. 113 Für weitere Informationen siehe https: / / talkbank.org/ manuals/ CHAT.pdf Hinweise zur Transkription 112 Alternative Transkription: [=? text] Lachen, lächeln und ähnliches: &=lacht Ausrufe: aah@i Lachen während Sprechens: [=! lacht] Beginn der direkten Rede: +" Lange Pause: (..) Bejahendes hm: &hm Langziehung des Vokals: : Betonung: [! ] Lautnachahmungen: @o Deutsch-Wort in Kurmancî: wort@s: deu Nicht zu transkribierende Stellen: … Direkte Rede: „“ Direkte Rede ab nächster Zeile: +"/ . Nicken: &=Kopf: ja Durch andere Sprecher*innen abgebrochene Äußerung: +/ . Null-Determinant: 0det Null-Verb: 0v Eingeschlossene Wörter, Äußerungen: <> Pause: (.) Pause zwischen den Silben: ^ Einmalige Wiederholung: [/ ] Phonetische Fragmente: & Einschätzung (Best Guess): [? ] Reformulation: [/ / / ] Erklärung: [= text] Selbst abgebrochene Äußerung: +/ / . Gestik: &=ges: Unverständliches Wort: xxx (Grammatischer) Fehler: [*] Überlegendes/ zögerndes hm, ähm etc.: &em (Grammatische) Korrektur: [: text] Interjektion: @i Unvollständige Äußerungen: +… Keine verbale Äußerung: 0wort Verbesserung: [/ / ] Kommentar: % Zeigen: &=zeigt: Kurmancî-Wort in Deutsch: wort@s: kur Zweimalige Wiederholung: [x 3] 113 242 10 Abkürzungen und Hinweise zur Transkription 1 Die Fragen für das Leitfadeninterview sind in Anlehnung an Brizić (im Ersch.) entwickelt. 11 Anhänge Fragen für das Leitfadeninterview mit Erzieher*innen 1 Allgemeine Informationen 1. Name und Nachname: 2. Geburtstag und Geburtsort: 3. Seit wann leben Sie in Deutschland? 4. Ihre Muttersprache (L1): 5. Ihre zweite Sprache (L2): 6. Ihre weiteren Sprachen: 7. Wie gut können Sie diese Sprachen sprechen? Können Sie in diesen Sprachen lesen und schreiben? 8. Ihr Schulabschluss/ Ihre Schulabschlüsse: In Deutschland: In einem anderen Land: Gesamte Dauer des Schulbesuches: 9. Ihr Bildungsabschluss/ Ihre Bildungsabschlüsse: In Deutschland: In einem anderen Land: Gesamte Dauer der Ausbildung: 10. Was verbinden Sie mit Ihrem Beruf ? Was hat Sie dazu bewogen, diesen Beruf auszuwählen? Informationen über den bilingualen Alltag der Kita 1. Wie stehen Sie zu den bilingualen Kitas? 2. Welche Herausforderungen bringt es mit sich, in einer bilingualen Kita zu arbeiten? 3. Welche Möglichkeiten nutzen Sie, um das bilinguale Konzept erfolgreich umzusetzen? 4. Wie können Sie die Sprachentwicklung der Kinder in Kurmancî und in Deutsch fördern? 2 Die Frage 8 gilt nur für Erzieher*innen, die für Deutsch zuständig sind. 3 Die Fragen 10,13,14,15,16,17,18 gelten nur für Erzieher*innen, die für Kurmancî zu‐ ständig sind. 5. Welche Erfahrungen haben Sie mit monolingualen oder anderen bilin‐ gualen Kitas gemacht? 6. Kita Pîya ist die einzige Kita mit einem konsequenten Kurmancî- und Deutschangebot. Inwiefern hat dies einen Einfluss auf Ihre Arbeit? 7. Wie gut kennen Sie sich mit der kurdischen und deutschen Kultur aus? 8. Können Sie die Kurmancî-Varietät des Kurdischen, die in der Kita ange‐ boten wird: 2 □ verstehen? □ sprechen? □ lesen? □ schreiben? 9. Macht es etwas aus, ob ein Angebot in Kurmancî oder in Deutsch statt‐ findet? 10. Können Sie Deutsch: 3 □ verstehen? □ sprechen? □ lesen? □ schreiben? 11. In welcher Sprache läuft die Kommunikation mit den Eltern der Kinder? 12. In welcher Sprache läuft die Kommunikation im Team? 13. Welches Kurmancî sprechen Sie mit den Kindern? Sprechen Sie eine regionale Varietät oder die Standard-Varietät oder eine Mischung aus beiden? 14. Wie und wo haben Sie Ihre Kurmancî-Kenntnisse erworben? Können Sie in Kurmancî lesen und schreiben? 15. Welchen Herausforderungen begegnen Sie im Kita-Alltag mit dem Kur‐ mancî? 16. Haben Sie genug Material für Kurmancî? 17. Wo besorgen Sie das Material für Kurmancî? 244 11 Anhänge 18. Wie gehen Sie mit den Begriffen um, die für den Kita-Alltag allgegen‐ wärtig, aber in Kurmancî nicht verbreitet sind (beispielsweise „basteln“, „puzzeln“)? 19. Haben Sie noch etwas zu ergänzen? 245 Fragen für das Leitfadeninterview mit Erzieher*innen 4 Der Fragebogen ist adaptiert von MAIN (Gagarina et al. 2012) und von Brizić (im Ersch.). Der Fragebogen ist für Mutter und Vater getrennt auszufüllen. Elternfragebogen für die Dissertationsstudie 4 Informationen über die Mutter/ den Vater 1. Ihr Name und Nachname: 2. Geburtstag und Geburtsort: 3. Ihre Muttersprache (L1): 4. Ihre zweite Sprache (L2): 5. Ihre weiteren Sprachen: 6. Wie haben Sie diese Sprache(n) gelernt? 7. Wie gut können Sie diese Sprache(n) sprechen? Können Sie in dieser/ diesen Sprache(n) lesen und schreiben? 8. Haben Sie Bildung oder eine Ausbildung in dieser/ diesen Sprache(n) erhalten? 9. Seit wann leben Sie in Deutschland? 10. In welchen anderen Ländern haben Sie gelebt? 11. Welche Staatsbürgerschaft/ en haben Sie? 12. Ihr Schulabschluss/ Ihre Schulabschlüsse: □ Im Herkunftsland, das ist: □ In Deutschland: □ In einem anderen Land: Gesamte Dauer des Schulbesuches: 13. Ihr Bildungsabschluss/ Ihre Bildungsabschlüsse: □ Im Herkunftsland, das ist: □ In Deutschland: □ In einem anderen Land: Gesamte Dauer der Ausbildung: 14. Ihr/ e Beruf/ Tätigkeit: 15. Wenn Sie Ihr gesamtes Einkommen zusammenrechnen, wie würden Sie Ihre finanzielle Lage einschätzen? 16. Welche Sprache(n) sprechen Sie mit Ihrem Kind: □ Meine Muttersprache (L1), das ist: □ Meine zweite Sprache (L2), das ist: □ Eine weitere Sprache oder weitere Sprachen, das ist/ sind: □ Kombination/ en dieser Sprachen, welche? 17. Wollen Sie etwas hinzufügen? 246 11 Anhänge Ergänzende offene Fragen an Mutter/ Vater wie beispielsweise: Wie hat sich Ihr Leben in Bezug auf Ihre Sprachen gestaltet? Was verbinden Sie mit Ihren erworbenen/ gelernten Sprachen? Was bedeutet für Sie die Muttersprache? Allgemeine Informationen über das Kind 1. Name und Nachname des Kindes: 2. Geburtsdatum und Geburtsort: 3. In welchem Land ist Ihr Kind geboren? □ Im Land von L1, welches: □ Im Land von L2, welches: □ In einem anderen Land, welches: 4. Wo hat das Kind bis jetzt gelebt? Staaten und Städte: 5. Seit wann lebt Ihr Kind im Land von L2? ( Jahr, Monat): 6. Wann ist Ihr Kind in die Kita Pîya gekommen? (Eintrittsdatum): 7. War es vorher in einer anderen Kita? □ Nein □ Ja Falls ja, Name der Kita: Wie lange? Art der Kita: 8. Wie viele Geschwister hat Ihr Kind, in welcher Reihenfolge ist es? Zahl: Rei‐ henfolge: 247 Elternfragebogen für die Dissertationsstudie Informationen über den Sprachalltag und Sprachhintergrund des Kindes 1. Wie alt war Ihr Kind, als es sein erstes Wort sprach? Jahr(e): Monate: in welcher Sprache: 2. Welche Sprache spricht Ihr Kind derzeit? □ Seine Muttersprache (L1), das ist: □ Seine zweite Sprache (L2), das ist: □ Eine weitere Sprache oder weitere Sprachen, das ist/ sind: □ Kombination/ en dieser Sprachen, welche? 3. Mit welchem Alter begann Ihr Kind L2 zu benutzen? □ Von Geburt an □ Jünger als 1 Jahr □ Jünger als 3 Jahre □ Jünger als 5 Jahre □ Ab dem Alter von: 4. Wo benutzt Ihr Kind die L2? □ Mit Eltern/ Geschwistern □ In der Kita □ Mit Freunden/ Verwandten □ Durch Medien (TV/ Bücher/ Computer etc.) □ Andere 5. Schätzen Sie in Prozent, wie oft benutzt Ihr Kind die einzelnen Sprachen am Tag (alle Tagesaktivitäten kombiniert)? Muttersprache □ 25% □ 50% □ 75% □ 100% Zweite Sprache □ 25% □ 50% □ 75% □ 100% Dritte Sprache □ 25% □ 50% □ 75% □ 100% Weitere Sprachen □ 25% □ 50% □ 75% □ 100% 6. Wie gut versteht Ihr Kind seine/ ihre Muttersprache (L1)? □ sehr gut □ gut □ nicht gut □ gar nicht 7. Wie gut versteht Ihr Kind seine/ ihre zweite Sprache (L2)? □ sehr gut □ gut □ nicht gut □ gar nicht 8. Wie gut spricht Ihr Kind seine/ ihre Muttersprache (L1)? □ sehr gut □ gut □ nicht gut □ gar nicht 9. Wie gut spricht Ihr Kind seine/ ihre zweite Sprache (L2)? □ sehr gut □ gut □ nicht gut □ gar nicht 10. Hatte/ hat Ihr Kind Zugang zu weiteren Sprachen? □ Ja, welche: □ Nein 248 11 Anhänge 11. Wie gut versteht Ihr Kind ggf. diese Sprachen? □ sehr gut □ gut □ nicht gut □ gar nicht 12. Wie gut spricht Ihr Kind ggf. diese Sprachen? □ sehr gut □ gut □ nicht gut □ gar nicht 13. Welche Sprache spricht Ihr Kind Ihrer Meinung nach am besten? □ Seine/ Ihre L1 □ Seine/ Ihre L2 □ Andere Sprache, welche: 14. Bevorzugt Ihrer Meinung nach Ihr Kind eine Sprache gegenüber der anderen? Spricht Ihr Kind eine Sprache lieber? □ Nein □ Ja, welche: 15. Wie oft haben Sie eine der folgenden Aktivitäten mit Ihrem Kind in den letzten Monaten in L1 und L2 ausgeübt? Seine/ Ihre Muttersprache (L1) Seine/ Ihre zweite Sprache (L2) Gar nicht 2 Mal im Monat 1 bis 2 Mal in der Woche Fast täglich Gar nicht 2 Mal im Monat 1 bis 2 Mal in der Woche Fast täglich Ihrem Kind eine Geschichte erzählen Ihrem Kind ein Buch vorlesen Mit Ihrem Kind Lieder hören oder singen Mit Ihrem Kind Fernsehen/ DVD schauen; Computerspiele spielen 249 Elternfragebogen für die Dissertationsstudie hören oder singen Mit Ihrem Kind Fernsehen/ DVD schauen; Computerspiele spielen 16. Wie oft haben Sie diese Aktivitäten mit Ihrem Kind in den letzten Monaten ggf. in weiteren Sprachen ausgeübt? Welche Sprache(n)? Gar nicht 2 Mal im Monat 1 bis 2 Mal in der Woche Fast täglich Ihrem Kind eine Geschichte erzählen Ihrem Kind ein Buch vorlesen Mit Ihrem Kind Lieder hören oder singen Mit Ihrem Kind Fernsehen/ DVD schauen; Computerspiele spielen 17. Fördern Sie Ihr Kind auf weiteren Wegen sprachlich? Wenn ja, in welchen Sprachen? 18. Holen Sie sich von den Einrichtungen, Vereinen, Experten Tipps oder Vorschläge, wie Sie die sprachliche Entwicklung Ihres Kindes fördern können? 19. Nehmen Sie diesbezüglich eine konkrete Unterstützung in Anspruch? 20. Wollen Sie etwas hinzufügen? 250 11 Anhänge Beispiele der erzählten MAIN-Geschichten Beispiel Kurmancî @UTF8 @Begin @Language: kur @Participants: Target_Child, Interviewer @ID: kur|change_corpus_later| |Target_Child||| @ID: kur|change_corpus_later| |Target_Adult||| @L1 of CHI: Kurmancî @Media: TASCAM_DR-05, audio @Date: 31-MAY-2017 @Transcriber: @Comment: post @G: Birthday of CHI: 23-OCT-2010 @G: Age at time of measurement: 6 years 7 months @G: Entry into the nursery school: 01.09.2015 @G: Access to Kurmancî: Since birth @G: Story: CHI_Retelling_Cat @G: Wêne 1&2 *CHI: va piska dixwaze vê bigre . *CHI: û talî &em vê piskê xwe çe [=? çeng] kir . *CHI: ew firîya çû . *CHI: û pê &re kurik hatibû . *INT: &hm tiştekî din dibe wekî din ? *CHI: 0 [% serî wekî na dihejîne] . *INT: tu qedîya yî ? *CHI: 0 [% serî wekî erê dihejîne] . @G: Wêne 3&4 *CHI: û pê &re &em pisik kete nêv gihê . *CHI: û kurik topê wî dest wî kete xwarê . *CHI: go “ez topê xwe dîsa dixwazim” . *CHI: talî û pisikê &em û [/ ] û masî dîn . *CHI: kê here masîkekî xwe bidize . *INT: &hm wekî din tiştekî din çêdibe ? *CHI: 0 [% serî wekî na dihejîne] . *INT: qedîya yî ? *CHI: 0 [% serî wekî erê dihejîne] . @G: Wêne 5&6 *CHI: û pê &re kurik bi ewê xwe &em topa xwe dîsa girt û kire dest xwe,kêfxweş bû . *CHI: pê &re &mas [/ / ] wê pisikê masî ji satilê derxistin û dizandin, gî xwar . *CHI: pisik jî kêfxweş bû . *INT: &hm wekî din tiştekî din heye ? *CHI: 0 [% serî wekî na dihejîne] . *INT: tiştekî din nîne, temam, te her tişt gelekî baş got [% derbasî pirsan dibin] . @G: pirs @End 251 Beispiele der erzählten MAIN-Geschichten Beispiel Deutsch @UTF8 @Begin @Language: ger @Participants: Target_Child, Interviewer @ID: ger|change_corpus_later| |Target_Child||| @ID: kur|change_corpus_later| |Interviewer||| @L1 of CHI: Kurmancî @Media: TASCAM_DR-05, audio @Date: 14-FEB-2017 @Transcriber: @Comment: post @G: Birthday of CHI: 23-OCT-2010 @G: Age at time of measurement: 6 years 3 months @G: Entry into nursery school: 01.09.2015 @G: Access to German: 1 year 5 months @G: Story: CHI_Telling_BG @G: Bild 1&2 *CHI: ihr Baby war zu [: in] [*] 0det Wasser gefallen . *CHI: aber seine Mama hatte ihn [: ihm] [*] gehelfen [: geholfen] [*] . *CHI: und die [: der] [*] Wolf hat ihn gesehen . *CHI: er wollte ihn fressen . *CHI: aber <diese &Mam> [/ / ] seine Mama lasst sie [: ihn] [*] nicht fressen . *INT: was passiert hier auf dem Bild, was geschieht hier ? *CHI: ärgerte seine Baby . *CHI: siehst du und hier ist sie [: es] [*] schon draußen . *CHI: und er wollte [=? wollt] gerade die [: ihn] [*] fressen . *INT: &hm . *CHI: &fertig . *INT: fertig gut . @G: Bild 3&4 *CHI: und danach hat die [: der] [*] Wolf gejagt mit die [: der][*] Ziege . *CHI: und diese Ziege wollte schnell abhauen . *CHI: diese [: dieser] [*] Vogel helft [: hilft] [*] die [: der] [*] Ziege . *CHI: &fertig . @G: Bild 5&6 *CHI: und danach hat die [: der] [*] Vogel sein [: seinen] [*] Schwanz gebissen . *CHI: und danach war die [: der] [*] Wolf weg . *INT: was geschieht da noch (.) was geschieht hier noch [% CHI sagt dazwischen "und"] . *CHI: danach machen sie alle so . *CHI: sie kuscheln [% kuschelt mit INT] . *INT: (.) möchtest du mir noch was dazu sagen ? *CHI: &em [% schüttelt den Kopf im Ausdruck von "nein"] . *INT: nein okay bist du fertig ? 252 11 Anhänge *INT: [% Übergang zu Fragen] . @G: fragen @End 253 Beispiele der erzählten MAIN-Geschichten 5 Die Bilder zum Sprachverständnis sind aus dem Programm „Deutsch für den Schulstart“ von der Universität Heidelberg. Die Fragen zu den Bildern sind ausgehend von LiSe-DaZ erarbeitet worden. Lexikonabfrage für die dritte und vierte Sprache 5 1. Bild 001: Ist das ein Vogel? (zeigend auf einen Vogel) 2. Bild 002: Ist das ein Mann? (zeigend auf eine Frau). Wenn das Kind mit nein antwortet, dann wird die Frage gestellt, was ist denn das? 3. Bild 007: Ist das ein Baum? (zeigend auf einen Baum) 4. Bild 010: Ist das ein Hund? (zeigend auf einen Hund) 5. Bild 013: Ist das eine Tür? (zeigend auf ein Fenster) Wenn das Kind mit nein antwortet, dann wird die Frage gestellt, was ist denn das? 6. Bild 014: Ist das ein Luftballon? (zeigend auf einen Ball) Wenn das Kind mit nein antwortet, dann wird die Frage gestellt, was ist denn das? 7. Bild 017: Ist das eine Flasche? (zeigend auf eine Flasche) 8. Bild 021: Ist das eine Gurke? (zeigend auf eine Blume) Wenn das Kind mit nein antwortet, dann wird die Frage gestellt, was ist denn das? 9. Bild 025: Ist das ein Frosch? (zeigend auf einen Frosch) 10. Bild 040: Ist das ein Hemd? (zeigend auf eine Hose) Wenn das Kind mit nein antwortet, dann wird die Frage gestellt, was ist denn das? 11. Bild 042: Ist das eine Tasche? (zeigend auf eine Tasche) 12. Bild 047: Ist das ein Schuh? (zeigend auf ein Kleid) Wenn das Kind mit nein antwortet, dann wird die Frage gestellt, was ist denn das? 254 11 Anhänge 6 International Standard Classification of Education (UNESCO Institute for Statistics 2012: 21). Klassifikationstabelle der Bildungsstufen von UNESCO (ISCED 2011) 6 ISCED-Programmes (ISCED-P) ISCED-Attainment (ISCED-A) 0 Early childhood education 0 Less than primary education 1 Primary education 1 Primary education 2 Lower secondary education 2 Lower secondary education 3 Upper secondary education 3 Upper secondary education 4 Post-secondary non-tertiary education 4 Post-secondary non-tertiary education 5 Short-cycle tertiary education 5 Short-cycle tertiary education 6 Bachelor’s or equivalent level 6 Bachelor’s or equivalent level 7 Master’s or equivalent level 7 Master’s or equivalent level 8 Doctoral or equivalent level 8 Doctoral or equivalent level 9 Not elsewhere classified 9 Not elsewhere classified 255 Klassifikationstabelle der Bildungsstufen von UNESCO (ISCED 2011) Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Angaben zu den Studienkindern 30 Abbildung 2: Zeitraum der eingesetzten Instrumente 32 Abbildung 3: Landkarte zu den kurdischen Varietäten 34 Abbildung 4: Die geographische Verbreitung der Varietäten des Kurmancî 35 Abbildung 5: Markierung des Obliquus in Kurmancî 50 Abbildung 6: Satzfelder im Deutschen 60 Abbildung 7: Bilderstimuli der Katze-Geschichte 85 Abbildung 8: Kategorisierung von internal state terms 87 Abbildung 9: Unterscheidung von Ad-hoc-Entlehnungen und Codeswitchings 91 Abbildung 10: Auswertungstabelle zur Komplexität der Geschichte 96 Abbildung 11: Entwicklungsstufen Satzklammer nach Schulz/ Tracy 2011 100 Abbildung 12: Beispiele für genutzte Präterital- und Präsensstämme in Kurmancî 168 Language Development herausgegeben von Cristina Maria Moreira Flores, Tanja Kupisch, Esther Rinke und Aldona Sopata Zuletzt erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https: / / www.narr.de/ linguistik/ reihen/ language-development/ 34 Maialen Iraola Azpiroz Anaphora Resolution in Children and Adults An Experimental Study of Mature Speakers and Learners of Basque 2015, 199 Seiten €[D] 48,- ISBN 978-3-8233-6929-5 35 Gülsüm Günay Erwerb der deutschen Pluralflexion Empirische Studien zu Kindern mit Türkisch als Erstsprache und Deutsch als Zweitsprache 2016, 262 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8053-5 36 Ursula Kania The Acquisition and Use of Yes-no Questions in English A Corpus-Study from a usage-based perspective 2016, 219 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8068-9 37 Jana Gamper Satzinterpretationsstrategien mehr- und einsprachiger Kinder im Deutschen 2016, 287 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8079-5 38 Adam Tomas Der „am“-Progressiv im Pennsylvaniadeutschen Grammatikalisierung in einer normfernen Varietät 2018, 357 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8138-9 39 Tim Diaubalick La adquisición del sistema verbal español por aprendices alemanes y el papel del aspecto gramatical Una comparación entre los tiempos del pasado y los tiempos del futuro 2019, 375 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8279-9 40 Helena Olfert Spracherhalt und Sprachverlust bei Jugendlichen Eine Analyse begünstigender und hemmender Faktoren für Spracherhalt im Kontext von Migration 2019, 315 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-8233-8306-2 41 Kamil Długosz Der Altersfaktor beim fortgeschrittenen Zweitspracherwerb Die Wortstellung im Deutschen bei polnischdeutsch bilingualen Kindern 2021, 214 Seiten €[D] 58,- ISBN 978-3-8233-8498-4 42 Ya ş ar Kırgız Mehrsprachigkeit im Kontext des Kurmancî- Kurdischen und des Deutschen Eine Fallstudie aus einer kurdisch-deutschen Kindertagesstätte 2022, 256 Seiten €[D] 68,- ISBN 978-3-8233-8552-3 Language Development Language Development ISBN 978-3-8233-8552-3 42 Das vorliegende Werk stellt sich anhand einer longitudinal angelegten Fallstudie einem Forschungsdesiderat: der mehrsprachigen Erwerbskonstellation Kurmancî-Kurdisch und Deutsch. Über einen Zeitraum von etwa acht Monaten werden die Sprachentwicklung und Sprachkompetenz von sechs Kindern im Vorschulalter in Kurmancî-Kurdisch und in Deutsch mit diversen Instrumenten erfasst und analysiert, wobei auch die weiteren Sprachen der Studienkinder sorgfältig herausgearbeitet und im Zusammenhang mit ihren ersten beiden Sprachen erläutert werden. Die Studie setzt sich auch mit dem Einfluss der Familiensprachpraxis auf die Sprachentwicklung und Sprachkompetenz auseinander. In diesem Zusammenhang wird außerdem die Rolle der bislang einmaligen bilingualen kurdisch-deutschen Kindertagesstätte Pîya mit in die Analyse einbezogen. Entsprechend vielfältig und vielschichtig sind die Ergebnisse dieser Studie.